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== Vorgeschichte ==
 
== Vorgeschichte ==
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Anfang des 20. Jahrhunderts war in fast allen naturwissenschaftlichen Disziplinen ein Umsturz des klassischen Weltbildes spürbar. In der Physik stießen vor allem zwei Entwicklungen die klassischen Denkweisen um: Max Planck|Plancks Einführung des Energiequants, das der klassischen Wellen- und Äthervorstellung vom Ursprung des [[Licht|Lichts]] widersprach und mit klassischen Begriffen von Kausalität und Determiniertheit nicht mehr in Einklang stand, sowie Einsteins spezielle Relativitätstheorie, die die Naturgesetze vom Bewegungszustand des Beobachters abhängig machte und von den Gegnern als „allgemeiner Relativismus“ und „materialistisches Spiel ohne Werte“ aufgenommen wurden. Beide Entwicklungen führten in den 1920er Jahren zu einem fundamentalen Umdenken in der akademischen Physik, das einen regelrechten Kulturkampf zwischen Befürwortern und Gegnern der modernen Physik nach sich zog.
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[[Bild:Philipp Lenard.png|framed|right|[[Philipp Lenard]] (1862–1947), einer der frühen intellektuellen Vertreter der ''Deutschen Physik.'']]
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Dabei waren die Gegner der modernen Physik vor allem in der älteren Generation von Naturforschern zu finden, die sich im untergegangenen Kaiserreich als bedrohte Elite von Kulturträgern verstanden. Zu ihnen gehörten auch die Protagonisten der ''Deutschen Physik'', die Nobelpreisträger Philipp Lenard und Johannes Stark. Früh schon stigmatisierte diese Elite die Unzulänglichkeiten des Materialismus der modernen Gesellschaft als jüdisch, der größte Teil dieser „deutschen Mandarine“ trat in seiner konservativen politischen Tradition ins antisemitische Lager über.<ref>Fritz K. Ringer: Die Gelehrten. Der Niedergang der deutschen Mandarine 1890–1933. Stuttgart 1983. (Erstauflage: The Decline of the German Mandarins. Cambridge, Mass. 1969.)</ref> Im Gegensatz dazu gab es vor allem in der jüngeren Generation eine weitverbreitete Ablehnung gegen die klassische Physik. Heute wird die Entwicklung der Quantentheorie in den 20er Jahren mit ihren unanschaulichen und scheinbar paradoxen Grundaussagen als Kind dieser Geisteshaltung betrachtet.<ref>Paul Forman: ''Weimar Culture, Causality, and Quantum Theory, 1918–1927: Adaption by German Physicists and Mathematicians to a Hostile Intellectual Environment.'' In: ''Historical Studies in the Physical Sciences 3'' (1971), S. 1–115.</ref>
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Anfang des 20. Jahrhunderts war in fast allen naturwissenschaftlichen Disziplinen ein Umsturz des klassischen Weltbildes spürbar. In der Physik stießen vor allem zwei Entwicklungen die klassischen Denkweisen um: [[Max Planck|Plancks]] Einführung des Energiequants, das der klassischen Wellen- und Äthervorstellung vom Ursprung des [[Licht|Lichts]] widersprach und mit klassischen Begriffen von [[Kausalität]] und Determiniertheit nicht mehr in Einklang stand, sowie [[Albert Einstein|Einsteins]] [[spezielle Relativitätstheorie]], die die Naturgesetze vom Bewegungszustand des Beobachters abhängig machte und von den Gegnern als „allgemeiner Relativismus“ und „materialistisches Spiel ohne Werte“ aufgenommen wurden. Beide Entwicklungen führten in den 1920er Jahren zu einem fundamentalen Umdenken in der akademischen Physik, das einen regelrechten Kulturkampf zwischen Befürwortern und Gegnern der [[Moderne Physik|modernen Physik]] nach sich zog.
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Es gab aber nicht nur im deutschen Kaiserreich nationalistische oder antisemitische Tendenzen in den Naturwissenschaften. Die erste wissenschaftliche Abhandlung, die einen Zusammenhang zwischen nationaler Kultur und wissenschaftlicher Denkweise in Bezug auf die moderne Wissenschaft herstellte, stammte vom Pariser Physiker und Philosophen Pierre Duhem (1861–1916), der seinerseits die Relativitäts- und Quantentheorie ablehnte. Er unterschied zwischen einer abstrakten Denkfähigkeit zum Auffinden der richtigen Axiome, dem ''ésprit de finesse,'' und der Fähigkeit, daraus die richtigen Schlussfolgerungen abzuleiten, dem ''ésprit de géométrie.'' Die eine ist intuitiv, sprunghaft und mehr gefühlsmäßig, die andere folgt festen, von außen auferlegten Regeln. Das Begriffspaar findet sich schon bei Blaise Pascal, nur erweiterte Duhem es, indem er verschiedenen Völkern unterschiedliche Ausprägungen dieser Fähigkeiten zuschrieb.<ref>Andreas Kleinert: ''Von der Science allemande zur Deutschen Physik: Nationalismus und moderne Naturwissenschaft in Frankreich und Deutschland zwischen 1914 und 1940.'' In: Francia 6 (1978), S. 515 ff.</ref>
 
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Dabei waren die Gegner der modernen Physik vor allem in der älteren Generation von Naturforschern zu finden, die sich im untergegangenen Kaiserreich als bedrohte Elite von Kulturträgern verstanden. Zu ihnen gehörten auch die Protagonisten der ''Deutschen Physik'', die Nobelpreisträger Philipp Lenard und Johannes Stark. Früh schon stigmatisierte diese Elite die Unzulänglichkeiten des Materialismus der modernen Gesellschaft als jüdisch, der größte Teil dieser „deutschen Mandarine“ trat in seiner konservativen politischen Tradition ins antisemitische Lager über.<ref>Fritz K. Ringer: Die Gelehrten. Der Niedergang der deutschen Mandarine 1890–1933. Stuttgart 1983. (Erstauflage: The Decline of the German Mandarins. Cambridge, Mass. 1969.)</ref> Im Gegensatz dazu gab es vor allem in der jüngeren Generation eine weitverbreitete Ablehnung gegen die [[klassische Physik]]. Heute wird die Entwicklung der [[Quantentheorie]] in den 20er Jahren mit ihren unanschaulichen und scheinbar paradoxen Grundaussagen als Kind dieser Geisteshaltung betrachtet.<ref>Paul Forman: ''Weimar Culture, Causality, and Quantum Theory, 1918–1927: Adaption by German Physicists and Mathematicians to a Hostile Intellectual Environment.'' In: ''Historical Studies in the Physical Sciences 3'' (1971), S. 1–115.</ref>
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Es gab aber nicht nur im deutschen Kaiserreich nationalistische oder antisemitische Tendenzen in den Naturwissenschaften. Die erste wissenschaftliche Abhandlung, die einen Zusammenhang zwischen nationaler Kultur und wissenschaftlicher Denkweise in Bezug auf die moderne Wissenschaft herstellte, stammte vom Pariser Physiker und Philosophen Pierre Duhem (1861–1916), der seinerseits die Relativitäts- und Quantentheorie ablehnte. Er unterschied zwischen einer abstrakten Denkfähigkeit zum Auffinden der richtigen Axiome, dem ''ésprit de finesse,'' und der Fähigkeit, daraus die richtigen Schlussfolgerungen abzuleiten, dem ''ésprit de géométrie.'' Die eine ist intuitiv, sprunghaft und mehr gefühlsmäßig, die andere folgt festen, von außen auferlegten Regeln. Das Begriffspaar findet sich schon bei [[Blaise Pascal|Pascal]], nur erweiterte Duhem es, indem er verschiedenen Völkern unterschiedliche Ausprägungen dieser Fähigkeiten zuschrieb.<ref>Andreas Kleinert: ''Von der Science allemande zur Deutschen Physik: Nationalismus und moderne Naturwissenschaft in Frankreich und Deutschland zwischen 1914 und 1940.'' In: Francia 6 (1978), S. 515 ff.</ref>
      
In den zwanziger Jahren häuften sich die heute als Antirelativismus bezeichneten Schriften und Angriffe gegen die moderne Naturwissenschaft von Wissenschaftlern, die diese vor dem Ersten Weltkrieg noch anerkannt hatten. Dazu gehörte Philipp Lenard, der 1886 als Assistent bei Heinrich Hertz dessen Versuche über Kathodenstrahlen fortgeführt hatte. Durch die prinzipielle Klärung des lichtelektrischen Effektes und der Phosphoreszenz hat Lenard auch zur Entwicklung des Quantenkonzeptes beigetragen, wofür er 1905 den Nobelpreis erhielt. Nach dem Krieg wandte er sich von der modernen Physik ab und polemisierte mit Blick auf Albert Einstein gegen „jüdische Einflüsse“ in der Physik.
 
In den zwanziger Jahren häuften sich die heute als Antirelativismus bezeichneten Schriften und Angriffe gegen die moderne Naturwissenschaft von Wissenschaftlern, die diese vor dem Ersten Weltkrieg noch anerkannt hatten. Dazu gehörte Philipp Lenard, der 1886 als Assistent bei Heinrich Hertz dessen Versuche über Kathodenstrahlen fortgeführt hatte. Durch die prinzipielle Klärung des lichtelektrischen Effektes und der Phosphoreszenz hat Lenard auch zur Entwicklung des Quantenkonzeptes beigetragen, wofür er 1905 den Nobelpreis erhielt. Nach dem Krieg wandte er sich von der modernen Physik ab und polemisierte mit Blick auf Albert Einstein gegen „jüdische Einflüsse“ in der Physik.
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