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Das in Teilen [[Pseudowissenschaft|pseudowissenschaftliche]] Phänomen der ''Deutschen Physik'' – wie auch der von [[Ludwig Bieberbach]] und [[Theodor Vahlen]] propagierten ''[[Deutsche Mathematik|Deutschen Mathematik]]'' oder der ''[[Deutsche Chemie|Deutschen Chemie]]'' [[Paul Walden|Paul Waldens]] – wurde bislang überwiegend als eine Variante interpretiert, die Naturwissenschaften in die faschistische Gesellschaft zu integrieren. Dabei wechseln sich die beiden Tendenzen einer ''völkischen'' Wissenschaft nach Lenard, Stark oder Vahlen Anfang der 30er Jahre mit einer Wissenschaft als ''nationale Aufgabe'' im Sinne des ''Volksganzen'' ab, was den Notwendigkeiten der Autarkie- und Rüstungspolitik ab 1936 besser entsprach. Die Besonderheit der ''Deutschen Physik'' lag dabei im vergleichsweise großen politischen Einfluss der beiden Nobelpreisträger Lenard und Stark in Form von leitenden Positionen in der Wissenschaftsorganisation und beratenden Funktionen gegenüber der politischen Elite ab 1933.
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Das in Teilen [[Pseudowissenschaft|pseudowissenschaftliche]] Phänomen der ''Deutschen Physik'' – wie auch der von Ludwig Bieberbach und Theodor Vahlen propagierten ''Deutschen Mathematik'' oder der ''Deutschen Chemie'' Paul Waldens – wurde bislang überwiegend als eine Variante interpretiert, die Naturwissenschaften in die faschistische Gesellschaft zu integrieren. Dabei wechseln sich die beiden Tendenzen einer ''völkischen'' Wissenschaft nach Lenard, Stark oder Vahlen Anfang der 30er Jahre mit einer Wissenschaft als ''nationale Aufgabe'' im Sinne des ''Volksganzen'' ab, was den Notwendigkeiten der Autarkie- und Rüstungspolitik ab 1936 besser entsprach. Die Besonderheit der ''Deutschen Physik'' lag dabei im vergleichsweise großen politischen Einfluss der beiden Nobelpreisträger Lenard und Stark in Form von leitenden Positionen in der Wissenschaftsorganisation und beratenden Funktionen gegenüber der politischen Elite ab 1933.
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Die Wurzeln der ''Deutschen Physik'' lassen sich jedoch bis ins späte 19. Jahrhundert zurück verfolgen, als in vielen Ländern Europas ''nationale'' Wissenschaften propagiert wurden. Zum Beginn des Ersten Weltkriegs uferten die Gegensätze durch Manifeste führender Gelehrter in einem regelrechten ''Krieg der Geister'' aus. Sicherlich existieren nationale ''Stile'' von Wissenschaften, die sich in Methoden und Formen der Theoriebildung unterscheiden. Die ''Deutsche Physik'' entstand jedoch am Ende des Ersten Weltkriegs als Antipol zur aufkommenden modernen Physik und forderte eine prinzipielle Anschaulichkeit der Modelle und das Experiment als methodische Grundlage im Unterschied zu den abstrakten [[Gedankenexperiment|Gedankenexperimenten]] der theoretischen Physik. Die Hauptgründe sind in der speziellen geistigen Verfasstheit der wissenschaftlichen Elite in der Weimarer Republik zu finden: Die verdiente ältere Generation lehnte – nicht nur innerhalb der wissenschaftlichen Diskussion – nahezu alles Moderne ab. Die Kritik der ''Deutschen Physik'' richtete sich insbesondere gegen die den klassischen physikalischen Vorstellungen widersprechenden Thesen Albert Einsteins, der durch seine Arbeiten zur Relativitätstheorie und Quantenhypothese die moderne Physik verkörperte und zudem 1921 den Nobelpreis erhielt. Die zuletzt verzweifelt erscheinenden Versuche Lenards, das Relativitätsprinzip und die Quantenhypothese durch die Hilfskonstruktion der [[Äthertheorie]] auf eine klassische Basis zu stellen, verloren mit der weiteren physikalischen Entwicklung und spätestens mit Entdeckung der Kernspaltung ihre Plausibilität.
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Die Wurzeln der ''Deutschen Physik'' lassen sich jedoch bis ins späte 19. Jahrhundert zurück verfolgen, als in vielen Ländern Europas ''nationale'' Wissenschaften propagiert wurden. Zum Beginn des Ersten Weltkriegs uferten die Gegensätze durch Manifeste führender Gelehrter in einem regelrechten ''Krieg der Geister'' aus. Sicherlich existieren nationale ''Stile'' von Wissenschaften, die sich in Methoden und Formen der Theoriebildung unterscheiden. Die ''Deutsche Physik'' entstand jedoch am Ende des Ersten Weltkriegs als Antipol zur aufkommenden modernen Physik und forderte eine prinzipielle Anschaulichkeit der Modelle und das Experiment als methodische Grundlage im Unterschied zu den abstrakten Gedankenexperimenten der theoretischen Physik. Die Hauptgründe sind in der speziellen geistigen Verfasstheit der wissenschaftlichen Elite in der Weimarer Republik zu finden: Die verdiente ältere Generation lehnte – nicht nur innerhalb der wissenschaftlichen Diskussion – nahezu alles Moderne ab. Die Kritik der ''Deutschen Physik'' richtete sich insbesondere gegen die den klassischen physikalischen Vorstellungen widersprechenden Thesen Albert Einsteins, der durch seine Arbeiten zur Relativitätstheorie und Quantenhypothese die moderne Physik verkörperte und zudem 1921 den Nobelpreis erhielt. Die zuletzt verzweifelt erscheinenden Versuche Lenards, das Relativitätsprinzip und die Quantenhypothese durch die Hilfskonstruktion der Äthertheorie auf eine klassische Basis zu stellen, verloren mit der weiteren physikalischen Entwicklung und spätestens mit Entdeckung der Kernspaltung ihre Plausibilität.
    
Im Nationalsozialismus wandelte sich die ''Deutsche Physik'' endgültig zur rassistischen ''Arischen Physik,'' während sich die moderne Physik weiter etablierte. Ironischerweise war die moderne Physik Grundlage für militärisch relevante Forschungsprojekte wie etwa im Uranprojekt, weshalb spätestens nach der grundsätzlichen Aussprache zwischen Vertretern der modernen und der ''Deutschen Physik'' Ende 1940 Lenard und Stark isoliert waren. Insgesamt ist das Phänomen der ''Deutschen Physik'' im Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Politik anzusiedeln und damit vergleichbar etwa mit dem sowjetischen [[Lyssenkoismus]], der sich gegen die moderne Genetik richtete.
 
Im Nationalsozialismus wandelte sich die ''Deutsche Physik'' endgültig zur rassistischen ''Arischen Physik,'' während sich die moderne Physik weiter etablierte. Ironischerweise war die moderne Physik Grundlage für militärisch relevante Forschungsprojekte wie etwa im Uranprojekt, weshalb spätestens nach der grundsätzlichen Aussprache zwischen Vertretern der modernen und der ''Deutschen Physik'' Ende 1940 Lenard und Stark isoliert waren. Insgesamt ist das Phänomen der ''Deutschen Physik'' im Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Politik anzusiedeln und damit vergleichbar etwa mit dem sowjetischen [[Lyssenkoismus]], der sich gegen die moderne Genetik richtete.
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Auch in [[Bertolt Brecht]]s Drama ''[[Furcht und Elend des Dritten Reiches]]'' wird in einer Szene auf die ''Deutsche Physik'' eingegangen. In dieser Szene tauschen sich zwei Göttinger Physiker über wissenschaftliche Erkenntnisse zu [[Gravitationswelle]]n aus. Die dabei offenbar von [[Albert Einstein|Einstein]] stammenden Ergebnisse können die Wissenschaftler nur heimlich vorlesen, und bei der versehentlichen Nennung von Einsteins Name muss einer der Wissenschaftler vor möglichen Spitzeln Verachtung gegenüber Einstein heucheln: „Ja, eine echte jüdische Spitzfindigkeit! Was hat das mit Physik zu tun?“. In dem der Szene vorangestellten Gedicht kommentiert Brecht, im Dritten Reich habe man keine „richtige/sondern eine arisch gesichtige/Genehmigte deutsche Physik“ gewollt.
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Auch in Bertolt Brechts Drama ''Furcht und Elend des Dritten Reiches'' wird in einer Szene auf die ''Deutsche Physik'' eingegangen. In dieser Szene tauschen sich zwei Göttinger Physiker über wissenschaftliche Erkenntnisse zu Gravitationswellen aus. Die dabei offenbar von [[Albert Einstein|Einstein]] stammenden Ergebnisse können die Wissenschaftler nur heimlich vorlesen, und bei der versehentlichen Nennung von Einsteins Name muss einer der Wissenschaftler vor möglichen Spitzeln Verachtung gegenüber Einstein heucheln: „Ja, eine echte jüdische Spitzfindigkeit! Was hat das mit Physik zu tun?“. In dem der Szene vorangestellten Gedicht kommentiert Brecht, im Dritten Reich habe man keine „richtige/sondern eine arisch gesichtige/Genehmigte deutsche Physik“ gewollt.
    
== Einflussreiche Vertreter ==
 
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