Die Graphologie ist die Lehre von der Deutung der Handschrift. Dazu werden Schriftproben verwendet, die das „normale“ Schriftbild des Probanden wiedergeben. Die Graphologie ist eine Form der psychologischen Diagnostik. Zwischen Graphologie und Schriftvergleichung muss klar unterschieden werden. Graphologische Gutachten kommen gelegentlich in der Personalauswahl zum Einsatz. In der Regel muss dazu ein Lebenslauf handgeschrieben eingereicht werden. Die Urteilsbildung bei diesem Verfahren ist jedoch indirekter Natur und für den Bewerber völlig undurchsichtig, weshalb es unter Psychologen als unvalide gilt und bei Bewerbern in Deutschland wenig beliebt ist. Zahlreiche Studien kommen in der Regel zu niederschmetternden Validitätsergebnissen.

Die Unverwechselbarkeit der Handschrift regte schon in der Renaissance zur Deutung an. Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte der Franzose Jean-Hippolyte Michon (1806-1881) erstmalig ein System zum Vergleich von Schriftzügen und Charaktermerkamalen, das von dem deutschen Philosophen Ludwig Klages (1872-1956) zu einer eigenständigen ´Wissenschaft´ ausgebaut wurde. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts wurde Schriftdeutung sogar an Universitäten gelehrt und gehörte bis Mitte der 1960er Jahre zum selbstverständlichen Handwerkszeug der akademischen und klinischen Psychologie. Seit allerdings feststeht, daß damit lediglich Zufallstreffer erzielt werden können, hat ihr Einfluß erheblich abgenommen. Aus den Universitäten ist sie seit 1970 verbannt. Für esoterisch angehauchte Lebensberater und Pädagogen indes gilt Graphologie nach wie vor als sicheres Instrument der Diagnostik und Persönlichkeitsbeurteilung.

Gedeutet werden Zeilenführung und Druckstärke der Schrift, Bewegungsschwung, Schleifenbildung, Schriftgröße und anderes mehr. Grundsätzlich seien die oberen Längen hinweisgebend auf das ´Geistige´, das Mittelband der Schrift auf das ´Gemüt´ und die unteren Längen auf das ´Materiell-Triebhafte´. Die näheren Interpretationsvorgaben unterscheiden sich allerdings bei verschiedenen ´Schulen´ ganz erheblich voneinander. Nach Meinung der einen deute eine steile Schrift auf einen aufrechten Charakter hin, Linksneigung der Buchstaben auf Ichbezogenheit, und langgezogene Unterlängen seien Hinweis auf heftige Sexualität, wohingegen eine andere dieselben Merkmale für ein Anzeichen von Vernunft, Spannung und Realvermögen hält; Triebverlangen zeige sich in den Unterlängen nur dann, wenn diese ´unregelmäßig, breit, teigig und verschmiert´ seien. Vor allem aus den i-Punkten und t-Strichen ließen sich ganz entscheidende Schlüsse ziehen: ein hoch gesetzter i-Punkt deute auf Idealismus und Begeisterungsfähigkeit hin, ein tief gesetzter auf Mißtrauen und Schwerfälligkeit; ein vorgesetzter t-Strich auf einen unbeherrschten, unzuverlässigen Charakter, ein rechts ansteigender auf Rechthaberei, ein abfallender gar auf Brutalität. Ein ´Graphologen-Berufsverband e.V.´ bietet eine 10-stündige Ausbildung (per Kassetten-Fernkursus) zu 650 €uro an.

Obwohl die Unsinnigkeit der Schriftdeutung seit langem nachgewiesen ist, lassen immer noch rund zehn Prozent aller Arbeitgeber Bewerbungsschreiben entsprechend begutachten.

Literatur

  • Goldner Claudia: Lehrerinnen- und Lehrerkalender 2001/02. Anabas-Verlag, Frankfurt/Main