Regividerm: Unterschied zwischen den Versionen

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==Die Erfindung==
 
==Die Erfindung==
Als Erfinder gilt der damalige Medizinstudent Karsten Klingelhöfer, der später sein Studium abbrach. Er und ein Chemiker rühren in einer Wohnung eine Salbe mit Vitamin B12 zusammen und probieren sie an der Freundin des Studenten aus. Eigentümer der Patente ist die Regeneratio Pharma GmbH in Remscheid, Nachfolger der 2004 insolvent gegangenen Regeneratio Pharma AG.
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Als Erfinder des Regividerm gilt der damalige Medizinstudent Karsten Klingelhöfer, der später sein Studium abbrach. Er und ein Chemiker rühren in einer Wohnung eine Salbe mit Vitamin B12 zusammen und probieren sie an der Freundin des Studenten aus. Eigentümer der Patente ist die Regeneratio Pharma GmbH in Remscheid, Nachfolger der 2004 insolvent gegangenen Regeneratio Pharma AG.
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Noch bevor die Ergebnisse aus den ab dem Jahre 2000 Untersuchungen vorlagen, wurde das Produkt bereits 1999 vermarktet. Dies zeigt die Auswertung der damaligen Webseiten<ref>http://web.archive.org/web/19991012124727/http://regividerm.de/ http://web.archive.org/web/20000604165121/regividerm.de/body_bestell.html</ref>. 
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Aber bereits in den fünfziger Jahren war mit B12 bei Hauterkrankungen experimentiert worden.<ref> Experience with vitamin B12 in the treatment of dermatoses, particularly of seborroic origin. Med Klin (Munich). 1954 Aug 13;49(33):1293-4.</ref>
  
 
==Eine innovative und erfolgreiche Vermarktungsstrategie==
 
==Eine innovative und erfolgreiche Vermarktungsstrategie==

Version vom 22. Oktober 2009, 23:12 Uhr

Regividerm ist der Handelsname eines B12 und Avocadoöl enthaltendes Medizinproduktes der Klasse IIa gegen die atopische Dermatitis (Neurodermitis) und Psoriasis (Schuppenflechte), das im Oktober 2009 mit rührseliger und innovativer Marketingstrategie für Schlagzeilen sorgte, und Themengegenstand von Fernsehbeiträgen im öffentlich-rechtlichen TV-Programm ARD war. Für Medizinprodukte ungewöhnlich wurde zu dem Wundermittel Regividerm auch am 19.10.09 ein Fernsehfilm in der ARD gesendet, der im Kern dem Zuschauer den Eindruck vermittelte, das Arzneimittel würde von einflussreichen Pharmaunternehmen unterdrückt und sei gleichzeitig wirksamer als herkömmliche Vergleichmittel. Der Autor des Films Klaus Martens ist gleichzeitig Autor eines Buches zum Thema, das im Zusammenhang mit den Fernsehsendungen an promineter Stelle in der ARD vorgestellt wurde und zeitweilig als Folge des Medienrummels zu einem häufig bestellten Buch wurde.

Regividerm wird von dem Schweizer Pharmaunternehmen Mavena Health Care AG[1] hergestellt und vermarktet. 100 Gramm der Creme kosten 28,85 Euro.

Regividerm

Regividerm3.jpg

Regividerm ist der Handelsname eines Medizinproduktes der Klasse IIa[2] aus B12 und Avocadoöl. Im Gegensatz zu einem Arzneimittel braucht ein Medizinprodukt keinen Wirksamkeitsnachweis[3]. Wolfgang Becker-Brüser, Geschäftsführer der Arzneimittelinformation GmbH, die das "Arznei-Telegramm" herausgibt, wies in einem Gespräch mit dem WDR darauf hin, dass die Creme nicht als Arzneimittel zugelassen sei, sondern nur eine Zertifizierung als Medizinprodukt habe. Eine Zertifizierung sagt nichts über den Nutzen aus, während eine Zulassung als Arzneimittel einen Hinweis auf den Nutzen gibt. Regividerm wurde demnach nicht zugelassen, sondern lediglich für Deutschland und die Schweiz registriert (Klasse IIa: mäßiger Invasivitätsgrad, kurzzeitige Anwendung am Körper).

Die laut Anbieter genaue Zusammensetzung (Stand Herbst 2009) der Original Regividerm® Vitamin B12 Salbe ist:

  • 0,07 Gramm Vit­amin B 12
  • 46 Gramm Avo­kadoöl
  • 45,42 Gramm Wasser
  • 8 Gramm TEGO ® Care PS
  • 0,26 Gramm Kaliumsorbat
  • 0,25 Gramm Zitronensäure

Regividerm® Vit­amin B 12 Salbe ist zugelassen für die Behandlung von Neurodermitis für Kinder ab dem ersten Lebensjahr und der Psoriasis (Schuppenflechte).

Studienlage

Die Studienlage ist denkbar schlecht um Regividerm als ein Wundermittel promoten zu können. Bei einer Suche in medizinischen Datenbanken stösst man auf zwei Studien zu Regividerm. In der Zeitschrift Dermatology erschien im Jahr 2001 eine Untersuchung an der gerade einmal 13 Patienten mit chronischer Plaquepsoriasis teilnahmen[4]. Es handelte sich um eine randomisierte Studie, in der im intraindividuellen Rechts-Links-Vergleich an den Armen die rosafarbene Vitamin-B12-Avocadoöl-Salbe gegen eine weisse Calcipotriol-Salbe über zwölf Wochen getestet worden ist. Das Ergebnis: Die Calcipotriol-Salbe war nach vier Wochen am wirksamsten, dann ließ die Wirkung aber nach. Mit der Vitamin-B12-Salbe wurden über den gesamten Zeitraum zufrieden stellende Ergebnisse erzielt. An der im British Journal of Dermatology publizierten randomisierten und placebokontrollierten Untersuchung nahmen 49 Neurodermitis-Patienten teil[5]. Über einen Zeitraum von 8 Wochen trug jeder Patient morgens und abends auf eine Armseite die Placebo-Salbe, auf die andere die Vitamin-B12-haltige Salbe auf. Die Patienten bewerteten die Vitamin-B12-Salbe besser.

Der Erstautor beider Studien, der Dermatologe Markus Stücker von der Ruhr-Universität Bochum, sieht, wie auf den Online-Seiten der Süddeutschen Zeitung zu lesen ist, weiteren Forschungsbedarf. Die Bewertung sei noch nicht abgeschlossen, die Sicherheit sei noch nicht da und man habe bislang viele Medikamente gesehen, die das nicht halten konnten, was sie versprochen haben. Nach Ansicht der Deutschen Apotheker Zeitung reichen die beiden Studien keinesfalls aus, um die Rezeptur als Arzneimittel zuzulassen.[6]

Die Erfindung

Als Erfinder des Regividerm gilt der damalige Medizinstudent Karsten Klingelhöfer, der später sein Studium abbrach. Er und ein Chemiker rühren in einer Wohnung eine Salbe mit Vitamin B12 zusammen und probieren sie an der Freundin des Studenten aus. Eigentümer der Patente ist die Regeneratio Pharma GmbH in Remscheid, Nachfolger der 2004 insolvent gegangenen Regeneratio Pharma AG.

Noch bevor die Ergebnisse aus den ab dem Jahre 2000 Untersuchungen vorlagen, wurde das Produkt bereits 1999 vermarktet. Dies zeigt die Auswertung der damaligen Webseiten[7].

Aber bereits in den fünfziger Jahren war mit B12 bei Hauterkrankungen experimentiert worden.[8]

Eine innovative und erfolgreiche Vermarktungsstrategie

Regividerm1.jpg
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Regividerm2.jpg

Regividerm wurde mit einer wirksamen und optimal getimten Dreifach-Strategie vermarktet, die auf zwei Erwähnungen im ARD-Fernsehen (19./21.10.09), einem unkritisch-werbeähnlichen Film der in der ARD zur Prime-time gezeigt wurde und einem gleichzeitig veröffentlichten Buch basierte. Punktgenau zur Markteinführung im November 2009 wurde die öffentlich - rechtlich informierte Zielgruppe der etwa 8 Millionen von Neurodermitis und Schuppenflechte Betroffenen von dem angeblich neuen Mittel umsonst vorab informiert und diesem das Buch des Filmautors und Medizinlaien Klaus Martens (WDR: Er beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Wirtschaftsthemen) zum Thema an prominenter Stelle im Fernsehen und Internet präsentiert. Eine gleichermassen effektive Aufklärung alternativer Mittel oder physikalischer Therapien oder anderer Massnahmen bei den genannten Erkrankungen unterblieb aus unbekannten Gründen. Der gebührenzahlende Fernsehzuschauer kann sich hier nur über die Gratiswerbung zur besten Sendezeit wundern.

Untermalt waren Sendung und Film von anrührenden Bildern und an die Gefühle appellierende Wortwahl. So sagte der WDR-Moderator Frank Plasberg in der Sendung hart aber fair vom 21.10.09 Besonders bedrückend ist es, wenn man sieht, wie sehr kleine Menschen unter Neurodermitis leiden und stellte einen kleinen vorgestellten Neurodermitis-Patienten namens Bastian in den Dienst einer Schleichwerbung für ein gerade auf den Markt geworfenes Mittel, dessen Wirksamkeit bei der genanten Erkrankung nicht zweifelsfrei erwiesen ist.

Passend zu den ARD-Werbesendungen bietet eine Agentur "just in time" neben einem Interviewtermin mit dem Geschäftsführer die ARD-Sendung auf CD an. PR-Unterlagen zur neuen Salbe können ebenso geordert werden wie ein Muster der Salbe.

Der ARD-Film Heilung unerwünscht

In dem am 19.10.2009 ausgestrahlten Film Heilung unerwünscht wurde dem Zuschauer suggeriert, dass das Regividerm-Mittel nicht nur allen Patienten mit Neurodermitis und Psoriasis helfe, sondern auch, dass es klinisch geprüft und nebenwirkungsfrei sei. Weiterhin wurde der Eindruck erweckt, dass das Mittel nur deshalb angeblich nicht käuflich zu erwerben sei, weil verschiedene pharmazeutische Unternehmen es trotz seiner erprobten Wirksamkeit nicht produzieren wollten, da es teureren Eigenprodukten Marktanteile streitig mache. Es wurde suggeriert, dass diese Firmen den leidenden Patienten das angeblich nebenwirkungsfreie Mittel vorenthielten, um ihre eigenen Mittel weiterhin absetzen zu können, die im Film als nebenwirkungsreich bei gleichzeitiger unzureichender Wirksamkeit dargestellt wurden. Dazu wurden in suggestiver Weise Erlebnisberichte von Betroffenen eingespielt, die den Zuschauer von Wirksamkeit und Nebenwirkungsfreiheit überzeugen sollten.

Rezeption

Die Regividerm-Vermarktungsstrategie stiess auf Kritik. Beda Stadler, Direktor des Instituts für Immunologie an der Universität Bern äusserte sich dazu spontan im deutschen Fernsehen mit den Worten Ein bisschen Avocadoöl mit etwas Vitaminen drin kann diese schweren Krankheiten nicht kurieren. Das ist Betrug. Neurodermitis und Schuppenflechte können nicht geheilt werden. Den Doku-Film über die Entstehungsgeschichte verurteilt er. Wenn man anfängt, auf diese Art Wundermittel zu promovieren, spielt man mit den Hoffnungen der Patienten.. Siegfried Throm, Geschäftsführer des Verbands forschender Pharmaunternehmen, sprach in der Sendung hart aber fair vom 21.10.2009 von einem genialen Marketing-Coup.

Am 22.10.09 meldete sich auch Thomas Schwennesen der erste Vorsitzender des Deutschen Neurodermitis Bundes mit einer Pressemeldung Wirbel um Regividerm zum Thema. In der Stellungnahme sprach Schwennesen im Zusammenhang mit der ARD von einer völlig kritiklosen PR-Aktionen, und Es ist eine Schande und blanker Zynismus, dass die PR-Einführung eines normalen Hautpflege-Produktes sich der Pharmaschelte als Aufhänger für eigene Geschäfte bedient [...] Beide Erkrankungen haben verschiedene medizinische Therapieansätze sind aber nicht heilbar. Die dargestellte Produktmischung soll nun das alles auch noch ohne Nebenwirkungen schaffen. Pharmakologisch ist die Äußerung unhaltbar, dass ein Produkt wirkt ohne jegliche Nebenwirkung. Die ARD hat mit diesem Beitrag den etwa fünf Millionen Neurodermitikern einen Bärendienst erwiesen und sich selbst journalistisch ins Abseits gestellt.[9].

Weblinks


Quellennachweise

  1. Mavena Health Care AG, Haselstrasse 1, 5401 Baden, Schweiz
  2. Regividerm B12 Salbe, PZN 5523487, Lauer-Taxe
  3. http://www.mig.tu-berlin.de/fileadmin/a38331600/2008.lectures/Berlin_2008.08.25_rb_MDS-Medizinprodukte.pdf
  4. Stücker M et al: Vitamin B(12) cream containing avocado oil in the therapy of plaque psoriasis. Dermatology. 2001;203(2):141-7
  5. Stücker M et al: Topical vitamin B12 – a new therapeutic approach in atopic dermatitis-evaluation of efficacy and tolerability in a randomized placebo-controlled multicentre clinical trial. Br J Dermatol 2004; 150 977-983
  6. http://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/pharmazie/news/2009/10/22/heilung-unerwuenscht-alles-zufall-oder-nur-profitgier.html
  7. http://web.archive.org/web/19991012124727/http://regividerm.de/ http://web.archive.org/web/20000604165121/regividerm.de/body_bestell.html
  8. Experience with vitamin B12 in the treatment of dermatoses, particularly of seborroic origin. Med Klin (Munich). 1954 Aug 13;49(33):1293-4.
  9. Deutscher Neurodermitis Bund e.V., Thomas Schwennesen, 1. Vorsitzender Baumkamp 18, 22299 Hamburg. www.neurodermitis-bund.de. Veröffentlicht von pressrelations: [1]