Dichlorazetat

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Dichlorazetat (DCA, eigentlich gemeint ist die Dichloressigsäure, dichloroacetic acid, nicht zu verwechseln mit Desoxycholsäure, DCA) ist eine Substanz, die in alternativmedizinischen Kreisen immer wieder als Wundermittel gegen Krebs ins Gespräch gebracht wird. Dichlorazetat ist derzeit (02/2012) in keinem Land zur Krebstherapie zugelassen. Bisher gibt es nur eine einzige Phase II-Studie aus Kanada (5 Patienten) zur Wirksamkeit und Sicherheit von DCA bei Krebserkrankungen des Menschen.[1] Die Risiko-Nutzen-Analyse für DCA bei Krebs fällt derzeit (2012) negativ aus.[2]

Ein englischer DCA-Anbieter war David Noakes.

DCA

Dichlorazetat ist eine Substanz, die in der wissenschaftlichen Humanmedizin als Natrium oder Kaliumsalz der Dichloressigsäure zur Behandlung seltener Stoffwechselstörungen, wie z.B. kongenitaler Laktatazidosen eingesetzt wird. Außerdem findet DCA Anwendung in der chemischen Industrie und zur Wasserdesinfektion.

DCA als Krebswundermittel

Das in den letzten Jahren zu beobachtende Interesse an DCA entstand durch werbewirksame Behauptungen in der Presse zu dessen möglicher Wirksamkeit bei Krebserkrankungen. Beispielhaft dafür ist ein unkritischer und oberflächlich recherchierter Artikel in "Freitag" im Mai 2010.[3] Der Autor versuchte dabei den Eindruck zu erwecken, dass DCA wegen seiner Nichtpatentierbarkeit von Pharmaunternehmen nicht gefördert oder eingesetzt werde, ohne jedoch dazu nachprüfbare Quellen zu nennen. DCA steht jedoch bei anderen Erkrankungen als Krebs der Medizin durchaus zur Verfügung, was eine derartige Hypothese einer kommerziell bedingten Ablehnung in Frage stellt. Hinzu kommt, dass in Kanada tatsächlich der Versuch unternommen wurde, die DCA-Behandlung bei Krebs als solche patentieren zu lassen. (Michelakis und Archer, University of Alberta).[4] In der Vergangenheit wurde die Forschung für medizinische DCA-Anwendungen und Studien dazu aus öffentlichen Mitteln (National Institutes of Health, Food and Drug Administration, Canadian Institutes of Health Research sowie durch private Sponsoren) bezahlt.

Basis für eine mögliche zukünftige Anwendung von DCA zur Behandlung von Krebs ist die mögliche zytotoxische Wirkung von Dichloressigsäure gegenüber Krebszellen aufgrund einer vermuteten Verschiebung des zellulären Energiestoffwechsels von der anaeroben Glykolyse (Gärung) in Richtung oxidative Phosphorylierung. DCA führt indirekt zu einer Aktivierung des Pyruvatdehydrogenase-Komplexes (PDC), der die Umwandlung von Pyruvat zu Acetyl-CoA für den Zitratzyklus katalysiert und dadurch den oxidativen Stoffwechsel fördert. Die Aktivierung des Pyruvatdehydrogenase-Komplexes wird über eine Hemmung der Pyruvatdehydrogenase-Kinase (PDK) durch DCA erreicht, die in ihrer aktiven Form die Pyruvatdehydrogenase phosphoryliert und dadurch hemmt.[5]

Eine angenommene Wirksamkeit bei Krebs wurde in Kanada aus Ergebnissen von Labor- und Tieruntersuchungen eines griechischen Kardiologen namens Evangelos Michelakis der Universität von Alberta (Edmonton, Canada) und aus einigen Fallberichten abgeleitet, so auch aus einer Untersuchung aus dem Jahr 2007 (in vitro-Toxizität von Dichloressigsäure auf humane nicht-kleinzellige Lungen-, Mamma-, und Glioblastom- Zellen[6]). Von Michelakis und Kollegen liegt eine Studie bei 5 Patienten mit einem bestimmten Hirntumor vor, die neben einer Chemotherapie gleichzeitig mit DCA behandelt wurden.[7] Eine Rechtfertigung für ihren Einsatz als Mittel zur Behandlung von Krebs kann aber daraus nicht abgeleitet werden, da Ergebnisse aus Laborexperimenten und Tierversuchen nur bedingt auf den Menschen bezogen werden können und die Michelakis-Studie nicht ausreichend aussagefähig ist. Im Mai 2010 veröffentlichte die kanadische Studiengruppe eine Pressemitteilung, in der sie ihre Ansicht äußerte, dass aus dieser Studie keine Bewertungen ableitbar seien.[8]

Leitlinien von Fachgesellschaften erwähnen das Mittel nicht.

Der Anbieter von DCA war bis Mitte Juli 2007 vor allem der Biologe Jim Tassano, der die Substanz in den USA zusammen mit seiner Frau und dem Chemiker Joseph Ryan hergestellt und weltweit über das Internet vertrieben hatte, u.a. mit Behauptungen zur positiven Wirksamkeit von DCA bei Krebserkrankungen. Zu diesem Zweck wurden von Tassano zwei Webseiten eingerichtet. Eine der Webseiten diente vornehmlich dem Verkauf von DCA, was durch einen Beschluss der FDA vom 7. Juli 2007 untersagt wurde.

Ist die Einnahme von DCA sicher?

Während die akute Toxizität gering ist, führt die längere Anwendung von DCA bei Ratten, Mäusen und Hunden an verschiedenen Organen zu ausgeprägten Schädigungen. Dies ist auch bei niedriger Dosierung der Fall. Bei Menschen finden sich neurologische Ausfallerscheinungen insbesondere beim Langzeiteinsatz von DCA, z.B. bei Stoffwechselerkrankungen: Bei einem 21-jährigen Patienten, der DCA zur Therapie einer Hypercholesterinämie bekommen hat, musste die Therapie nach 16 Wochen wegen schwerer neurologischer Probleme abgebrochen werden. Neurologische Nebenwirkungen sind meistens reversibel, die Rückbildung kann jedoch 6 Monate in Anspruch nehmen. Auch bei einer 13-jährigen Patientin, die wegen einer im Zusammenhang mit konsekutiver metabolischer Enzephalopathie aufgetretenen Laktatazidose 24 Wochen lang mit DCA therapiert wurde, traten trotz gleichzeitiger Gabe von Thiamin erhebliche neurologische Probleme auf. Insgesamt wurde DCA daher als Langzeittherapeutikum für ungeeignet befunden. Auch Kaufmann und Engelstad et al. kommen zu der Aussage, dass die Nebenwirkungen von DCA jeden Nutzen überschatten. Demgegenüber gibt es jedoch auch Studien, in denen sich DCA (meist bei kürzerer Anwendung) als gut verträglich erwiesen hat. DCA führt in höheren Dosen bzw. bei Verabreichung über einen längeren Zeitraum u.a. beim Hund zur Hodenatrophie und folglich zur Aspermie, ebenfalls werden Prostataatrophien beobachtet. DCA ist außerdem nephrotoxisch.

Siehe auch

Literatur

  • Beate Johanna Eleonore Deubzer: Der Einfluss von Ascorbat, 2-Deoxy-D-Glucose und Dichlorazetat auf das Wachstum und den Glucosestoffwechsel von Neuroblastomzellen mit und ohne N-myc-Amplifikation, (2010), Dissertation, Medizinische Fakultät der Eberhard-Karls-Universität (Tübingen) Text
  • Karsten Münstedt, Leo Auerbach, Gerd Birkenmeier und Katja Boehm: Komplementäre und alternative Krebstherapien, 2011, ecomed Medizin

Weblinks

Quellennachweise

  1. Michelakis ED, Sutendra G, Dromparis P, Webster L, Haromy A, Niven E, Maguire C, Gammer TL, Mackey JR, Fulton D, Abdulkarim B, McMurtry MS, Petruk KC., Metabolic modulation of glioblastoma with dichloroacetate., Sci Transl Med. (2010), 12.5.2010, 2(31):31 Volltext
  2. Karsten Münstedt, Leo Auerbach, Gerd Birkenmeier und Katja Boehm: Komplementäre und alternative Krebstherapien, 2011, ecomed Medizin, Seite 766
  3. Richard Friebe: Stell dir vor, Krebs ist heilbar – und keiner zahlt, Artikel in "Freitag", 21.5.2010
  4. http://www.ctv.ca/CTVNews/Health/20070120/DCA_feature_070121/#ixzz1nQJAy56n
  5. http://tobias-lib.uni-tuebingen.de/volltexte/2010/5098/pdf/Deubzer_Doktorarbeit.pdf
  6. Bonnet, S., Archer, S. L., Allalunis-Turner, J., Haromy, A., Beaulieu, C., Thompson, R., Lee, C. T., Lopaschuk, G. D., Puttagunta, L., Bonnet, S., Harry, G., Hashimoto, K., Porter, C. J., Andrade, M. A., Thebaud, B., Michelakis, E. D., (2007), A mitochondria-K+ channel axis is suppressed in cancer and its normalization promotes apoptosis and inhibits cancer growth, Cancer Cell, 11, 37 – 51
  7. Michelakis ED, Sutendra G, Dromparis P, Webster L, Haromy A, Niven E, Maguire C, Gammer TL, Mackey JR, Fulton D, Abdulkarim B, McMurtry MS, Petruk KC., Metabolic modulation of glioblastoma with dichloroacetate., Sci Transl Med. (2010), 12.5.2010, 2(31):31 Volltext
  8. Zitat: "[...] No conclusions can be made on whether the drug is safe or effective in patients with this form of brain cancer, due to the limited number of patients tested by the study's leads Drs Michelakis and Petruk. Researchers emphasize that use of DCA by patients or physicians, supplied from for-profit sources or without close clinical observation by experienced medical teams in the setting of research trials, is not only inappropriate but may also be dangerous." [1]