Daniele Ganser
Daniele Ganser (geb. 29. August 1972 in Lugano) ist ein Schweizer Historiker, Energie- und Friedensforscher, Autor und Verschwörungstheoretiker[1]. Er wurde mit seiner 2005 publizierten Dissertation über „NATO-Geheimarmeen“ bekannt und veröffentlichte unter anderem eine Untersuchung zum globalen Fördermaximum von Erdöl. Ganser greift in der Truther-Szene populäre Verschwörungstheorien zum 11. September 2001 auf und stellt sie in Aufsätzen und Vorträgen als diskutable wissenschaftliche Erklärungen dar.
In einem Interview mit den unseriösen Deutsche Wirtschafts Nachrichten (Artikel "Nato-Experte aus Sicht der USA ist Deutschland ein besetztes Land" / "Nato-Experte: USA wollen militärische Kontrolle der Ukraine") suggerierte Ganser, Deutschland sei als "Juniorpartner" ein "besetztes Land" (Zitat: Deutschland ist in der Nato ein Juniorpartner, weil die USA die Nato anführen. Aus Sicht der USA ist Deutschland besetztes Land... Das ist also die Position Deutschlands: Es befindet sich in einer untergeordneten Position im amerikanischen Imperium und die meisten deutschen Medien getrauen sich nicht das offen darzustellen).[2] Eine Meinung, die nur in der deutschen rechtsoffenen KRR-Szene, in der auch Positionen von Ganser verbreitet werden, populär ist .
Im November 2014 trat Ganser auf einem "Quer-Denken.TV-Kongreß" auf, organisiert von Michael Vogt. Weitere Vortragende bei dieser Veranstaltung waren Andreas Clauss, Konstantin Meyl, Andreas Popp, Franz Hörmann und Gerhard Wisnewski.
Daniele Ganser trat am 26.7.2014 zusammen mit Jürgen Elsässer auf einer sogenannten AZK-Konferenz des Schweizer Sektengründers Ivo Sasek auf.
Ganser war auch mehrfacher Interviewpartner von Russia Today. Kontakte existieren zum VPM und der US-amerikanischen LaRouche Bewegung. Der Ron Paul-nahen Organisation We Are Change gab Ganser ein ausführliches Video-Interview. Mit der Zeitgeist-Bewegung existieren inhaltliche Überschneidungen über die Association for Peak Oil Studies und deren Gründer Colin Campbell sowie über Michael C. Ruppert.
Als Autor veröffentlicht Ganser im Kai Homilius Verlag.
Kurzbiographie
Ganser studierte ab 1992 an den Universitäten Basel und Amsterdam Internationale Zeitgeschichte, Antike Geschichte, Philosophie und Anglistik.
Ab 1998 forschte Ganser im Rahmen seiner Doktorarbeit im Bereich Zeitgeschichte an der Universität Basel und an der London School of Economics and Political Science in England zum Thema NATO-Geheimarmeen und inszenierter Terrorismus in Europa im Kalten Krieg. Er promovierte im September 2001 an der Universität Basel.
Von 2001 bis 2003 war Ganser Senior Researcher beim wirtschaftsliberalen Think Tank Avenir Suisse, zuständig für Wirtschaftsgeschichte und Politikgeschichte. Er leitete die Kampagne von Avenir Suisse zum Beitritt der Schweiz zur UNO. Von 2003 bis 2006 war Ganser Senior Researcher am Center for Security Studies der ETH Zürich. Von 2007 bis 2010 leitete Ganser am Historischen Seminar der Universität Basel das Forschungsprojekt „Peak Oil“ zum globalen Kampf um Erdöl und zur Versorgungssicherheit der Schweiz.
Im Jahr 2011 gründete er das Swiss Institute for Peace and Energy Research (SIPER), das er seitdem leitet. Das SIPER untersucht den globalen Kampf um Erdöl und das Potential von erneuerbaren Energien. Seit 2011 ist Ganser Dozent an der Universität Basel im Studiengang „Interdisziplinäre Konfliktanalyse und Konfliktbewältigung“. Seit 2012 ist Ganser ebenfalls Dozent an der Universität St. Gallen HSG und unterrichtet zusammen mit Rolf Wüstenhagen das Modul „Geschichte und Zukunft von Energiesystemen.“
Daniele Ganser und NATO-Geheimarmeen
Ausgehend von freigegebenen Dokumenten zur italienischen Stay-behind-Organisation „Gladio“ untersuchte Ganser verschiedene Geheimarmeen in Westeuropa, die im Falle einer sowjetischen Invasion einen Guerillakrieg führen sollten. Er versuchte zudem den Nachweis zu führen, dass diese Geheimarmeen von zwei NATO-Ausschüssen koordiniert worden und einige an Staatsterrorismus beteiligt gewesen seien. Er vermutete zum Beispiel, dass eine deutsche Gladio-Einheit am Oktoberfestattentat 1980 in München beteiligt gewesen sei. Ein entsprechendes Buch erschien 2008.
Der dänische Historiker Peer Henrik Hansen[3] kritisierte Gansers Buch 2005 als journalistisch und teilweise verschwörungstheoretisch. Ganser behaupte eine Verschwörung der westlichen Regierungen und ihrer Geheimdienste, vor allem CIA und MI6, mit den NATO-Geheimarmeen. Deren Existenz sah Hansen als bewiesen an; fehlende Primärquellen dafür führte er auch auf die fortdauernde Geheimhaltung westlicher Staaten zurück. Hansen kritisierte aber Gansers Umgang mit Sekundärquellen: Er habe hauptsächlich Presseberichte und Politikeraussagen verwendet, ohne Desinformation auszuschließen und seine Methodik zu erläutern. Laut der herangezogenen Zeugenaussagen hätten Geheimdienstvertreter in den NATO-Gremien kein Stimmrecht gehabt. Eine von Gansers Hauptquellen, ein angebliches US-Armeehandbuch, sei seit 1976 als Fälschung des KGB enttarnt. Viele Stay-Behind-Truppen seien aus Freiwilligenverbänden hervorgegangen und nicht von US-Geheimdiensten, sondern den späteren NATO-Mitgliedsstaaten gegründet worden. Trotz unbestreitbarer Verbrechen einzelner Geheimtruppen könne man sie nicht alle als Terroristen darstellen.[4] Der Historiker Gregor Schöllgen urteilte 2009, in Gansers Buch werde auf spärlicher Quellenbasis das tatsächliche Ausmaß der Stay-behind-Aktivitäten „grotesk überzeichnet“. Während Ganser von „geheimen deutschen Nazi-Stay-behind-Armeen“ in Divisionsstärke ausgehe, sprächen andere für die 1960er Jahre von weniger als 100 hauptamtlichen BND-Mitarbeitern und etwa 500 Helfern.[5] Philipp Gessler urteilte in der taz, Ganser bewege sich mit seiner These, Gladio stecke auch hinter dem Oktoberfestattentat von 1980, auf „dünnem Eis“.[6]
Der Historiker Tobias Hof (2009) lobte, dass Ganser die verstreuten verfügbaren Informationen über geheime NATO-Einheiten akribisch zusammengetragen und zugänglich gemacht habe. Damit habe er die seit langem bekannten, aber von der NATO nie bestätigten Geheimarmeen wissenschaftlich erwiesen. Ganser spekuliere aber trotz seiner fehlenden Einsicht in relevante Aktenbestände über die Beteiligung der NATO-Einheiten an Terroranschlägen. Dabei stütze er sich unkritisch auf unzuverlässige Quellen (Presse, Zeugenaussagen, umstrittene Untersuchungsberichte). Ihm unterliefen immer wieder historische Falschangaben. Im Fall des entführten und ermordeten italienischen Politikers Aldo Moro übernehme er ausschließlich durch aktuelle Forschung schon widerlegte Verschwörungsthesen. Er unterstelle eine Beteiligung von Gladio an rechtsterroristischen Bombenattentaten zwischen 1969 und 1980 in Italien. Dabei berücksichtige er nicht, dass sich die italienische Geheimdienstpolitik nach 1972 von der bis dahin verfolgten Strategie der Spannung abgewandt habe. Seiner Arbeit fehle ein umfassendes Quellen- und Literaturverzeichnis. Er halte die Gliederung nach Ländern nicht ein, so dass sich Wiederholungen einschlichen. Für seine These, die Nato-Geheimarmeen seien „Quelle des Terrors“ gewesen, bedürfe es weitergehender Einzelforschung.[7]
Ganser und Verschwörungstheorien zum 11. September 2001
Ganser bezweifelt seit 2005 in Aufsätzen und Vorträgen die ermittelten Ursachen der Terroranschläge vom 11. September 2001 und hält Verschwörungstheorien dazu für gleichrangige, von Historikern erst noch zu prüfende Erklärungsansätze. Er vertritt die Ansicht, eine Überwachung einiger 9/11-Attentäter durch das US-Programm Able Danger, ein Handel mit Put-Optionen an der New Yorker Börse vor den Attentaten, das zu späte Eingreifen der US-Luftwaffe und der Einsturz des WTC 7 seien unzureichend erklärt. Er hält eine Sprengung dieses Gebäudes für möglich. Dabei beruft er sich auch auf Richard Gage, einen Vertreter des 9/11 Truth Movement.[8] Wie dieses verlangt Ganser angesichts angeblich „offener Fragen“ eine neue, von US-Regierungsbehörden unabhängige Untersuchung der Ereignisse.[9] Er veröffentlichte seinen Aufsatz über „Verdeckte Kriegsführung“ gemeinsam mit David Ray Griffin, einem weiteren Vertreter des 9/11 Truth Movement.[10][11]
Ganser will sich nicht als Verschwörungstheoretiker bezeichnen lassen, wird aber in der Truther-Szene positiv rezipiert.[12] Die ETH Zürich und die Universität Zürich, an denen Ganser tätig war, distanzierten sich 2006 von seinen „völlig absurden Ideen“ und betonten, dass er sich dazu „als Privatperson“ äußere.[13] Der Soziologe Andreas Anton griff Gansers Gleichstellung von Ermittlungsergebnissen und Verschwörungsthesen zum 11. September auf und zitierte seine - auch auf seine Arbeit zu Gladio gestützte - Annahme, dass US-Geheimdienste derart schwere Staatsverbrechen begehen könnten, als glaubwürdig und nicht von vornherein abwegig.[14]
Publikationen (Auswahl)
- Reckless Gamble: The Sabotage of the United Nations in the Cuban Conflict and the Missile Crisis of 1962. University Press of the South, New Orleans 2000, ISBN 1-88943-172-9.
- deutsche Ausgabe: Die Kubakrise – UNO ohne Chance. Edition Zeitgeschichte. Kai Homilius Verlag, Berlin 2006, ISBN 3-89706-863-X.
- mit Uwe Wagschal, Hans Rentsch: Der Alleingang: Die Schweiz 10 Jahre nach dem EWR-Nein. Orell Füssli, Zürich 2002, ISBN 3-280-05041-3.
- Brauchen wir eine Ökonomie des Friedens? Eine Schweizer Perspektive auf die Verbindung der Wirtschaft mit Gewaltkonflikten. In: Die Friedens-Warte 79 (2004), S. 57–74
- The CIA in Western Europe and the Abuse of Human Rights. In: R. Gerald Hughes, Len Scott (Hrsg.): Intelligence, Crises and Security: Prospects and Retrospects. Routledge, 2007, ISBN 0415464307, S. 108-129 (Textauszug online)
- NATO-Geheimarmeen in Europa: Inszenierter Terror und verdeckte Kriegsführung. Orell Füssli, Zürich 2008, ISBN 978-3-280-06106-0
- Die dunkle Seite des Westens: Verdeckte Terroraktivitäten der NATO. Kai Homilius Verlag, Berlin 2009, ISBN 978-3-89706-206-1 (Video-DVD, 60 Minuten).
- Europa im Erdölrausch: Die Folgen einer gefährlichen Abhängigkeit. Orell Füssli, Zürich 2012, ISBN 978-3-280-05474-1.
Weblinks
- http://www.ruhrbarone.de/medienkompetenz-in-witten-lesen-sie-buecher/116341
- Sochi 2014 und der Völkermord an den Tscherkessen - Nachgefragt: Daniele Ganser und sein Umfeld I: Anti-Fracking und die Instrumentalisierung von Gegenöffentlichkeit (Einleitung)
- Sochi 2014 und der Völkermord an den Tscherkessen - Nachgefragt: Daniele Ganser und sein Umfeld II: ASPO Schweiz, VPM und We are change
- Sochi 2014 und der Völkermord an den Tscherkessen - Nachgefragt: Daniele Ganser und sein Umfeld III: Offene(s) Fragen zu 9/11?
Quellennachweise
- ↑ Philipp Gut, „9/11. Glaubensbrüder“, Die Weltwoche, Ausgabe 37/2006, online unter http://www.weltwoche.ch/ausgaben/2006-37/artikel-2006-37-glaubensbrueder.html
- ↑ „Nato-Experte: USA wollen militärische Kontrolle der Ukraine“, Deutsche Wirtschafts Nachrichten, 14.7.2014, http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2014/07/14/nato-experte-aus-sicht-der-usa-ist-deutschland-ein-besetztes-land/;
- ↑ Peer Henrik Hansen: Fighting Communism in the North. The secret work of the Danish organization »The Firm« („Über den Autor“)
- ↑ Peer Henrik Hansen: Daniele Ganser. NATO’s Secret Armies: Operation Gladio and Terrorism in Western Europe. In: Journal of Intelligence History: Summer 2005. LIT, 2006, ISBN 3825806502, S. 111 f.
- ↑ Gregor Schöllgen: Gladiatoren im Kalten Krieg. „Stay behind“-Truppen gegen kommunistische Invasoren. In: Frankfurter Allgemeine. 25. April 2009.
- ↑ Philipp Gessler: Viele offene Fragen. In: taz vom 7. August 2009.
- ↑ Tobias Hof: Daniele Ganser: Nato-Geheimarmeen in Europa. In: Sehepunkte. Rezensionsjournal für die Geschichtswissenschaft 9 (2009), Nr. 4
- ↑ Arthur Scheuerman: How the Fire Collapsed the World Trade Center Buildings. Llumina Press, 2011, ISBN 9781605947662, S. 2
- ↑ Der Tagesanzeiger, 7. September 2011: WTC7 und andere Rätsel um 9/11
- ↑ David Ray Griffin, Peter Dale Scott (Hrsg.): 9/11 and American Empire: Vol. 1: Intellectuals Speak Out. Interlink, Northampton, Massachusetts (USA) 2006
- ↑ Philipp Gut (Weltwoche, 37/2006): Glaubensbrüder
- ↑ Die Zeit, 6. Dezember 2012: Die „Truther“. Unter Verschwörern
- ↑ SonntagsZeitung, 17. September 2006: ETH und Uni Zürich gehen auf Distanz zu Verschwörungstheoretiker (Faksimile)
- ↑ Andreas Anton: Verschwörungstheorien zum 11. September. In: Andreas Anton, Michael Schetsche, Michael K. Walter (Hrsg.): Konspiration: Soziologie des Verschwörungsdenkens. 2013, S. 157-180, hier S. 176
Quellen zu diesem Artikel: