Selbstheilungskraft

Version vom 4. Oktober 2012, 13:17 Uhr von Cygnus (Diskussion | Beiträge) (neuer Link)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)

Selbstheilungskraft bezeichnet allegorisch die Fähigkeit des (menschlichen) Körpers, äußere und innere Verletzungen sowie Krankheiten ohne medizinische Therapie heilen zu können. In der Pseudomedizin ist der Begriff der Selbstheilungskräfte weit verbreitet, ohne dass beschrieben wird, was genau sich dahinter verbirgt. Kraft ist eigentlich ein Begriff, der in der Physik definiert ist. Dennoch wird er in einem übertragenen Sinne auch in der Medizin benutzt, da Erkrankungen häufig im Sinne einer "Schwächung" mit einer Verminderung körperlicher Leistungsfähigkeit - und somit der zur Verfügung stehenden körperlichen Kräfte - einhergehen.

Eine Vielzahl pseudomedizinischer Verfahren wie z.B. die Homöopathie soll angeblich die Selbstheilungskräfte stärken. Andererseits können nach diesem Verständnis durch Blockaden der Selbstheilungskräfte Krankheiten entstehen. Der Begriff einer "Selbstheilungskraft" ist in der wissenschaftlichen Medizin ungebräuchlich, hier wird dagegen von Spontanheilung, Spontanremission oder Selbstheilung gesprochen.

Da weder klar ist, was Selbstheilungskräfte konkret sein sollen, noch erklärt wird, wie diese Kräfte genau aktiviert werden sollen, täuscht der Begriff der Selbstheilungskräfte darüber hinweg, dass diese pseudomedizinischen Thesen und Verfahren keine wissenschaftliche Basis haben.

Mechanismen der Selbstheilung

Mit vielen akuten Erkrankungen kommt der menschliche Körper allein ohne äußeres Zutun zurecht. Geschätzte 70% bis 80% aller gesundheitlichen Störungen, Malaisen und handfesten Erkrankungen bilden sich spontan zurück, also unabhängig von einer tatsächlich effektiven Therapie oder eines pseudomedizinischen und völlig unwirksamen Eingriffs oder eines hoffnungsvollen "Zuwartens". Die Heilung basiert dabei auf unterschiedlichen Mechanismen. Viele Infektionen werden durch das Immunsystem beseitigt; die Wundheilung basiert auf den Mechanismen der Blutgerinnung und der Fähigkeit der ständigen Erneuerung der Körperzellen. Etwa alle fünf Wochen erneuern sich die Magenwände, alle sechs Wochen werden die Leberzellen ausgetauscht und etwa alle drei Monate erneuern sich die Hautzellen.[1] Auch Entzündungsreaktionen dienen dazu, einen äußeren oder innerlich ausgelösten, potenziell schädigenden Reiz (Erreger, Parasiten, Fremdkörper, Gifte) zu beseitigen, dessen Ausbreitung zu unterbinden und ggfs. eingetretene Schäden zu reparieren. Für das Unschädlichmachen vieler toxischer Stoffe sorgt die Leber mit ihren zahlreichen Enzymen.

Stärkung der Selbstheilungskräfte

Die meisten pseudomedizinischen Therapien sollen auf einer „Stärkung der Selbstheilungskräfte“, oft zusammen mit einer "Aktivierung des Immunsystems", beruhen. Eine "Stärkung der Selbstheilungskräfte" ist in der Wissenschaft unbekannt.

Im Gegensatz dazu können Heilungsprozesse durchaus behindert bzw. gestört werden. Bei Lippenherpes ist bekannt, dass er aktiviert wird, wenn durch Stress ein andauernder Gleichgewichtszustand zwischen dem Herpes simplex-Virus und dem Immunsystem gestört wird, z.B. bei einer weiteren, meist fiebrigen Infektionskrankheit ("Fieberbläschen") oder bei einer verkapselten Tuberkulose. Durch geeignete Maßnahmen ist es möglich, derartige Störungen zu verhindern.

Spontanremission und Spontanheilung bei chronischen Krankheiten

Bei chronischen Erkrankungen, für die auf Basis langjähriger Beobachtungen und der veröffentlichten Literatur ein Fortschreiten und keine Selbstheilung zu erwarten ist, kann es je nach Krankheit und weiteren Umständen (Alter) zu einer mehr oder weniger seltenen Spontanremission und Spontanheilung kommen. Je nach Erkrankung kann eine derartige Spontanremission derart selten sein, dass die jeweiligen Einzelfälle Anlass für Aufsehen und Artikel in Fachzeitschriften waren. Insbesondere waren spontane Heilungen bei bösartigen Krebserkrankungen immer wieder Thema der Fachliteratur. Dennoch ist bekannt, dass ganz bestimmte Krebserkrankungen häufiger dazu neigen, sich spontan zurückzubilden als fortzuschreiten.

Nicht durch Therapien induzierbare Spontanremissionen bei bösartigem Krebs sind bis heute bei Erwachsenen die extreme Ausnahme (etwa 1 Fall auf 60.000-100.000 oder weniger), bei Kindern sind hingegen einige Krebsarten bekannt, die sich häufig spontan zurückbilden. Bei einigen seltenen Krebsarten im Kindesalter sind sogar Remissionen die Regel und nicht die Ausnahme. Trotz intensiver Forschung ist es bis heute nicht gelungen, spontane Remissionen gezielt zu induzieren. Walter Gallmeier von der Arbeitsgruppe Biologische Krebstherapie an der Medizinischen Klinik des Klinikum Nürnberg (wo gezielt an diesem Phänomen geforscht wird) sagt dazu:

Es gibt keine Hinweise, auch nicht die Spur davon, wie man eine Spontanremission sozusagen erzwingen oder erreichen kann oder auf den Weg bringen kann. Wir wissen das nicht. Je stärker wir uns in dieses Thema hineinvertiefen, um so weniger können wir sagen, was denn eine Spontanremission auf den Weg bringt. Der Patient kann es nicht erzwingen.

Dennoch wird heute in der wissenschaftlichen Medizin auch mit der BCG-Impfung bei Blasenkrebs und der therapeutischen Hyperthermie gearbeitet. Es war beobachtet worden, dass spontane Remissionen nach hohem Fieber und Infekten auftraten. Ein sehr bekannter Fall ist der des Patienten Wright aus dem Jahre 1957, der sich mehrmals nach Placebogabe von Krebs vorübergehend erholte, bis er dann dennoch starb. Eine einmal eingetretene vollständige Remission (therapiebedingt oder spontan) mit Nichtnachweisbarkeit des Tumors bedeutet leider nicht, dass Rezidive auszuschließen sind, also kann es trotzdem zu einem Rückfall kommen. Auf der Suche nach der Krebs-Spontanremission war Ende des 19. Jahrhunderts der US-amerikanische Chirurg William Coley (1862-1936), der Erfinder der Coley-Therapie, die trotz enttäuschender Ergebnisse noch Jahrzehnte später und sogar heute noch von Außenseitern und Alternativmedizinern durchgeführt wird.

Peregrinus Laziosi von Forli (1265-1345) (der "Heilige der katholischen Krebskranken") wird nachgesagt, er sei der erste Fall einer Spontanremission bei Krebs gewesen. Er soll sich der Legende nach über Nacht von einem Tumor am Schienbein geheilt haben.

Weblinks

Quellenverzeichnis

  1. Platsch K.D. (2007): Was heilt. Vom Menschsein in der Medizin. Theseus Verlag, Stuttgart