Tübinger Krankheit: Unterschied zwischen den Versionen

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==Beginn und Ende der Endemie==
 
==Beginn und Ende der Endemie==
Auslöser der Krankheit war aus heutiger Sicht eine einzelne Tübinger Ärztin, die im Frühjahr 1986 eine Reihe Krankheitssymptome an sich verspürte. Dazu gehörten entzündliche Reaktionen der Atemwege. Eine Untersuchung in einer Tübinger Klinik schloss eine virale oder bakterielle Ursache mit großer Wahrscheinlichkeit aus. Auch konnten keine Allergene erkannt werden.  
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Auslöser der Krankheit war aus heutiger Sicht eine Tübinger Ärztin, die im Frühjahr 1986 eine Reihe Krankheitssymptome an sich verspürte, u.a. entzündliche Reaktionen der Atemwege. Eine Untersuchung in einer Tübinger Klinik schloss eine virale oder bakterielle Ursache mit großer Wahrscheinlichkeit aus. Auch konnten keine Allergene erkannt werden.  
  
In der Folge stellte diese Ärztin ihre eigenen Symptome auch bei ihren eigenen Patienten fest und kam dann zum Schluss, dass unbekannte Insektizide die Erkrankung hervorriefen. Die Ärztin wohnte nämlich am Rande von landwirtschaftlich bebauten Flächen, welche mit Pflanzenschutzmitteln besprüht werden. Nachdem die Ärztin im Juli 1987 das zuständige Gesundheitsamt informiert hatte, beschäftigten die Medien sich mit dieser unbekannten Erkrankung. Ein ausführlicher Bericht erschien im Juli 1987 in der Zeitschrift Öko-Test. Die Überschrift lautete spekulativ "66 Pestizid-Vergiftungsfälle im Tübinger Raum — 64 Patienten leben noch", obwohl kein Nachweis einer Vergiftung vorlag und eine solche auch später nicht nachgewiesen werden konnte. Öko-Test schaltete daraufhin die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts auf fahrlässige Tötung und Körperverletzung ein. Die lokale Presse warnte die Tübinger Bevölkerung und berichtete laufend und ausführlich über die weiteren Erkrankungsfälle, die sich mehrten. Am 24. Juli 1987 erschien die Bildzeitung mit der Schlagzeile: "Tübingen-Felder gespritzt — Frau tot — 30 vergiftet". Vom örtlichen Gesundheitsamt bis zum Minister wurden alle zuständigen Behörden zur Aufklärung der mysteriösen Erkrankungsfälle eingeschaltet. Der Landtag beschäftigte sich nach zwei dringenden Anfragen mit der Endemie. Auf Veranlassung verschiedener Landesbehörden untersuchten einige Institute Blut und Urin der Betroffenen und nahmen aufwendige Analysen der vermuteten Schadstoffe in Bodenproben ohne Ergebnis vor.  
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In der Folge stellte diese Ärztin die an sich selbst beobachteten Symptome auch bei ihren Patienten fest und kam zu dem Schluss, dass unbekannte Insektizide die Erkrankung hervorriefen. Die Ärztin wohnte nämlich am Rande von landwirtschaftlich bebauten Flächen, die mit Pflanzenschutzmitteln besprüht werden. Nachdem die Ärztin im Juli 1987 das zuständige Gesundheitsamt informiert hatte, beschäftigten die Medien sich mit dieser unbekannten Erkrankung. Ein ausführlicher Bericht erschien im Juli 1987 in der Zeitschrift Öko-Test. Die Überschrift lautete spekulativ "66 Pestizid-Vergiftungsfälle im Tübinger Raum — 64 Patienten leben noch", obwohl kein Nachweis einer Vergiftung vorlag und eine solche auch später nicht nachgewiesen werden konnte. Öko-Test schaltete daraufhin die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts auf fahrlässige Tötung und Körperverletzung ein. Die lokale Presse warnte die Tübinger Bevölkerung und berichtete laufend und ausführlich über die sich mehrenden Erkrankungsfälle. Am 24. Juli 1987 erschien die Bildzeitung mit der Schlagzeile: "Tübingen-Felder gespritzt — Frau tot — 30 vergiftet". Vom örtlichen Gesundheitsamt bis zum Minister wurden alle zuständigen Behörden zur Aufklärung der mysteriösen Erkrankungsfälle eingeschaltet. Der Landtag beschäftigte sich nach zwei dringenden Anfragen mit der Endemie. Auf Veranlassung verschiedener Landesbehörden untersuchten einige Institute Blut und Urin der Betroffenen und nahmen aufwendige Analysen von Bodenproben vor. Als Ursachen wurden Schadstoffe vermutet; die Proben erwiesen sich jedoch als unbedenklich.  
  
 
In einem Abschlussbericht an das Sozialministerium des Landes Baden-Württemberg vom 20. Februar 1989 äußerte sich ein sachverständiger Toxikologe wie folgt:  
 
In einem Abschlussbericht an das Sozialministerium des Landes Baden-Württemberg vom 20. Februar 1989 äußerte sich ein sachverständiger Toxikologe wie folgt:  

Version vom 10. Januar 2018, 19:22 Uhr

Die Tübinger Krankheit war eine mysteriöse Krankheit, die in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts ab Frühjahr 1986 zahlreiche Tübinger Einwohner dazu bewog, sich in ärztliche Behandlung zu begeben und in der Tübinger Umgebung endemische Ausmaße annahm.

Der 2003 verstorbene, habilitierte Toxikologe Herbert Remmer aus Freiburg hatte 1994 im Deutschen Ärzteblatt den Verlauf der Endemie ausführlich beschrieben sich mit einer möglichen Therapie bei vergleichbaren Fällen befasst.[1] Remmers Schilderungen des Verlaufs wurden im folgenden Kapitel dieses Artikels weitgehend unverändert übernommen.

Beginn und Ende der Endemie

Auslöser der Krankheit war aus heutiger Sicht eine Tübinger Ärztin, die im Frühjahr 1986 eine Reihe Krankheitssymptome an sich verspürte, u.a. entzündliche Reaktionen der Atemwege. Eine Untersuchung in einer Tübinger Klinik schloss eine virale oder bakterielle Ursache mit großer Wahrscheinlichkeit aus. Auch konnten keine Allergene erkannt werden.

In der Folge stellte diese Ärztin die an sich selbst beobachteten Symptome auch bei ihren Patienten fest und kam zu dem Schluss, dass unbekannte Insektizide die Erkrankung hervorriefen. Die Ärztin wohnte nämlich am Rande von landwirtschaftlich bebauten Flächen, die mit Pflanzenschutzmitteln besprüht werden. Nachdem die Ärztin im Juli 1987 das zuständige Gesundheitsamt informiert hatte, beschäftigten die Medien sich mit dieser unbekannten Erkrankung. Ein ausführlicher Bericht erschien im Juli 1987 in der Zeitschrift Öko-Test. Die Überschrift lautete spekulativ "66 Pestizid-Vergiftungsfälle im Tübinger Raum — 64 Patienten leben noch", obwohl kein Nachweis einer Vergiftung vorlag und eine solche auch später nicht nachgewiesen werden konnte. Öko-Test schaltete daraufhin die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts auf fahrlässige Tötung und Körperverletzung ein. Die lokale Presse warnte die Tübinger Bevölkerung und berichtete laufend und ausführlich über die sich mehrenden Erkrankungsfälle. Am 24. Juli 1987 erschien die Bildzeitung mit der Schlagzeile: "Tübingen-Felder gespritzt — Frau tot — 30 vergiftet". Vom örtlichen Gesundheitsamt bis zum Minister wurden alle zuständigen Behörden zur Aufklärung der mysteriösen Erkrankungsfälle eingeschaltet. Der Landtag beschäftigte sich nach zwei dringenden Anfragen mit der Endemie. Auf Veranlassung verschiedener Landesbehörden untersuchten einige Institute Blut und Urin der Betroffenen und nahmen aufwendige Analysen von Bodenproben vor. Als Ursachen wurden Schadstoffe vermutet; die Proben erwiesen sich jedoch als unbedenklich.

In einem Abschlussbericht an das Sozialministerium des Landes Baden-Württemberg vom 20. Februar 1989 äußerte sich ein sachverständiger Toxikologe wie folgt:

"Seit vier Jahren werden im ländlichen Raum von Tübingen Erkrankungen beobachtet, die sich in einer Reihe von mehr oder weniger charakteristischen Symptomen äußern und sich schwer in ein einheitliches diagnostisches Bild einordnen lassen. Die Zahl der Erkrankungen hat nach Einschätzung einer Ärztin zugenommen und mittlerweile bis Anfang Februar 1989 150 Personen erfasst. Die bisher vorliegenden widersprüchlichen Ergebnisse zum Nachweis von Fenamifos und/oder seiner Abbauprodukte in Boden- und Serumproben führen zu der Schlußfolgerung, daß Fenamifos als Ursache für die in Tübingen beobachteten Erkrankungen auszuschließen ist."

Die Untersuchung auf das Pflanzenschutzmittel und Nematizid (Antiwurmmittel gegen Fadenwürmer) Fenamiphos erfolgte, weil es von örtlichen Landwirten zur Nematodenbekämpfung (Fadenwürmer) verwendet wurde. In keiner von 61 untersuchten Blutproben wurde eine außerhalb der Norm liegende Aktivität für Fenamiphos gefunden. Die Tübinger Erkrankten wurden vom Gesundheitsamt mit einem Fragebogen befragt. Sie äußerten Beschwerden, die den Symptomen der Multiple Chemical Sensitivity-Krankheit gleichen.

Die Zahl der Betroffenen stieg weiter an und erreichte ihren Höhepunkt, als die Fernsehsendung „Report" (Moderator: Franz Alt) der ARD am 26. April 1988 über die Tübinger Endemie sensationsheischend mit der Vorstellung von Erkrankten berichtete.

Als die erstbetroffene Ärztin ihre Praxis aufgab und von Tübingen verzog, wurden nach Auskunft des Gesundheitsamtes keine neuen Fälle mehr bekannt.

Der Toxikologe Remmer führt im Nachhinein die "Tübinger Krankheit" auf mehrere Faktoren zurück. Er nennt die ersterkrankte Ärztin, eine Chemophobie in der Bevölkerung und betont die entscheidende Rolle der Medien, die über die Endemie berichteten. Wörtlich schreibt Remmer:

"Die Behandlung dieser Patienten ist für den Arzt ein hoffnungsloses Unterfangen, solange eine gewisse Sensationspresse und tendenziöse Fernsehsendungen nicht bereit sind, ihren unheilvollen, auf Sensation bedachten Einfluß aufzugeben und sich einer sachgerechten Aufklärung verpflichten, wie es einem verantwortungsbewußten journalistischen Ethos entspricht. Den angstverbreitenden Medien zuzurechnen sind gewissenlose Ärzte, Biologen, Chemiker und Toxikologen, die, um sich zu profilieren, das zu verkaufen suchen, was die tief sitzenden Ängste der heutigen Menschen zu bestätigen scheint."
Ausbreitungsgebiet der Belgischen Coca-Cola-Krankheit 1999
Zeitlicher Verlauf der Belgischen Coca-Cola-Krankheit 1999

Belgische Coca-Cola-Krankheit

Am 26. Juni 1999 wurden 30 Kinder einer belgischen Schulklasse in der Stadt Bornem, die Coca-Cola getrunken hatten, von Übelkeit, Kopfschmerzen, Herzklopfen und Erschöpfung befallen. Sie wurden in ein Krankenhaus gebracht und gründlich untersucht. Weder die klinische Untersuchung noch die Laborwerte ergaben ungewöhnliche Befunde. Nach kurzer Beobachtungszeit konnten alle Kinder wieder die Klinik verlassen. Die Medien berichteten in sensationeller Form über den Vorfall. Daraufhin schien die Krankheit sich in ganz Belgien auszubreiten, von unterschiedlichen Schulen wurden ähnliche Symptome bei den Schulkindern berichtet. In Belgien, Frankreich und den Niederlanden nahm Coca-Cola 14 Millionen Getränkekisten aus dem Handel, der Inhalt wurde in der Kanalisation entsorgt. Im Endergebnis wurde der Vorfall auf Ängste in der Bevölkerung nach dem Dioxin-Skandal und der damals kursierenden BSE-Erkrankung zurückgeführt. Vier Wochen zuvor hatten zudem vier Menschen in der Nähe von Antwerpen über Unwohlsein nach Coca-Cola-Konsum in einer Bar geklagt. Man sprach daher auch von einer "mass sociogenic illness" (MSI).[2][3]

Siehe auch

Literatur

Weblinks

Quellennachweise

  1. Herbert Remmer: Die Umwelt als Ursache von Erkrankungen, Deutsches Ärzteblatt, 91, Heft 27, 8. Juli 1994
  2. Nemery B, Fischler B, Boogaerts M, Lison D, Willems J. The Coca-Cola incident in Belgium, June 1999. Food Chem Toxicol. 2002 Nov;40(11):1657-67.
  3. Gallay A, Van Loock F, Demarest S, Van der Heyden J, Jans B, Van Oyen H. Belgian coca-cola-related outbreak: intoxication, mass sociogenic illness, or both? Am J Epidemiol. 2002 Jan 15;155(2):140-7. PMID: 11790677