Mistel.jpg

Die Misteltherapie bezeichnet alternativmedizinische oder komplementärmedizinische Therapien, bei denen Presssäfte oder Extrakte unterschiedlicher Mistelpflanzen eingesetzt werden, die rezeptfrei erhältlich sind und zur Behandlung von Krebs dienen sollen. Die Misteltherapie ist insbesondere populär innerhalb der anthroposophischen Medizin nach Rudolf Steiner und Ita Wegmann.

Basierend auf der anthroposophischen Lehre von Rudolf Steiner entwickelte dessen Lebensgefährtin, die holländische Ärztin Ita Wegman (1876-1943) erste Ansätze einer anthroposophischen Medizin. Bereits im Jahre 1921 gründete sie die erste anthroposophische Klinik im schweizerischen Arlesheim, die bis heute einen Schwerpunkt der Mistelszene in Europa bildet.

In der Bundesrepublik Deutschland gibt es heute etwa 1.000 Krankenhäuser und 6.000 Ärzte, die nach den Vorstellungen der anthroposophischen Medizin arbeiten. Sie verwenden u.a. anthroposophische Arzneimittel, die von international agierenden Firmen hergestellt werden. Dabei sind die Namen Abnoba Heilmittel, Vefak KG, Biosyn Arzneimittel, Helixor Heilmittel, Novipharm, Madaus AG, Wala-Heilmittel und Weleda zu nenenn. Die letztgenannte Firma, die sich nach einer altgermanischen Heilpriesterin nennt, die am Oberlauf der Lippe gelebt haben soll, machte allein im Jahre 1990 einen Gesamtarzneimittelumsatz von 35 Mio. Euro.

Mistelprodukte gegen Krebs sind die Hauptumsatzbereiche der obigen Firmen. Dies ist kein Wunder, denn 20-30% aller Tumorpatienten spielen mit dem Gedanken, Mistelprodukte anzuwenden. Man schätzt, dass allein in der BRD jährlich 35-40 Mio. Euro mit diesen Wundermitteln umgesetzt werden. Bis heute haben diese Medikamente keinen Wirksamkeitsnachweis erbringen müssen, weil aufgrund politischer Lobbyarbeit in den 1970iger Jahren (u.a. mit Hilfe des damaligen Bundespräsidenten Carl Carstens) im deutschen Arzneimittelrecht den anthroposophischen Mitteln ein Sonderstatus zugebilligt wurde. Es reicht bis heute aus, dass die entsprechenden Anbieter saubere Produkte anbieten. Einen Wirksamkeitsnachweis für die Zulassung bzw. Verkehrsfähigkeit der Mittel bedarf es aber nicht. Das spart den Herstellern viele Millionen an Forschungsgeldern, denn eine Zulassung eines Fertigarzneimittels kostet in der BRD zwischen 150-250 Mio. Euro. Diese eingesparten Gelder bzw. der Gewinn aus nicht zu verausgabenden Forschungsmitteln konnte in große Marketingkampagnen gesteckt werden. Dies ist eine der Hauptursachen, warum Mistelprodukte - trotz fehlender Wirkungen und bekannter Nebenwirkungen - in der Bevölkerung als heilsam bei Krebs angesehen werden. Dieses positive Vorurteil ist die Folge einer effektiven, jahrzehntelangen Marketingkampagne von anthroposophisch orientierten Firmen.

Welche Produkte gibt es?

Der Publikation von Steuer-Vogt et al. (2001) kann man die heute in der BRD im Verkehr befindlichen Mistelprodukte entnehmen. Nach deren Angaben war bis Juli 2000 auf dem deutschen Markt ein Sammelsurium von 30 Mistelprodukten von insgesamt 8 Herstellern erhältlich. Die Produkte gibt es ohne Rezept in der Apotheke zu kaufen.

Die Mistelgemische beinhalten eine Vielzahl von Inhaltsstoffen (vgl. Tabelle 2 in Steuer-Vogt et al. [1]), deren Art und Konzentration sowohl vom Wirtsbaum, auf dem die Mistelpflanze wächst, als auch vom Erntezeitpunkt abhängig ist. Es gibt zwei größere Mistelbereiche - die Szene, in der mit Presssäften aus den Misteln gearbeitet wird und die Szene, in der sogenannte Mistellektine (darunter dominiert das Mistellektin ML-1, welches mit dem Viscum album L. Agglutinin 1 (VAA-1) identisch ist) in Extraktform angewendet werden. Weil es sehr heterogene Gemische sind, muss man stets im Kopf behalten, dass kein auf dem Markt befindliches Mistelprodukt dem anderen gleicht.

Mistel-Presssäfte stimulieren Krebs

Vor vielen Jahren schon wurde durch Publikationen in Fachkreisen bekannt, dass Mistelprodukte auf Pressaftbasis wohl nicht nur nicht gegen Krebs wirken, sondern diesen sogar verstärken können.

In der anthroposophischen Lukas-Klinik in Arlesheim (Schweiz) beschrieben die Autoren Leroi und Hajto (1982) die angeblich so positiven Resultate unter Behandlung mit Iscador (hergestellt von Weleda) bei Frauen mit Ovarialkarzinom. Patienten im Stadium FIGO I wiesen eine 5-Jahresüberlebensrate von 73% aus, was die Autoren als Beweis für die Wirksamkeit der Behandlung ansahen. Vergleicht man allerdings die analogen Überlebensraten in älteren Vergleichsstudien (Decker et al. 1975), so lag die 5-Jahresüberlebensrate bei hochschulmedizinisch ohne Mistelprodukte behandelten Frauen mit FIGO I-Tumoren mit 80% deutlich besser. Besonders erschreckend war, dass in der Iscador-Studie von Leroi und Hajto die 5-Jahresüberlebensrate von FIGO IV-Patienten bei 0% lag, während konventionell behandelte Patientinnen im Stadium FIGO III-IV zu diesem Zeitpunkt noch in bis zu 45% der Fälle leben. Die Scheinerfolge in Szenepublikationen der Mistelbefürworter ergaben sich nur deshalb, weil man entsprechende Kontrollgruppen überhaupt nicht mitführte bzw. die weitaus besseren Behandlungsmethoden der Hochschulmedizin schlicht ignorierte.

Iscador versagte auch in neueren Studien bei Krebspatienten. Eggermont et al. (2001) führten bei Melanompatienten eine einjährige Iscadortherapie bei 830 Patienten durch und verglichen den Behandlungserfolg mit jenem einer Niedrigdosis-Interferontherapie (IFN alpha-2b). Bei Patienten, bei denen der Hauttumor bereits die Lymphknoten befallen hatte, ergab sich das erschreckende Resultat, dass hier die Häufigkeit an Gehirnmetastasen signifikant höher war als unter Interferontherapie bei gleichzeitig signifikant kürzerer, symptomfreier Überlebenszeit und niedrigerer Gesamtüberlebensrate.

Steuer-Vogt et al. (2001) berichteten im Deutschen Ärzteblatt in Kurzform über die Ergebnisse ihrer Studie, die sie kurz vorher im European Journal of Cancer veröffentlicht hatten. In der Abteilung für Otorhinolaryngologie des Münchner Klinikums rechts der Isar konnte in Zusammenarbeit mit Universitätskliniken in Göttingen und Regensburg gezeigt werden, dass auch die Verabreichung von Mistellektin-Extrakten nutzlos war. In einer 477 Patienten mit squamösem Karzinom im Bereich des Halses und Nackens umfassenden klinischen Studie schnitt die mit Mistellektinextrakten behandelte Patientengruppe hinsichtlich der 5-Jahresüberlebensrate ebenso schlecht wie die nicht behandelte Kontrollgruppe ab.

Mistelprodukte aktivieren das Immunsystem - und dabei auch den Krebs

Mistelextrakte und -Presssäfte stellen nach intramuskulärer oder intravenöser Gabe einen massiven Eingriff in das Immunsystem dar. Ursache sind die Lektine, die als starke Antigene wirken. Sie führen zu einer massiven Ausschüttung bestimmter Fraktionen weißer Blutkörperchen, die wiederum Alarmstoffe in das Blut abgeben und eine Abwehrkaskade auslösen. Vorteilhaft ist, dass dieser Prozess sehr effektiv verläuft und die gebildeten Antikörper die eingespritzten Lektine recht schnell deaktivieren können. Das ist der Hauptgrund, warum die 'immunstimulierende Wirkung' der Lektine, die an der Höhe bestimmter weißer Blutkörperchenfraktionen festgemacht wird, mit zunehmender Applikationshäufigkeit nachlässt. Das Immunsystem hat einen hohen Antikörperspiegel gebildet und fängt die Antigene rechtzeitig ab.

Allerdings werden trotzdem Alarmbotenstoffe gebildet, die den Zytokinen zuzurechnen sind. Es handelt sich um Interleukin-1 und -6, Tumornekrosefaktor alpha und den Zellwachstumsfaktor CM-CSF. In einer ganzen Reihe von Zellkultur- und Tierversuchen konnte gezeigt werden, dass Interleukin-6 das Wachstum von B-Zell-Lymphomen, Plasmozytomen, Melanomen, Glioblastomen, Bronchialkarzinomen, Prostatakarzinomen, hepatozellulären Karzinomen, metastasierenden Ovarial- und Nierenzellkarzinomen beschleunigen kann (Gabius und Gabius 2002). Vor diesem Hintergrund wird klar, warum Iscador die 5-Jahresüberlebensrate bei Patientinnen mit Ovarialkarzinom in der Studie von Leroi und Hajto (1982) deutlich unter das Niveau einer konventionellen Therapie senkte. Iscador bringt den Tumor zum Blühen und verschlechtert offenbar die Überlebenschancen der Patientinnen.

Die Gesundheitspolitik unternimmt nichts gegen Mistelprodukte

Obwohl viele Hinweise auf die schädliche Wirkung von Mistelprodukten vorliegen, ist ein Handeln staatlicher Kontrollbehörden in dieser Frage nicht zu erwarten. Offenbar funktionieren die internen Netzwerke der anthroposophischen Szene, die weit in die politischen Parteien reichen, ganz exzellent. Es ist davon auszugehen, dass auch in den nächsten Jahren trotz der sich andeutenden Negativbewertugen von Mistelprodukten keine Anstalten unternommen werden, um die Mistelprodukte vom Markt zu nehmen. Es wird weiterhin Geld auf dem Rücken der Krebskranken gemacht und solange Steuern an den Staat fließen, hat dieser kein Interesse, im Sinne vorbeugenden Verbraucherschutzes tätig zu werden.

Wirksamkeit: es gibt keinen seriösen Hinweis auf Wirksamkeit Schadensfälle: es gibt zunehmend Hinweise darauf, dass Mistelprodukte (Presssäfte, Lektinextrakte) das Tumorwachstum stimulieren und die Überlebenshzeit der Patienten verkürzen. Fazit: Im Idealfall nutzlos und teuer, im schlimmsten Fall lebenszeitverkürzend. Als Tumorpatient sollte man Mistelprodukte keinesfalls verwenden.

Cannador

Und ein neues anthroposophisches Heilmittel kündigt sich bereits an: Cannador. Aus der Cannabispflanze gewonnen, soll es diesmal für MS-Kranke beworben werden. Wissenschaftliche Fachartikel bescheinigtem dem Mittel allerdings seit 4 Jahren mässige bis keine Wirkungen.

Weblinks

Quellennachweise

  1. Steuer-Vogt MK, Bonkowsky V, Ambrosch P, Scholz M, Neiß A, Strutz J, Henning M, Lenarz T, Arnold W: The effect of an adjuvant mistletoe treatment programme in resected head and neck cancer patients: a randomised controlled clinical trial. Eur J Cancer, 37, 21-31, 2001
  • Decker DG, Malkasian GD, Taylor WF: Nat. Cancer Inst Monogr, 42, 9, 1975
  • Eggermont AMM, Kleeberg UR, Ruiter DJ, Suciu S. in: Perry MC (Ed.) American Society of Clinical Oncology (ASCO) 37th annual meeting (Spring 2001), Educational Book, 88-93, 2001
  • Gabius S, Gabius HJ: Lektinbezogene Mistelanwendung: experimentelle Therapieform mit präklinisch belegtem Risikopotential. Dtsch Med Wochenschr, 127, 457-459, 2002
  • Leroi R, Hajto T: Die Iscadortherapie beim Ovarialkarzinom. Krebsgeschehen, Nr.2, 38-44, 1982
  • Steuer-Vogt MK, Bonkowsky V, Ambrosch P, Scholz M, Neiß A, Strutz J, Henning M, Lenarz T, Arnold W: The effect of an adjuvant mistletoe treatment programme in resected head and neck cancer patients: a randomised controlled clinical trial. Eur J Cancer, 37, 21-31, 2001
Dieser Text ist ganz oder teilweise von Paralex übernommen