Morgellonen

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Angebliche Morgellons-Fasern
Vorstellung einer angeblichen Morgellonen-Krankeit bei David Dees
"Morgellons" als ernst zu nehmendes Thema der Bodensse - Apotheke (2021)

Der Begriff Morgellonen (engl. morgellons) bezeichnet eine geheimnisvoll erscheinende, bizarre und angeblich neuartige Hauterkrankung, die teilweise in den Medien Beachtung fand und eine typische Krankheitserfindung (disease mongering) darstellt.

Bis heute konnte kein Nachweis erbracht werden, dass es sich um eine neue Krankheit handelt. Alle Anzeichen sprechen dafür, dass es sich um eine seit mehreren Jahrhunderten bekannte psychiatrische Erkrankung handelt (Psychose ohne Bewusstseinsstörung mit haptischen Halluzinationen), die als Dermatozoenwahn oder Ekbom-Syndrom bezeichnet und auch bei Hypochondern beobachtet wird.[1][2]

Synonyme Bezeichnungen

  • Chronische Entomophobie oder Parasitophobie
  • Taktile (oder haptische) Halluzinose
  • Epizoonosewahn
  • Insektenwahn
  • Ekbom-Syndrom
  • Dermatozoenwahn (Ekbom 1938)
  • Acarophobie
  • Circumskripte Hypochondrie
  • Wahnhafter Ungezieferbefall
  • Chronische taktile Halluzinose

In der englischsprachigen Literatur bekannt als:

  • delusionary parasitosis
  • entomophobia,
  • parasitophobia usw...

In der französischsprachigen Fachliteratur:

  • nevrodermie
  • délire de parasitose

Derartige Störungen lassen sich als sekundärer Dermatozoenwahn auch bei Kokainabusus oder der Zuckerkrankheit regelmäßig beobachten. Da Insektenwahner häufig versuchen, ihre angeblichen Plagegeister in Streichholzschachteln zum Arzt mitzubringen, wird in Ärztekreisen hinter vorgehaltener Hand auch mal vom matchbox-Syndrom gesprochen.

Ein ähnlicher Begriff des Enterozoenwahns bezieht sich auf die Gewissheit des Betroffenen, innerlich von Parasiten befallen zu sein.

Namensherkunft Morgellonen

Mary Leitao mit Sohn
  • 1690 benutzte der englische Arzt Sir Thomas Browne den Begriff in einer Monographie[3] in Zusammenhang mit einem Krankheitsbild bei Kindern, das im französischen Languedoc bekannt war. Die betroffenen Kinder wurden damals les morgellons genannt.
  • 1935 bezeichnete der englische Arzt C. E. Kellett damit eine Erkrankung, die in der provencalischen Sprache masclous, oder Krankheit der kleinen Fliegen genannt wurde. Der Begriff geriet allerdings wieder in Vergessenheit.
  • 2002 griff die Biologin Mary Leitao aus McMurray (Pennsylvania) den Begriff wieder auf, als sie versuchte, eine Erklärung für Hauterscheinungen bei ihrem zweijährigen Sohn zu finden. Sie erinnerte sich an die Schrift von Browne aus dem 17. Jahrhundert. Leitao meldete sodann zur Verbreitung eigener Ansichten zu den Morgellonen eine eigene Webseite (Morgellons.org) an und gründete die "Morgellons Foundation", zusammen mit einigen weiteren Personen (Wymore, C. Chase, Holman, Greg Smith). Nachdem man Leitao vorwarf, Spendengelder für private Zwecke abgezweigt zu haben, kam es zum Ende der Zusammenarbeit und einer Strafanzeige.

Symptomatik

Die vom beschriebenen Krankheitsbild Betroffenen berichten über unerklärliche Hauterscheinungen mit Juckreiz. Manche Betroffene berichten über faserartige Fremdkörper in oder auf der Haut. Aller Wahrscheinlichkeit nach kommen gefundene Fasern aus der Umgebung der Patienten. Die juckende Haut wird durch das Kratzen rauh und es bilden sich Risse, in denen Fasern der Bekleidung oder anderer Quelle hängenbleiben können und dann fälschlich als Ursache angenommen werden.

Eine körperliche Untersuchung durch den Experten kann mögliche Krätze oder Lausbefall abklären, bei denen sich ähnliche Symptome zeigen.

Untersuchungen des CDC (Center for Disease Control and Prevention/USA)

Das US-amerikanische CDC veröffentlichte eine Erklärung, die auf einer Literaturdurchsicht beruht, nach der es unbekannt sei, ob es sich bei den beschriebenen Symptome um eine neuartige Erkrankung oder überhaupt um eine eigenständige oder gar ansteckende Erkrankung handelt.

Verschwörungstheorien

Anhänger der Chemtrail-Hypothese nennen die mit Morgellons bezeichnete Störung als Beweis dafür, dass von Flugzeugen Fasern in der Atmosphäre verteilt würden, die sich dann in der Haut bestimmter Einzelpersonen wiederfänden. Für diese Vermutung werden jedoch keinerlei Beweise erbracht. In der Trutherszene wird außerdem die Ansicht verbreitet, dass die Untersuchungsergebnisse des CDC eine absichtliche Täuschung der Bevölkerung seien.

Eine im März 2021 entstandene Verschwörungstheorie besagt, dass sich hypothetische "Morgellonen" in Form von schwarzen kleinen Fasern, schwarzen Würmern oder "Nanorobotern" auf der Overfläche von Abstrichstäbchen der Coronavirus-Test befinden würden. Auch würden sich die gemeinten Morgellonen in Mund-Nasen-Schutzmasken befinden. Siehe dazu: Coronavirus Morgellonen Verschwörung.

Die Morgellonenszene

Marc Neumann (Bildquelle: YouTube)
Harald Kautz-Vella (links) mit Jo Conrad im Gespräch über Black Goo (Bild: Youtube)

In Deutschland macht der Augsburger Informationstechniker Marc Neumann seit 2006 im Internet mit YouTube Videos und Webseiten auf sich aufmerksam. Der Medizinlaie Neumann glaubt, selbst von Morgellonen betroffenen zu sein. Neumann gründete eine Ein-Mann-Organisation, die sogenannte "Morgellons Research Organisation" (MRO). Er erfand auch ein ansonsten unbekanntes "Morgellons Syndrom", von dem er selbst befallen zu sein glaubt. Als Ursache der angenommenen Morgellonen vermutet Neumann die Anwesenheit von genetisch manipulierten, unbekannten Mikroorganismen, die heimlich oder gezielt als Insektizide eingesetzt würden. Zur "Behandlung" setzt Computer-Experte Neumann auf Scharlatanerieverfahren wie die nach Hulda Clark oder Günther Enderlein oder auf ungeeignete Mittel wie Kolloidales Silber.[4] Ebenfalls in Deutschland ist Harald Kautz-Vella aktiv, der ein "Consortium for Morgellon-related Research" namens "time loop" gegründet hat. Außer ihm selbst gehören dieser Gruppe der Heilpraktiker Ekkehard Sirian Scheller und der Arzt Dietrich Klinghardt an sowie die österreichische Firma BioPure.eu Ltd., die mit Nahrungsergänzungsmitteln handelt. Kautz-Vella ist Anhänger der Verschwörungstheorie der Chemtrails, in denen er die Ursache für Morgellonen sieht.[5] Er setzt vor allem auf eine Behandlung mit Black Goo, das auch "intelligentes Öl" genannt wird und dem in der Esoterikszene Wundereigenschaften zugeschrieben werden. BioPure.eu verkauft Black-Goo-Globuli, die Kautz-Vella mittels eines Radionik-Gerätes "geprägt" habe. Ein weiterer Verbreiter von Verschwörungstheorien ist ein Hans Emik Wurst aus 98530 Oberstadt bzw 08538 Weischlitz, der unter anderem die Webseite morgellons.be betreibt, sowie DZ-G.ru. Die Augsburger Autorin und "Naturkosmetikerin" Claudia Ehle ist eine weitere Verbreiterin pseudomedizinischer Behauptungen zu einer hypothetischen Morgellonen-Krankheit. Über einen Webshop bietet sie Nahrungsergänzungsmittel (getrocknete Früchte, Grüntee, Gojibeeren, Bromelain) eines chinesischen Grosshändlers für 450 €/Kg an.

Eine weitere Protagonistin der Morgellonenszene ist die US-Army-Pathologin Hildegarde Staninger (auch Hildegard Stanninger und als Doctor of Integrated Medicine bezeichnet), die erstaunliche Hypothesen zu "Marssporen", Nanotubes und Nanomaschinen aufstellte und ebenfalls Chemtrails als Ursache für Morgellonen bezeichnete.

2004 wurde eine gemeinnützige "Morgellons-Stiftung" geschaffen. Zwei Mitglieder des Medical Advisory Boards sind Raphael Stricker (ILADS) und die Krankenschwester Ginger Savely.

Verbindungen zur Organisation ILADS (Lyme-Borreliose-Außenseitertherapieempfehlung)

Es kann belegt werden, dass Mitglieder der ILADS-Organisation (International Lyme and Associated Diseases Society) bereits in den 2000er Jahren versuchten, das Konstrukt Morgellonen mit einer chronischen Form der Lyme-Borreliose in Verbindung zu setzen. Genannt werden kann hier das ILADS-Mitglied Raphael Stricker, ein Arzt aus San Francisco. Stricker verfasste mit Mary Leitao und der Krankenschwester Virginia R. Savely (Ginger Savely) im Februar 2006 einen Artikel im American Journal of Clinical Dermatology "The Mystery of Morgellons Disease - Infection or Delusion?".[6] In dem Artikel wird nahegelegt, dass die behauptete Morgellonen-Krankheit existieren könnte, es eine Verbindung zur Lyme-Borreliose gebe und die Patienten auf Antibiotika ansprechen würden. Stricker ist aktuell Vizepräsident der ILADS und war jahrelang deren Präsident. Er ist zudem Direktor der ILADEF, einer Ausbildungseinrichtung der ILADS. Absolventen nennen sich LLMDs (Lyme Literate Medical Doctors). Die ILADS ist eine umstrittene Organisation von Befürwortern einer angeblich häufig vorliegenden chronischen Erscheinungsform der Lyme-Borreliose, eine Sichtweise, die mit dem aktuellen Wissensstand in der Medizin nicht vereinbar ist. Entsprechende Verdachtsdiagnosen ermöglichen Ärzten, kostspielige Testverfahren und Therapien anzubieten.

Siehe auch

Literatur

  • Roncati L, Gatti, Pusiol, Piscioli, Barbolini, Maiorana: "The first investigative science-based evidence of Morgellons psychogenesis" in: Journal Ultrastructural Pathology, 2016, Volume 40, Issue 5

Weblinks

Anderssprachige Psiram-Artikel

Quellennachweis

  1. Thieberge, D: Les acarophobes. Rev. Gen. Clin. Ther. 32 (1894), 373
  2. Accordino RE, Morgellons disease?, Dermatol Ther. 2008 Jan-Feb;21(1):8-12.
  3. Browne T: A Letter to a Friend
  4. Zitat von Neumanns Webseite www.morgellons-research.org/morgellons2/morgellons-naturals.htm (inzwischen entfernt): Meine gezielt angewandten Mittel und Methoden berufen sich einmal auf die Theorien von Enderlein, Dr. Clark, vielen Naturmedizinbüchern und auch eigenen Theorien.
  5. Zitat: Da der Pilz selber nicht in den Biologiebüchern gelistet ist, und das Myzel augenscheinlich von Flugzeugen aus versprüht wird, bietet sich die Interpretation an, dass es sich hierbei um eine gentechnisch erzeugte bzw. waffenfähig gemachte Gattung handelt, also um eine gegen die Menschheit eingesetzte Biowaffe. Das würde auch die Weigerung der staatlichen Gesundheitsbehörden erklären, die Krankheit anzuerkennen. http://www.timeloopsolution.de/morgellons.html, Aufruf am 26. November 2014
  6. Virginia R. Savely, Mary M. Leitao, Raphael B. Stricker: The Mystery of Morgellons Disease - Infection or Delusion? American Journal of Clinical Dermatology, Febr. 2006, Vol 7, 1, Seiten 1-5