Der Evangelikalismus ist eine Strömung innerhalb des Protestantismus, der sich besonders durch die hohe Bibeltreue bzw. durch Glauben an die Irrtumsfreiheit der Bibel auszeichnet. Bestandteil des Glaubens ist daher auch der Kreationismus.

Der Evangelikalismus ist keine einheitliche Bewegung, es handelt sich vielmehr um eine Strömung, deren Vertreter sich untereinander verbunden wissen und sich oft auch in Abgrenzung von anderen Formen des Christentums erleben. So können evangelikale Christen verschiedenen protestantischen Konfessionen angehören, wie z. B. reformiert, lutherisch, baptistisch, methodistisch oder anglikanisch , aber auch konfessionsübergreifenden oder nicht-konfessionellen Gruppierungen angehören. In Deutschland gehören sie meist den evangelischen Landeskirchen bzw. den Freikirchen an.

Begriff „Evangelikalismus“

Das relativ junge Wort evangelikal ist heute ein feststehender Ausdruck für ein protestantisches Christentum geworden, das in seinem Selbstverständnis auf besondere Weise bibeltreu sei und sich daher von liberaler Theologie, Säkularismus, aber meist auch von liturgisch orientierten evangelischen wie nichtevangelischen Kirchen abgrenzt. Die Bezeichnung evangelical wurde in den Vereinigten Staaten im 20. Jahrhundert zunehmend verwendet, um Christen zu bezeichnen, die in der Tradition der Erweckungsbewegung stehen.

Verbreitung

Zahlenangaben über evangelikale Christen sind immer etwas ungenau (da genaue Befragungen aller Mitglieder bestimmter Konfessionen viel zu aufwändig wären) und bleiben deshalb umstritten. Diese statistische Ungenauigkeit ist auch darauf zurückzuführen, dass Mitglieder von Pfingstkirchen oder von charismatischen Gemeinden manchmal zu den Evangelikalen gerechnet werden, manchmal nicht. International haben sich viele Evangelikale in der Evangelischen Allianz zusammengeschlossen. Bei der Evangelischen Allianz können Kirchen, diakonische und missionarische Werke und einzelne Christen Mitglieder sein. Die weltweite Evangelische Allianz gibt an, 420 Millionen Christen zu vertreten. Zählt man die Pfingstbewegung und die unabhängigen Charismatiker gänzlich zu den Evangelikalen, so ergibt sich weltweit eine Mitgliederzahl von ca. 600 Millionen Gläubigen. In Asien, Afrika, Südamerika und den Vereinigten Staaten ist die Bewegung im Wachstum begriffen, teilweise auf Kosten liberaler und traditioneller Kirchen.

Der evangelikale Dachverband Deutsche Evangelische Allianz geht von etwa 1,3 Millionen „bekennenden Christen“ in Deutschland aus. Nach groben Schätzungen gehört etwa die Hälfte von ihnen zu Freikirchen, unabhängigen Gemeinden und Hauskirchen, die andere Hälfte fühlt sich Gemeinden der evangelischen Landeskirchen zugehörig.[1]

Innerhalb der Freikirchen im deutschen Sprachraum sind unter den Evangelikalen z. B. traditionelle Freikirchen wie die Mennoniten, die Baptisten, die Evangelisch-methodistische Kirche, die Siebenten-Tags-Adventisten, die Gemeinden Christi, die Brüderbewegung, die Kirche des Nazareners oder die Heilsarmee einzuordnen. Die meisten Pfingstgemeinden und neopfingstlichen Kirchen wie ICF Movement, Anskar-Kirche oder Vineyard und der Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden werden ebenfalls zum evangelikalen Spektrum gezählt. Es gibt jedoch auch unter den Freikirchen viele, die sich nicht mit dem Evangelikalismus identifizieren oder diesen ablehnen. Innerhalb der Mennoniten finden sich beispielsweise sowohl Gemeinden mit liberaler oder ökumenischer wie auch mit evangelikaler Positionierung.

Glaubensinhalte

Der Evangelikalismus ist in unterschiedliche Strömungen unterteilt. Allen gemeinsamt sind folgenden Merkmale:

Wertekonservatismus

Europa: In Europa sind Evangelikale meist konservativ orientiert und treten für ein christlich geprägtes Wertesystem ein, das sie auch in der Politik und Gesellschaft durchsetzen wollen. So gut wie alle europäischen Evangelikalen lehnen z.B. Abtreibung und Sterbehilfe ab, sind Anhänger des Kreationismus und wenden sich besonders vehement und in diskriminierender Weise gegen Homosexualität, von der sie behaupten, sie sein nicht gottgewollt. Homosexualität sein heilbar und Betroffene sollen sich davon lossagen.[2] Auch Sex vor der Ehe ist verpönt. Der Glaube an Wunder und Heilungen allein durch Gott ist weit verbreitet. In einigen fundamentalistischen Gemeinschaften fühlen sich die Leiter durch Gott berufen, verlangen Gehorsam und unermüdlichen Einsatz. Sie kontrollieren, fordern und drohen. Zweifel und Kritik werden als dämonisch gewertet, als Zeichen des Bösen. Die Gläubigen leben isoliert, Kontakt mit der Außenwelt ist nicht erwünscht.[1]


USA: In den USA ist die große Mehrheit gegen die Evolutionstheorie (siehe: Jack Chick), die Liberalisierung des Schwangerschaftsabbruchs, gegen pluralistische Lebensstile, für die Todesstrafe und gegen staatliche Sozialmaßnahmen (soziale Hilfe wird als Aufgabe der Kirchen gesehen). Ihre Einstellung ist zwar nicht rassistisch, sondern vorwiegend ethnozentristisch: Einwanderer bedrohen durch ihre fremden Kulturen die amerikanischen Werte. Vom Sozialprofil her ist allerdings eine deutliche Parallele zu rassistischen und antisemitischen Bevölkerungsteilen der USA festzustellen. Evangelikale Christen haben wie diese einen unterdurchschnittlichen formalen Bildungsgrad und sind vorwiegend im Süden der USA in ländlichen Gebieten und kleinen Städten anzutreffen. Anhänger islamischen Glaubens werden feindlich betrachtet (verschärft durch die Entwicklung des Irakkrieges und den Terroranschlag in New York der stellenweise auch apokalyptisch/Eschatologisch gedeutet wird/wurde). Die christliche neue Rechte der Vereinigten Staaten, die eine einflussreiche politische Position einnimmt, besteht mehrheitlich aus Evangelikalen. Vertreter sind beispielsweise James Dobson, Franklin Graham, Pat Robertson, Charles Colson oder George W. Bush.

Bibeltreue

Evangelikale bezeichnen sich als bibeltreu. Das bedeutet, dass sie biblische Lehre streng ausgerichtet am Inhalt der Bibel vertreten. Evangelikale sehen sich hier im Gegensatz zu anderen Strömungen des Protestantismus, welche aus Sicht des Evangelikalismus der Bibel nicht genügend Bedeutung beimessen würden. Die Bibeltreue äußert sich z.B. darin, dass der Bibel unbedingte Autorität in allen Glaubens- und Lebensfragen zukommt. Sie gilt als vollständig und alles, was Christen wissen müssen, ist in der Bibel behandelt. Fanatischen Evangelikalen gilt die Bibel als unfehlbar und frei von Irrtümern. Auf die Bibel ist unbedingt und in jedem Detail Verlass. Biblischen Texten widersprechende Theorien und Tatsachen, etwa die Evolutionstheorie oder Homosexualität, werden abgelehnt.

Absolutheitsanspruch

Die meisten Evangelikalen halten ihren Glauben für den einzig richtigen, ihr Fundament für das einzig wahre. Andere Religionen lehnen sie deshalb ab. Mit ihrem Bibelverständnis, ihrer Form des Glaubens und mit dem damit verbundenen Absolutheitsanspruch entsprechen sie unserem Verständnis von Fundamentalismus. Evangelikale leiten strenge Lebensregeln aus der Bibel ab. Wer dagegen verstößt, sündigt aus ihrer Sicht. Evangelikale wollen die Gesellschaft nach ihren Vorstellungen verändern, Vertreter evangelikaler Lobbyvereine bemühen sich in Berlin um Einfluss auf Politik und Medien.[1]

Mit Ausnahme des Judentums, das bei manchen Evangelikalen einen Sonderstatus genießt, werden andere Religionen als Irrwege abgelehnt und Atheismus als Sünde bezeichnet. Ein Dialog der Religionen und mit Nichtgläubigen findet meist nur unter missionarischem Gesichtspunkt statt.

Persönliche Beziehung zu Gott und zu Jesus

Das evangelikales Christentum lebt von einer persönlichen Glaubensbeziehung zu Gott/Jesus. Die individuelle Erfahrung der Verbundenheit des Glaubenden mit Gott resp. Jesus ist wichtig. Diese Erfahrung beruht auf einem strikt personalen Gottesbild, das dem Glaubenden ein Gegenüber gibt, mit welchem er über das Gebet im Dialog stehen kann.

Bekehrung

Evangelikale nennen sich auch „entschiedene“ oder „bekennende“ Christen, weil sie sich als Jugendliche oder Erwachsene ganz bewusst für diesen Glauben entschieden haben. Einige lehnen deshalb die Taufe im Kindesalter ab. Der Moment der Entscheidung markiert für evangelikale Christen eine bedeutende Wende. Sie nennen sie „Bekehrung“ oder „Wiedergeburt“.[3]

Diese ausgeprägt persönliche Beziehung zu Gott hat einen biographisch klar zu bestimmenden Anfang: Die Bekehrung, die bewusste Entscheidung für den evangelikalen Glauben. Die Bekehrung wird zum Schlüsselerlebnis des Lebens, auf welches in Zeugnissen und Gesprächen oft Bezug genommen wird und von vielen als Erweckung bzw. eine Art Erleuchtung oder Eingebung verstanden wird. Damit wird das Leben in Autonomie als in die Irre gehend bezeichnet und vom Leben unter der Autorität Gottes getrennt. Diese dualistische Struktur kann dazu führen, dass der Unterschied der beiden Lebensphasen im Rückblick überzeichnet wird, dies insbesondere bei Menschen, die schon im Evangelikalismus aufwuchsen.

Gebete und Bibellesen

Für die persönliche Glaubensbeziehung zu Gott sind Gebet und das Lesen der Bibel von eminenter Bedeutung: sie sind die Wege, über welche der Dialog mit dem als Person verstandenen Gott geführt wird. Durch Gebet spricht der Evangelikale mit Gott, und beim der Lesen der Bibel erhält er Antwort. Daher hat beides in der Glaubenspraxis Evangelikaler eine große Bedeutung.

Aus dieser persönlichen Glaubensbeziehung, resultiert die Pflicht, sich völlig dem Willen Gottes zu unterstellen. Die Bibel gilt als unmittelbares Wort Gottes und deren Hinweise auf ein gottgefälliges Leben werden möglichst umgesetzt. Ziel ist hierbei insbesondere die Vermeidung von Verhaltensweisen, die in der Bibel negativ bewertet werden, etwa unter dem Begriff der Sünde. Die "Grundlinien bibeltreuer Politik" der Partei der Bibeltreuen formulieren das wie folgt:

"Als Christen wollen wir in unserem persönlichen Leben, aber darüber hinaus auch in gesellschaftlichen und politischen Fragen, zuerst und zuletzt Gott gehorsam sein."[4]

Missionierung

Der Evangelikalismus ist eine missionarische Bewegung, beruhend auf der missionarischen Ausrichtung des Neuen Testamentes. Evangelisation und Mission sind so für den Evangelikalismus wichtige Begriffe.

Evangelisation im übergeordneten und weiteren Sinne bezeichnet die Ausbreitung des Evangeliums von Jesus Christus. In evangelischen und evangelikalen Kreisen ist Evangelisation der terminus technicus für Veranstaltungen, die sich primär an Kirchendistanzierte und Nichtchristen richten. Die Formen dieser Evangelisation, deren Geschichte ins 18. Jahrhundert zurück geht, sind vielfältig; sie reichen von Großevangelisationen über Evangelisationswochen in kirchlichen Räumen sowie Zeltevangelisationen bis hin zum sogenannten evangelistischen Straßeneinsatz und zur persönlichen Evangelisation. Theologische Grundlage der Evangelisation sowohl im weiteren als auch im engeren Sinne ist der sogenannte Missionsbefehl Jesu.

Während sich die Evangelisation an nichtevangelikale Christen richtet, zielt die Mission auf die Angehörigen einer anderen oder keiner Religion. Evangelisation und Mission sind Aufgabe einerseits der Gemeinde, andererseits jedes einzelnen Christen. Die erfolgreiche Erfüllung ihres Missionsauftrages durch die einzelnen Gemeinden ist in den letzten Jahren für breite Kreise des Evangelikalismus beinahe zum Kriterium der Gottgefälligkeit der jeweiligen Gemeinden geworden. Wachsende Gemeinden gelten als gesegnet, ihre Verkündigung scheint dem Willen Gottes am meisten zu entsprechen. Kleiner werdende Gemeinden machen etwas falsch. Der Evangelisationsauftrag des Einzelnen wird durch missionarische Einsätze, aber insbesondere durch Evangelisation im Bekanntenkreis wahrgenommen.

Endzeitvorstellungen

Der Evangelikalismus geht davon aus, dass diese Welt irgendwann untergehen wird, worauf für die Gläubigen eine ewige Heilszeit in Gottnähe folgen wird. Viele Evangelikale versuchen den Ablauf dieser endzeitlichen Ereignisse näher zu erhellen, indem sie die recht verschiedenen und z.T. symbolischen Aussagen des Neuen Testaments zu dem Thema der Endzeit in einen kohärenten Ablauf gebracht werden. Gerade weil die verschiedenen biblischen Hinweise zum Thema einander unschlüssig sind bzw. sich sogar widersprechen, besteht in dieser Frage viel Uneinigkeit. Ebenfalls ist strittig, wie nahe die Endzeit bevorsteht. Manche Evangelikale sehen bereits in gegenwärtigen Ereignissen Prophezeiungen der Bibel erfüllt und gehen von einem unmittelbar bevorstehenden Endzeittermin aus.

Beispielsweise kann man auf der Internetseit der Partei der Bibeltreuen Christen zum Thema "Grundlinien bibeltreuer Politik" folgendes lesen:

"Die Arbeit der PBC fordert aber auch die Anerkennung und die Beachtung der Spannung zwischen dem kommenden Reich Gottes und der bestehenden Macht der Finsternis. Das Kommen des Reiches Gottes ist begleitet von Katastrophen."[4]


In den letzten Jahren hat sich die Endzeiterwartung im Evangelikalismus, die in den 80er Jahren recht stark war, eher abgeschwächt. Einigkeit besteht im Evangelikalismus aber darin, dass diese Welt untergehen wird, dass also Fortschritte und Verbesserungen in der menschlichen Gesellschaft letztlich sinnlos sind. Daraus resultiert z.T. die Wissenschafts- und Fortschrittsfeindlichkeit sowie die Rückwärtsgewandtheit der Evangelikalen.

Homeschooling

Besonders unter evangelikalen Eltern ist das Modell des „Homeschoolings“ (Hausunterricht) verbreitet, bei dem die Kinder keine öffentliche Schule besuchen dürfen, sondern zu Hause von den eigenen Eltern unterrichtet werden. Ziel ist dabei, die Kinder von der angeblichen Verderbtheit der westlichen Welt abzuschotten, darunter wird insbesondere der Sexualkundeunterricht ("Sexualisierung") und die Evolutionstheorie gesehen. In Wirklichkeit kommt es aber zu einer Indoktrinierung der Kinder im evangelikalen Sinne.

Als Begründung für das Homeschooling wird folgendes aufgeführt:

Der Bildungsgrad der Eltern ist für die Schulunterrichtung zu Hause nicht entscheidend. Wichtig ist das gute Vorbild der Eltern und ihre Überzeugung, dass sie mit der Schulunterrichtung zu Hause ihre Elternpflicht gegenüber Gott und ihren Kindern am besten erfüllen und damit dem Staat und der Gesellschaft Rechnung tragen und dienen.“[5]

Da in Deutschland eine allgemeine Schulpflicht besteht, ist Hausunterricht hierzulande in der Regel nicht zulässig. Die herrschende Rechtsprechung erlaubt Hausunterricht nur für Schüler, deren Eltern im Ausland arbeiten, oder für Schüler, die wegen Behinderung oder Krankheit nicht transportfähig sind ("Krankenunterricht"). Auch hier sind der staatliche Lehrplan und examinierte Lehrkräfte die Grundlage des Unterrichts. In Einzelfällen gab es bereits Erzwingungshaft, beispielsweise für die Väter der Glaubensgemeinschaft Zwölf Stämme, die ihre Kinder in einer eigenen (nicht staatlich anerkannten) Schule unterrichten.

Im Januar 2010 gewährte ein US-Gericht einer deutschen Familie Asyl, da sie sich aufgrund ihres christlichen Glaubens in Deutschland verfolgt fühlte. Der Richter war der Ansicht, die deutsche Regierung versuche Hausunterricht auszumerzen, was eine Verletzung eines grundlegendes Menschenrechts sei..[6]


Siehe auch: “Homeschooling” bibeltreuer Christen als Mittel der Evangelisation

Parteien, Organisationen

  • Partei Bibeltreuer Christen.
  • Evangelische Volkspartei
  • Eidgenössisch-Demokratische Union
  • ProChrist, eine eine Großevangelisationsveranstaltung, die seit 1993 im zwei- bis dreijährigen Turnus stattfindet
  • Bund freier evangelischer Gemeinden
  • Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden (BFP)
  • Christival
  • Christlicher Medienverbund KEP
  • Deutsche Evangelische Allianz
  • Evangelikaler Pressedienst “Idea”
  • Evangelikales Internetportal “Jesus.de”
  • Forum Freikirchlicher Pfingstgemeinden
  • Lausanner Bewegung in Deutschland

Weblinks

Quellenverzeichnis

  1. 1,0 1,1 1,2 Lambrecht, Oda / Baars, Christian: Mission Gottesreich. Berlin 2009
  2. http://www.pbc.de/index.php?id=1359
  3. Lambrecht, Oda / Baars, Christian: Mission Gottesreich. Berlin 2009
  4. 4,0 4,1 http://www.pbc.de/index.php?id=bibeltreue_politik
  5. http://www.schuzh.de/cms/index.php?id=3
  6. Amerika gewährt deutscher Familie Asyl. FAZ, 27. Januar 2010.