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So krumm, holprig und verworren der Lebensweg Lévis dem Betrachter auch erscheinen mag, verfolgte er dabei doch stets ein Ziel: sozialer Aufstieg und die davon erhoffte gesellschaftliche Anerkennung. Dass der junge Alphonse über vielversprechende Anlagen verfügte, zeigt seine schulische Laufbahn. Die eingeschlagene Richtung hin zu einer Karriere als Geistlicher stellte im Frankreich der Restauration mit großer Sicherheit eine Zukunft die Aussicht, in der er das angestammte kleinbürgerliche Milieu verlassen und sein Leben in einer sozial wie materiell gesicherten Position würde führen können. Wie groß die darauf gehenden Hoffnungen seiner Eltern waren, dafür ist der Freitod seiner Mutter ein beredtes Zeichen, dass sie zumindest nicht unberechtigt waren, mag man an dem Einsatz des Pariser Erzbischofs für Alphonse ablesen.  
 
So krumm, holprig und verworren der Lebensweg Lévis dem Betrachter auch erscheinen mag, verfolgte er dabei doch stets ein Ziel: sozialer Aufstieg und die davon erhoffte gesellschaftliche Anerkennung. Dass der junge Alphonse über vielversprechende Anlagen verfügte, zeigt seine schulische Laufbahn. Die eingeschlagene Richtung hin zu einer Karriere als Geistlicher stellte im Frankreich der Restauration mit großer Sicherheit eine Zukunft die Aussicht, in der er das angestammte kleinbürgerliche Milieu verlassen und sein Leben in einer sozial wie materiell gesicherten Position würde führen können. Wie groß die darauf gehenden Hoffnungen seiner Eltern waren, dafür ist der Freitod seiner Mutter ein beredtes Zeichen, dass sie zumindest nicht unberechtigt waren, mag man an dem Einsatz des Pariser Erzbischofs für Alphonse ablesen.  
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Man kann nur vermuten, was der Suizid seiner Mutter und der mit ihm ausgedrückte Vorwurf in Constant bewirkt hat. Dass beides nicht dazu beigetragen hat, sein Verhältnis zum anderen Geschlecht zu stabilisieren, kann nicht von der Hand gewiesen werden. Die einzige Freundin, die er zeitlebens hatte, Flora Tristan, starb zu früh. Seine Ehe und das Verhältnis zur Mutter seines Sohnes endeten beide im Zwist. Er war ein einsamer Mensch, der Eindruck drängt sich auf. Viele Menschen kreuzen seinen Weg, aber aus keiner dieser Begegnungen entsteht eine stabile Beziehung auf gleicher Höhe. Er scheint vielmehr stets auf Distanz bedacht gewesen zu sein, in der überlegenen Position des Lehrers, der entrückten eines Mediums, der des Wissenden um das Unerreichbare, das Okkulte. Das mag kalkuliert gewesen sein als zur gewählten Rolle gehörend, aber stabil und lange bestehend scheint nur eine Beziehung gewesen zu sein: die zum Baron Spedalieri, mit der doppelten Distanz von Geographie und der des Lehrers zum Schüler.
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Man kann nur vermuten, was der Suizid seiner Mutter und der mit ihm ausgedrückte Vorwurf in Constant bewirkt hat. Dass beides nicht dazu beigetragen hat, sein Verhältnis zum anderen Geschlecht zu stabilisieren, kann nicht von der Hand gewiesen werden. Die einzige Freundin, die er zeitlebens hatte, Flora Tristan, starb zu früh. Seine Ehe und das Verhältnis zur Mutter seines Sohnes endeten beide im Zwist. Er war ein einsamer Mensch, der Eindruck drängt sich auf. Viele Menschen kreuzen seinen Weg, aber aus keiner dieser Begegnungen entsteht eine stabile Beziehung auf gleicher Höhe. Er scheint vielmehr stets auf Distanz bedacht gewesen zu sein, in der überlegenen Position des Lehrers, der entrückten eines Mediums, der des Wissenden um das Unerreichbare, das Okkulte. Das mag kalkuliert gewesen sein als zur gewählten Rolle gehörend, aber stabil und lange bestehend scheint nur eine Beziehung gewesen zu sein: die zum Baron Spedalieri, mit der doppelten Distanz der Geographie und der des Lehrers zum Schüler.
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Beide Momente fügen sich zu einem Bild zusammen: Da ist der in der Kindheit tief in ihn gepflanzte Wunsch nach gesellschaftlichem Aufstieg, nach Bedeutung und Anerkennung, und da ist die ultimative Geste grenzenloser Verachtung für sein Verlassen dieses Weges, der Freitod der Mutter. Ihre Schuldzuweisung wirft ihn für lange Zeit aus dem Gleis, er leidet sichtbar darunter, und seine Aktivitäten in den folgenden Jahren wirken alle ein wenig zu laut, zu auffallend, zu sehr auf Effekt bedacht, wie von jemandem, den ein schlechtes Gewissen plagt, das nur ja niemand erkennen darf. Erst der Tod seiner Tochter 1854 hat diese Getriebenheit beendet - wenngleich um einen hohen Preis: Unter dem Eindruck des jüngsten Verlustes akzeptiert er den alten Vorwurf der Mutter. Einsamkeit wird die gewählte Strafe für seine Schuld, beide zu überwinden erwächst als Triebkraft seines weiteren Lebens. Fortan schreibt er, um sich von der Schuld zu befreien. Er erkennt nicht, dass nur er selbst diese Befreiung erreichen kann, war er es doch, der die Schuld ekzeptiert hat. Und je mehr er schreibt, umso tiefer sinkt diese einzige tatsächliche Möglichkeit zur Befreiung hinab ins Verborgene und umso tiefer muss er im Verborgenen schürfen, ohne je zu treffen, was er sucht.  
     
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