Sehtraining nach Bates

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Worum geht es? Das fast 100 Jahre alte Sehtraining nach Bates ist eine umstrittene Methode des Augentrainings zur beabsichtigten Linderung einer Fehlsichtigkeit.
Was sind die Fakten? Bates propagiert ein Trainingssystem, nach dem durch Änderung des Sehverhaltens, insbesondere der Augenmuskeln, eine Fehlsichtigkeit verbessert werden könne. Zum Beweis werden zwei Studien angeführt. Die Augenmuskeln können jedoch keine Kontraktion des Augapfels oder der Linse bewirken, ebenso werden weder die Iris noch die Signalverarbeitung im Großhirn durch das Training positiv beeinflusst.
Was ist davon zu halten? Aufgrund anatomischer Gegebenheiten kann das Training sein Versprechen einer Verbesserung nicht einlösen. Die Studien pro Bates sind bei näherem Hinschauen ungeeignet.


William Horatio Bates

Das Sehtraining nach Bates (englisch Bates Method for Better Eyesight) ist eine umstrittene pseudomedizinische Methode des Augentrainings zur Korrektur einer Fehlsichtigkeit, die auf den amerikanischen Arzt William Horatio Bates zurückgeht.

'Durch Training besser sehen!' - das ist die Behauptung von Augen- bzw. Sehtrainern, die fehlsichtigen (meist kurzsichtigen) Brillenträgern versprechen, in Seminaren oder Kursen die natürliche Sehkraft des Auges wiederherzustellen. Bevor man sich aber mit den Denkmodellen der Sehtrainings-Befürworter befasst, ist ein grober Abriss der Physiologie des Sehens notwendig.

Die Vorgeschichte des Seh- oder Augentrainings

Bereits am Ende des 19. Jahrhunderts (um 1896) beschrieb ein angeblicher 'Professor' mit dem Namen William C. Wilson ein Gerät, das mittels Batteriestrom die Sehfähigkeit zu verbessern versprach. Damals waren solche Geräte in Mode, weil in den USA in dieser Zeit die Elektrifizierung begann und die Amerikaner von den Möglichkeiten der Elektrizität begeistert waren. Die Aktivitäten von Wilson, der seine Geräte über eine Firma in Kansas City vertrieb, wurden von der US-Gesundheitsbehörde (FDA) jedoch im Jahre 1906 unterbunden. Im Jahre 1900 wurde von einem weiteren 'Professor' namens Charles Tyrell, der zunächst als Masseur gearbeitet hatte und erst im Alter von 57 Jahren Arzt wurde, ein Ideal Sight Restorer angepriesen. Mit diesem Gerät wollte er nicht nur Sehstörungen wie Kurzsichtigkeit heilen, sondern auch Linsentrübungen (Cataract) oder überhöhten Augeninnendruck (Glaukom) beseitigen können. Die American Medical Association warnte vor diesem Gerät, jedoch vertrieb Tyrell es bis zu seinem Tod im Jahre 1918.

Die Erfindung des Sehtrainings durch Bates

Der US-Arzt William Horatio Bates veröffentlichte 1920 ein Buch mit dem Titel "The cure of imperfect eyesight by treatment without glasses": Die Heilung der Fehlsichtigkeit durch eine Behandlung ohne Brillengläser. Bates behauptete, man könne dies durch Entspannung und Verringerung derjenigen Anstrengung erreichen, die dadurch entsteht, dass vor allem Kinder ihren Blick eine Zeit lang auf vertraute Gegenstände richten dürfen. Bates Meinung zufolge strenge sich das Auge bei einem neuen, fremden Gegenstand zu sehr an, um diesen wahrzunehmen und dadurch komme es zu Brechungsfehlern. Bates ging davon aus, dass schlechtes Sehen eine Gewöhnung an exzentrisches Sehen und eine Verspannung der äußeren Augenmuskeln sei, die nur durch 'gesunde Sehgewohnheiten' ersetzt werden müssten, um wieder scharf zu sehen. Er war überzeugt, dass diese 'gesunden Sehgewohnheiten' vollständig wiedererlernbar seien und empfahl dafür folgende Übungen (Bates 1931):

  • Zentrales Sehen: Es sollte ein Zustand erreicht werden, in dem die Augen und der Geist von einem Punkt des Bildes zum nächsten schweifen sollten und sich nicht nur auf einen Punkt fixierten. Man solle versuchen, das ganze Gesichtsfeld auf einmal wahrzunehmen.
  • Palmieren: Bei durch die Handflächen (= palm) geschlossenen Augen sollte ein möglichst hoher Entspannungsgrad erreicht werden, der wiederum zu besserem Sehvermögen führe.
  • Schwingen und Schweifen: Es sollte ein Buchstabe angesehen werden und von diesem aus zu einem weiteren Buchstaben der gleichen Zeile abgeschweift werden. Dadurch sollten beide Buchstaben klarer gesehen werden. Man sollte sich von Seite zu Seite immer entgegengesetzt zur Blickrichtung bewegen. Dadurch entstehe die optische Illusion, dass sich die Buchstaben an der Person vorbei in entgegengesetzter Richtung bewegen. Dieser Eindruck führe dann zur Beweglichkeitsverbesserung sämtlicher Augenbewegungen und auch zu erhöhter Beweglichkeit des Geistes.
  • Gedächtnis und Einbildungskraft: Einbildungskraft, Gedächtnis und Sehvermögen sind nach Bates eng verbunden. Könnte man sich einen Buchstaben vollkommen vorstellen, sähe man ihn auch.
  • In die Sonne sehen: Bei geschlossenen Augen sollte man diese im Sonnenlicht baden.
  • Reduktion des Brillentragens: Bates war der Ansicht, dass das Tragen einer Brille zu Schwindel und Kopfschmerz führe, das Gesichtsfeld verkleinere und die Sehfähigkeit vermindere.

Nach dem I. Weltkrieg eröffneten zahlreiche nach dem Bates'schen System arbeitende Sehschulen. Auch in das Gesundheitskonzept des III. Reiches passte der mechanistische Teil der Methode, der zu ermöglichen schien, durch eine Art Leibesertüchtigung vom Brillenträger zum Menschen ohne Behinderung zu werden[1].

Der in augenärztlichen Fachkreisen über Jahrzehnte bekannte Würzburger Ophthalmologie-Professor Dr. Dr. h.c. Wolfgang Leydhecker (1987), Verfasser eines Standardlehrbuches über Augenheilkunde, sah die Bates'schen Übungen als ungeeignet. Er kritisierte: Was als Übungsresultat erreicht wird, ist natürlich nicht als bessere Abbildung auf der Netzhaut, sondern eine anders orientierte Interpretation des unscharfen Bildes, in dem man z.B. eine Person nicht mehr an den Gesichtszügen erkennt, [...] sondern an der Körperhaltung, dem Gang oder der Kleidung[2].

Zweifelhafte Studien als Beweise

Die Anhänger der Bates'schen Lehre behaupten immer wieder, die Wirksamkeit des Sehtrainings sei in Studien belegt worden. Sie führen dabei zwei Studien an - jene von Kelley (1958)[3] und jene von La Salle und Brown (1977)[4]. Bei Kelleys Studie handelt es sich um eine Doktorarbeit aus den USA, die in Europa nicht erhältlich ist. Bei der Studie von La Salle und Brown handelt es sich um eine unveröffentlichte Diplomarbeit aus Los Angeles. Beide Studien sind in Europa im Original nicht erhältlich. Man ist deshalb auf indirekte Zitate angewiesen, um nähere Informationen über diese Studien zu erhalten.

Die Kelley-Studie

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Die Dipl.-Psychologin Eva Hevekerl (1991, S.48) beschrieb in ihrer Diplomarbeit die Studie von Kelley (1958) in wenigen Zeilen: Diese trainierte zwei Männer und drei Frauen jeweils 50 Stunden lang nach der Bates-Methode. Es wurde eine Verbesserung der Augen um 6 Einheiten (1 Einheit = der Logarithmus der Fläche um einen erkannten Buchstaben der Snellentafel) erreicht, dass heißt eine Verbesserung um Werte zwischen 0,3-1,5 dpt. Ob das Training von nur fünf Personen im Rahmen einer Dissertation wirklich ein Beleg für die Wirksamkeit des Bates'schen Trainings war, sei einmal dahingestellt. Bemerkenswert jedoch erscheint die Untersuchungsweise durch Snellen-Tafeln. Der Holländer Snellen entwarf vor mehr als 120 Jahren Optotypen zur Sehschärfenbestimmung. Auf einer Fläche von 5x5 Feldern konzipierte er typische Zeichen, wie sie in der nebenstehenden Abbildung dargestellt sind.[5]

Sehzeichen nach dem Snellenschen Prinzip nach Axenfeld (1980)

Bei der Sehschärfenprüfung ist der Abstand zwischen den Flächen (z.B. der Leerraum des "C"-Hakens oder die Leerräume zwischen den beiden "E"-Haken) entscheidend. Allerdings spielt für die Erkennung dieser Buchstaben und Haken nicht allein das Trennschärfevermögen des Auges eine Rolle, sondern es genügt auch ein gut ausgeprägtes Formerkennungsvermögen des Probanden, um die korrekte Erkennung zu sichern. Durch etwas Übung kann eine deutlich bessere Sehschärfe als tatsächlich gegeben vorgetäuscht werden. Exakter wird die gerade noch erreichbare tatsächliche Sehschärfe deshalb mit Pflügerschen Haken oder Landoltschen Ringen geprüft (Axenfeld 1980). Kelley (1958) hatte zur Beweisführung der Wirkung des Bates'schen Trainings also eine ungenaue Untersuchungsmethode verwendet, die zudem stark von subjektiven Komponenten (dem Formerkennungsvermögen) und nicht von objektiven opthalmologischen Veränderungen am Auge beeinflusst wurde. Es ist nicht auszuschließen, dass die Patienten ihre Erkennungsrate durch Übungseffekte nach oben drücken konnten. Eine methodisch ungenaue, mit gerade einmal fünf Probanden besetzte Dissertation kann keinen Beweis für ein Sehtraining darstellen.

Die Studie von La Salle und Brown

Die Dipl.-Psychologin Eva Hevekerl (1991, S.49) gibt Rohdaten der Sehschärfenprüfung von "15 Personen" an, die "nach der Bates-Methode für 1,5 bis 15 Monate trainiert" worden seien[6]. Blickt man auf die Rohdaten, stellt man fest, dass die Anzahl der Probanden bereits innerhalb weniger Zeilen von 15 auf 12 Personen sank, denn Hevekerl gibt nur Sehschärfe-Daten für 12 Personen (2 Männer, 10 Frauen) an.

Die amerikanische Diplomarbeit von La Salle und Brown (1977) gibt die Abstände zwischen Proband und Optotypentafeln in ft. (=feet) an. Wie diese Daten in Sehschärfenwerte nach dem Dezibel-System umzurechnen sind, kann man hier nachlesen.

Die Tabelle verdeutlicht die geringen Erfolge. Bei zwei der 12 Probanden (Pat. 10 und 11) war nach fast einjährigem Training weder auf dem rechten noch auf dem linken Auge eine Verbesserung festzustellen. Bei den Probanden Nr.1 und 2 war die Sehschärfe jeweils eines Auges unverändert, das andere hingegen nur minimal verändert. Ein Drittel der 12 Patienten profitierte demnach entweder gar nicht oder fast nicht von der Bates'schen Therapie.

Bei den Probanden Nr.3-9 (also bei sieben Teilnehmern) waren die Erfolge auf beiden Seiten so minimal, dass sie sich problemlos durch Ablesefehler der Sehtafeln (durch den Untersucher) bei der Sehschärfenprüfung erklären lassen. Ebenso sind Lerneffekte (durch den Probanden) beim Ablesen der Sehtafeln als Erklärungsursache möglich. Zu solchen Ablesefehlern bzw. Lerneffekten kann es rasch kommen. Da man die Sehschärfenprüfung bei Kurzsichtigen (und alle Probanden in der Studie von La Salle und Brown[7] waren offensichtlich kurzsichtig, wie die Sehschärfen-Daten zeigen) dann abbricht, wenn zwei oder mehr Ziffern, Buchstaben, Landolt- oder Snellen-Symbole pro Zeile falsch erkannt werden, ist es denkbar, dass der Untersuchende (aus Unachtsamkeit oder Fehlinterpretation ungenauer Probandenangaben) die Prüfung 1-2 Reihen zu spät abbricht und somit eine höhere Sehschärfe attestiert, als eigentlich korrekt ist. Ebenso möglich ist es, dass der Proband, der die Sehschärfenprüfung bereits mehrfach über sich hat ergehen lassen, die Sympbole auf der Tafel mittlerweile so gut kennt, daß er durch Raten seine Fehlerquote minimieren kann. Dies kann ihn durchaus ebenso über 1-2 Zeilen hinwegretten, so dass er dadurch eine scheinbar größere Sehschärfe erreicht, die in Wirklichkeit aber nicht besteht. Addieren sich sowohl Untersucher- als auch Probandenfehler, so sind Ungenauigkeiten in der Sehschärfenprüfung in Bereichen von 0,25 und darüber möglich.

Dass diese Fehlerquelle nicht einfach aus der Luft gegriffen ist, zeigt eine Studie zum Sehtraining bei 55 mittelgradig kurzsichtigen High-School-Studenten, die von Angi et al. (1996) durchgeführt wurde[8]. Die Sehschärfe, die sich vermeintlich unter Verwendung der subjektiven Optotypen-Messung (Sehtafeln) gebessert hatte, zeigte sich bei einer untersucherunabhängigen, deutlich objektiveren, maschinell unterstützten Sehschärfenprüfung als nicht vorhanden. Als Grund für diesen scheinbaren Widerspruch sehen die Autoren eine erhöhte foveation time bei der Optotypen-Messung. Da die Kinder in der Sehphase bei den Optotypen-Tafeln nicht zeitlich begrenzt waren und beliebig lange auf die Optotypen sehen konnten, erreichten sie eine längere Belichtungszeit und somit eine höhere Treffsicherheit als beim standardisierten maschinellen Messverfahren. Zudem konstatierten die Autoren auch ein gewisser Lerneffekt der Kinder bei diesen sich wiederholenden Optotypen-Messungen.

Welche Sehtafeln verwendet wurden und wie groß diese Fehlerrate hätte sein können, kann aus den vorliegenden Angaben zur Studie von La Salle und Brown (1997) in der Arbeit von Hevekerl (1991) nicht genau entnommen werden[9]. Hevekerl (1991) erwähnt die Art der verwendeten Sehtafeln von La Salle und Brown (1977) nicht. Vergleicht man die Schrittfolge der einzelnen Probanden, so sind deren Sehschärfenangaben interessanterweise z.T. völlig andere als jene, die nach Axenfeld (1980) für Optotypengrößen üblich sind. Besonders fallen hier Angaben wie '20/800', '20/600' oder '20/300' auf. Aus der Studie von La Salle und Brown (1977) auf Basis der von Hevekerl (1991) berichteten Daten lässt sich demnach kein Effekt des Bates'schen Augentrainings nachweisen, der über den methodenspezifischen Messfehler der Sehschärfenprüfung hinaus geht. Zudem hatte ein Drittel der 12 Probanden (fast) gar nicht und nur zwei Probanden (16,6%) ein wenig (mutmaßlich aufgrund von Lerneffekten von Sehtafel-Symbolen bei sich wiederholender Sehschärfenprüfung) profitiert. Beim Rest der Patienten bewegte sich der angebliche Behandlungserfolg eindeutig im Bereich der Fehlerquote der Sehschärfenbestimmung.

Das Fazit zum Bates'schen Augentraining

Hier ist es sinnvoll, die üblichen Argumente kritisch zu betrachten:

  • Anhänger der Bates'schen Lehren behaupten, durch die am Augapfel (=Bulbus) ansetzenden Muskeln könne eine Kompression des Augapfels erzeugt und somit die Kurzsichtigkeit (Myopie) bekämpft werden:

Diese Behauptungen sind falsch, denn die Augenmuskeln können den Bulbus nur bewegen, aber nicht komprimieren.

  • Andere Aussagen aus der Bates'schen Szene behaupten, man könne mit gezieltem Training der Ziliarmuskeln die Brechung der Linse so beeinflussen, dass Kurzsichtige besser sehen könnten:

Auch diese Behauptung ist falsch, denn die Linse ist so im Auge aufgehängt, dass sie nur gedehnt, aber nicht komprimiert werden kann. Unter Zug der Ziliarmuskeln dehnt sie sich und schnellt bei Entspannung derselben in ihre (kugelige) Ausgangslage zurück. Die Dehn- und Rückschnellfähigkeit nimmt mit zunehmendem Alter ab, was Ursache der so genannten 'Alterssichtigkeit' ist.

  • Eine weitere Behauptung ist, dass man durch Iristraining die Linse beeinflussen könne:

Auch dies ist falsch, denn die Linse ist hinter der Iris aufgehängt und nicht durch anatomische Strukturen mit der Iris verbunden.

Aus anatomischer Sicht gibt es keinerlei Grund anzunehmen, dass man mit Muskel-, Lid- oder Iris-Training einen Effekt auf die Sehschärfe bewirken kann. Auch die zwei kursierenden Studien von nur mäßiger wissenschaftlicher Qualität dienen eher als Gegenbeweis.

Das letzte Argument der Sehtrainingsbefürworter ist der Prozess des Sehens im Großhirn. Für das Farbensehen sind 6-7 Millionen Sehzäpfchen und für das s/w-Dämmerungssehen weitere 120 Millionen Sehstäbchen in der Retina vorhanden. Diese weit über 100 Millionen Rezeptoren leiten die Erregung über bipolare Zellen der Retina zu 1,1 Millionen Ganglienzellen, die die Impulse in den Sehnerv einspeisen. Zwar erreichen jede Sekunde optische Informationen in einer Menge von etwa 10 Millionen Bit das Auge, aber höchstens 60 Bit können davon im Gehirn wirklich verarbeitet werden (Grehn und Leydhecker 1995). Schon in der Netzhaut werden deshalb die Signale auf Relevanz geprüft und ausgewählt. Es findet zusätzlich eine Kontrastverstärkung statt. Die Außenwelt wird nicht als ungeordnetes Mosaik von Reizen wahrgenommen, sondern geordnet und integriert zu Gestalten, die sich durch Prägnanz, Transponierbarkeit und Konstanz von Form und Farbe auszeichnen. Unstrittig ist, dass neben Geruchs- und Hörvermögen auch das Sehvermögen nicht nur auf rein physikalisch-chemischer Basis funktioniert, sondern auch mit Erwartungshaltungen, Erinnerungen und ähnlichen Faktoren arbeitet. Wie dies in allen Einzelheiten funktioniert, ist jedoch auch heute noch Gegenstand der augenheilkundlichen und vor allem der neurobiologischen Forschung.

Es erscheint angesichts des komplexen Sehsystems äußerst unwahrscheinlich, dass ein optisch 'falsch' (weil kurz- oder weitsichtiges, ggf. noch astigmatisch) gebautes unbebrilltes Auge, das dem Gehirn aus physikalisch-technischen Gründen nur ein verwaschenes Bild liefert, durch Muskel- oder sonstiges 'Sehtraining' in die Lage versetzt werden kann, einen perfekten Seheindruck zu liefern. Ebenso unglaubhaft ist die Behauptung, ein verwaschenes Bild könne durch das Gehirn quasi 'scharf gerechnet' werden.

Was sagen seriöse Studien zum Augentraining?

Die Medizin beschäftigt sich seit etlichen Jahren mit der Untersuchung der Wirkung von verschiedenen Augentrainingsverfahren. Allerdings handelt es sich nicht um Verfahren nach Bates, Gollub oder Selby, sondern primär um Biofeedbackverfahren. Eine der zentralen Behauptungen der Bates'schen Anhänger ist es, durch Entspannungs- und Konzentrationsübungen zu besserem Sehvermögen zu kommen. Dies fordert den Vergleich mit seriösen Studien heraus, die mittels Biofeedback versuchten, eine Verbesserung der Sehschärfe zu erreichen oder zumindest eine Verschlechterung von Kurzsichtigkeit mit zunehmendem Lebensalter zu stoppen.

So zeigt die Studie von Balliet et al.(1982), in der 17 Kurzsichtige mit einem computerbasierten Optometer ihre Sehschärfe in der Ferne durch Biofeedbacktraining bessern sollten, nicht einmal eine Verbesserung bei kurzfristiger maximaler Konzentrationssteigerung[10]. Die Studie von Koslowe et al. (1991), in der 15 Versuchs- und 15 Kontrollpersonen u.a. hinsichtlich der Sehschärfe untersucht wurden, konnte ebenfalls keinen Vorteil von Augentraining aufzeigen[11].

In augenärztlichen Fachkreisen trifft die Bates'sche Therapie auf deutlichen Widerstand. So teilt der Berufsverband der Augenärzte Deutschlands e.V. (BVA) auf seiner Website http://www.augeninfo.de/presse/medien.htm die Meinung des Augenarztes und Leiters des Arbeitskreises Psychosomatik im Berufsverband der Augenärzte, Dr. Christian Laugs. Dieser betont, dass es beim 'Sehtraining' keine nachgewiesene Wirkung gibt. Augenübungen könnten lediglich den Patienten entlasten, indem sie ihm das Gefühl geben, dass er etwas für sich tun könne.

Auf der Website Augen und Mehr wird Prof. Dr. Herbert Kaufmann, Direktor der Universitätsaugenklinik für Schielbehandlung und Neuroophthalmologie in Gießen, mit den Worten zitiert, dass Augentraining reine Scharlatanerie sei. Er, Kaufmann, bekomme einen heiligen Zorn, wenn er höre, dass die Leute anstatt Gläser oder Kontaktlinsen zu tragen, lieber schlecht sehen und sich quälen wollten.

Das Augentraining nach Bates erlebt in den letzten Jahren in New-Age-Kreisen eine gewisse Renaissance. Das Augentraining - auch jenes nach Bates, Gollub oder Selby - mag aufgrund der eingebauten Entspannungsübungen eine lösende Wirkung auf innere Verspannungen oder subjektiv empfundenen Stress haben. Unglaubwürdig ist jedoch die Behauptung von Seh- oder Augentrainern, mit solchen Verfahren die Sehleistung zu erhöhen oder gar die Sehschärfe zu verbessern. Bis heute konnte in fast 100 Jahren keine glaubwürdige, seriöse Studie diese Behauptung belegen.

Quellennachweise

  1. Federspiel K, Herbst V: Die Andere Medizin. Nutzen und Risiken sanfter Heilmethoden. Stiftung Warentest Verlag, 4. Aufl., 1996
  2. Leydhecker W: Augenheilkunde. Springer Verlag, Berlin, 1987, S.213 (zit. n. Hevekerl 1991)
  3. Kelley CR: Psychological factors in myopia. Doctoral Diss., New School for Social Research, 1958 (zit. n. Hevekerl 1991).
  4. La Salle C, Brown C: Some psycho-physiological influences in myopia. Unveröff. Diplomarbeit, Los Angeles (zit. n. Hevekerl 1991)
  5. Hevekerl EM: Kurzsichtigkeit. Zum Einfluss psychologischer Faktoren und einer verhaltensmedizinischen Intervention. Schriftliche Arbeit zur Diplom-Hautprüfung im Fach Psychologie am IFP Freie Universität Berlin, Institut für Psychologie, Berlin 1991
  6. Hevekerl EM: Kurzsichtigkeit. Zum Einfluss psychologischer Faktoren und einer verhaltensmedizinischen Intervention. Schriftliche Arbeit zur Diplom-Hautprüfung im Fach Psychologie am IFP Freie Universität Berlin, Institut für Psychologie, Berlin 1991
  7. La Salle C, Brown C: Some psycho-physiological influences in myopia. Unveröff. Diplomarbeit, Los Angeles (zit. n. Hevekerl 1991)
  8. Angi et al.: Changes in myopia, visual acuity, and psychological distress after biofeedback visual training. Optom Vis Sci, 73, 35-42, 1996
  9. Hevekerl EM: Kurzsichtigkeit. Zum Einfluss psychologischer Faktoren und einer verhaltensmedizinischen Intervention. Schriftliche Arbeit zur Diplom-Hautprüfung im Fach Psychologie am IFP Freie Universität Berlin, Institut für Psychologie, Berlin 1991
  10. Balliet et al.: The training of visual acuity in myopia. J Am Optom Assoc, 53, 719-724, 1982
  11. Koslowe et al.: Evaluation of accomotrac biofeedback training for myopia control. Optom Vis Sci, 68, 338-343, 1991

  • Bates WH: Rechtes Sehen ohne Brille. Grimma, 1931 (zit. n. Hevekerl 1991).
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