Alternativmedizinische Immunschwäche
Immunschwäche (auch Abwehrschwäche oder Immundefizit bezeichnet) ist ein bei Alternativmedizinern und Heilpraktikern eine häufige Verlegenheits- und Modediagnose, die in der Regel ohne labormedizinische Untersuchung alleine auf Grund bestimmter Anzeichen oder Symptome gestellt wird.
Die hier thematisierte so genannte Immunschwäche darf allerding nicht mit den wissenschaftmedizinisch definierten Zuständen eines Immundefekts oder einer Immunsuppression oder der Erkrankung AIDS verwechselt werden. Dies gilt auch für die in der Sportmedizin erörterte "Open Window Hypothese"[1]
Alternativmedizinische Immunschwäche
Anstelle einer sorgfältigen differentialdiagnostischen Abklärung (also der sogfältigen Erörterung aller un Frage kommenden Zustände/Krankheiten) wird im alternativmedizinischen Umfeld häufig ohne nachvollziehbare rationale Begründungen die Diagnose "Immunschwäche" gestellt, und in Folge zum Teil langwierige und stets privat zu bezahlende "immunsystem-steigernde" Therapien mit Immunstimulantien und Vitaminen, Ernährungsempfehlungen oder "Ausleitungs- und Entgiftungsbehandlungen" empfohlen. Hinzu kommen Empfehlungen Stuhlproben durch meist von den Krankenkassen nicht anerkannten Tests auf die Anwesenheit von Pilzen wie etwa Candida zu testen, um beispielsweise die beliebte Diagnose einer Darmverpilzung stellen zu können.
Aus Sicht der alternativmedizinischen Immunschwäche-Hypothese mache immer wieder mal das Immunsystem "schlapp", mir der Folge dass sich Erkrankungen der oberen Luftwege (URTI / "Erkältungen") einstellten oder sich chronifizierten.
Immunstimulation
Eine tatsächlich erreichte Stimulation (oder Boosterung) des Immunsystems stärkt nicht das Wohlbefinden, sondern führt im Gegenteil zur Entstehung eines ausgeprägten Krankheitsgefühls. Es stellen sich Fieber, Gelenkschmerzen, Müdigkeit, Abgeschlagenheit oder Muskelschmerzen ein. Diese Symptomatik kennt jeder bei Infektionskrankheiten, wobei durch die meisten Erreger es zu einer Aktivierung des Immunssystems kommt. Zu diesen Symptomen kommt es auch bei Anwendung von Mitteln wie Interferonen, die in der Medizin angewandt werden.
Die Wirksamkeit pflanzlicher Produkte zur angestrebten Immunstimulation (z.B. Echinacea palida und purpurea, Tuja) ist noch immer nicht ausreichend wissenschaftlich belegt.
Vitamine und Spurenelemente haben entgegen den Behauptungen einer Vielzahl von Anbietern und Anwendern keinerlei immunstimulierenden Effekt. Mehrere doppelblinde Plazebostudien an südafrikanischen Ultramarathonläufern haben beispielsweise gezeigt, dass zwar eine 3wöchige Vitamin C-Gabe (ca. 600 mg/Tag) mit einer geringeren Angabe von "Erkältungs"-Symptomen einhergeht. Diese Ergebnisse konnten von anderen Untersuchergruppen aber nicht bestätigt werden[2][3], und werden Fehlern bei der Datenauswertung zugeschrieben[4]. Der Einfluss von Nahrungsergänzungsmitteln wie Zink, Vitamin A und E, Glutamin, Fettsäuren und Kohlenhydrate auf die akute Immunantwort nach Belastung wurde bei Ausdauerathleten untersucht. Die Daten sind bisher uneinheitlich und es scheinen sich nur geringe Auswirkungen auf die Immunveränderungen nach Belastung zu ergeben. Die eindeutigsten Ergebnisse wurden bei Gabe von Kohlenhydraten in Getränken berichtet (zuckerhaltige Getränke).
Typische alternativmedizinische Produkte zur angestrebten "Immunstimulation" sind so genannte Vital-Pilze oder Pilzprodukte aus Agaricus blazei, der auch gegen Krebs beworben wird.
Sportmedizinische Immunologie und die "Open Window Theory"
Mehrere Übersichtsarbeiten (reviews) Untersuchungen haben gezeigt, dass das Risiko für Atemwegsinfektionen in Phasen erhöhter Trainingsintensität sowie 1-2 Wochen nach Teilnahme an Ausdauerwettkämpfen zunimmt[5]. Erkrankungen treten insbesondere dann auf, wenn die Athleten ihre individuelle Trainingsschwelle überschreiten[6]. Im Gegensatz dazu wurde beobachtet, dass Sportler bei normaler Trainingsintensität weniger Infekte zeigten als Menschen, die nicht körperlich aktiv waren[7]. Diese Daten legen nahe, dass normale körperliche Aktivität zu einer verminderten Infektionsrate führt, während körperliche Überlastung ("open window theory") die Infektabwehr verschlechtert. Bislang vorliegende Untersuchungen zur Immunfunktion von Sportlern und Nichtsportlern in Ruhe konnten trotz epidemiologischer Daten keine klinisch relevanten Veränderungen der Immunität nachweisen[8][9][10], mit Ausnahme der NK-Zellen (natural killer cells). Bis heute misslangen jedoch Versuche, eine Korrelation zwischen Veränderungen in der NK-Zell- und Neutrophilenfunktion (Granulozyten) sowie dem Infektionsrisiko herzustellen.
Quellennachweise
- ↑ Pedersen BK, Bruunsgaard H, Klokker M, Kappel M, MacLean DA, Nielsen HB, Rohde T, Ullum H, Zacho M: Exercise-induced immunomodulation: possible roles of neuroendocrine and metabolic factors. Int J Sports Med, 18(Suppl 1) (1996) S.2-S.7
- ↑ Himmelstein SA, Robergs RA, Koehler KM, Lewis SL, Qualls CR: Vitamin C supplementation and upper respiratory tract infections in marathon runners. JEPonline 1(2) (1998) 1-17.
- ↑ Nieman DC, Henson DA, Butterworth DE, Warren BJ, Davis JM, Fagoaga OR, Nehlsen-Cannarella SL: Vitamin C supplementation does not alter the immune response to 2.5 hours of running. Int J Sports Nutr 7 (1997), S. 174-184
- ↑ http://www.zeitschrift-sportmedizin.de/Inhalt/images/heft0900/a0900_2.pdf
- ↑ Nieman DC, Johanssen LM, Lee JW, Cermak J, Arabatzis K: Infectious episodes in runners before and after the Los Angeles Marathon. J Sports Med Phys Fitness 30 (1990) 316-328.
- ↑ Gannon GA, Rhind SG, Suzui M, Shek PN, Shephard RJ: Circulating levels of peripheral blood leucocytes and cytokines following competitive cycling. Can J Appl Physiol 22 (1997) 133-147
- ↑ Nieman DC: Immune response to heavy exertion. J Appl Physiol 82 (1997) 1385-1394
- ↑ http://www.zeitschrift-sportmedizin.de/Inhalt/images/heft0900/a0900_2.pdf
- ↑ Nieman DC, Buckley KS, Henson DA, Warren BJ, Suttles J, Ahle JC, Simandle S, Fagoaga OR, Nehlsen-Cannarella SL: Immune function in marathon runners versus sedentary controls. Med Sci Sports Exerc 27 (1995), 986-992
- ↑ Pyne DB, Baker MS, Fricker PA, McDonald WA, Telford RD, Weidemann MJ: Effects of an intensive 12-wk training program by elite swimmers on neutrophil oxidative activity. Med Sci Sports Exerc 27 (1995) 536-542