Die so genannte Hildegard-Medizin ist eine mit religiösen Elementen versetzte Erfindung des Arztes Gottfried Hertzka und des deutschen Heilpraktikers Wighard Strehlow aus den 1970er Jahren. Bei der Hildegard-Medizin beruft man sich auf Hildegard von Bingen (1098-1179), die als Achtjährige in ein Kloster ging und Nonne wurde. Sie gründete während ihres Lebens zwei Frauenklöster. Sie wird als Abtissin oder Heilige bezeichnet.

Hildegard von Bingen werden verschiedene Bücher zugeschrieben, von denen allerdings heute nur noch jene theologischen Inhalts erhalten sind. Sie soll jedoch zwei weitere Bücher geschrieben haben, die sich mit Naturheilkunde befassten. Die Originale sind jedoch nicht erhalten, lediglich später von Dritten nachgeschriebene Werke, die von Bingen zugeordnet werden. Bis heute ist unklar, ob Hildegard diese wirklich geschrieben hat.

Hildegard von Bingen soll sich kritisch zu den im Mittelalter verwendeten Techniken geäußert haben. Sie mahnte vielmehr eine maßvolle Lebensführung und Körperhygiene an (z.B. Zahnpflege).

Protagonisten

Der österreichische Arzt Gottfried Hertzka und der deutsche Heilpraktiker Wighard Strehlow sind die Wortführer der deutschsprachigen Szene seit dem Ende der 1970er Jahre, als im Gefolge des New-Age-Booms auch mittelalterliche Methoden an Bedeutung gewannen. Geschäfte werden mit Büchern, Vorträgen und dem Versand von Pflanzenzubereitungen gemacht, deren Rezepturen von Bingen zugeschrieben werden. Daneben werden auch Edelsteine, Lebensmittel und Kosmetika vertrieben.

Krankheitslehre

Die Kernidee hinter der Hildegard-Medizin ist unkritischer, religiöser Glaube, da Krankheit in dieser Ideologie ein gestörtes Gleichgewicht zwischen Körper und Seele ist. Dies könne nur mit Glauben ins Lot gebracht werden, ohne den jede Heilkunst sinnlos sei.

Die Behandlung von Krankheiten beruht auf:

  • maßvoller und ausgewogener Ernährung, besonderer Wert wird dabei auf Dinkel gelegt
  • Anwendung von Arzneien auf Pflanzen, Mineralen und Edelsteinen teilweise unter Berücksichtigung der Mondphase
  • Ausleitenden Verfahren wie Aderlass, Schröpfen, (Heil-)Fasten und Schwitzbäder
  • geregelter Wechsel von Ruhe und Aktivität
  • Seelischer Reinigung durch Liebe, Hoffnung, Musik, Gebet und Meditation.

Kritik

Es gibt bis heute keine einzige, legal zugelassene Hildegard-Arznei. Die meisten der verwendeten Pflanzen kann man in jeder Apotheke (i.d.R. ohne Rezept) kaufen. Hertzka propagiert die Hildegard-Medizin als eine Heilweise für jedermann. Theoretische Grundlagen der Körperfunktion, deren Ursachen und Behandlung von Krankheiten scheinen für ihn bedeutungslos zu sein. Die Wirksamkeit der Hildegard-Medizin ist wissenschaftlich nicht bewiesen.

Die Medizinhistorikerin Irmgard Müller, die zu den naturheilkundlichen Schriften Hildegards publiziert hat, bezeichnet die so genannte Hildegard-Medizin als nicht authentisch und nicht auf den Hildegard zugeschriebenen Schriften basierend. Zutreffend müsse sie daher eigentlich als „Hertzka-Medizin“ bezeichnet werden. Es handele sich um ein „therapeutisches Konstrukt profitbewusster Marktstrategen“.[1][2]

Weblinks

Weblogs

Quellenverzeichnis

  1. Irmgard Müller: Wie authentisch ist die Hildegardmedizin? Zur Rezeption des Liber simplicis medicinae Hildegards von Bingen im Codex Bernensis 525. In: Hildegard von Bingen. Prophetin durch die Zeiten. Hrg.v. Edeltraut Forster u. der Benediktinerinnenabtei St. Hildegard, Eibingen. Freiburg, Basel, Wien 1997, S. 420-430
  2. Charlotte Kerner: „Wie könnt ihr Heilmittel geben, ohne eure Tugend dazu zu tun?“ (BZ 15. Juli 1998)