Mythos einer 10% Nutzung des Gehirns

Laut einer seit Jahren kursierenden "urban legend" (bzw Mär) würde der Mensch durchschnittlich nur etwa 10 Prozent seines zur Verfügung stehenden Hirnleistung nutzen, und demnach würden die restlichen 90 Prozent quasi "brachliegen". Im englischsprachigen Sprachraum, wo diese "legend" populärer als im deutschsprachigen Raum ist, wird in diesem Zusammenhang vom Ten percent of brain myth gesprochen.

Diese ausserwissenschaftliche Mär ist vor allem im Bereich von Psychomarkt-Angeboten geläufig, und entspricht nicht dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Kenntnisse zur Neurophysiologie. Unterschwellig suggeriert diese Behauptung die Möglichkeit einer enormen Steigerung kognitiver Leistungen durch mögliche Methoden einen grösseren Prozentsatz als die genannten 10% zu nutzen. Die Mär soll offenbar leichtgläubige und beeindruckbare Kunden für kostenpflichtige Motivationskurse motivieren. Insbesondere werden die Behauptungen von Scientology am Leben erhalten.

Von Seiten der behaupter werden keine belastbaren Quellen zu diesen Behauptungen genannt.

Tatsächlich ist es jedoch so, dass keine Hirnareale beim gesunden erwachsenen Menschen bekannt sind, die funktionslos wären.[1][2][3] Anhänger dieser "urban legend" nennen auch keine Areale, die funktionslos wären.

Bei einer 90%igen Funktionslosigkeit des Hirns müssten Hirnschäden andere Auswirkungen haben, als sie tatsächlich beobachtet werden. Da das Hirn eines der Organe mit dem höchsten Sauerstoffverbrauch und Energieverbrauch ist, bleibt aus Sicht der Evolution unverständlich, warum der heutige Mensch sich ein derart "verschwenderisches" Organ leisten sollte. Fnktionelle radiologische Verfahren, die stoffwechselaktive Bereich des Hirns anzeigen, ermögliche es auch bei gesunden Menschen im Schlaf zu zeigen, dass im Gegensatz zu hirngeschädigten Menschen sämtliche Bereiche aktiv sind.

Ursprünge

Die Ursprünge werden verschiedenen Personen in den Mund gelegt, so beispielsweise dem Physiker Albert Einstein, der jedoch weder Arzt noch Biologe war.

1890, vor 120 Jahren, formulierten die us-amerikanischen Psychologen William James (1908: We are making use of only a small part of our possible mental and physical resources) und Boris Sidis eine Hypothese der "reserve energy". Nach dieser Hypothese wäre es durch die Einflussnahme auf die kindliche Entwicklung möglich, den IQ-Wert bei den späteren Erwachsenen auf 250 bis 300 zu steigern. Dies wurde vierzig Jahre später, 1936, vom Autor Lowell Thomas wieder aufgenommen, und dieser formulierte eine persönliche Ansicht nach der der Durchschnittsmensch nur zehn Prozent seiner Hirnleistung nutze.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts waren auch tatsächlich (gegenüber heute) erst etwa zehn Prozent der Hirnsubstanz einer bestimmten oder mehreren Funktionen zugeordnet, was mit zum Mythos der damaligen zeit beigetragen haben mag.

Da nur etwa 10% alle im Hirn zu findenden Zellen tatsächlich Neuronen sind, kann auch diese Beobachtung mit zum Mythos geführt haben. (als populärer Unterscheidung zwischen "grauer" und "nichtgrauer" Substanz) Das zahlenmässige Verhältnis von Neuronen zur Gesamtzellzahl des Hirns ist jedoch im Zusammenhang mit dem hier thematisierten Mythos natürlich bedeutungslos, auch wenn manche Gliazellen eine nachgewiesene Hilfsfunktion ausüben. Der bekannte Neuroanatom Santiago Ramón y Cajal hatte das Zahlenverhältnis zwischen Neuronen und Nichtneuronen festgestellt (1:9).

Literatur

  • Barry L. Beyerstein, Whence Cometh: the Myth that We Only Use 10% of our Brains?. Sergio Della Sala. Mind Myths: Exploring Popular Assumptions About the Mind and Brain. Verlag Wiley. S. 3–24

Weblinks

Quellennachweise