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[[image:Amygdalin Burg Apotheke.jpg|Amygdalin-Produkte der deutschen Burg-Apotheke im hessischen Königstein (Bild: August 2016)|300px|thumb]]
 
[[image:Amygdalin Burg Apotheke.jpg|Amygdalin-Produkte der deutschen Burg-Apotheke im hessischen Königstein (Bild: August 2016)|300px|thumb]]
'''Amygdalin''' (syn. Mandelonitril, Laetrile (Lätril), C20H27NO11, fälschlich auch "Vitamin B17"; von griechisch ''amygdalis'' Mandelkern) bezeichnet ein pflanzliches [https://de.wikipedia.org/wiki/Glykosid Glykosid], das in Gegenwart von Wasser Blausäure (HCN) abspaltet. In Reinform handelt es sich um eine farblose, kristalline Substanz. Amygdalin ist in Bittermandel-, Pfirsich- und Aprikosenkernen sowie in Samen anderer Steinfrüchte enthalten. Vor der Vermarktung wird häufig eine Entbitterung durchgeführt, um Konsumenten (insbesondere Kinder) vor der Blausäure zu schützen.
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'''Amygdalin''' (syn. Mandelonitril, Laetrile (Lätril), C20H27NO11, fälschlich auch "Vitamin&nbsp;B17"; von griechisch ''amygdalis'' Mandelkern) bezeichnet ein pflanzliches [https://de.wikipedia.org/wiki/Glykosid Glykosid], das in Gegenwart von Wasser Blausäure (HCN) abspaltet. In Reinform handelt es sich um eine farblose, kristalline Substanz. Amygdalin ist in Bittermandel-, Pfirsich- und Aprikosenkernen sowie in Samen anderer Steinfrüchte enthalten. Vor der Vermarktung wird häufig eine Entbitterung durchgeführt, um Konsumenten (insbesondere Kinder) vor der Blausäure zu schützen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) stuft Amygdalin als bedenkliche Substanz ein und warnt vor Vergiftungen<ref>https://www.bfr.bund.de/de/presseinformation/2007/07/bittere_aprikosenkerne_koennen_zu_vergiftungen_fuehren-9424.html</ref>:
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:''..Aprikosenkerne und amygdalinhaltige Präparate werden im Internet angeboten. In einigen Fällen wird damit geworben, dass sie gegen Krebs helfen. Diese Aussage ist irreführend, weil die Wirkung wissenschaftlich nicht nachgewiesen ist. Mittel, die zur Behandlung von Krebs eingesetzt werden, müssen ein Zulassungsverfahren als Arzneimittel durchlaufen. Darin muss unter anderem die Wirksamkeit nachgewiesen werden. Als Lebensmittel dürfen solche Produkte nicht vertrieben werden.<br>Die während der Verdauung entstehende Blausäure kann zu schweren akuten Vergiftungen mit Krämpfen, Erbrechen und Atemnot führen, in hohen Dosen kann der Tod durch eine Atemlähmung eintreten. Schon beim Verzehr weniger bitterer Aprikosen- oder Mandelkerne kann es zu Vergiftungserscheinungen kommen. Erwachsene Verbraucher sollten deshalb nicht mehr als ein bis zwei bittere Aprikosenkerne pro Tag verzehren oder darauf vorsorglich völlig verzichten und auch Präparate nicht verwenden, die Amygdalin enthalten..''<ref>https://www.bfr.bund.de/de/a-z_index/amygdalin-9426.html</ref>
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Klinische Studien zur Anwendung von Amygdalin bei Krebserkrankungen konnten keinen Wirkungsnachweis erbringen.<ref>Moertel, C.G. et al. (1982): ''A clinical trial of amygdalin (Laetrile) in the treatment of human cancer.'' In: N. Engl. J. Med. Bd. 306, S. 201-206. PMID 7033783</ref><ref>Milazzo, S. et al. (Jun 2007): ''Laetrile for cancer: a systematic review of the clinical evidence.'' In: Supportive Care in Cancer. Bd. 15, S. 583-595.</ref><ref>Blaheta RA, Nelson K, Haferkamp A, Juengel E: Amygdalin, quackery or cure? Phytomedicine. 2016 Apr 15;23(4):367-76. doi: 10.1016/j.phymed.2016.02.004</ref><ref>https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK65722/</ref>
 
==Bewerbung als alternatives Krebsmittel==
 
==Bewerbung als alternatives Krebsmittel==
 
Amygdalin wird in der [[Alternativmedizin]] als mögliches [[Allheilmittel]] gegen Krebs angepriesen. Entsprechende Produkte werden mit unhaltbaren Heilversprechen beworben und kommerziell vermarktet, obwohl es keinerlei Zulassung für Amygdalin als Arzneimittel gibt. Es unterliegt stattdessen als Lebensmittel dem Lebensmittel- und Futtergesetzbuch, das eine gesundheitsbezogene Werbung verbietet. Pharmakologen halten das [[Pseudovitamin]] B17 für ein "unseriöses Wundermittel". Die Preise betragen bis zu 25&nbsp;€/kg. Amygdalin wird in Deutschland als ein bedenklicher Arzneistoff angesehen. Herstellung, Einfuhr und Handel sind nicht erlaubt. Die Abgabe von Amygdalin für den Gebrauch beim Menschen durch Apotheker ist strafbar im Sinne des §5 Arzneimittelgesetzes und kann auch ohne konkreten Schadenfall strafrechtlich verfolgt werden.
 
Amygdalin wird in der [[Alternativmedizin]] als mögliches [[Allheilmittel]] gegen Krebs angepriesen. Entsprechende Produkte werden mit unhaltbaren Heilversprechen beworben und kommerziell vermarktet, obwohl es keinerlei Zulassung für Amygdalin als Arzneimittel gibt. Es unterliegt stattdessen als Lebensmittel dem Lebensmittel- und Futtergesetzbuch, das eine gesundheitsbezogene Werbung verbietet. Pharmakologen halten das [[Pseudovitamin]] B17 für ein "unseriöses Wundermittel". Die Preise betragen bis zu 25&nbsp;€/kg. Amygdalin wird in Deutschland als ein bedenklicher Arzneistoff angesehen. Herstellung, Einfuhr und Handel sind nicht erlaubt. Die Abgabe von Amygdalin für den Gebrauch beim Menschen durch Apotheker ist strafbar im Sinne des §5 Arzneimittelgesetzes und kann auch ohne konkreten Schadenfall strafrechtlich verfolgt werden.
    
Einige Anwender von Amygdalin erweitern ihr Eingreifen durch Zugabe von DMSO ([[Dimethylsulfoxid]]).<br>
 
Einige Anwender von Amygdalin erweitern ihr Eingreifen durch Zugabe von DMSO ([[Dimethylsulfoxid]]).<br>
   
==Wirkmechanismus==
 
==Wirkmechanismus==
 
[[image:amygdalin.jpg|240px|thumb]]
 
[[image:amygdalin.jpg|240px|thumb]]
 
Amygdalin wird durch das Enzym Glucuronidase in Benzaldehyd, Cyanid (Blausäure) und Glucose (Traubenzucker) aufgespalten. Es gibt Hinweise darauf, dass die β-Glucuronidase im menschlichen Körper in Tumorzellen in sehr geringen Mengen vorkommt, jedoch kommt dieses Enzym genauso in gesunden Körperzellen vor und wird auch von Bakterien im Darm gebildet. Daher kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Substanz Amygdalin selektiv Krebszellen schädige, ohne auch andere, gesunde Zellen anzugreifen. Das auf die genannte Weise freigesetzte Cyanid (Blausäure) ist sehr toxisch, da es die Zellatmung blockiert (es kommt zum Ersticken auf Zellebene). Die Entgiftung des Cyanids findet normalerweise durch das Enzym Rhodanase (engl. Rhodanese) statt, bei der das Cyanid in das weniger schädlichere Thiocyanat umgewandelt wird. Rhodanase befindet sich gleichermaßen in gesunden Zellen wie in Tumorzellen.<ref>''Unproven Methods of Cancer Management. Laetrile.'' In: CA Cancer J. Clin. Bd. 41 (1991), S. 187-192. PMID 1902140 [http://caonline.amcancersoc.org/cgi/reprint/41/3/187.pdf PDF]</ref> Da Amygdalin wegen hoher Glukuronidase-Konzentrationen im Darm nur in kleinen Mengen eingenommen werden darf (Gefahr einer akuten Vergiftung), ist die orale Zufuhr (über den Mund) problematisch. Um in Blut und Gewebe hohe Amygdalinkonzentrationen zu erreichen, müssten große Mengen Amygdalin eingenommen werden. Daher wurde Amygdalin in der Vergangenheit vielfach im Rahmen klinischer Erprobung injiziert und somit die Zufuhr über den Verdauungstrakt umgangen.
 
Amygdalin wird durch das Enzym Glucuronidase in Benzaldehyd, Cyanid (Blausäure) und Glucose (Traubenzucker) aufgespalten. Es gibt Hinweise darauf, dass die β-Glucuronidase im menschlichen Körper in Tumorzellen in sehr geringen Mengen vorkommt, jedoch kommt dieses Enzym genauso in gesunden Körperzellen vor und wird auch von Bakterien im Darm gebildet. Daher kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Substanz Amygdalin selektiv Krebszellen schädige, ohne auch andere, gesunde Zellen anzugreifen. Das auf die genannte Weise freigesetzte Cyanid (Blausäure) ist sehr toxisch, da es die Zellatmung blockiert (es kommt zum Ersticken auf Zellebene). Die Entgiftung des Cyanids findet normalerweise durch das Enzym Rhodanase (engl. Rhodanese) statt, bei der das Cyanid in das weniger schädlichere Thiocyanat umgewandelt wird. Rhodanase befindet sich gleichermaßen in gesunden Zellen wie in Tumorzellen.<ref>''Unproven Methods of Cancer Management. Laetrile.'' In: CA Cancer J. Clin. Bd. 41 (1991), S. 187-192. PMID 1902140 [http://caonline.amcancersoc.org/cgi/reprint/41/3/187.pdf PDF]</ref> Da Amygdalin wegen hoher Glukuronidase-Konzentrationen im Darm nur in kleinen Mengen eingenommen werden darf (Gefahr einer akuten Vergiftung), ist die orale Zufuhr (über den Mund) problematisch. Um in Blut und Gewebe hohe Amygdalinkonzentrationen zu erreichen, müssten große Mengen Amygdalin eingenommen werden. Daher wurde Amygdalin in der Vergangenheit vielfach im Rahmen klinischer Erprobung injiziert und somit die Zufuhr über den Verdauungstrakt umgangen.
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Klinische Studien zur Anwendung von Amygdalin bei Krebserkrankungen konnten keinen Wirkungsnachweis erbringen.<ref>Moertel, C.G. et al. (1982): ''A clinical trial of amygdalin (Laetrile) in the treatment of human cancer.'' In: N. Engl. J. Med. Bd. 306, S. 201-206. PMID 7033783</ref><ref>Milazzo, S. et al. (Jun 2007): ''Laetrile for cancer: a systematic review of the clinical evidence.'' In: Supportive Care in Cancer. Bd. 15, S. 583-595.</ref><ref>Blaheta RA, Nelson K, Haferkamp A, Juengel E: Amygdalin, quackery or cure? Phytomedicine. 2016 Apr 15;23(4):367-76. doi: 10.1016/j.phymed.2016.02.004</ref><ref>https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK65722/</ref>
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==Mögliche unerwünschte Wirkungen / Nebenwirkungen==
 
   
Es besteht die Gefahr der tödlichen Vergiftung durch Blausäure. Mehrere Kleinkinder verstarben oder erlitten eine lebensgefährdende Vergiftung nach Einnahme von "B17-Tabletten", da die Eltern an die Ungefährlichkeit der angeblichen Vitamintabletten glaubten. Tödliche Vergiftungsfälle durch Aprikosenkerne sind in der toxikologischen Literatur gut belegt.<ref>Herbert, V. (1979): ''Laetrile: the cult of cyanide. Promoting poison for profit.'' In: Am. J. Clin. Nutr. Bd. 32, S. 1121-58. PMID 219680 [http://www.ajcn.org/cgi/reprint/32/5/1121.pdf PDF]</ref><ref>Braico KT, Humbert JR, Terplan KL, Lehotay JM.: ''Laetrile intoxication. Report of a fatal case.'' N Engl J Med 1979; 300: 238-240</ref>  
 
Es besteht die Gefahr der tödlichen Vergiftung durch Blausäure. Mehrere Kleinkinder verstarben oder erlitten eine lebensgefährdende Vergiftung nach Einnahme von "B17-Tabletten", da die Eltern an die Ungefährlichkeit der angeblichen Vitamintabletten glaubten. Tödliche Vergiftungsfälle durch Aprikosenkerne sind in der toxikologischen Literatur gut belegt.<ref>Herbert, V. (1979): ''Laetrile: the cult of cyanide. Promoting poison for profit.'' In: Am. J. Clin. Nutr. Bd. 32, S. 1121-58. PMID 219680 [http://www.ajcn.org/cgi/reprint/32/5/1121.pdf PDF]</ref><ref>Braico KT, Humbert JR, Terplan KL, Lehotay JM.: ''Laetrile intoxication. Report of a fatal case.'' N Engl J Med 1979; 300: 238-240</ref>  
 
In Regionen, in denen Aprikosenkernzubereitungen regulär gegessen werden, wird durch die Zubereitungstechnik der Amygdalingehalt gesenkt. Werden diese Zubereitungstechniken nicht genau eingehalten, kann es zu tödlichen Vergiftungsfällen kommen.
 
In Regionen, in denen Aprikosenkernzubereitungen regulär gegessen werden, wird durch die Zubereitungstechnik der Amygdalingehalt gesenkt. Werden diese Zubereitungstechniken nicht genau eingehalten, kann es zu tödlichen Vergiftungsfällen kommen.
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==Presseartikel==
 
==Presseartikel==
 
*http://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/alternativmedizin-mann-vergiftet-sich-mit-aprikosenkern-extrakt-a-1167296.html
 
*http://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/alternativmedizin-mann-vergiftet-sich-mit-aprikosenkern-extrakt-a-1167296.html
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==Quellennachweis==
 
==Quellennachweis==
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