Wer heilt hat Recht: Unterschied zwischen den Versionen

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'''Wer heilt hat Recht''' ist ein geflügeltes Wort und eine Platitüde aus der [[Alternativmedizin]] bzw. Erfahrungsmedizin und stets zur Hand, wenn für eine bestimmte Therapieform ein Wirksamkeitsnachweis nicht plausibel belegt werden kann und die Befürworter auf retrospektive Betrachtungen und Anekdoten zurückgreifen müssen. Der Satz soll auf [[Samuel Hahnemann]] zurückgehen, der damit der Kritik an seiner Methode mit einer [[Pseudowissenschaft|pseudowissenschaftlichen]] Argumentation begegnen wollte. Die Befürworter der [[Pseudomedizin|pseudomedizinischen]] [[Synergetik-Therapie]] von [[Bernd Joschko]] haben dementsprechend die Internet-Domain ''wer-heilt-hat-recht.de'' für ihre Zwecke in Beschlag genommen.
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'''Wer heilt hat Recht''' ist ein geflügeltes Wort und eine Plattitüde aus der [[Alternativmedizin]] und stets zur Hand, wenn für eine bestimmte Therapie ein Wirksamkeitsnachweis nicht plausibel belegt werden kann, so dass die Befürworter auf Anekdoten zurückgreifen müssen. Kurz zusammengefasst soll der Satz aussagen, dass die reine Beobachtung einer Genesung (möglicherweise nur bei einer einzigen Person) die Schlussfolgerung erlaube, dass ein dabei angewendetes Heilverfahren wirksam sei.
  
Kurz zusammengefasst soll der Satz beweisen, dass die Beobachtung eines (und möglicherweise eines einzigen) Heilungsverlaufs bei einer bestimmten Person ein möglicherweise dafür ursächliches Heilverfahren begründet.  
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Der Satz soll auf [[Samuel Hahnemann]] zurückgehen, der damit der Kritik an seiner Methode mit einem Schlagwort begegnen wollte. Die Befürworter der [[pseudomedizin]]ischen [[Synergetik-Therapie]] von [[Bernd Joschko]] haben dementsprechend die Internetdomäne ''wer-heilt-hat-recht.de'' in Beschlag genommen.
  
Der primitive und gleichzeitig so einleuchtend erscheinende Satz hat aber bei näherer und sozusagen ''ganzheitlicher'' Betrachtung mehrere Haken, die ihn als einem reinen Propagandasatz entlarven. In vielen Fällen können ''Heiler'' auch bei eingetretener Gesundung Unrecht haben.
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==Kritik==
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Der primitive, gleichzeitig aber so einleuchtend erscheinende Satz hat bei näherer und sozusagen [[Ganzheitlichkeit|"ganzheitlicher"]] Betrachtung mehrere Haken, die ihn als reine Propagandaäußerung entlarven. Zum Beispiel können "Heiler" auch bei eingetretener Gesundung Unrecht haben. Der in England tätige Mediziner Edzard Ernst kommt daher zu dem Schluss: "Wer heilt, hat nicht immer recht."<ref>Ernst E: Wer heilt, hat nicht immer recht. Wien Klin Wochenschrift 2009, 121</ref>
  
*So lässt der Satz mögliche tatsächliche Ursachen für einen Heilungsprozess völlig unbeachtet. Geschätzte 70 bis 80% aller gesundheitlichen Störungen, Malaisen, und handfesten Erkrankungen bilden sich bekanntlich spontan zurück, also unabhängig von einer tatsächlich effektiven Therapie oder eines pseudomedizinischen und völlig unwirksamen Eingriffs oder eines hoffnungsvollen "Zuwartens". In beiden Fällen eines Eingreifens zeigt sich eine rein zeitliche Korrelation zwischen Eingriff und Resultat, was wissenschaftlich nie einen beweisenden Charakter hat. Die möglichen Fälle einer Verschlechterung oder des Versagens durch eine bestimmte Therapie können elegant im Sinne eines [[Publication Bias]] (oder "Schubladen-Bias") verschwiegen werden. Beispielsweise kann ein bestimmtes Verfahren bei einem von tausend Patienten zufällig wirksam erscheinen, bei 999 aber nicht. Auch in diesem ausgesuchten Fall erschiene der Satz ''Wer heilt hat Recht'' plausibel. Bei manchen Therapien steht nur eine rein symptomatische Linderung oder eine Verkürzung der Erkrankungsdauer im Vordergrund und von einer Heilung kann nicht gesprochen werden, auch wenn die Abwesenheit von Schmerzen dabei von den Patienten als wichtig empfunden werden kann. Der Begriff der Heilung - im Sinne einer Rückführung zum Zustand vor Erkrankung (medizinlateinisch hochtrabend ''restitutio ad integrum'' genannt) - ist bei banalen Erkrankungen zwar die Regel, bei schweren chronischen Krankheiten meist eine Utopie. Hier kann der Erhalt des aktuellen Gesundheitszustandes und das Verhindern von Folgen bereits das Ziel sein (Beispiel Zuckerkrankheit) und nicht eine realitätsferne Heilung. Der sehr anspruchsvolle Begriff der Heilung ist daher bei vielen Vertretern der wissenschaftlichen, evidenzbasierten Medizin verpönt und wird meist zurückhaltend benutzt.
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===Ursachen für Heilungsprozesse werden nicht beachtet===
*Viele Krankheiten haben einen zyklischen Verlauf oder können in Schüben verlaufen. Das Ende eines Schubs oder symptomatischen Zyklus bedeutet nicht unbedingt Heilung, sondern den Beginn eines folgenden symptomlosen Intervalls. Dies bedeutet, dass endgültige Aussagen über eine mögliche Heilung möglicherweise erst nach einer längeren Beobachtungszeit getroffen werden können. Aussagen über die Wirksamkeit einer Therapie oder eines Mittels können nur in kontrollierten prospektiven und verblindeten Studien bei randomisierten Patientenkollektiven getroffen werden.  
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Der Satz lässt mögliche tatsächliche Ursachen für einen Heilungsprozess völlig unbeachtet. Geschätzte 70% bis 80% aller gesundheitlichen Störungen, Malaisen und handfesten Erkrankungen bilden sich bekanntlich spontan zurück, also unabhängig von einer tatsächlich effektiven Therapie oder einem pseudomedizinischen und völlig unwirksamen Eingriff oder einem hoffnungsvollen "Zuwarten". Der Autor Rothschuh ist der Meinung, dass die überwiegende Zahl von Erkrankungen spontan abheile, und zwar völlig unabhängig davon, ob eine medizinische Therapie durchgeführt werde oder nicht.<ref>Rothschuh KE (1978): Iatrologie. Zum Stand der klinisch-theoretischen Grundlagendiskussion. Eine Übersicht. In: Hippokrates 49/1978, S. 3-21</ref> Der Chirurg Matthias Schweiger<ref>Schweiger M. (2005): Medizin. Glaube, Spekulation oder Naturwissenschaft? Gibt es zur Schulmedizin eine Alternative? W. Zuckerschwerdt Verlag, München</ref> und Merrijoy Kelner<ref>Kelner M: Unkonventionelle Therapien von heute. C. H. Beck Verlag, München / KELNER M./WELLMAN B. (2000): Complementary and Alternative Medicine: Challenge and Change. Laylor & Francis Ltd.</ref> sind der Meinung, dass 80% aller Krankheiten ohne jegliche medizinische Hilfe wieder verschwinden (dies trifft allerdings auf chronische Krankheiten nicht zu). Hinzu kommt die Tatsache, dass im menschlichen Körper eine ständige Erneuerung von Körperzellen abläuft. Etwa alle fünf Wochen erneuern sich die Magenwände, alle sechs Wochen werden die Leberzellen ausgetauscht und etwa alle drei Monate erneuern sich die Hautzellen.<ref>Platsch K.D. (2007): Was heilt. Vom Menschsein in der Medizin. Theseus Verlag, Stuttgart</ref>
*Bei einigen so genannten ''Heilungen'' lag zu Beginn überhaupt kein behandlungsbedürftiger Zustand vor. Häufig werden Heilungen berichtet, ohne dass sicher bekannt, ist ob überhaupt eine Krankheit durch einen Arzt festgestellt wurde.  
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*Aber auch bei einem nachgewiesenen Zusammenhang von effektiver Therapie und Heilungsverlauf bei bekanntem Wirkmechanismus bleibt der Satz problematisch, da oftmals verschiedene konkurrierende effektive Therapien für ein und dasselbe Problem zur Verfügung stehen, aber nicht alle Anwender dann unbedingt Recht haben müssen, weil gravierende Nachteile nicht berücksichtigt werden. Beispielsweise können zwei Mittel gleichwertig wirksam sein, aber ein Mittel belastet durch einen hohen Preis unnötigerweise das jeweilige Gesundheitssystem und macht so den Anwender zu einem Nicht-Rechthaber. Das gleiche gilt für gleichwertige Mittel mit unterschiedlichen Nebenwirkungen oder ökologischen Auswirkungen. In anderen Fällen kann derjenige Recht haben, der durch eine präventive Maßnahme (etwa Impfung oder Hygiene) eine Erkrankung verhindert und nicht derjenige, der eine effektive Prävention ablehnt und stattdessen auf eine eigene (auch möglicherweise effektive) Therapie verweist.
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In beiden Fällen zeigt sich ein rein zeitliches Zusammentreffen zwischen Eingriff und Resultat, was wissenschaftlich nie einen beweisenden Charakter hat. Die möglichen Fälle einer Verschlechterung oder des Versagens einer bestimmten Therapie können elegant im Sinne eines [[Publication Bias]] verschwiegen werden. Beispielsweise kann ein bestimmtes Verfahren bei einem von tausend Patienten zufällig wirksam erscheinen, bei 999&nbsp;anderen aber nicht. Selbst in diesem konstruierten Fall erschiene der Satz ''Wer heilt hat Recht'' plausibel.
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===Der Begriff "heilen" ist oft unangemessen===
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Bei manchen Therapien steht eine rein symptomatische Linderung oder eine Verkürzung der Erkrankungsdauer im Vordergrund und von einer Heilung kann nicht gesprochen werden, auch wenn z.B. die Linderung von Schmerzen dabei vom Patienten als wichtig empfunden wird. Der Begriff der Heilung &ndash; im Sinne einer Rückführung zum Zustand vor Beginn der Erkrankung (medizinlateinisch hochtrabend ''restitutio ad integrum'' genannt) &ndash; ist bei banalen Erkrankungen zwar die Regel, bei schweren chronischen Krankheiten aber meist eine Utopie. Hier kann der Erhalt des aktuellen Gesundheitszustandes und das Verhindern von Folgen bereits das Ziel sein (Beispiel Zuckerkrankheit) und nicht eine realitätsferne Heilung. Der sehr anspruchsvolle Begriff der Heilung ist daher bei vielen Vertretern der wissenschaftlichen, evidenzbasierten Medizin verpönt und wird zurückhaltend benutzt.
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===Zyklischer Verlauf von Krankheiten===
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Viele Krankheiten nehmen einen zyklischen Verlauf oder können in Schüben verlaufen. Das Ende eines Schubs oder symptomatischen Abschnitts bedeutet dann nicht Heilung, sondern den Beginn eines symptomlosen Intervalls. Das heißt, dass endgültige Aussagen über eine Heilung oft erst nach einer längeren Beobachtungszeit getroffen werden können. Bei Krebserkrankungen beispielsweise beträgt dieser Zeitraum mehrere Jahre (in der Regel mindestens fünf Jahre, bei Brustkrebs mindestens zehn). Aussagen über die Wirksamkeit einer Therapie oder eines Mittels für ein Kollektiv können nur in kontrollierten prospektiven und verblindeten Studien bei randomisierten Patientenkollektiven getroffen werden.
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===Lag überhaupt ein behandlungsbedürftiger Zustand vor?===
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Bei einigen behaupteten Heilungen lag zu Beginn überhaupt kein behandlungsbedürftiger Zustand vor. Häufig werden Heilungen berichtet, ohne dass sicher bekannt ist, ob überhaupt eine Krankheit durch einen Arzt festgestellt wurde.
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===Die Problematik konkurrierender Therapien===
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Auch bei einem nachgewiesenen Zusammenhang von effektiver Therapie und Heilungsverlauf bei bekanntem Wirkmechanismus bleibt der Satz problematisch, da oftmals verschiedene effektive Therapien für ein und dasselbe Problem zur Verfügung stehen, aber nicht alle Anwender dann unbedingt Recht haben müssen, weil Nachteile nicht berücksichtigt werden. Beispielsweise können zwei Mittel gleichwertig wirksam sein, aber ein Mittel belastet durch einen hohen Preis stärker das Gesundheitssystem und macht so den Anwender zu einem Nicht-Rechthaber. Ähnliches gilt für gleichwertige Mittel mit unterschiedlichen Nebenwirkungen oder ökologischen Auswirkungen. In anderen Fällen kann derjenige Recht haben, der durch eine präventive Maßnahme wie Impfung oder Hygiene eine Erkrankung verhindert und nicht derjenige, der eine Prävention ablehnt und stattdessen auf eine (möglicherweise ebenfalls wirksame) Therapie verweist.
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Es wäre zwar kein einfacher Merkspruch mehr, aber korrekter müsste formuliert werden: "Wer heilt, hat recht, wenn er einen kausalen Zusammenhang zwischen der postulierten Ursache und der zu belegenden Heilung nachweist, es sei denn, es existiert etwas für den Patienten Verträglicheres und genauso Effektives". Sonst könnte die Behauptung "weil ich frühmorgens rechtzeitig und intensiv meditiere, geht die Sonne auf" allein dadurch als bewiesen gelten (=&nbsp;"hat Recht"), dass die Sonne tatsächlich täglich aufgeht bzw. sich die Erde ein wenig weiterdreht.
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==Zitate==
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*''Wer heilt, hat recht: wer nachweisen kann, dass er ursächlich für die Heilung verantwortlich war, hat recht. Homöopathie kann das nicht.''(Natalie Grams, twitter Dezember 2018<ref>https://twitter.com/NatalieGrams/status/1070574729986273282</ref>)
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==Literatur==
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*Edzard Ernst: Wer heilt, hat nicht immer recht. Wiener klinische Wochenschrift. März 2009, Volume 121, Issue 5-6, pp 223-224
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*Michael Shermer, Lee Traynor: Heilungsversprechen. Alternativmedizin zwischen Versuch und Irrtum. Skeptisches Jahrbuch III, Alibri Verlag, 2004
  
 
==Weblinks==
 
==Weblinks==
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*https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2016/06/07/hat-recht-wer-heilt
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*https://netzwerk-homoeopathie.info/faq-07/
 
*http://www.confessio.de/cms/website.php?id=/religionheute/esoterik/allgemeines/wer_heilt_hat_recht.html
 
*http://www.confessio.de/cms/website.php?id=/religionheute/esoterik/allgemeines/wer_heilt_hat_recht.html
 
*http://www.confessio.de/cms/website.php?id=/religionheute/esoterik/alternativtherapie/wirkung.html
 
*http://www.confessio.de/cms/website.php?id=/religionheute/esoterik/alternativtherapie/wirkung.html
 
*http://www.gwup.org/infos/themen-nach-gebiet/77-komplementaer-und-alternativmedizin-cam/333-homeopathie-erfolge-nur-placeboeffekt
 
*http://www.gwup.org/infos/themen-nach-gebiet/77-komplementaer-und-alternativmedizin-cam/333-homeopathie-erfolge-nur-placeboeffekt
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*http://blog.gwup.net/2010/08/31/wer-heilt-hat-recht/
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==Quellennachweise==
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<references/>
  
 
[[category:Pseudomedizin]]
 
[[category:Pseudomedizin]]

Version vom 12. Oktober 2019, 21:16 Uhr

Wer heilt hat Recht ist ein geflügeltes Wort und eine Plattitüde aus der Alternativmedizin und stets zur Hand, wenn für eine bestimmte Therapie ein Wirksamkeitsnachweis nicht plausibel belegt werden kann, so dass die Befürworter auf Anekdoten zurückgreifen müssen. Kurz zusammengefasst soll der Satz aussagen, dass die reine Beobachtung einer Genesung (möglicherweise nur bei einer einzigen Person) die Schlussfolgerung erlaube, dass ein dabei angewendetes Heilverfahren wirksam sei.

Der Satz soll auf Samuel Hahnemann zurückgehen, der damit der Kritik an seiner Methode mit einem Schlagwort begegnen wollte. Die Befürworter der pseudomedizinischen Synergetik-Therapie von Bernd Joschko haben dementsprechend die Internetdomäne wer-heilt-hat-recht.de in Beschlag genommen.

Kritik

Der primitive, gleichzeitig aber so einleuchtend erscheinende Satz hat bei näherer und sozusagen "ganzheitlicher" Betrachtung mehrere Haken, die ihn als reine Propagandaäußerung entlarven. Zum Beispiel können "Heiler" auch bei eingetretener Gesundung Unrecht haben. Der in England tätige Mediziner Edzard Ernst kommt daher zu dem Schluss: "Wer heilt, hat nicht immer recht."[1]

Ursachen für Heilungsprozesse werden nicht beachtet

Der Satz lässt mögliche tatsächliche Ursachen für einen Heilungsprozess völlig unbeachtet. Geschätzte 70% bis 80% aller gesundheitlichen Störungen, Malaisen und handfesten Erkrankungen bilden sich bekanntlich spontan zurück, also unabhängig von einer tatsächlich effektiven Therapie oder einem pseudomedizinischen und völlig unwirksamen Eingriff oder einem hoffnungsvollen "Zuwarten". Der Autor Rothschuh ist der Meinung, dass die überwiegende Zahl von Erkrankungen spontan abheile, und zwar völlig unabhängig davon, ob eine medizinische Therapie durchgeführt werde oder nicht.[2] Der Chirurg Matthias Schweiger[3] und Merrijoy Kelner[4] sind der Meinung, dass 80% aller Krankheiten ohne jegliche medizinische Hilfe wieder verschwinden (dies trifft allerdings auf chronische Krankheiten nicht zu). Hinzu kommt die Tatsache, dass im menschlichen Körper eine ständige Erneuerung von Körperzellen abläuft. Etwa alle fünf Wochen erneuern sich die Magenwände, alle sechs Wochen werden die Leberzellen ausgetauscht und etwa alle drei Monate erneuern sich die Hautzellen.[5]

In beiden Fällen zeigt sich ein rein zeitliches Zusammentreffen zwischen Eingriff und Resultat, was wissenschaftlich nie einen beweisenden Charakter hat. Die möglichen Fälle einer Verschlechterung oder des Versagens einer bestimmten Therapie können elegant im Sinne eines Publication Bias verschwiegen werden. Beispielsweise kann ein bestimmtes Verfahren bei einem von tausend Patienten zufällig wirksam erscheinen, bei 999 anderen aber nicht. Selbst in diesem konstruierten Fall erschiene der Satz Wer heilt hat Recht plausibel.

Der Begriff "heilen" ist oft unangemessen

Bei manchen Therapien steht eine rein symptomatische Linderung oder eine Verkürzung der Erkrankungsdauer im Vordergrund und von einer Heilung kann nicht gesprochen werden, auch wenn z.B. die Linderung von Schmerzen dabei vom Patienten als wichtig empfunden wird. Der Begriff der Heilung – im Sinne einer Rückführung zum Zustand vor Beginn der Erkrankung (medizinlateinisch hochtrabend restitutio ad integrum genannt) – ist bei banalen Erkrankungen zwar die Regel, bei schweren chronischen Krankheiten aber meist eine Utopie. Hier kann der Erhalt des aktuellen Gesundheitszustandes und das Verhindern von Folgen bereits das Ziel sein (Beispiel Zuckerkrankheit) und nicht eine realitätsferne Heilung. Der sehr anspruchsvolle Begriff der Heilung ist daher bei vielen Vertretern der wissenschaftlichen, evidenzbasierten Medizin verpönt und wird zurückhaltend benutzt.

Zyklischer Verlauf von Krankheiten

Viele Krankheiten nehmen einen zyklischen Verlauf oder können in Schüben verlaufen. Das Ende eines Schubs oder symptomatischen Abschnitts bedeutet dann nicht Heilung, sondern den Beginn eines symptomlosen Intervalls. Das heißt, dass endgültige Aussagen über eine Heilung oft erst nach einer längeren Beobachtungszeit getroffen werden können. Bei Krebserkrankungen beispielsweise beträgt dieser Zeitraum mehrere Jahre (in der Regel mindestens fünf Jahre, bei Brustkrebs mindestens zehn). Aussagen über die Wirksamkeit einer Therapie oder eines Mittels für ein Kollektiv können nur in kontrollierten prospektiven und verblindeten Studien bei randomisierten Patientenkollektiven getroffen werden.

Lag überhaupt ein behandlungsbedürftiger Zustand vor?

Bei einigen behaupteten Heilungen lag zu Beginn überhaupt kein behandlungsbedürftiger Zustand vor. Häufig werden Heilungen berichtet, ohne dass sicher bekannt ist, ob überhaupt eine Krankheit durch einen Arzt festgestellt wurde.

Die Problematik konkurrierender Therapien

Auch bei einem nachgewiesenen Zusammenhang von effektiver Therapie und Heilungsverlauf bei bekanntem Wirkmechanismus bleibt der Satz problematisch, da oftmals verschiedene effektive Therapien für ein und dasselbe Problem zur Verfügung stehen, aber nicht alle Anwender dann unbedingt Recht haben müssen, weil Nachteile nicht berücksichtigt werden. Beispielsweise können zwei Mittel gleichwertig wirksam sein, aber ein Mittel belastet durch einen hohen Preis stärker das Gesundheitssystem und macht so den Anwender zu einem Nicht-Rechthaber. Ähnliches gilt für gleichwertige Mittel mit unterschiedlichen Nebenwirkungen oder ökologischen Auswirkungen. In anderen Fällen kann derjenige Recht haben, der durch eine präventive Maßnahme wie Impfung oder Hygiene eine Erkrankung verhindert und nicht derjenige, der eine Prävention ablehnt und stattdessen auf eine (möglicherweise ebenfalls wirksame) Therapie verweist.

Es wäre zwar kein einfacher Merkspruch mehr, aber korrekter müsste formuliert werden: "Wer heilt, hat recht, wenn er einen kausalen Zusammenhang zwischen der postulierten Ursache und der zu belegenden Heilung nachweist, es sei denn, es existiert etwas für den Patienten Verträglicheres und genauso Effektives". Sonst könnte die Behauptung "weil ich frühmorgens rechtzeitig und intensiv meditiere, geht die Sonne auf" allein dadurch als bewiesen gelten (= "hat Recht"), dass die Sonne tatsächlich täglich aufgeht bzw. sich die Erde ein wenig weiterdreht.

Zitate

  • Wer heilt, hat recht: wer nachweisen kann, dass er ursächlich für die Heilung verantwortlich war, hat recht. Homöopathie kann das nicht.(Natalie Grams, twitter Dezember 2018[6])

Literatur

  • Edzard Ernst: Wer heilt, hat nicht immer recht. Wiener klinische Wochenschrift. März 2009, Volume 121, Issue 5-6, pp 223-224
  • Michael Shermer, Lee Traynor: Heilungsversprechen. Alternativmedizin zwischen Versuch und Irrtum. Skeptisches Jahrbuch III, Alibri Verlag, 2004

Weblinks

Quellennachweise

  1. Ernst E: Wer heilt, hat nicht immer recht. Wien Klin Wochenschrift 2009, 121
  2. Rothschuh KE (1978): Iatrologie. Zum Stand der klinisch-theoretischen Grundlagendiskussion. Eine Übersicht. In: Hippokrates 49/1978, S. 3-21
  3. Schweiger M. (2005): Medizin. Glaube, Spekulation oder Naturwissenschaft? Gibt es zur Schulmedizin eine Alternative? W. Zuckerschwerdt Verlag, München
  4. Kelner M: Unkonventionelle Therapien von heute. C. H. Beck Verlag, München / KELNER M./WELLMAN B. (2000): Complementary and Alternative Medicine: Challenge and Change. Laylor & Francis Ltd.
  5. Platsch K.D. (2007): Was heilt. Vom Menschsein in der Medizin. Theseus Verlag, Stuttgart
  6. https://twitter.com/NatalieGrams/status/1070574729986273282