Herzfrequenzvariabilität

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HRV
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Die Herzfrequenzvariabilität (HRV, auch Herzratenvariabilität, heart rate variability) ist in der Kardiologie und Medizin ein wissenschaftlich anerkannter Parameter der Herzfunktion und übergeordneter steuernder Regulationszentren. Die Herzfrequenzvariabilität beschreibt zeitliche Veränderungen der Herzfrequenz (auch vereinfacht Veränderungen der Pulsfrequenz), also der Anzahl von Herzschlägen pro Zeiteinheit (meist pro Minute), zumeist als Ausdruck einer ständigen Anpassung an eine andere Sauerstoffanforderung durch den Körper. Obwohl die HRV ein einfacher, preiswerter und unblutig zu bestimmtender Parameter der Herzfunktion ist, wird er aufgrund der geringen Aussagekraft in der Kardiologie nicht routinemäßig durchgeführt.

Neben anerkannten Anwendungen einer Analyse der Herzfrequenzvariabilität, sind auch Anwendungen für pseudowissenschaftliche Zwecke und zur Vermarktung von umstrittenen Produkten zu beobachten, die Haupthema dieses EsoWatch-Artikels sein sollen.

Die Herzfrequenzvariabilität

Die Herzfrequenz (HF) des erwachsenen und gesunden Menschen beträgt in Ruhe 50 bis 100 Schläge pro Minute. Beim Elefanten sind es nur etwas mehr als 15, bei Kolibris dagegen bis zu 1.000 Schläge pro Minute. Die Herzfrequenz des Gesunden unterliegt vielfältigen Einflüssen. Ein wesentlicher Teil der Regulation erfolgt durch das autonome Nervensystem im Gleichgewicht von stimulierendem Sympathikus und dämpfendem Parasympathikus, des Weiteren spielen im Blutkreislauf zirkulierende Hormone, insbesondere Katecholamine (Adrenalin), eine Rolle. Aber auch die Atmung beeinflusst die Herzfrequenz. Eine erhöhte Herzfrequenz wird als Tachykardie, eine erniedrigte als Bradykardie bezeichnet. Bei körperlicher Anstrengung steigt beim gesunden Menschen die Herzfrequenz an. Die Pumpleistung des Herzens nimmt dann zu, und dem Körper kann mehr Sauerstoff zur Verfügung gestellt werden. Extremwerte werden beim Radsport beobachtet. In Ruhe nimmt die Herzfrequenz wieder ab.

Bestimmung der HRV

Gemessen wird die HRV mit Hilfe eines EKG-Gerätes. Aber auch mit optischen Fingersensoren. Die Zeit zwischen zwei R-Zacken (das R-R-Intervall) kann zur Berechnung der aktuellen Herzfrequenz benutzt werden (als reziproker Wert der Periodendauer), um sodann durch Vergleich der Messergebnisse die Variabilität statistisch zu beschreiben. Basisvariablen sind die mittlere Dauer eines R-R-Intervalls und die Standardabweichung über 24 Stunden.

Billige Kaufhaus-Pulsmesser können auch zur Messung der Herzfrequenz allein benutzt werden (ohne HRV-Berechnung) genauso wie die Jahrtausende alte mit den Fingern ertastete manuelle Pulsmessung, die auch aus der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) und aus der europäischen Medizin des Mittelalters bekannt ist. Aber in der TCM fanden die zeitlichen Veränderungen der Herzfrequenz bereits Beachtung. Ein allzu regelmäßiger Pulsschlag galt als ein Indiz für den bevorstehenden Tod.[1]

Verschiedene Untersuchungstechniken der HRV wurden vorgeschlagen und werden auch angewandt:

  • time domain
  • frequency domain
  • geometrische Analysen
  • Histogramme

Heute wird die HRV meist mit einer Spektralanalyse mit Hilfe der Fourierfunktionen untersucht, was frequenzabhängige Oszillationen erfasst. Das betreffende Mess-Spektrum wird in drei Frequenzbänder aufgeteilt, teilweise zuzüglich eines vierten Frequenzbandes.

  • High Frequency band (HF) 0,15 bis 0,4 Hz. (Atemeinfluss, vagale Einflüsse)
  • Low Frequency band (LF) 0,04 bis 0,15 Hz. (para- und sympathikone Einflüsse)
  • Very Low Frequency band (VLF) band 0,0033 bis 0,04 Hz.
  • Ultra Low Frequency (ULF) band 0 bis 0,0033 Hz. (circadiane Rythmen)

Ein geometrisches Verfahren zur Auswertung ist der Poincaré Plot, zur Darstellung zwei- oder mehrdimensionaler Punktwolkendarstellungen.

HRV in der wissenschaftlichen Forschung und klinischen Anwendung

Die wissenschaftliche Herzfrequenzvariabilitätsanalyse versucht, die HRV-Veränderungen quantitativ zu erfassen und für diagnostische und prognostische Zwecke nutzbar zu machen. Bestimmte Krankheiten führen nämlich zu prognostisch nutzbaren Veränderungen von Parametern der HRV. Dazu gehören der Bluthochdruck, die Sepsis (Blutvergiftung), Folgen der Zuckerkrankheit (diabetische Neuropathien), die koronare Herzkrankheit und Folgen des Herzinfarkts. In der Rehabilitativen Medizin findet die HRV Verwendung zur weiteren Prognose. Weitere Anwendungen finden sich in der Stressforschung und der Sportmedizin. Zur Vermeidung von Fehleinschätzungen der Bedeutung verschiedener Parameter der HRV wurden von der Task Force of the European Society of Cardiology und The North American Society of Pacing and Electrophysiology Richtlinien festgelegt zur Durchführung und Interpretation von HRV-Analysen.

Herzkohärenz

Da die Atmung die Herzfrequenz bekanntermaßen beeinflusst, ist in der Vergangenheit der Frage Beachtung geschenkt worden, ob es so etwas wie eine Synchronisation zwischen Atmung (u.a. Atemfrequenz) und Herzfrequenz gibt. In diesem Zusammenhang wurde auch von einer Herzkohärenz gesprochen. Verschiedene Biofeedback-Techniken und Geräte wurden entwickelt, um eine derartige Herzkohärenz trainierbar herbeizuführen und nachzuweisen. Die Messung des Pulses erfolgte dabei mit Hilfe eines Brustgurtes oder eines Ohrclips. Empfindungen wie Liebe, Freude oder Dankbarkeit sollten demnach eine reproduzierbar nachweisbare Synchronisation der Rhythmen von Herz und Atmung zeigen.

HRV in der Pseudowissenschaft

Auf die Herzfrequenzvariabilität und Messergebnisse derselbsen wird häufig bei pseudowissenschaftlichen Argumentationsversuchen zurückgegriffen. Die meist wenig bekannte HRV, die einfache Datenerhebung, der technische Nimbus, die Beeindruckbarkeit von Laien durch harte elektrophysiologische Daten und die noch nicht abgeschlossenen Forschungsergebnisse scheinen dafür disponierend zu wirken.

Zur Beweisbarkeit von Erdstrahlen und der Geomantie wird die HRV häufig angeführt.[2] Die unterstellten Erdstrahlen würden demnach Auswirkungen auf Energieströme des Menschen haben, mit der Konsequenz, dass sich die HRV sich verändere. Entsprechende Nachweise seien in Österreich an einem Institut für Nichtinvasive Diagnostik des Joanneum Research Weiz erbracht worden. Kraftorte ließen sich ebenfalls mit der HRV nachweisen, heißt es aus gleichem Hause. Sogar Bäume sollen demnach ihre Spuren in Herzfrequenzvariabilität und Pulsschlag hinterlassen: Buchen wirken aktivierend auf den Menschen, Eichen neutralisierend auf die HRV. Auch eine Salzburger Forschergruppe untersuchte per HRV geopathogene Störzonen - natürlich mit Erfolg.[3]

Auf positive HRV-Ergebnisse beruft sich auch der Erfinder der pseudowissenschaftlich bezeichneten Thought Field Therapy (TFT), Callahan. Die TFT ist eine Kombination aus Akupressur, Kinesiologie und Kurzzeitpsychotherapie.[4] Dabei käme es jedoch sowohl zu einer Zunahme, wie auch zu einer Abnahme der HRV, die er unter anderem auf Toxine zurückführte.[5] Seine Behauptungen wurden jedoch als methodisch fehlerhaft bezeichnet, und Callahan wurde eine subjektive Dateninterpretation unterstellt, eine fehlerhafte statistische Auswertung sowie das Fehlen einer Kontrollgruppe.[6][7][8] Auch kam der Vorwurf einer missbräuchlichen Anwendung der HRV auf.[9]

Auch zur Eignung eines VNS-Diagnosis System zur Erkennung einer sympathovagalen Balance wird von der Firma GeoWave die HRV herangezogen.[10] Die Firma Geowave bietet unter anderem das Produkt GeoWave-Welle an.

Die HRV kommt auch im Bereich der Quantenmedizin ins Spiel und soll das Verfahren untermauern. Der Wiener Claus Holler (geb. 1956) führt die HRV zur Begründung an, dass es signifikante Unterschiede der sympatho-vagalen Balance unter dem Einfluss von Kräutersalz Böhm und Natursalz Böhm gegenüber Vergleichssalzen (Kräutersalz Demeter und Ischler Salz) nachweisbar sind, ohne das Salz konsumieren zu müssen, woraus man folgern könne, "dass der Konsum von Kräutersalz Böhm und Natursalz Böhm günstige Effekte auf die sympathovagale Balance bewirken."[11] Mit der Aussage "ohne das Salz konsumieren zu müssen" ist gemeint, dass die Versuchspersonen das Salz nicht essen mussten, sondern lediglich ein Glasgefäß mit dem jeweiligen Salz in der Hand halten.

Auch die Firma Airnergy verweist auf die HRV zum Nachweis des eigenen Verfahrens.

Literatur

  • M. Malik and A. Camm, "Heart Rate Variability," Futura Publishing Company, 1995
  • Lombardi F, Mäkikallio T H, Myerburg R J et al.: Sudden cardiac death: role of heart rate variability to identify patients at risk. Cardiovasc Res 2001; 50: 210 – 217

Weblinks

Quellennachweise

  1. Wang Shu-he (auch Wang Shu-ho oder Wang Hsi): „Mai Ching“/„The Knowledge of Pulse Diagnosis“
  2. http://www.geowave.ch/documents/Presse/HagiaChora18HermannJell.pdf
  3. http://www.geowave.eu/download/studie/StudiegeopathogeneStoerzonen.pdf
  4. Callahan RJ. The impact of Thought Field Therapy on heart rate variability. J Clin Psychol. 2001 Oct;57(10):1153-70
  5. Callahan RJ. Raising and lowering of heart rate variability: some clinical findings of Thought Field Therapy. J Clin Psychol. 2001 Oct;57(10):1175-86
  6. Kline JP. Heart rate variability does not tap putative efficacy of Thought Field Therapy. J Clin Psychol. 2001 Oct;57(10):1187-92
  7. Pignotti M. Callahan fails to meet the burden of proof for Thought Field Therapy claims. J Clin Psychol. 2005 Mar;61(3):251-5
  8. Pignotti M. Regarding the October 2001 Journal of Clinical Psychology special issue on Thought Field Therapy: retraction of conclusions in the article "heart rate variability as an outcome measure for Thought Field Therapy in clinical practice". J Clin Psychol. 2005 Mar;61(3):361-5
  9. Herbert JD, Gaudiano BA. The search for the holy grail: heart rate variability and thought field therapy. J Clin Psychol. 2001 Oct;57(10):1207-14
  10. GeoWave http://www.geowave.ch/documents/Corner/Pressemappekomplett.pdf
  11. C. Holler (2004): Sympatho-vagale kardiale Regulationstätigkeit unter dem Einfluss von Salz bei gesunden Personen. Studie am Wiener Krankenanstaltenverbund, Bereich Umweltschutz. [1]