Bambi-Syndrom

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Gewebsnekrose nach Biss durch eine Lanzenotter. Bildquelle: Wikimedia Commons

Das Bambi-Syndrom bezeichnet eine Einstellung von Menschen zur Natur, bei der diese moralisiert und infantilisiert wird. Letztendlich gehe dieser Einstellung zufolge von der Natur nie eine Gefahr aus, in der Natur vorkommende Infektionskrankheiten werden geleugnet, Tiere und Naturerscheinungen, die dem Menschen gefährlich werden können, ignoriert.

Kennzeichen

Kennzeichnend für das Bambi-Syndrom ist eine Polarisierung dahingehend, dass die Natur generell gut und alles Menschengemachte wie Technik, Zivilisation schlecht ist.

Die Natur ist danach etwas Gutes, Schönes, Sauberes, Harmonisches, Perfektes und Hilfloses, das man nicht verletzen oder gar töten darf. Im Gegensatz dazu ist alles Menschliche böse, zerstörerisch und gegen die Natur gerichtet. Demnach ist es z.B. ein Vergehen, Bäume zu fällen und Wild zu jagen (siehe auch Tierrechte).

Diese Ansichten stehen im krassen Gegensatz zur Realität, denn in der Natur herrscht keineswegs diese Form der Harmonie, sondern ein ständiger Kampf ums Überleben, bei dem schwache und kranke Lebewesen herausselektiert werden und Tiere leiden.

Oft ist die Meinung verbreitet, die in der Natur vorkommenden Pflanzen seien perfekt, um den Menschen zu ernähren, veränderte Pflanzen im Gegensatz dazu schädlich. Daher ist auch eine allgemeine und irrationale Furcht vor der Gentechnik typisch, die neben der verzerrten Wahrnehmung der Realität vor allem auch aus Halb- und Unwissen über die Materie resultiert. Ignoriert wird allerdings, dass dieser Denkansatz anthropozentrisch ist und die Natur keineswegs für den Menschen "gemacht" wurde, sondern Pflanzen darauf angewiesen sind, wirksame Abwehrstrategien gegen ihre Fressfeinde zu besitzen.

Das Bambi-Syndrom könnte auch teilweise erklären, warum viele Menschen den Versprechungen angeblich natürlicher, ursprünglicher oder ganzheitlicher Heilmethoden, Ernährungs- und Lebensweisen folgen und auf fragwürdige Angebote hereinfallen.

Geschichte

Das Bambi-Syndrom wurde nach der Walt-Disney-Trickfilmfigur Bambi, einem Weißwedel-Hirschkalb, benannt. In diesem Film wird der Gegensatz Natur (gut) - Mensch (böse) thematisiert, indem die Tiere des Waldes als niedlich, gut und in einer Idylle lebend dargestellt werden, während der Mensch nur als ein böser, Tiere tötender Jäger ohne Persönlichkeit, ähnlich einer Naturgewalt auftaucht, der sich zudem unwaidmännischer Jagdmethoden bedient (z.B. Tötung von Hirschkühen mit Kälbern, Hetzjagd mit Hunden). Raubtiere, die andere Tiere als Beute töten, sind in dem Trickfilm ebenfalls nicht zu sehen, während diese in dem Roman „Bambi. Eine Lebensgeschichte aus dem Walde" des österreichischen Schriftstellers Felix Salten, der als Vorlage für den Film diente, noch vorkommen.

Der Begriff Bambi-Syndrom wurde 1972 zum ersten Mal in der amerikanischen Jagdpresse erwähnt und wurde seitdem mehr und mehr zum geflügelten Wort. Zunächst wurde nur davon gesprochen, wenn das Verhalten wilder Tiere naturverfälschend und unsachlich dargestellt wurde und Kindern dadurch eine verzerrte und sentimentale Naturauffassung vermittelt wurde. Mit der Zeit wuchs die Bedeutung des Bambi-Syndroms. Als 1988 große Gebiete des Yellowstone Nationalparks in Flammen aufgingen, gab man dem Bambi-Syndrom die Schuld daran. Denn durch die übertriebenen Schutzmaßnahmen (Durchforstungsverbot bei gleichzeitiger penibler Waldbrandbekämpfung) hatte sich unnatürlich viel brennbares Material in den Wäldern angesammelt. Für den Anthropologen Richard Nelson ist das Bambi-Syndrom „ein deutliches Zeichen, wie das Verhältnis vom Mensch zur Natur zunehmend aus dem Lot geraten ist“.[1]

Der erste, der das Bambi-Syndrom wissenschaftlich beschrieb, war 1993 der Marburger Soziologe Rainer Brämer, der darunter den „Verniedlichungs-Impuls“ und die „Naturentfremdung“ besonders von Jugendlichen umschreibt.[1]

Ursachen

Das Bambi-Syndrom ist besonders unter städtischen jungen Menschen verbreitet. Ursache hierfür könnte u.a. die wachsende Distanz zwischen der alltäglichen Lebenswelt und ihrem natürlichen Fundament sein, die ein widersprüchliches Patchwork aus Naturverklärung, Naturkulisse und gedankenlosem Naturverbrauch entstehen lässt, erkennbar daran, dass gerade diese Menschen kaum Kenntnisse über einheimische Tier- und Pflanzenarten haben.[2]

Die Natur nimmt einen unbestrittenen Spitzenplatz in der Wertehierarchie junger Menschen ein. 90% glauben, ohne sie nicht auszukommen und plädieren sogar für ein Recht auf Natur (siehe Tiefenökologie). Fast ebenso viel gestehen Tieren ein eigenständiges Lebensrecht und eine eigene Seele zu. Aber das Interesse an der Natur nimmt stetig ab. Rund die Hälfte hat nicht das geringste Interesse daran, mehr über die Natur zu erfahren, nur 7% engagieren sich eigenen Angaben zufolge aktiv für den Natur- oder Umweltschutz.[2]

In einer Befragung der Universität Marburg von jeweils 1.200 hessischen Schülern der Klassen 6, 9 und 12 (2002) und 1.200 Schülern der Klassen 6 und 9 aus Bayern, Hessen und NRW wurde festgestellt, dass die Befragten Folgendes nicht benennen konnten:

  • 44% die Früchte von Buchen (häufigster Waldbaum in Hessen)
  • 62% die Früchte des Kakaobaums (Basis des Schokoriegels)
  • 75% die Farbe der Vanillefrüchte (Lieblingsspeisen Eis, Pudding)
  • 90% die Früchte der Rose (mit Abstand jugendliche Lieblingsblume)
  • Mehr als die Hälfte der Schüler in Nordrhein-Westfalen weiß nicht, dass Rosinen getrocknete Trauben sind.
  • Zahlreiche Schüler wissen auch nicht, dass Sahne und Pudding aus natürlichen Rohstoffen hergestellt werden.

Im Gegensatz dazu haben die jungen Menschen ein überzogen idealisiertes Bild der Natur. 70% sehen in ihr pure Harmonie wirken und finden alles, was natürlich ist, gut. 80% bejahen Naturschutzgebiete und finden, dass das Wild seine Ruhe braucht. 90% behaupten, ohne Natur nicht leben zu können. 80% der Jugendlichen finden, dass Tiere eine Seele haben (Bäume: 40%). Man gibt zwar vor, ohne Natur nicht leben zu können, interessiert sich aber nicht mehr sonderlich dafür. Man bekennt sich zum Naturschutz, kennt das Schutzobjekt aber nur noch dürftig (Artenschutz ohne Artenkenntnis). Die Hochschätzung der Natur bleibt abstrakt und wird nicht auf die eigene Person bezogen. Die wirtschaftliche Nutzung der Natur wird ausgeblendet und verdrängt. Der Zusammenhang von Aufzucht und Ernte geht verloren.

Bambi-Effekt und Bambi-Irrtum

Das Bambi-Syndrom ist nicht zu verwechseln mit dem Bambi-Effekt: Hier wird die Tötung von niedlich oder besonders ästhetisch aussehenden Tieren (z.B. mit dem Kindchenschema) abgelehnt, während man gegenüber Tieren, die diese Merkmale nach menschlichem Maßstab weniger zeigen, eher gleichgültig ist, selbst wenn diese gefährdet sind. Dies macht man sich im Artenschutz zu nutze, indem man allgemein als ästhetisch empfundene Arten als Symboltiere verwendet (so genannte Flaggschiff-Arten, z.B. der Große Panda beim WWF).

Der Bambi-Irrtum ist eine besonders im deutschen Sprachraum verbreitete Meinung, das Reh sei ein weiblicher Hirsch. In einer Forsa-Umfrage waren nicht weniger als 62% der befragten 7-13jährigen Kinder dieser Ansicht.[3] Verantwortlich für diesen Irrtum ist der Disney-Film "Bambi". Felix Saltens Geschichte "Bambi - Eine Lebensgeschichte aus dem Walde" handelt von Rehen, die jedoch in Nordamerika nicht vorkommen. Daher adaptierte Disney die Geschichte auf den in Nordamerika heimischen Weißwedel-Hirsch. In der deutschen Übersetzung des Films werden Bambi und seine Mutter als Rehe bezeichnet, sein Vater aber als Hirsch. Korrekt wäre die Bezeichnung Hirschkuh und Hirschkalb gewesen.

Siehe auch

Literatur

  • Cartmill, Matt: Das Bambi-Symdrom,Rowohlt Tb Verlag. (1995), ISBN-10: 3499555662, ISBN-13: 978-3499555664

Weblinks

Quellenverzeichnis