Änderungen

Zur Navigation springen Zur Suche springen
3.971 Bytes hinzugefügt ,  09:44, 21. Okt. 2018
Zeile 12: Zeile 12:     
==Statistisches==
 
==Statistisches==
In Deutschland sind laut Statistischem Bundesamt (im Jahr 2014) 43.000 Heilpraktiker in Deutschland tätig. Von 1990 bis 2015 vervierfachte sich die Zahl der Heilpraktiker in Deutschland. Laut Branchenverbänden haben Heilpraktiker im Jahr 2009 in Deutschland mehr als 15 Millionen Behandlungen und Konsultationen ausgeführt.<ref>http://www.zeit.de/karriere/beruf/2013-01/beruf-heilpraktiker/seite-1</ref>
+
In Deutschland waren laut Statistischem Bundesamt im Jahre 2015 in Deutschland 47.000 Heilpraktiker tätig, die zusätzlich 11.215 Personen in ihrer Praxis einstellten (Teil/Vollzeit). 2014 waren es laut gleicher Quelle 43.000 Heilpraktiker. Diese Anzahl vervierfachte sich von 1990 bis 2015. Laut Branchenverbänden haben Heilpraktiker im Jahr 2009 in Deutschland mehr als 15 Millionen Behandlungen und Konsultationen ausgeführt.<ref>http://www.zeit.de/karriere/beruf/2013-01/beruf-heilpraktiker/seite-1</ref>
    
==Geschichte==
 
==Geschichte==
Die historischen Wurzeln des Heilpraktikerberufs in Deutschland liegen in der Erfahrungs- und Laienheilkunde. Bis zum Jahr 1939 durfte im Deutschen Reich jeder, der sich zum Heilen berufen fühlte, seine Dienste anbieten. Eine qualifizierte medizinische Ausbildung war dazu nicht notwendig.
+
Die historischen Wurzeln des Heilpraktikerberufs in Deutschland liegen in der Erfahrungs- und Laienheilkunde. Bis zum Jahr 1939 durfte im Deutschen Reich jeder, der sich zum Heilen berufen fühlte, seine Dienste anbieten. Eine qualifizierte medizinische Ausbildung war nicht notwendig.
   −
In den folgenden Jahren sollten medizinische Tätigkeiten jedoch in die Hände von staatlich ausgebildeten Ärzten gelegt werden. Die bis dahin tätigen Heilpraktiker durften allerdings ihre Tätigkeit weiter ausführen. Als gesetzliche Grundlage dafür trat das Heilpraktikergesetz in Kraft. Dadurch wurden im Gebiet des Deutschen Reichs tausende medizinische Therapeuten ohne ärztliche Ausbildung auf einen Schlag legalisiert. Neue Heiler sollten aber nur noch in Ausnahmefällen zulassen werden, so dass dieser Beruf aussterben sollte. Diese Übergangsregelung wurde in der Bundesrepublik Deutschland jedoch im Jahr 1957 dahingehend ausgelegt, dass jeder als Heilpraktiker zugelassen werden musste, der die Voraussetzungen dafür erfüllte, da ein Zulassungsverbot für Heilpraktiker als verfassungswidrig angesehen wurde und noch wird. In der DDR durften bereits tätige Heilpraktiker weiter ihre Tätigkeit ausüben. Neue Heilpraktiker wurden nicht mehr zugelassen, so dass hier im Jahr 1989 noch genau elf Heilpraktiker aktiv waren, allesamt solche, die schon vor der Staatsgründung der DDR als Heilpraktiker gearbeitet hatten.<ref>http://www.toxcenter.de/artikel/Heilpraktiker-ein-schnoedes-Hitlererbe.php</ref>
+
In den folgenden Jahren gab es Bestrebungen, medizinische Tätigkeiten nur noch staatlich ausgebildeten Ärzten zu erlauben. Bereits praktizierende Heilpraktiker durften ihre Tätigkeit jedoch weiterhin ausüben. Als gesetzliche Grundlage trat das Heilpraktikergesetz in Kraft. Dadurch wurden im Gebiet des Deutschen Reichs tausende medizinische Therapeuten ohne ärztliche Ausbildung auf einen Schlag legalisiert. Neue Heiler sollten aber nur noch in Ausnahmefällen zulassen werden, um diesen Beruf allmählich aussterben zu lassen. Diese Übergangsregelung wurde in der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1957 jedoch dahingehend ausgelegt, dass jeder als Heilpraktiker zugelassen werden musste, der die Voraussetzungen dafür erfüllte, da ein Zulassungsverbot für Heilpraktiker als verfassungswidrig angesehen wurde und noch immer wird. Auch in der DDR durften bereits tätige Heilpraktiker weiterhin praktizieren; neue Heilpraktiker wurden aber nicht mehr zugelassen, so dass dort im Jahr 1989 nur noch genau elf Heilpraktiker aktiv waren - allesamt solche, die schon vor der Staatsgründung der DDR als Heilpraktiker gearbeitet hatten.<ref>http://www.toxcenter.de/artikel/Heilpraktiker-ein-schnoedes-Hitlererbe.php</ref>
    
==Psiram-Kommentar zum Thema Heilpraktiker==
 
==Psiram-Kommentar zum Thema Heilpraktiker==
Dass die Zahl der HP so groß ist, hat im Wesentlichen zwei Gründe:
+
Die meisten Heilpraktiker glauben an das, was sie tun, und sind nicht in der Lage, die tatsächlichen Ursachen scheinbarer "Behandlungserfolge" zu erkennen.
 +
 
 +
Der Zulauf der HP hat im Wesentlichen drei Gründe:
    
===Die Veränderung des Krankheitsbegriffes===
 
===Die Veränderung des Krankheitsbegriffes===
Der allgemein gute Gesundheitsstatus einer modernen Gesellschaft bedingt, dass wir heute etwas als behandlungsbedürftige Erkrankung empfinden, das unsere Vorfahren, geplagt von üblen Infektionskrankheiten, Seuchen und hoher Kindersterblichkeit, eher als unbedeutend eingestuft hätten. Entsprechend sind die wirklich ernsten Erkrankungen unter der Gesamtzahl der behandelten Fälle stark zurückgegangen. So geht man davon aus, dass ca. 80 % der Arzt/HP-Besuche Erkrankungen betreffen, die ohnehin von selbst wieder verschwinden.
+
In modernen Gesellschaften mit hohem Lebensstandard ist der Gesundheitszustand der meisten Menschen weitaus besser als vor Jahrzehnten oder Jahrhunderten. Was unsere Vorfahren, geplagt von üblen Infektionskrankheiten, Seuchen und hoher Kindersterblichkeit, noch als unbedeutendes Unwohlsein eingestuft hätten, wird heutzutage als hinreichender Grund angesehen, einen Arzt zu konsultieren. Entsprechend ist der Anteil wirklich ernster Erkrankungen an der Gesamtzahl der behandelten Fälle stark zurückgegangen. Man geht davon aus, dass ca. 80 % der Arzt- und HP-Besuche aufgrund von Erkrankungen erfolgen, bei denen es dank der Selbstheilungskraft des Körpers auch ohne Behandlung zu einer Heilung kommen würde.
   −
Eine solche Situation lässt das Auftreten von pseudomedizinischen Methoden anwachsen, da in den meisten Fällen die tatsächlich vorgenommene Behandlung unerheblich ist.  
+
Bei Erkrankungen, die ohnehin heilen, ist es unerheblich, für welche Therapie sich der Patient entscheidet. Das schafft günstige Bedingungen für Anbieter pseudomedizinischer Methoden ohne Wirksamkeitsnachweis:
 
+
* HP "behandeln" bevorzugt Erkrankungen, die in Schüben verlaufen und/oder in den meisten Fällen ohnehin remissieren, wie z.B. Neurodermitis: Der Leidensdruck ist hoch, d.h. der Kranke sucht Hilfe; die gesundheitliche Störung ist aber nicht lebensbedrohlich, so dass der Heilpraktiker kaum Schaden anrichten kann. Die Krankheit verläuft in Schüben und "wächst in der Regel aus", kommt für den Patienten also zu einem guten Ende. Das bietet dem HP viele Gelegenheiten, dem Patienten zu suggerieren, die Koinzidenz von Behandlungsschritten mit Veränderungen des Krankheitsbildes sei mit kausalen Zusammenhängen zu erklären.
Dass dies nicht aus der Luft gegriffen ist, kann an zwei Phänomenen belegt werden:
+
* In Ländern, wo epidemische, ernsthafte Krankheiten verbreitet sind, konnten HP bislang kaum Fuß fassen. Wenn es ausschließlich auf die tatsächliche Wirksamkeit von Therapien ankommt, ist die Überlegenheit moderner Medizin für jeden evident. Unter diesen Bedingungen genügt es nicht, nur so zu tun, als ob man Patienten wirksam behandeln könne, denn von einem kleinen Einkommen einen Teil für unwirksame Therapien aufzuwenden, wäre fahrlässig und u.U. sogar lebensgefährlich. Die Nachfrage nach Heilpraktikern in manchen Ländern mit besserer Gesundheitsversorgung kann daher auch als Ausdruck einer (keineswegs zwangsläufigen) Wohlstandsverwahrlosung des Denkens angesehen werden.
* HP "behandeln" bevorzugt Erkrankungen, von denen bekannt ist, dass sie in Schüben verlaufen und/oder in den meisten Fällen ohnehin remissieren, wie z.B. Neurodermitis, welche eine für HP geradezu ideale Erkrankung darstellt: Hoher Leidensdruck, aber nicht lebensbedrohlich, in Schüben verlaufend und in der Regel "auswachsend". Hier können die HP das Verknüpfen koinzidenter Ereignisse zur angeblichen Kausalität besonders gut zum Einsatz bringen.
  −
* In keinem Land dieser Erde, in dem epidemische, ernsthafte Krankheiten verbreitet sind, können HP Fuß fassen. In solchen Ländern ist die Überlegenheit moderner Medizin für jeden evident sichtbar. Also überall dort, wo man tatsächlich oft etwas Wirksames tun muss und nicht nur so tun als ob.
      
===Das Abrechnungswesen des Gesundheitssystems===
 
===Das Abrechnungswesen des Gesundheitssystems===
Dieses treibt auch viele zum HP. Solange Ärzte mit einer lächerlichen Honorierung für Beratungsgespräche abgespeist werden, werden auch HP Zulauf haben, bei denen sich der Kunde endlich aussprechen kann und sich mit seinen Ängsten ernst genommen fühlt. Das geht, weil HP nicht nach Gebührenordnungen, sondern nach Zeit zu einem beliebigen Stundensatz abrechnen. (Eine Maßnahme wäre, HP in die ärztliche Gebührenordnung mit einzubeziehen, die dann vermutlich sehr schnell nur noch kurz angebunden wären.)
+
Ärzte sind häufig kurz angebunden, weil sie für Beratungsgespräche mit einer lächerlich zu nennenden Honorierung abgespeist werden. HP hingegen müssen sich nicht nach Gebührenordnungen richten; sie können sich viel Zeit lassen, die sie zu ihrem Stundensatz abrechnen. Der Zulauf zu den HP ist auch damit zu erklären, dass Patienten sich dort endlich aussprechen können und sich mit ihren Ängsten ernst genommen fühlen.
   −
Die HP-Regelung, ebenso die Ausnahmeregelung bezüglich des Wirksamkeitsnachweises für "Arzneimittel" der besonderen Therapierichtungen sind ein Anachronismus und einer angeblich aufgeklärten Gesellschaft unangemessen.
+
===Unzureichende Regulierung===
 +
Die HP-Regelung, ebenso die Ausnahmeregelung bezüglich des Wirksamkeitsnachweises für "Arzneimittel" der besonderen Therapierichtungen sind Anachronismen und einer angeblich aufgeklärten Gesellschaft unangemessen.
   −
Man muss HP nicht persönlich angreifen (außer offensichtliche Pfuscher). Viele glauben an das, was sie tun und sind nicht in der Lage, die echten Ursachen für das zu sehen, was ihnen wie "Behandlungserfolg" vorkommt.
+
Die HP-Prüfung mutet noch immer wie ein schlechter Scherz an: Man muss kaum Kenntnisse erwerben; geprüft wird lediglich, ob der HP eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit darstellt. Der angehende HP muss zeigen, dass er bestimmte Infektionskrankheiten und akut gefährliche Situationen erkennen kann. Das ist ungefähr so, als bekäme man einen Pilotenschein, wenn man weiß, wo man nicht hinfliegen darf und wie man einen Notruf absetzt, doch ohne eine Prüfung der Fähigkeit, selbst ein Flugzeug zu fliegen.
   −
Die HP-Prüfung ist nach wie vor lächerlich: Man muss zwar ein paar Sachen lernen, geprüft wird aber lediglich, ob der HP eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit darstellt. Der angehende HP muss zeigen, dass er bestimmte Infektionskrankheiten oder das Vorliegen einer akuten Situation erkennen kann. Das ist ungefähr so, als bekäme man einen Pilotenschein, wenn man weiß, wo man nicht hinfliegen darf und wie man einen Notruf absetzt, ohne Prüfung der Fähigkeit, ein Flugzeug überhaupt zu fliegen.
+
==Überschätzungen eigener Fähigkeiten und die tödlichen Folgen==
 +
HP sind dazu verpflichtet, schwer kranke Patienten zum Arzt zu schicken. Einem Heilpraktiker, der diese Grenzen nicht erkennt bzw. nicht danach handelt, kann die Berufserlaubnis entzogen werden. Ein Heilpraktiker darf also das Unterlassen der Inanspruchnahme notwendiger ärztlicher Hilfe nicht veranlassen oder Patienten in der Nichtinanspruchnahme bestärken (VGH Baden-Württemberg, 02.10.2008 Aktenzeichen 9 S 1782/08 -). Er hat auch die Aufforderung zur Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe zu dokumentieren. Das Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg kam angelegentlich einer schwerwiegenden Fehldiagnose im Jahr 2008 zu dieser Entscheidung.<ref>Beschluss des VGH&nbsp;Mannheim vom 2.&nbsp;Oktober 2008. Aktenzeichen 9&nbsp;S&nbsp;1782/08, NJW&nbsp;2009,&nbsp;458</ref> Patienten dürfen nicht im Glauben gelassen werden, der Besuch beim HP ersetze eine ärztliche Behandlung, so der Richter. Ein HP hatte geklagt, nachdem er seine Zulassung verloren hatte. Er hatte einer seiner Patientinnen mit einer bioelektrischen [[Bioresonanz]]methode untersucht. Mit dieser Art der Elektro-Akupunktur hatte er einen Krebstumor in ihrer Brust als vermeintlich gutartige Wucherung erklärt. An dieser Diagnose hielt er bis zuletzt fest, auch als das Geschwür auf eine Größe von 24&nbsp;Zentimeter Durchmesser angewachsen und aufgebrochen war und die Patientin bereits stark an Gewicht verloren hatte. Ein Arzt diagnostizierte dagegen einen bösartigen Tumor mit Tochtergeschwülsten, an dessen Folgen die Frau starb. Dem Mann sei die HP-Erlaubnis zu Recht entzogen worden, urteilte das Gericht. Sein Verhalten rechtfertige den Schluss, dass ihm die für die Berufsausübung erforderliche Zuverlässigkeit fehle und die Volksgesundheit gefährdet sei, wenn er die Heilkunde ausübe.<ref>http://www.wiso.zdf.de/ZDFde/inhalt/15/0,1872,7391311,00.html</ref>
   −
==Überschätzungen eigener Fähigkeiten und die tödlichen Folgen==
+
2018 wurde der Heilpraktiker Wolfgang Schmucker aus Langquaid (Landkreis Kelheim / Franken) vom Amtsgericht Kelheim wegen fahrlässiger Tötung zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Ihm wurde für fünf Jahre die Heilpraktikertätigkeit untersagt.<ref>https://www.br.de/nachrichten/niederbayern/inhalt/fahrlaessige-toetung-heilpraktiker-muss-ins-gefaengnis-100.html</ref> Schmucker war von der 41jährigen österreichischen Patientin Anita B. aus Kärnten mit Brustkrebs konsultiert worden, die nach einer ärztlichen Diagnose 2008 einen zweiten Rat einholen wollte. Schmucker wirbt in der Werbung für seine Praxis mit dem Behandlungsschwerpunkt "Tumorerkrankungen"<ref>Zitat aus der Werbung:<br>Naturheilpraxis Heilpraktiker Wolfgang Schmucker in Langquaid im Münchner Norden<br>Schwerpunkte der Naturheilpraxis:<br>Behandlung von Rückenbeschwerden<br>Stoffwechselkrankheiten<br>Zeckenkrankheiten<br>Tumorerkrankungen<br>Kinderwunsch<br>Schwermetallentgiftungen<br>Behandlung von toxischen Belastungen</ref>, was gegen das Heilmittelwerbegesetz verstösst. Er zweifelte die Diagnose an und setzte einen [[Biotensor]] ein, eine Art Angelrute, die durch angebliche Eigenbewegungen Krankheiten muten soll, um die Patientin davon zu überzeugen, dass sie keinen Krebs, sondern eine harmlose Milchdrüsenentzündung habe. Er behandelte sie mehrere Jahre lang kostspielig (unter anderem mit [[Homöopathie|homöopathischen]] Mitteln), während der Tumor sich weiter ausdehnte, handtellergroß durch die Haut brach und sich Metastasen im ganzen Körper bildeten. Am 28. April 2013 starb die falsch behandelte Krebspatientin; sie hinterließ eine Tochter und einen Ehemann. Ein Gutachter erklärte in der Verhandlung, dass die Patientin mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit geheilt worden wäre, wenn sie sich kompetent hätte behandeln lassen (ca. 80% alle Frauen mit Brustkrebs überleben diese Erkrankung heutzutage). Schmucker war 2017 während des laufenden Verfahrens wegen fahrlässiger Tötung von einem Journalistenpaar des Stern besucht worden. Die gesunde Journalistin stellte sich als Krebspatientin mit Brustkrebs vor und zeigte ein gefälschtes pathologisches Gutachten vor. Erneut setzte Schmucker seinen pseudomedizinischen Biotensor ein. Dass in diesem Falle der Tumor gar nicht vorhanden war, erkannte er nicht, und das gefälschte, pathologische Gutachten stellte er nicht in Frage. Der studierte Apotheker Schmucker verschrieb 14 naturheilkundliche Mittel mit monatlichen geschätzten Kosten von etwa 300 Euro.<ref>https://www.stern.de/gesundheit/heilpraktiker-in-deutschland--so-gefaehrlich-sind-sie---der-grosse-stern-report-7434370.html</ref> Da das Urteil noch nicht rechtskräftig ist, ist das fünfjährige Berufsverbot nicht gültig. Schmucker kann daher bis zur letzten Instanz weiterhin als Heilpraktiker tätig sein.
HP müssen schwer kranke Patienten zum Arzt schicken. Einem Heilpraktiker, der diese Grenzen nicht erkennt bzw. nicht danach handelt, kann die Berufserlaubnis entzogen werden. Ein Heilpraktiker darf also das Unterlassen der Inanspruchnahme notwendiger ärztlicher Hilfe nicht veranlassen oder Patienten in der Nichtinanspruchnahme bestärken (VGH Baden-Württemberg, 02.10.2008 Aktenzeichen 9 S 1782/08 -). Er hat auch die Aufforderung zur Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe zu dokumentieren. Das Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg kam angelegentlich einer schwerwiegenden Fehldiagnose im Jahr 2008 zu dieser Entscheidung.<ref>Beschluss des VGH&nbsp;Mannheim vom 2.&nbsp;Oktober 2008. Aktenzeichen 9&nbsp;S&nbsp;1782/08, NJW&nbsp;2009,&nbsp;458</ref> Patienten dürfen nicht im Glauben gelassen werden, der Besuch beim HP ersetze eine ärztliche Behandlung, so der Richter. Ein HP hatte geklagt, nachdem er seine Zulassung verloren hatte. Er hatte einer seiner Patientinnen mit einer bioelektrischen [[Bioresonanz]]methode untersucht. Mit dieser Art der Elektro-Akupunktur hatte er einen Krebstumor in ihrer Brust als vermeintlich gutartige Wucherung erklärt. An dieser Diagnose hielt er bis zuletzt fest. Auch als das Geschwür auf eine Größe von 24&nbsp;Zentimeter Durchmesser angewachsen und aufgebrochen war und die Patientin bereits stark an Gewicht verloren hatte. Ein Arzt diagnostizierte dagegen einen bösartigen Tumor mit Tochtergeschwülsten, an dessen Folgen die Frau starb. Dem Mann sei die HP-Erlaubnis zu Recht entzogen worden, urteilte das Gericht. Sein Verhalten rechtfertige den Schluss, dass ihm die für die Berufsausübung erforderliche Zuverlässigkeit fehle und die Volksgesundheit gefährdet sei, wenn er die Heilkunde ausübe.<ref>http://www.wiso.zdf.de/ZDFde/inhalt/15/0,1872,7391311,00.html</ref>
+
 
 +
Ein weiterer Fall völliger Überschätzung eigener Fähigkeiten betrifft den Heilpraktiker [[Klaus Ross]], der im Sommer 2016 in die Schlagzeilen der deutschen und niederländischen Presse geriet, als es durch Anwendung des unkonventionelle Mittels [[3-Bromopyruvat-Therapie|3-Bromopyruvat]] in seiner Praxis zu mehreren Todesfällen von Krebskranken kam.
    
Zur Abwehr lebensbedrohlicher Folgen ist in Deutschland Heilpraktikern seit 2006 verboten, invasive Formen der [[Neuraltherapie]] zu praktizieren. Sie dürfen lediglich "quaddeln", also das Betäubungsmittel unter die Haut spritzen. Ebenso dürfen sie keine [[Chiropraktik|chiropraktischen]] Behandlungen der Halswirbelsäule durchführen.
 
Zur Abwehr lebensbedrohlicher Folgen ist in Deutschland Heilpraktikern seit 2006 verboten, invasive Formen der [[Neuraltherapie]] zu praktizieren. Sie dürfen lediglich "quaddeln", also das Betäubungsmittel unter die Haut spritzen. Ebenso dürfen sie keine [[Chiropraktik|chiropraktischen]] Behandlungen der Halswirbelsäule durchführen.
Zeile 61: Zeile 64:     
==Heilpraktiker und die Behandlung HIV-positiver Patienten==
 
==Heilpraktiker und die Behandlung HIV-positiver Patienten==
Gelegentlich kann beobachtet werden, dass Heilpraktiker sich zutrauen, HIV-positive Patienten und sogar die als Folge dieser Infektion auftretenden Zustände und assoziierten Erkrankungen zu behandeln – bis hin zur zielgerichteten Therapie von AIDS. In Elmshorn (Schleswig-Holstein) planten beispielsweise Ende der achtziger jahre sogar Heilpraktiker um einen Heilpraktiker und "Koordinator" eines ''Arbeitskreise für Systemische Aidstherapie'' Dr. jur. Willy Blumenschein und eine Abschreibungs-Investmentfirma (Wert Invest) eine Art "Spezialklinik für Aids-Kranke" zu eröffnen, in der mit einer geheimen "Naturheilmittel"-Wundertherapie (''Carziviren'', siehe: [[Tumosteron]]) behandelt werden sollte. Zur rechtlichen Absicherung wollte man mit Ärzten zusammen arbeiten. Die Stadt Elmshorn lehnte jedoch das Projekt ab.<ref>DER SPIEGEL Heft 12/1987 [http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13522355.html Volltext]</ref>
+
Gelegentlich kann beobachtet werden, dass Heilpraktiker sich zutrauen, HIV-positive Patienten und sogar die als Folge dieser Infektion auftretenden Zustände und assoziierten Erkrankungen zu behandeln – bis hin zur zielgerichteten Therapie von AIDS. In Elmshorn (Schleswig-Holstein) planten beispielsweise Ende der achtziger Jahre der Heilpraktiker und "Koordinator" eines ''Arbeitskreise für Systemische Aidstherapie'' Dr. jur. Willy Blumenschein sowie eine Abschreibungs-Investmentfirma (Wert Invest) eine "Spezialklinik für Aids-Kranke" zu eröffnen, in der eine geheime "Naturheilmittel"-Wundertherapie (''Carziviren'', siehe: [[Tumosteron]]) angewandt werden sollte. Zur rechtlichen Absicherung wollte man mit Ärzten zusammenarbeiten. Die Stadt Elmshorn lehnte jedoch das Projekt ab.<ref>DER SPIEGEL Heft 12/1987 [http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13522355.html Volltext]</ref>
   −
Heilpraktikern ist es jedoch ausdrücklich nicht erlaubt, die HIV-Infektion selbst zu behandeln oder Heilversprechen abzugeben, eine HIV-Infektion bzw. AIDS heilen oder therapeutisch angehen zu können. Die Regelungen finden sich im [http://bundesrecht.juris.de/ifsg/index.html Infektionsschutzgesetz] (IfSG, Paragraphen 7 und 24 IfSG). Auf Grund dieses Verbots verweigern auch Krankenkassen die Erstattung von HIV-Behandlungen durch Heilpraktiker. Verbotene Behandlungen sind gegebenenfalls geeignet, den gesamten Behandlungsvertrag mit dem Heilpraktiker als verbotenes Rechtsgeschäft gem § 134 BGB unwirksam zu machen.
+
Heilpraktikern ist es jedoch ausdrücklich nicht erlaubt, die HIV-Infektion selbst zu behandeln oder ein Versprechen abzugeben, HIV-Infektionen bzw. AIDS heilen oder therapeutisch angehen zu können. Die Regelungen finden sich im [http://bundesrecht.juris.de/ifsg/index.html Infektionsschutzgesetz] (IfSG, Paragraphen 7 und 24 IfSG). Auf Grund dieses Verbots verweigern auch Krankenkassen die Erstattung von HIV-Behandlungen durch Heilpraktiker. Verbotene Behandlungen sind gegebenenfalls geeignet, den gesamten Behandlungsvertrag mit dem Heilpraktiker als verbotenes Rechtsgeschäft gem § 134 BGB unwirksam zu machen.
    
Das gleiche gilt auch für weitere Krankheiten, insbesondere meldepflichtige Infektionskrankheiten und sexuell übertragbare Erkrankungen.
 
Das gleiche gilt auch für weitere Krankheiten, insbesondere meldepflichtige Infektionskrankheiten und sexuell übertragbare Erkrankungen.
   −
Die Therapie der HIV-Infektion ist alleine Ärzten vorbehalten (sogenanntes ''Ärzte-Privileg''). Heilpraktiker dürfen aber Erkrankungen behandeln, die unabhängig von einer Krankheit bestehen, die dem Behandlungsverbot für Heilpraktiker unterliegt. Hierbei muss jedoch eine besondere Sorgfaltspflicht eingehalten werden.<ref>Quelle:Infektionskrankheiten und Infektionsschutzgesetz von Peter Georgi und Elvira Bierbach (2.Auflage S.254)</ref> Insofern ist es auch zu erklären, dass Heilpraktiker gelegentlich behaupten, HIV-positive Patienten zu behandeln. Sie berufen sich dabei auf die Ansicht, sie könnten auch Zustände und Krankheiten behandeln, die ursächlich mit der HIV-Infektion auftreten oder mit ihr assoziiert sind.  
+
Die Therapie der HIV-Infektion ist alleine Ärzten vorbehalten (sogenanntes ''Ärzte-Privileg''). Heilpraktiker dürfen aber andere Erkrankungen behandeln, die unabhängig von einer Krankheit bestehen, die dem Behandlungsverbot für Heilpraktiker unterliegt. Hierbei muss jedoch eine besondere Sorgfaltspflicht eingehalten werden.<ref>Quelle:Infektionskrankheiten und Infektionsschutzgesetz von Peter Georgi und Elvira Bierbach (2.Auflage S.254)</ref> Insofern ist es auch zu erklären, dass Heilpraktiker gelegentlich behaupten, HIV-positive Patienten zu behandeln. Sie berufen sich dabei auf die Ansicht, sie könnten Zustände und Krankheiten behandeln, die ursächlich mit der HIV-Infektion auftreten oder mit ihr assoziiert sind.  
   −
Einige Heilpraktiker scheinen aber die gesetzlichen Regelungen dahingehend zu verstehen, dass eine ''begleitende Behandlung'' einer ärztlich angeordneten Behandlung und unter der Angabe, diese nicht beeinflussen zu wollen, gesetzeskonform wäre. Wobei sie offenbar nicht selten davon ausgehen, dabei eine ursächlich wirksame Therapie anzuwenden, sogar bis hin zur Ansicht, der eigentlicher Therapeut der HIV-Infektion und assoziierter Zustände zu sein. In diesem Zusammenhang sind auch gewisse Empfehlungen in Heilpraktikerkreisen zu beobachten, tunlichst stets zu dokumentieren, eine bestehende HIV-Infektion bei HIV-Positiven ausdrücklich nicht behandeln zu wollen. Zitat aus einem Heilpraktikerforum: ''"Ich würde es also so handhaben bei Krankheit mit Behandlungsverbot dokumentieren, dass ich nicht selbige behandel sondern etwas anderes - so bin ich stets auf der sicheren Seite."''
+
Einige Heilpraktiker scheinen die gesetzlichen Regelungen dahingehend zu interpretieren, dass eine ''begleitende Behandlung'' einer ärztlich angeordneten Behandlung unter der Vorgabe, diese nicht beeinflussen zu wollen, gesetzeskonform wäre. Dabei gehen sie offenbar nicht selten davon aus, selbst eine tatsächlich wirksame Therapie anzuwenden, sogar bis hin zur Ansicht, der eigentliche Therapeut der HIV-Infektion und assoziierter Zustände zu sein. Diese Beobachtung erklärt Empfehlungen in Heilpraktikerkreisen, bei Patienten mit HIV-Infektionen stets zu dokumentieren, dass keine Absicht bestehe, diese selbst zu behandeln. Zitat aus einem Heilpraktikerforum: ''"Ich würde es also so handhaben bei Krankheit mit Behandlungsverbot dokumentieren, dass ich nicht selbige behandel sondern etwas anderes - so bin ich stets auf der sicheren Seite."''
   −
Das Oberlandesgericht Köln hatte entschieden, dass Heilpraktiker-Behandlungen von HIV-positiven Patienten voraussetzen, dass diese während der Behandlung eine kompetente Aufklärung durch einen Arzt erfahren und der Arzt kontinuierlich die Beratung des Patienten durchführt und über den Stand der Infektion beim Patienten informiert wird. Nach diesem Urteil des OLG Köln reiche es aber nicht aus, dass der Patient lediglich von einem Facharzt für Laboratoriumsmedizin beraten wird, weil dieser in der Regel nicht selbst Beratungen des Patienten vornimmt.<ref>Urteil OLG Köln, Aktenzeichen 5 U 30/03, 5 U 31/03</ref>
+
Das Oberlandesgericht Köln hatte entschieden, dass Heilpraktiker-Behandlungen von HIV-positiven Patienten nur unter der Voraussetzung zulässig sind, dass eine kompetente Aufklärung des Patienten durch einen Arzt sichergestellt ist. Der Arzt muss den Patienten kontinuierlich beraten und über den Stand der Infektion beim Patienten informiert werden. Nach diesem Urteil des OLG Köln reiche es nicht aus, dass der Patient lediglich von einem Facharzt für Laboratoriumsmedizin beraten wird, zu dessen Aufgaben die Beratung von Patienten in der Regel nicht gehört.<ref>Urteil OLG Köln, Aktenzeichen 5 U 30/03, 5 U 31/03</ref>
    
==Heilpraktiker und Behandlungen von Krebskranken==
 
==Heilpraktiker und Behandlungen von Krebskranken==
Zeile 80: Zeile 83:  
==Siehe auch==
 
==Siehe auch==
 
*[[Humanenergetiker]] (Österreich)
 
*[[Humanenergetiker]] (Österreich)
 +
*[[Naturheilpraktiker]] (Schweiz)
    
==Literatur und Zeitungsartikel==
 
==Literatur und Zeitungsartikel==
Zeile 85: Zeile 89:  
*[http://forum.oekotest.de/cgi-bin/YaBB.pl?num=1143460083/0 Heilpraktiker: Ich geh kaputt...] ÖKO-TEST-Magazin 2/2005
 
*[http://forum.oekotest.de/cgi-bin/YaBB.pl?num=1143460083/0 Heilpraktiker: Ich geh kaputt...] ÖKO-TEST-Magazin 2/2005
 
*U. Heudorf et al.: Heilpraktiker und öffentliches Gesundheitswesen. Gesetzliche Grundlagen sowie Erfahrungen aus den Überprüfungen der Heilpraktikeranwärter und der infektionshygienischen Überwachung von Heilpraktikerpraxen im Rhein-Main-Gebiet 2004–2007. Bundesgesundheitsblatt 2010: 53: 245-57
 
*U. Heudorf et al.: Heilpraktiker und öffentliches Gesundheitswesen. Gesetzliche Grundlagen sowie Erfahrungen aus den Überprüfungen der Heilpraktikeranwärter und der infektionshygienischen Überwachung von Heilpraktikerpraxen im Rhein-Main-Gebiet 2004–2007. Bundesgesundheitsblatt 2010: 53: 245-57
 +
*Anousch Mueller: (Un)Heilpraktiker, Riemann Verlag, 2016
    
==Weblinks==
 
==Weblinks==
81.394

Bearbeitungen

Navigationsmenü