Multiple Chemical Sensitivity

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MCS-Kranke, die laut "Bild-Zeitung" unter einer so genannten "Chemie-Allergie" leide (Bild: Bild Zeitung)[1]
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Unter einer Multiple Chemical Sensitivity (Multiple Chemikalienunverträglichkeit, Abk.: MCS) werden vielfältige, meist unklare und durch keine körperlichen Ursachen und messbaren Parameter erklärbare, chronisch auftretende Symptome zusammengefasst. Ursache dafür soll die schädigende Wirkung vielfältiger Chemikalien, meist Schadstoffe, aus der Umwelt sein. Dabei ist kein Dosis/Wirkungs-Zusammenhang erkennbar und die Konzentration der angeblich einwirkenden Chemikalien sehr niedrig, teilweise noch weit unter den Schwellenwerten.[2]. Für die Existenz einer solchen Krankeit gibt es jedoch keine wissenschaftlichen Belege.

Die Beschreibung von MCS geht auf den klinischen Ökologen Theron G. Randolph zurück ("chemical susceptibility problem") und findet vermehrt Aufmerksamkeit in der umweltmedizinisch interessierten Öffentlichkeit.[3] Einer der aktivsten Befürworter einer MCS war der amerikanische Arzt William James Rea, Präsident einer American Academy of Environmental Medicine (AAEM). Der 2018 verstorbene Rea behauptete in seinem Werk Chemical Sensitivity (1996), dass er mehr als 20.000 Patienten mit Erkrankungen aus dem MCS-Spektrum behandelt hätte. Gegen mindestens 28 Mitglieder der AAEM wurden Verfahren zum Entzug der Approbation durchgeführt. 2007 wurde gegen ihn ein Verfahren vor dem Texas Medical Board eröffnet. Ihm wurde vorgeworfen, pseudowissenschaftliche Untersuchungsmethoden einzusetzen, nicht nachvollziehbare Diagnosen zu stellen, unsinnige Therapien zu verschreiben und Patienten nicht ausreichend zu informieren.

Symptome

MCS-Kranker mit Atemmaske

Die Symptome sind sehr unspezifisch und weichen von den physiologischen/biochemischen/toxikologischen Wirkmechanismen der jeweiligen Chemikalien ab. Meist sind es Symptome wie Müdigkeit, Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit, Konzentrationsstörungen, Augenbrennen, Vergesslichkeit, Schwindel, Atemnot, Beschwerden am Bewegungsapparat, Magen-Darm-Beschwerden, Haut- und Schleimhautprobleme und diffuse Schmerzen. Eine Kausalität zwischen den Symptomen und der Dauer und Intensität einer möglichen Exposition und der Art der Chemikalien ist nicht feststellbar.[4] Mit der Zeit nehmen die Symptome in der Intensität als auch in der Anzahl zu.

Betroffene haben eine beträchtliche Einschränkung ihrer Lebensqualität und einen hohen Leidensdruck. In extremen Fällen schränken sie ihr Leben extrem ein, um nicht mehr mit den vermuteten Auslösern der Beschwerden in Berührung zu kommen, z.B. Meidung bestimmter Nahrungsmittel, Kosmetika, Reinigungsmittel, Kleidungsstücke, Tragen von Atemschutz oder sogar die Weigerung, das Haus zu verlassen. Neben den Befindlichkeitsstörungen können in solchen Fällen auch soziale Isolierung, Verlust des Arbeitsplatzes, Einstellung von Freizeitaktivitäten sowie ernste psychische Störungen wie Angststörungen und Panikattacken hinzukommen.[5]

Große Ähnlichkeiten und teilweise Überschneidungen in den Symptomen bestehen auch mit anderen, wissenschaftlich nicht belegten, umweltassoziierten Befindlichkeitsstörungen wie Sick-Building-Syndrom (SBS), Chronic Fatigue Syndrome (CFS) und die so genannte Elektrosensibilität (Elektromagnetische Hypersensibilität, siehe dazu: Elektrosmog).

Ursachen

Inwieweit MCS tatsächlich durch Umweltschadstoffe verursacht oder ausgelöst wird, ist wissenschaftlich umstritten.[6] Wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse zur Ursache von MCS liegen nicht vor und bislang existieren keine allgemein akzeptierten diagnostischen Tests hinsichtlich physiologischer oder biochemischer Parameter (z.B. Blut- oder Urinproben mit nachweisbaren Chemikalienbelastungen), die mit den angegebenen Symptomen korrelieren. Daher ist die Zuweisung einer Diagnose MCS im naturwissenschaftlichen Sinne nicht möglich.[7]

MCS beginnt meist mit Symptomen im Zusammenhang mit einer belegbaren Expositionssituation, welche durch eine erneute Exposition wieder auslösbar sind. Erklärungsmodelle zur Entstehung von MCS, die in der Fachwelt bisher diskutiert worden sind, stützen sich auf die Annahme eines toxisch bedingten Toleranzverlustes, einer neurogenen Entzündung, eines neuronalen Sensitivierungsprozesses oder eines komplexeren psychosomatischen Geschehens.[8] Insgesamt lassen sich die bisherigen Modelle zur Entstehung der MCS innerhalb zweier grundsätzlicher Komplexe zusammenfassen:

  • MCS ist eine umweltbedingte Störung mit möglicher genetischer Beteiligung wie Vergiftung, Fehlfunktion von Nerven-, Immun-, Hormonsystem oder Atemwegen, Herabsetzung nervlicher Auslöseschwellen für Missempfindungen, Schmerzen und Fehlfunktionen oder einer Störung der Riechempfindung. Chemische Auslöser können u.a. Lösungsmittel, Pestizide, bestimmte Metalle und ihre Legierungen (vor allem Amalgam in Zahnfüllungen), Verbrennungsprodukte und andere Schadstoffgemische sowie Duftstoffe sein.
  • MCS ist eine psychosomatische oder psychiatrische Störung, z.B.: Depression, Zwangsneurose, Ökochondrie oder Chemophobie. Zahlreiche psychosomatisch orientierte Untersucher sehen die Symptome als Ausdruck einer Panikattacke bei bestehenden Phobien (Chemikalienphobie) oder das Krankheitsbild als eine somatoforme Störung an. Dabei wird davon ausgegangen, dass sich die umweltbezogenen Ursachen von MCS ausschließlich auf die Überzeugung des Betroffenen beziehen, unabhängig vom objektiven Nachweis einer messbaren Exposition.[9] Insofern kann man bei MCS auch von einer Nocebo-Reaktion (analog zum Placeboeffekt ist dies die Auslösung von Befindlichkeitsstörungen durch ein Scheinmedikament oder eine scheinbare Umwelteinwirkung, siehe auch: Elektrosmog) sprechen.[10]
Bestätigt wird diese Hypothese u.a. durch eine amerikanische Doppelblindstudie aus dem Jahr 2008, die zeigte, dass MCS-Patienten nicht auf die Chemikalien reagieren,[11] sondern dann Reaktionen zeigten, als sie glaubten, Chemikalien ausgesetzt zu sein.[12]

Therapie

Entsprechend des unklaren Krankheitsbildes existieren auch keine wissenschaftlich anerkannten Therapieverfahren.

Zahlreiche Anbieter aus dem pseudomedizinischen Bereich bieten zur Diagnose und Heilung von MCS allerlei nicht belegte bzw. wirkungslose Verfahren an, wie z.B. Entgiftung, Chelattherapie, Cutler-Protokoll, Aderlass oder andere "ausleitende" Verfahren, oft in Zusammenhang mit einer Amalgamsanierung der Zähne, sowie Antioxidantien und andere Nahrungsergänzungsmittel.[13][14] Des Weiteren wird eine baubiologische Sanierung der angeblich betroffenen Gebäude angeboten.

Siehe auch

Weblinks

Quellenverzeichnis