Spirulina

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Spirulina Produkt

Spirulina-Produkte sind Nahrungsergänzungsmittel und werden aus der Cyanobakterie (Blaualge) Spirulina platensis gewonnen. Es handelt sich dabei rechtlich gesehen um Lebensmittel, die dem LFGB-Gesetz unterliegen.

Systematik

Bei Spirulina platensis-Produkten (landläufig als Spirulina-Algen beworben; lat. Arthrospira platensis) handelt es sich analog zu den Afa-Algen um Cyanobakterien (Eubakterien). Wie andere so genannte "Mikroalgen" zeichnen sich diese Bakterien dadurch aus, dass sie lange Ketten bilden können und auf diese Weise eine den Algenpflanzen ähnliche Struktur zeigen.

Einsatzgebiete

Die Spirulina-Produkte werden zur Vorbeugung und Behandlung von Fibromyalgie, erhöhter Blutfettwerte, Krebsvorbeugung, gegen HIV- und Herpes-Infektion, geschwächter Immunabwehr, Allergien, Leberschäden und auch zur Gewichtsreduktion beworben. Klinische Studien, die die Wirksamkeit beweisen, liegen für die beworbenen Indikationen liegen nicht bzw. für den Menschen nicht vor. Die in den Produkten enthaltenen Vitamine (Vitamin B12, Betakarotine) sind in einer Form vorhanden, die beim Menschen keinerlei Effekt ausüben oder die Serumspiegel dieser Vitamine nicht verändern.

Vermarktung

Im Internet und im Strukturvertrieb, aber auch über Apotheken können die Mittel bezogen werden. Es kam bereits zu Verurteilungen von Spirulina-Anbietern auf Grund unlauterer Werbung.

Zucht- und Ernte von Spirulina

Spirulina platensis

Spirulina kommt in stark alkalischen Salzseen (pH-Wert zwischen 9 und 11) vor und besiedelt flache, subtropische bis tropische Gewässer mit hohem Salzgehalt, vor allem in Mittelamerika, Südostasien, Afrika und Australien.

Spirulina wird heute in Aquakulturen bei einer Wassertemperatur von bis zu 35° Celsius produziert. Zur Ernte pumpt man das Wasser mit den Mikroorganismen durch einen Filter oder eine Zentrifuge und trocknet den so gewonnenen Schlamm anschließend mit Heißluft.

Da sich die einzelnen pflanzenartig wachsenden Bakterienstränge zusammenballen und schnell wachsend sind, kann man sie leicht ernten. Bereits die spanischen Conqistadoren sollen berichtet haben, dass die Azteken Spirulina als Nahrungsgrundlage verwendeten. Gesichert ist, dass das Volk der Kanembu Spirulina aus dem Tschad-See geerntet hat. Diese Nahrungsquelle diente offensichtlich in allen genannten Kulturen dem Zweck der Nahrungsmittelversorgung in Notfällen oder als Beimischung zur Normalkost.

Spirulina wächst nur unter warmen Umweltbedingungen. Oberhalb und unterhalb des 35. Breitengrades nördlich bzw. südlich des Äquators findet man Spirulina nur in Form von Nahrungssupplementen in Lebensmittelläden oder in thermisch regulierten Zuchtbecken.

In der intensiven Landwirtschaft gilt Spirulina als hochwertiger Proteinlieferant für die Aufzucht von Hühnern[1] und Karpfen[2] in Indien. In dieser Region dient Spirulina platensis also als billige Proteinquelle zur Tierzucht, um teure pflanzliche Proteinquellen zu ersetzen. Spirulina ist auch Bestandteil vieler Fischfutter und einiger Katzenfuttermittel.

Inhaltsstoffe und empfohlene Verzehrmenge

Spirulina platensis wird heute in der Regel industriell hergestellt, um auf dem Gesundheitsmarkt angeboten zu werden. Während man in Afrika, Asien und Südamerika die Produktion in kleinen Mengen dezentral bewerkstelligt, wird z.B. in den USA der Weg beschritten, Spirulina-Stämme zu isolieren und als Reinzucht in isolierten Tanks zu vermehren.

Die Endprodukte zeichnen sich unstrittig durch einen vergleichsweise hohen Gehalt an B-Vitaminen, Betakarotin, Mineralien (Kalzium, Eisen, Magnesium, Natrium, Zink) sowie Gammalinolensäure aus. Bis zu 70% der Trockenmasse besteht aus Protein,[3] 10–19% Kohlenhydrate, 7–15% Fette und 5–9% Mineralstoffe.[4]

Der Gehalt der Substanzen in Spirulina platensis bedeutet aber nicht, dass jene auch vollumfänglich in den menschlichen Organismus aufgenommen werden. So zeigte die Untersuchung von Dagnelie et al.[5], dass das Vitamin B12 von Spirulina in einer Form vorliegt, die offensichtlich im Menschen nicht bioverfügbar ist. Dagnelie et al. (1991) stellten bei einem Kind mit Vitamin B12-Defizit fest, dass zwar die Serumspiegel nach Zufuhr von Spirulina anstiegen, sich der Zustand der megaloblastären Anämie (mit vergrößertem mittleren Zellvolumen MCV) aber verschlechterte, was auf eine Unwirksamkeit der Zubereitung schließen lässt. Im Gegensatz dazu verbesserte (normalisierte) sich das MCV nach Umstellung auf fischreiche Kost. Nach Ansicht dieser Autoren ist es nicht gerechtfertigt, Algen oder andere Pflanzenprodukte als sichere Vitamin B12-Quelle zu bezeichnen, da die tatsächliche Bioverfügbarkeit von Vitamin B12 aus diesen Ressourcen fraglich ist.

Aktuelle Studien wie Pugh et al. (2001) deuten darauf hin, dass in Spirulina platensis -, Aphanizomenon flos aquae- und Chlorella pyrenoidosa-Zubereitungen im Zellkulturversuch immunmodulatorisch wirksame hochmolekulare Polysaccharide in einem Anteil von 0,5-2% enthalten sind.[6] Diese führen in Zellkultur-Prüfmodellen zu einer Aktivierung menschlicher weißer Blutkörperchen (Monozyten, Makrophagen), die für die Immunabwehr zuständig sind. Daraus aber eine heilsame Wirkung beim Menschen abzuleiten, ist falsch. Verschiedene als Antigene wirkende Substanzen (bis hin zu reinem Wasser), können je nach Versuchsaufbau eine Aktivitätserhöhung bestimmter Zellfraktionen auslösen, weil eine Änderung der Laborbedingungen immer einen Einfluss auf die kultivierten Zellen ausübt. Selbst wenn im Serum des Menschen ein analoger Effekt zu erzielen wäre, würde dies lediglich bedeuten, dass die Zufuhr dieser Polysaccharide (deren Aufnahme aus dem Darm in das Serum bis heute nicht nachgewiesen wurde) wie eine Antigenzufuhr wirkt. Ein gesundheitlicher Nutzen entsteht dadurch nicht zwangsläufig.

Allerdings existiert bis heute keine einzige klinische Studie, die glaubhaft und seriös einen gesundheitlichen Vorteil der dauerhaften Einnahme von Spirulinaprodukten bei den behaupteten Indikationen nachgewies.

Die üblicherweise empfohlene Verzehrmenge von Spirulina variiert. In Deutschland werden diverse Produkte mit folgenden Verzehrmengen angeboten: Aquaflor Spirulina Pulver (1,5-2 g/d), Bluegreen Spirulina Plus (1,6 g/d), WHC Spirulina (2,4 g/d). Vor allem in einschlägigen werbenden Artikeln aus dem Esoterik-Bereich, die oftmals in Zusammenhang mit der Schaltung von Anzeigen der Algenanbieter auffallen, werden auch Verzehrempfehlungen bis zu 10 Gramm/d und mehr gegeben. Die maximale Obergrenze wird derzeit bei 50 Gramm pro Tag angesetzt.

Medizinische Wirksamkeit bis heute unklar

Die Behauptung, Extrakte von Spirulina platensis seien gegen HIV/AIDS wirksam, ist bis heute unbewiesen. Es liegen nur wenige Laborstudien wie Ayehunie et al. (1998) vor, die zeigen, dass im Zellkulturversuch die HIV-1 Vermehrung in menschlichen T-Zell-Linien durch einen wässrigen Auszug von Spirulina (Arthrospira) platensis in Konzentrationen von 0,2-1,2 Mikrogramm Extrakt pro ml Zellsuspension um etwa 50% hemmen kann. Bis heute gibt es jedoch keine Studie und nicht einmal eine glaubwürdige Fallbeschreibung dazu, dass dieser Effekt bei HIV-Infizierten ebenso eintritt. Dies wäre leicht zu bewerkstelligen, wenn man den Betroffenen neben ihrer normalen antiviralen Therapie einfach Spirulina-Tabletten verabreichte und regelmäßig die Virenlast im Serum misst. Bliebe sie im Vergleich zu einer konventionell behandelten Gruppe dauerhaft unverändert, wäre dies als Erfolg zu werten, denn bis heute gibt es kein die Virenreplikation tatsächlich dauerhaft beendendes Mittel. Die Überlebenszeit von HIV-Infizierten, die sich zusätzlich mit Spirulina versorgen, wurde bis heute im Vergleich zu solchen Personen, die dies nicht tun, nicht untersucht. Es gibt also bis auf Zellkulturversuche keine verwertbaren Hinweis darauf, dass Spirulina bei HIV oder gar im symptomatischen Stadium AIDS einen therapeutischen Nutzen hat.

In der Behandlung der Adipositas gibt es bis heute keine Studie, die einen gewichtsreduzierenden Effekt auch nur untersuchte, geschweige denn einen Nutzen glaubhaft nachwies. Den einzigen angeblichen Nachweis bieten Becker et al.[7] in einer aufgrund ihrer Fallzahl faktisch nicht aussagekräftigen placebokontrollierten Studie in einem Journal der Lebensmittelindustrie.

Die Behauptung, dass Spirulina gegen Krebs vorbeugend schütze, ist bis heute nicht belegt. Zwar gibt es einige Zellkulturversuche, in denen wiederum immunmodulatorische Wirkungen von Spirulinaextrakten beschrieben wurden,[8] aber diese Versuche wurden nur bei gesunden Freiwilligen durchgeführt und zeigen den üblichen Anstieg der Natural Killer (NK)-Zellen im Serum bei der Zufuhr von oral resorbierbaren Antigenen. Es wäre falsch, daraus einen Anti-Tumor-Effekt ableiten zu wollen, da NK-Zellen nur immunologisch markierte Zellen angreifen und vernichten. Selbst wenn ihre Zahl im Serum drastisch erhöht würde, die Tumorzelle sich aber nicht als körpereigen darstellt (z.B. bei Adenokarzinom-Zellen), nutzt der Effekt einer NK-Stimulation dem Krebskranken überhaupt nicht. Eine spezielle Markierung oder Veränderung der Oberflächenstruktur von Tumorzellen durch die wässrigen Spirulina-Extrakte ist bis heute nicht nachgewiesen worden. Insofern sind solche Versuche immunologische Augenwischerei.

Es gibt allerdings Studien wie jene von Mishima et al. (1998), die das Polysaccharid Kalzium-Spirulan aus Spirulina platensis-Zubereitungen isolierten und im Zellkulturversuch als Hemmstoff in Zelllinien ausgewählter Melanom-, Kolonkarzinom- und Fibrosarkom-Linien anwendeten. Sie spritzen die Substanz in den Zellsud und stellten fest, dass die Polysaccharide eins von verschiedenen Anheftungsenzymen blockierten, die diese Tumorzellen benötigen, um sich während des Metastasierungsprozesses in gesunden Geweben festzusetzen. Dieser Effekt wurde aber bisher am lebenden Tier oder gar am Menschen nicht untersucht. Es wurden auch keine Fallbeschreibungen über heilende Wirkungen bei diesen Tumorarten veröffentlicht. Ebenso steht der Beweis aus, dass eine direkte, spezifisch die Tumorzellen eliminierende Wirkung des Kalzium-Spirulan existiert. Wenn überhaupt, kann es höchstens einen Teil der Anheftungskapazität bestimmter Tumorzellen bremsen und damit eine Metastasierung verlangsamen.[9]

Die einzige Studie, die bisher im Fachschrifttum publiziert wurde und sich mit der Spirulinabehandlung bei Kranken befasst, ist jene von Mathew et al. (1995) von der indischen medizinischen Universität Kerala. Die Autoren untersuchten Veränderungen des Schleimhautepithels der Mundhöhle von tabakkauenden Arbeitern. Es sollte untersucht werden, ob die 12-monatige Einnahme von 1 Gramm Spirulina platensis täglich einen Einfluss auf die Neigung zu Verhornungsstörungen (Leukoplakie) bei diesen Patienten hatte. 20 von 44 Patienten unter Spirulinagabe und nur 3 von 43 placebobehandelten Patienten zeigten eine Rückbildung der Leukoplakie im Mundhöhlenbereich. Eine Veränderung der Serumwerte von Retinol oder Betakarotin unter Spirulina-Einnahme wurde nicht festgestellt. Da es sich bei der Leukoplakie nicht um eine Krebserkrankung, sondern eine eventuell zu einem Mundhöhlenkarzinom führende Gewebsveränderung handelt, zeigt diese Studie zweierlei: Eine Wirkung bei Krebs ist nicht untersucht worden und offenbar hat das carotinoidreiche Spirulina keinen Einfluss auf den Vitaminspiegel im Serum.[10] Dies stützt die Beschreibung von Dagnelie et al. (1991), die ebenfalls keine Resorption von Vitaminen (hier: Vit. B12) feststellen konnten.

Gefahren

Durch schwermetallbelastete Produkte wie auch durch Spirulinaprodukte, die (möglicherweise durch Beimengungen microcystinproduzierender Cyanobakterien anderer Gattungen) Microcystine enthalten, besteht eine mögliche Gesundheitsgefährdung. So gab es einen Einzelfall in Deutschland, bei dem reversible Leber- und Nervenbeeinträchtigungen durch ein nachweislich microcystinhaltiges Spirulinaprodukt eintraten.

In der Spirulina-Szene wird häufig die Legende verbreitet, dass die Produkte seien hochqualitativ, gerade weil sie im industriellen Maßstab unter Reinbedingungen erzeugt würden. Dass die resultierenden Produkte im Einzelfall alles andere als hochqualitativ sind, zeigte vor mehr als 15 Jahren die Studie von Johnson und Shubert (1986), die ergab, dass Schwermetalle aus verschmutztem Zuchtwasser zu einer Anreicherung von Blei, Kadmium und Quecksilber in den Endprodukten führen können.[11] Bei späteren Untersuchungen von Spirulina-Endprodukten fanden Nakashima et al. (1989) Beimengungen von Tierhaaren und Insektenfragmenten.[12] Zusätzlich waren die Produkte teilweise mit Mineralöl oder Reinigungsölen belastet. Dies deutet auf miserable Produktionsbedingungen einzelner Anbieter hin.

Auch wenn in der Fachliteratur nachgewiesen wurde, dass Spirulina platensis keine Algentoxine der Microcystin-Klasse (vgl. AFA-Algen) enthält, wurden bereits einzelne Spirulina-Produkte bekannt, die nachweislich Microcystine in Mengen bis zu 77 parts per billion (ppb) enthielten. Eine Betroffene, die das Spirulinaprodukt eines deutschen Anbieters in Tagesdosen von 10-15 Gramm über mehrere Wochen einnahm, verspürte nach den ersten 4 Wochen zunehmende Leberschmerzen und im weiteren Verlauf Sensibilitätsstörungen ('Ameisenlaufen') im Bereich der Zehen. Die sie beratende Heilpraktikerin, die ihr diese Spirulinakur empfohlen hatte, schob dies zunächst in säftepathologischer Manier auf Symptome der 'Giftausleitung', obwohl es sich eindeutig um erste Symptome einer chronischen Microcystinvergiftung gehandelt haben muss. Da die Erkrankte pro Monat bis zu 450 Gramm der Algen verzehrte, womit sie schnell in den mutmaßlichen Toxizitätsbereich der Microcystine (ab etwa 40 Mikrogramm Gesamtaufnahmemenge) gelangte, und die Symptome nach Absetzen des Produktes rückbildungsfähig waren, deutet alles auf eine Vergiftung durch Microcystine hin. Die Leberschwellung einschließlich einer Erhöhung der Transaminasen ließ am schnellsten nach, die Nervenausfallerscheinungen hingegen gingen nur langsam über viele Wochen zurück.

Laboranalyse vor der Einnahme dringend angezeigt

Es ist dringend zu empfehlen, sich vor der Entscheidung zu einer angeblich gesundheitsfördernden Spirulinakur eine ELISA-Analytik zum Gehalt an Microcystinen im Endprodukt in einem Fachlabor (z.B. www.gbu-net.de) zu fertigen. Liegt der Gehalt an Microcystinen oberhalb von 1 ppb, sollte die Anwendung unterbleiben. Entscheidend ist für den Verbraucher, auf der Vorlage eines etablierten ELISA-Tests zu bestehen, da dieser derzeit der preiswerteste und gleichzeitig sicherste Test zum Nachweis der gefährlichsten Gifte aus der Microcystinfamilie ist. Andere Testmethoden sind weniger empfindlich und können daher eine Scheinsicherheit erwecken.

Im oben erwähnten Fall konnte nach Vorlage des Laborzertifikats eine Rückgabe der Spirulinaprodukte mit voller Kostenerstattung (es handelte sich um eine 6-Monats-Packung) durch den Vertreiber erreicht werden.

Es ist zwar davon auszugehen, dass nicht Spirulina platensis selbst die Microcystinquelle in Spirulina-Produkten ist. Es scheint vielmehr, dass andere Cyanobakterien, die zur Microcystinproduktion befähigt und mit Spirulina häufig vergesellschaftet sind, in angebliche Reinzuchtbecken eingeschleppt wurden bzw. im Herstellungsprozess nicht abgetrennt werden können. Je nach Seriosität und Zuverlässigkeit des Herstellers besteht dann die Gefahr, dass ein microcystinhaltiges Endprodukt in den Handel gelangt.

Deutsche Lebensmittelüberwachung versagt

Die deutschen Lebensmittelüberwachungsbehörden des Bundes und der Länder unternehmen derzeit nichts, um microcystinhaltige Algenprodukte aus dem Verkehr zu nehmen. Dies liegt hauptsächlich daran, dass es keinen etablierten Microcystin-Grenzwert für eine Maximalbelastung in Nahrungsmitteln gibt. Entspräche dieser dem WHO-Trinkwassergrenzwert (maximal 1 ppb bzw. 1 Mikrogramm pro Liter/kg), wäre allerdings der Fisch- und Muschelhandel in der BRD einzustellen, da hier derzeitig ein Maximalwert von 200 ppb noch toleriert wird. Da bereits ab Belastungen von 30 ppb eine Krebsgefahr (Leberkarzinom) in China nachgewiesen wurde[13][14] und im Versuch bei trächtigen Ratten schon ab einer Applikation von 4 ppb Microcystinen ins Bauchfell mikroskopisch erkennbare Organschäden der Rattenfeten gezeigt werden konnten[15], sind die gültigen Grenzwerte offenbar überdenkenswürdig.

Jene deutschen Bundesbehörden und Fachverbände, die für medizinische Produkte zuständig sind, sehen das Microcystinproblem sehr wohl, tragen aber vor, aus rechtlichen Gründen nicht intervenieren zu können. Die Arzneimittelüberwachung sei nicht für Lebensmittel zuständig. Auch fehlt diesen Behörden offenbar die Laborkapazität und -ausbildung, um im Microcystinbereich überwachend tätig zu werden.

Algenprodukte müssten in der BRD gemäß der EG-Verordnung Nr. 258/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Januar 1997 über neuartige Lebensmittel und neuartige Lebensmittelzutaten[16] laut Artikel 1 Abs. 2d als Lebensmittel und Lebensmittelzutaten aus Mikroorganismen, Pilzen oder Algen betrachtet werden. Da sie vor dem Jahr 1997 nicht in relevanter Menge im Verkehr waren, wären sie gemäß der Novel-Food-Verordnung zulassungspflichtig und ihr derzeitiger Handel erscheint schlicht rechtswidrig. Obwohl bereits heute das Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz der Bundesrepublik Deutschland es in § 8 Abs. 2 LMBG untersagt, Stoffe auf den Markt zu bringen, deren Verzehr geeignet ist, die Gesundheit zu schädigen, den Behörden aber solche Fälle intern bekannt sind, ist dies ein Skandal der besonderen Art. Microcystine stellen eine schleichende Krebsgefahr dar und sind gerade für Kinder und Schwangere gefährlich. Die Produkte werden jedoch nicht vom Markt gezogen, obgleich die Inverkehrbringung gefährlicher Stoffe nach § 51 Abs. 1 LMBG ein mit bis zu 3 Jahren Gefängnis bewehrtes Strafdelikt.

Erste Firmen wegen unlauterer Werbung in Deutschland verurteilt

Der Berliner Verband Sozialer Wettbewerb e.V., Kantstraße 100, 10627 Berlin, verklagte kürzlich erfolgreich einen Anbieter, der mit irreführenden Werbeaussagen für N.V. Spirulina geworben hatte (LG Essen, Az. 44 0 89/02, Urteil vom 12. Juni 2002).

Der Beklagte hatte in einer 45-minütigen Werbesendung mit folgenden Aussagen für sein Produkt geworben: "Spirulina kann in den Spiruletten das Sonnenlicht wirklich einfangen. Das kann man jetzt wortwörtlich nehmen: Das Licht ist eingefangen worden und wird beim Schlucken in den Organismus eingegeben. Das heißt also nichts anderes, dass ich neben Vitalstoffen, Vitaminen, Mineralien und Spurenelementen auch Licht esse. Und dieses Licht koordiniert ganz viele unterschiedliche Prozesse in unseren Körperzellen".

Die Richter stellten fest, dass es sich bei diesen Werbeaussagen um Irreführungen im Sinne der §§ 3 UWG, 17 I S. 2 Nr. 5a LMBG handelt. Dass eine Pflanze Sonnenlicht speichere und reproduzieren könne, sei wissenschaftlich nicht belegt. Die Kammer ging davon aus, dass die beanstandeten Werbeaussagen vom angesprochenen Zuschauerkreis nicht ohne Weiteres als unsinnige Erklärung erkannt werden könnten. Vielmehr sei davon auszugehen, dass zumindest ein Teil der Angesprochenen dies für tatsächlich möglich hält. Die Kammer hielt es angesichts der Struktur des Zuschauerkreises des Werbesenders, in dem die Sendung lief, für möglich, dass solche Beteuerungen von einem relevanten Kreis der Zuschauer als glaubwürdig angesehen werden und diese zu einer Kaufentscheidung führen könnten.

Fazit

Fragwürdiges Produkt ohne glaubhaften Wirksamkeitsnachweis. Ursprünglich nur als Notfall-Lebensmittel und Tierfuttermittel im Gebrauch, wird es z.T. unter fragwürdigen hygienischen Bedingungen produziert und verkauft. Eine Laborüberprüfung auf Microcystine und Schwermetalle ist vor der dauerhaften Einnahme bei unabhängigen Prüflaboren unbedingt zu empfehlen, da die deutsche Lebensmittelüberwachung diesen Markt nicht ausreichend kontrolliert. Aus medizinscher Sicht ist von Kauf und Anwendung, vor allem im Kindesalter, eindeutig abzuraten.

Quellennachweise

  1. Venkataraman LV, Somasekaran T, Becker EW: Replacement value of blue-green alga (Spirulina platensis) for fishmeal and a vitamin-mineral premix for broiler chicks. Br Poult Sci 35: 373-81, 1994
  2. Nandeesha MC, Gangadhara B, Manissery JK, Venkataraman LV: Growth performance of two Indian major carps, catla (Catla catla) and rohu (Labeo rohita) fed diets containing different levels of Spirulina platensis. Bioresour Technol 80: 117-20, 2001
  3. Clement G: Production and characteristic constituents of the algae Spirulina platensis and maxima. Ann Nutr Aliment 29: 477-88, 1975
  4. http://de.wikipedia.org/wiki/Spirulina#Kultivierung_und_Inhaltsstoffe
  5. Dagnelie PC, van Staveren WA, van den Berg H: Vitamin B-12 from algae appears not to be bioavailable. Am J Clin Nutr 53: 695-697, 1991
  6. Pugh N, Ross SA, ElSohly HN, ElSohly MA, Pasco DS: Isolation of three high molecular weight polysaccharide preparations with potent immunostimulatory activity from Spirulina platensis, aphanizomenon flos-aquae and Chlorella pyrenoidosa. Planta Med 67: 737-42, 2001
  7. Becker EW, Jakober B, Luft D: Clinical and biochemical evaluations of the alga Spirulina with regard to its application in the treatment of obesity. A double-blind cross-over study. Nutr Rep Int 33: 565–574, 1986
  8. Hirahashi T, Matsumoto M, Hazeki K, Saeki Y, Ui M, Seya T: Activation of the human innate immune system by Spirulina: augmentation of interferon production and NK cytotoxicity by oral administration of hot water extract of Spirulina platensis. Int Immunopharmacol 2: 423-34, 2002
  9. Mishima T, Murata J, Toyoshima M, Fujii H, Nakajima M, Hayashi T, Kato T, Saiki I: Inhibition of tumor invasion and metastasis by calcium spirulan (Ca-SP), a novel sulfated polysaccharide derived from a blue-green alga, Spirulina platensis. Clin Exp Metastasis 16: 541-50, 1998
  10. Mathew B, Sankaranarayanan R, Nair PP, Varghese C, Somanathan T, Amma BP, Amma NS, Nair MK: Evaluation of chemoprevention of oral cancer with Spirulina fusiformis. Nutr Cancer 24: 197-202, 1995
  11. Johnson PE, Shubert LE: Accumulation of mercury and other elements by Spirulina (Cyanophyceae). Nutr Rep Int 34: 1063–1070, 1986
  12. Nakashima MJ, Angold S, Beavin BB, Bradicich RB, Decker SJ, Dzidowski GR, Levesque E, Locatelli RG, Mably M, Paredes A: Extraction of light filth from spirulina powders and tablets: collaborative study. J Assoc Off Anal Chem 72: 451-453, 1989
  13. Yu SZ: Primary prevention of hepatocellular carcinoma. J Gastroenterol Hepatol 10: 674-682, 1995
  14. Yu SZ, Chen G: Blue-green algae toxins and liver cancer. Chin J Cancer Res 6: 9-17, 1994
  15. Zhang Z, Lian M, Liu Y, Wei G, Yu S, Kang S, Zhang Y, Chen C: Teratosis and damage of viscera induced by microcystin in SD rat fetuses. Zhonghua Yi Xue Za Zhi 82: 345-347, 2002
  16. Amtsblatt Nr. L 043 vom 14/02/1997 S. 0001 - 0006
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