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Als Pseudowissenschaft bezeichnet man Theorien und Lehren, die sich durch an Wissenschaft erinnernde Methodik und Sprachgebrauch einen wissenschaftlichen Anstrich geben, ohne den hohen Standard der Wissenschaftlichkeit zu erfüllen. Insbesondere immunisieren sich Pseudowissenschaften meistens gegen ihre Widerlegung, indem sie die verwendeten Begriffe nicht eindeutig definieren und sich nicht auf falsifizierbare Vorhersagen festlegen lassen. Der Begriff der Pseudowissenschaft bezieht sich auf Ansichten von Thomas Huxley und Karl Popper, wurde jedoch bereits im frühen 19. Jahrhundert gelegentlich verwendet.

Allgemeines

Es gibt eine Vielzahl von Kriterien, nach denen Pseudowissenschaft von Wissenschaft abgegrenzt werden kann. Allgemein kann jede Abweichung von einer Grundlage des wissenschaftlichen Vorgehens ein Hinweis auf Pseudowissenschaft sein. Hierbei ist die Unterscheidung zwischen schlechter oder betrügerischer Forschung innerhalb der Wissenschaft einerseits und pseudowissenschaftlichem Vorgehen andererseits oft problematisch. Jedoch zeichnet sich Pseudowissenschaft fast immer dadurch aus, dass sie speziell dazu dient, ein fertiges Gedankengebäude zu stützen. Außerdem widersprechen pseudowissenschaftliche Ergebnisse meist erfahrungswissenschaftlichen Theorien, während bei Betrugsfällen innerhalb der etablierten Wissenschaft meist versucht wird, die "Ergebnisse" in bestehende Theorien einzugliedern.

Das Theoriengebäude einer Pseudowissenschaft geht oft auf eine einzelne Person zurück, deren Autorität nicht in Frage gestellt werden darf. Die ursprünglichen Aussagen des Urhebers werden dogmatisch vertreten und sowohl die theoretischen Erklärungsansätze als auch eventuelle experimentelle Versuchsreihen werden stets im Sinne des ursprünglichen Dogmas gedeutet.

Pseudowissenschaften verwenden oft "Experimente", bei denen aus dem statistischen Rauschen Daten genommen werden, mit denen dann durch geschickte Auswahl und Manipulation Effekte vorgetäuscht werden.[1] Auch findet hierbei gern die Anwendung des umgekehrten Ockhamschen Rasiermessers statt: Das heißt, komplexe oder abwegige Hypothesen werden einem hypothesensparsamen Vorgehen vorgezogen. Typisch für eine Pseudowissenschaft ist auch, dass sie keine Methode kennt, Fehler eigener Beobachtungen oder Schlüsse aufzuspüren, ganz davon zu schweigen, sie überhaupt zu korrigieren.

Viele Esoteriker suchen hingegen nach einem Ersatz oder einer Ergänzung für Wissenschaft und erscheinen letztendlich als Kämpfer gegen die Wissenschaft. Wissenschaftliche Scherze sowie wissenschaftlicher Betrug fallen nicht unter den Begriff Pseudowissenschaft.

Typische Merkmale

  • Behauptungen, die sich weder experimentell erhärten noch mathematisch ableiten lassen: Häufig stehen solche Behauptungen sogar im Widerspruch zu Experimenten, zu mathematischen Theorien und nicht selten zum "gesunden Menschenverstand".
  • Angabe von Quellen, die sich nicht nachvollziehen und damit nicht nachprüfen lassen.
  • Experimente, die sich nicht reproduzieren lassen
  • Kontrovers zu Ockhams Rasiermesser
  • Systematische Unterdrückung oder selektive Auswahl von bestimmten Beobachtungen bzw. Daten

Sieben Sünden nach Derksen (1993)

Der Wissenschaftstheoretiker Anthony Derksen nennt "Sieben Sünden", mit denen Pseudowissenschaft von tatsächlicher Wissenschaft unterscheidbar sei:[2]

  1. Mangel an ordentlicher Beweiskraft: Es werden anscheinend "verlässliche" Erkenntnisse und Methoden behauptet, obwohl dies nicht zutrifft.
  2. Unbegründete Immunisierungen: Kritische Argumente werden abgewiesen und Argumente, die die eigene Auffassung stützen, werden gezielt gefördert.
  3. Die Verlockung der spektakulären Übereinstimmung: Übereinstimmungen mit der Theorie werden rein gefühlsbedingt als bedeutsamer eingestuft. Es wird nicht geprüft, ob auch alternative Erklärungen möglich sind.
  4. Die magische Methode: Es werden gern neuartige Methoden entworfen, mit denen die benötigten Daten geliefert werden.
  5. Die Einsicht des Eingeweihten: Zwar ist das Erlernen jeder wissenschaftlichen Methode mit Bemühungen verbunden, die nicht jeder Mensch leistet - aber pseudowissenschaftliche Methoden funktionieren anscheinend nur bei dem Kreis der Eingeweihten, die angeblich alte Vorurteile abgelegt haben, so dass nur ihnen die "echte" Wahrnehmung der Phänomene möglich ist.
  6. Die alles erklärende Theorie: Eine Pseudowissenschaft behauptet oft (nicht immer), alle möglichen Phänomene, bzw. die ganze Welt, erklären zu können.
  7. Unkritischer und übertriebener Anspruch.

Pseudowissenschaften versus Parawissenschaften

In ähnlichem Sinn wie Pseudowissenschaft wird gelegentlich auch den Begriff Parawissenschaft benutzt. Im Gegensatz zu paranormal, Paramedizin oder Parapsychologie ist das Wort jedoch weniger gebräuchlich. Im deutschen Sprachraum wurde es erst Ende der 1980er-Jahre populär und vor allem durch die 1987 gegründete Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) verbreitet.

Ein Unterschied zwischen Pseudowissenschaft und Parawissenschaft wird meist darin gesehen, dass der Begriff Pseudowissenschaft ein normativer ist, weil er eine Wertung enthält: Pseudowissenschaften sind Gedankengebäude, die einen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erheben, diesem Anspruch aber nicht genügen können. Dagegen ist der Begriff Parawissenschaft eher beschreibend: Parawissenschaften sind Bereiche, deren wissenschaftlicher Status noch unklar ist; sie können sich als Pseudowissenschaften herausstellen, aber auch als Protowissenschaften, also als Lehren, die sich noch in einem vorwissenschaftlichen Stadium befinden.

Der Biologe und Philosoph Martin Mahner hat vorgeschlagen, auch den Begriff der Parawissenschaft normativ zu begründen. Die ursprüngliche Charakterisierung beruhe "unter anderem auf der Furcht, dogmatisch zu erscheinen". Seine vorgeschlagene Neudefinition benutzt das Kriterium eines "illusionären Denkens": Eine Parawissenschaft ist ein außerhalb der Wissenschaften – aber nicht notwendigerweise außerhalb des universitären Wissenschaftsbetriebes – angesiedelter Erkenntnisbereich, dessen Theorie und Praxis weitgehend auf illusionärem Denken beruht. Der Anspruch, verlässliches Wissen über die Welt zu erlangen, könne von einer Parawissenschaft damit nicht eingelöst werden. Wird neben dem einfachen Erkenntnisanspruch auch der Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erhoben, wird die Parawissenschaft nach Mahner zur Pseudowissenschaft. Pseudowissenschaften wären damit eine Teilmenge der Parawissenschaften.[3]

Zitate

  • In science, the burden of proof falls upon the claimant; and the more extraordinary a claim, the heavier is the burden of proof demanded. The true skeptic takes an agnostic position, one that says the claim is not proved rather than disproved. He asserts that the claimant has not borne the burden of proof and that science must continue to build its cognitive map of reality without incorporating the extraordinary claim as a new "fact." Since the true skeptic does not assert a claim, he has no burden to prove anything. He just goes on using the established theories of "conventional science" as usual. But if a critic asserts that there is evidence for disproof, that he has a negative hypothesis --saying, for instance, that a seeming psi result was actually due to an artifact--he is making a claim and therefore also has to bear a burden of proof [...][4]

Literatur

  • G. Bakker, L. Clark: Explanation. An introduction to the philosophy of science. Mountain View (Ca.): Mayfield 1988
  • Hans-Peter Beck-Bornholdt, Hans-Hermann Dubben (1997): Der Hund, der Eier legt - Erkennen von Fehlinformationen durch Querdenken, Reinbek
  • Christoph Bördlein (2002): Das sockenfressende Monster in der Waschmaschine - Eine Einfuehrung in das skeptische Denken, Aschaffenburg
  • Mario Bunge: Scientific research. New York: Springer 1967, vol. I, 36-44
  • Anton Derksen: The seven sins of pseudoscience. Journal for General Philosophy of Science 24 (1993) 17-42
  • Alexander K. Dewdney (1998): Alles fauler Zauber? IQ-Tests, Psychoanalyse und andere umstrittene Theorien, Basel
  • Gerald L. Eberlein (Hrsg.): Schulwissenschaft – Parawissenschaft – Pseudowissenschaft. Stuttgart: Hirzel 1991
  • M. Ecker: Kritisch argumentieren. Aschaffenburg: Alibri 2006
  • Kenneth L. Feder: Frauds, Myth, and Mysteries - Science and Pseudoscience in Archaeology, 2001
  • Martin Gardner (1957): Fads &; Fallacies - In the Name of Science, New York
  • Ben Goldacre: Die Wissenschaftslüge: Wie uns Pseudo-Wissenschaftler das Leben schwer machen. Fischer, Frankfurt, 2010
  • Colin Goldner (2000): Die Psycho-Szene
  • Patrick Grim (ed.): Philosophy of science and the occult. Albany: State University of New York Press 1982, 1990
  • Bernd Harder: Geister, Gothics, Gabelbieger. 66 Antworten auf Fragwürdiges aus Esoterik und Okkultismus. Aschaffenburg: Alibri 2005
  • Wolfgang Hell, Klaus Fiedler, Gerd Gigerenzer (Hrsg.) (1993): Kognitive Taeuschungen - Fehl-Leistungen und Mechanismen des Urteilens, Denkens und Erinnerns, Heidelberg
  • Hansjoerg Hemminger, Bernd Harder (2000): Was ist Aberglaube? Bedeutung, Erscheinungsformen, Beratungshilfen, Gütersloh
  • Andreas Hergovich (2001): Der Glaube an Psi - Die Psychologie paranormaler Überzeugungen. Bern
  • Joachim Herrmann: Das falsche Weltbild. Astronomie und Aberglaube. Stuttgart: Franckh 1962; dtv 958, 1973
  • Terence Hines: Pseudoscience and the paranormal. A critical examination of the evidence. Buffalo: Prometheus
  • Douglas R. Hofstadter: Wissenschaft und Aberglaube: ein Kampf zwischen David und Goliath. Spektrum der Wissenschaft April 1982, 8-13
  • Wolfgang Hund (2000): Falsche Geister - echte Schwindler? Esoterik und Okkultismus kritisch hinterfragt, Wuerzburg
  • Ingo Kugenbuch: Warum sich der Löffel biegt und die Madonna weint - Übersinnliche Phänomene und ihre irdischen Erklärungen. Humboldt Verlag August 2008
  • Paul Kurtz (1992): The New Skepticism: Inquiry and Reliable Knowledge
  • Paul Kurtz (2001): Skeptical Odysseys: Personal Accounts by the World's Leading Paranormal Investigation
  • Imre Lakatos: Science and pseudoscience. Conceptus 8, Nr. 24 (1974) 5-9
  • A. Lugg: Bunkum, flim-flam and quackery: pseudoscience as a philosophical problem. Dialectica 41 (1987) 221-230
  • Irmgard Oepen, Amardeo Sarma (Hrsg.) (1995): Parawissenschaften unter der Lupe, Muenster
  • Irmgard Oepen, Krista Federspiel, Amardeo Sarma (Hrsg.) (1999): Lexikon der Parawissenschaften - Astrologie, Esoterik, Okkultismus, Paramedizin, Parapsychologie kritisch betrachtet, Muenster
  • Philip Plait: Bad Astronomy - Misconceptions and Misuses Revealed, from Astrology to the Moon Landing "Hoax", New York 2002
  • Markus Poessel (2000): Phantastische Wissenschaften - über Erich von Daeniken und Johannes von Buttlar, Reinbek
  • Otto Prokop, Wolf Wimmer (1987): Der moderne Okkultismus, Stuttgart
  • James Randi: Flim-Flam! Buffalo: Prometheus 1982
  • James Randi (1995): F lim-Flam - Psychics, ESP, Unicorns and other Delusions, New York
  • James Randi (2001): Lexikon der Übersinnlichen Phänomene - Die Wahrheit über die paranormale Welt, Muenchen
  • M.A. Rothman: A physicist’s guide to skepticism. Applying laws of physics to faster-than-light travel, psychic phenomena, telepathy, time travel, UFO’s, and other pseudoscientific claims. Buffalo: Prometheus 1988
  • Carl Sagan: Der Drache in meiner Garage. Oder: Die Kunst der Wissenschaft, Unsinn zu entlarven. München: Droemer Knaur 1997
  • Michael Scriven: The frontiers of psychology: psychoanalysis and parapsychology. In: R.G. Colodny Frontiers of science and philosophy. Lanham: University Press of America 1983, 79-129
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  • Michael Shermer: (1998): Why people believe in weird things - pseudoscience, superstition, and other confusions of our time, New York
  • Michael Shermer, Pat Linse (2002): The Skeptic Encyclopedia of Pseudoscience
  • Alan Sokal, Jean Bricmont (1999): Eleganter Unsinn. Wie die Denker der Postmoderne die Wissenschaften missbrauchen, Muenchen
  • Theodore Schick Jr., Lewis Vaughn (2004): How to think about weird things - critical thinking for a New Age
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  • Marcello Truzzi: Überlegungen zur Kontroverse um Wissenschaft und Pseudowissenschaft. In: H.P. Duerr (Hrsg.): Der Wissenschaftler und das Irrationale. Frankfurt: Syndikat 1985, Band IV, 48-63
  • Gerhard Vollmer: Wozu Pseudowissenschaften gut sind. Argumente aus Wissenschaftstheorie und Wissenschaftspraxis. Universitas 47 (Feb. 1992) 155-168
  • Gerhardt Vollmer (1993): Wissenschaftstheorie im Einsatz - Beitraege zu einer selbstkritischen Wissenschaftsphilosophie, Stuttgart
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  • Gero von Randow (Hrsg.): Der Fremdling im Glas und weitere Anlaesse zur Skepsis, entdeckt im Skeptical Inquirer, Rowohlt, Reinbek, 1996
  • Stuart A. Vyse (1999): Die Psychologie des Aberglaubens - Schwarze Kater und Maskottchen, Basel
  • Harald Wiesendanger: Zwischen Wissenschaft und Aberglaube. Grenzbereiche psychologischer Forschung. Frankfurt: Fischer-TB 42326, 1989

Weblinks

Quellennachweise

  1. http://www.xy44.de/belladonna/ Gerhard Bruhn, Erhard Wielandt, Klaus Keck: Pseudowissenschaften an der Universität Leipzig
  2. Deerksen A.A: The seven sins of pseudo-science, Journal for General Philosophy of Science, Volume 24, Number 1 / März 1993
  3. M. Mahner (2009): Was sind Parawissenschaften? Der Versuch einer Neubestimmung. Skeptiker 4/2009, 186-190. Diskussion dazu in Skeptiker 1/2010, 49-50
  4. Aus: Marcello Truzzi, On Pseudo-Skepticism