Turiner Grabtuch

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Quelle: Wikipedia

Das Turiner Grabtuch (Italienisch: Sindone di Torino) ist ein Leinentuch, das heute im Turiner Dom aufbewahrt wird und angeblich den Leichnam Jesu von Nazareth umhüllte. Das Tuch hat eine Abmessung von 1,10 m x 4,36 m und trägt den doppelten Teilnegativ-Abdruck eines männlichen Körpers. Es soll sich dabei um ein Abbild Jesu handeln, das sich dem Leinen aufgeprägt hat; das Tuch gilt daher als eine der wichtigsten christlichen Reliquien. Für den Mechanismus gibt es eine Reihe unterschiedlicher Erklärungen, sowohl ohne als auch mit wissenschaftlichem Anspruch, die allerdings einer kritischen Prüfung nicht standhalten. Schon im Mittelalter gab es Zweifel an der These, es handele sich um das Grabtuch Jesu, so etwa von Bischof Pierre d'Arcis 1389. Seiner Aussage zufolge lag seinem Amtsvorgänger Henri de Poitiers das Geständnis eines Malers vor, der sich selbst als künstlerischer Urheber des Bildes bezeichnete.

Von Verfechtern der Echtheit des Tuches wird im Zusammenhang mit Untersuchungen, welche die Echtheit belegen sollen, gelegentlich der Begriff Sindonologie ("Grabtuchkunde") benutzt.

Echtheit des Tuches

Kritische, wissenschaftliche Bewertungen kommen zu dem Schluss, dass es sich bei dem Tuch höchstwahrscheinlich um das Werk eines Künstlers aus dem 13. oder 14. Jahrhundert handelt, auch wenn die genaue Maltechnik unbekannt ist. Dafür sprechen neben den historischen Dokumenten eine Reihe weiterer Indizien. So entspricht das Bild stilistisch den künstlerischen Jesus-Darstellungen der fraglichen Zeit. Gegen die These vom Grabtuch spricht auch das Format des Leinens, das untypisch für die jüdischen Bestattungspraktiken der entsprechenden Epoche ist. Zudem ist das Tuch viel zu gut erhalten, um 2000 Jahre alt zu sein. Die Webart war im Mittelalter in Europa üblich, nicht aber im Jerusalem um den Beginn unserer Zeitrechnung.

Datierungen

Eine Radiokarbon-Datierung (C14-Methode) ergab 1988, dass das Leinen zwischen 1260 und 1380 hergestellt wurde.[1] Dieses Ergebnis korrespondiert mit der ersten verbürgten öffentlichen Ausstellung 1357. Im Nachhinein wurden gegen das Vorgehen bei der Datierung zahlreiche Einwände erhoben, obwohl die Methode zuvor zwischen Kritikern und Befürwortern abgestimmt worden war. Als ein Kritikpunkt wurde die Veränderung des Kohlenstoffs durch einen angeblichen „Neutronenblitz“ während der Auferstehung Jesu genannt. Eine weitere Kritik kam 2005 von dem Chemiker Ray Rogers. Nach seiner Ansicht wurden die untersuchten Proben aus einer im Mittelalter geflickten Stelle genommen, wodurch das Ergebnis verfälscht worden sei. Mit Hilfe einer von ihm selbst entwickelten, neuartigen, allerdings in der Forschung unüblichen Datierungsmethode schätzte Rogers das Alter des Original-Tuches auf 1300 bis 3000 Jahre. Bisher liegt indes noch keine unabhängige Validierung der Rogers-Methode vor, weshalb Fachleute den Ergebnissen äußerst kritisch gegenüberstehen.

Eine weitere Datierungsmethode ist die Vanillin-Methode, die auf dem chemischen Zerfall des Vanillins, das aus dem im Flachs enthaltenen Lignin entsteht, beruht. Vanillin zerfällt unter Temperatureinwirkung, so dass die Konzentration des Vanillins mit der Zeit abnimmt. Daher kann der Vanillingehalt einen Hinweis auf das Alter geben. Bei einer konstanten Temperatur von 25°C wäre nach 1300 Jahren der Vanillingehalt unter die Nachweisgrenze gefallen, bei 20°C hingegen erst nach über 3000 Jahren. Weil aber die Umgebungstemperatur des Tuchs kaum bekannt ist, ist dieses Modell sehr unzuverlässig. Da sich kurze Zeiten mit hoher Temperatur viel stärker auf den Zerfall auswirken als lange Zeiten mit geringer Temperatur, kann das Ergebnis sehr stark verfälscht werden, wenn das Tuch (oder die Proben nach ihrer Entnahme) kurzzeitig höheren Temperaturen ausgesetzt wurden. Auch die mehrfach belegten Brände könnten das Ergebnis verfälschten. Das gefaltete Tuch ist zwar nur am Rande verkohlt, im Inneren unversehrt. Andererseits ergeben jedoch die Daten des thermodynamischen Modells, dass das Vanillin bei 150°C nach nur wenigen Stunden verschwunden wäre. Während eines Brandes ist eine solche Temperatur durchaus erreichbar, ohne dass dabei Brandspuren erkennbar wären.[2]

Farbpigmente

Der amerikanische Chemiker Walter McCrone wies auf dem Leinen Pigmente nach, wie sie von Malern im Mittelalter verwendet wurden. Dass ein solches Bild mit verschiedenen Techniken hergestellt werden kann, steht heute fest. Der Ermittler Joe Nickell konnte zeigen, dass sich durch Aufspannen eines Leinentuchs auf ein Basrelief und Abreiben mit Eisenoxyd-Pigmenten ein Abbild erzeugen lässt, das dem des Turiner Leinens verblüffend ähnelt. Mit einer direkten Malmethode erzeugte der Maler Walter Sanford ebenfalls ein sehr ähnliches Abbild. 2009 erstellte der italienische Chemiker Luigi Garlaschelli mit bereits vor 800 Jahren bekannten Materialien und Techniken eine Kopie des Tuches. Nicht plausibel ist hingegen, dass ein menschlicher Körper durch einen natürlichen Prozess auf den Turiner Tuch ein Bild hinterlassen hat. Es fehlen die Verzerrungen, wie sie bei der Übertragung von einer dreidimensinalen Vorlage auf ein Tuch zu erwarten wären.[3]

Archäologische Befunde

Ein weiteres Indiz gegen die Echtheit liefert die Archäologie. 2009 fand der Archäologe Shimon Gibson vom W. F. Albright Institute of Archaeological Research (Jerusalem) in einer Grabstelle Reste eines Grabtuches. Die Radiokarbondatierung ergab eine Entstehungszeit von zwischen 1 und 50 n.u.Z. Gibson zufolge handelt es sich um den ersten derartigen Fund in mehr als 1000 Grabstellen aus dieser Zeit. Der Archäologe Amos Kloner von der Bar-Ilan-Universität (Ramat Gan, Israel) spricht nach dieser Entdeckung von nunmehr zwei Textilfunden aus dieser Zeit, die beide in der Webart von der des Turiner Tuches abweichen. Erneut wurde bestätigt, dass komplexere Webarten, wie das Fischgrätenmuster des Turiner Tuches, aus dem 1. Jahrhundert unbekannt sind.[4] Gibson fügte hinzu, dass die Maße des Turiner Tuchs nur schwerlich zu den Begräbnisriten des 1. Jahrhunderts passen, was das neu gefundene echte Grabtuch bestätigt habe.[5][6][7]

Angebliche Blutreste auf dem Tuch

Mit der ersten Untersuchung in dieser Richtung wurde 1973 eine italienische Kommission beauftragt. Beachtenswert ist der Bericht von Professor Eugenia Rizatti, Emilio Mari und Kollegen aus dem Institut für forensische Medizin in Modena. Sie berichten über eine Pigmentierung der Farbe gelb-rot-orange, die "die Mehrheit der Fasern betraf". Sie schreiben auch, dass ihr Test für Blut mit UV-Floureszenz nach einer Schwefelsäure-Behandlung negativ ausfiel. Dies gilt auch für mikrospektrophotometrische Tests für Blut. Ein letzter Test mit Dünnschichtchromatografie brachte ebenfalls ein negatives Ergebnis. Die Wissenschaftler schreiben weiter, dass sie in der Lage gewesen wären, selbst winzige Mengen wie 3-4 Mikrogramm Blut nachzuweisen, wenn sie denn vorhanden gewesen wären. Diese Aussagen wurden gemacht, als die zugelassenen Wissenschaftler noch nicht unter dem enormem Erwartungsdruck standen, ein bestimmtes Ergebnis - die Echtheit des Tuches - zu erbringen. Bei späteren Untersuchungen war dies sehr wohl der Fall. Auch ein Teil der Forschergruppe von 1973 hat später unter massiver Einflussnahme und psychischem Druck ihre Ergebnisse relativiert.

Die angeblich blutigen Stellen auf dem Tuch wurden auf Farbpigmente untersucht; dabei stellte sich heraus, dass es sich um Eisenoxyd-Partikel handelt. Die Partikel konnten als rote Ockerfarbe identifiziert werden, ein Pigment, das im Mittelalter häufig zur Anwendung kam. Daneben wurde an den „blutigen“ Stellen die Farbe Zinnoberrot festgestellt. Rote Ockerfarbe konnte an freien Flächen nicht nachgewiesen werden, während andererseits Zinnoberrot nur an den "blutigen" Stellen vorkam. Als Medium bzw. Bindemittel wurde in beiden Fällen Tempera identifiziert.[3]

Pollenanalysen

Anhänger der Echtheit des Turiner Grabtuches weisen darauf hin, dass bei einer Untersuchung des Leinens Pollen gefunden worden seien, wie sie auch in Palästina und der Türkei vorkommen. Damit soll belegt werden, dass die Geschichte des Turiner Grabtuchs weiter als bis 1350 zurückreicht. Diese Behauptung des Kriminologen Max Frei-Sulzer (auch bekannt durch seine Bestätigung der Echtheit der gefälschten Hitler-Tagebücher) wurde 1979 sogar in der Naturwissenschaftlichen Rundschau veröffentlicht. Auffällig ist zunächst, dass die Pollen ziemlich frisch aussehen, sehr ungewöhnlich angesichts der Tatsache, dass sie 2000 Jahre alt sein sollen. Von den 48 (anderswo ist die Rede von 49) berichteten Pollenarten kommen 33 aus Palästina oder der Türkei, nur 16 stammen aus Italien oder Frankreich, wo das Tuch die letzten 650 Jahre aufbewahrt wurde. Die Proben sollen von Klebebändern stammen, die 1973 von dem Leinen abgenommen wurden.

Ende der 70er Jahre untersuchte Walter McCrone, einer der führenden Mikroanalysten, 26 Klebeband-Abzüge von Frei. Er fand bei fast allen Klebestreifen nur 2 bis 3 einzelne Pollen (nicht Pollenarten!) pro Klebeband (Fläche jeweils etwa 5 Quadratzentimeter). Nur am Ende eines Streifens stellte er eine starke Pollenkonzentration fest. Dort identifizierte McCrone mehrere hundert Pollen.

Aus diesem Befund schließt Steven D. Schafersman, Wissenschaftler mit den Fachgebieten Mikropaläontologie und Sedimentpetrologie: Die Proben müssen gefälscht sein. Wären die Pollen auf natürliche Weise auf das Tuch gelangt, müssten Baum- und Gräserpollen überwiegen. Frei-Sulzers Pollen aus Palästina und der Türkei stammen allerdings fast alle von Kräutern und niedrigen Büschen. Dagegen sind die westeuropäischen Pollen mehrheitlich verschiedenen Baumarten zuzuordnen. Schafersman findet es unglaublich, dass angeblich 2000 Jahre alte Pollen so gut erhalten seien, "als wären sie von lebenden Pflanzen". Andere berichten von mit Kalzit überzogenen Pollen. Frei erwähnt weder die Kalzit-Überzüge, noch dass er sie entfernt habe. Zu berücksichtigen ist auch, dass Frei die fraglichen Gegenden (Istanbul, Urfa, Jerusalem) besucht hat, um Pflanzen zu "Vergleichszwecken" zu sammeln. Schafersman indes sieht als einzige entlastende Möglichkeit für Frei, dass ein anderer ohne seine Kenntnis seine "Vergleichspollen" auf die Klebebänder aufgebracht hat. Auch wenn das Tuch echt wäre und sich in den behaupteten Ländern befunden hätte, wäre diese Zusammenstellung von Pollenarten nach 2000 Jahren mit natürlichen Mitteln unmöglich und als Wunder zu bezeichnen.

Zusammengefasst sind die Behauptungen um die Pollen als Beleg für die Authentizität des Tuches unglaubhaft. Die Pollen sind neueren Ursprungs, sicher keine mehrere hundert oder gar 2000 Jahre alt, und höchstwahrscheinlich das Ergebnis einer Fälschung.[8]

Reproduzierbarkeit der Herstellungsmethode des Tuches

Luigi Garlaschelli, Professor für Chemie im italienischen Pavia, versuchte, das Turiner Grabtuch mit den Methoden des Mittelalters zu kopieren. Dazu benutzte er einen Leinenstoff, der mit mittelalterlichen Methoden hergestellt worden war. Durch einfaches Waschen und Kochen mit Wasser ließ er ihn künstlich altern. Anschließend legte er das Tuch über einen seiner Studenten, der sich dafür freiwillig zur Verfügung gestellt hatte. Mit einer säurehaltigen, rötlichen Pigmentpaste, die ebenfalls schon im Mittelalter bekannt war, rieb er die Umrisse des Studenten ab und ließ das Pigment rund eine halbe Stunde einziehen. Zurück blieb das Abbild des Studenten auf dem Tuch. Anschließend versetzte er es noch mit Blutspuren, Brandlöchern und Wasserflecken. Die Bilder zeigen eine erstaunliche Ähnlichkeit zum besagten Grabtuch. Damit ist zumindest die technische Machbarkeit einer mittelalterlichen Tuchfälschung belegt.[9]

Weblinks

Quellenverzeichnis