Germanitien

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Falscher Diplomatenpass des Scheinstaats Germanitien von Karl Meyer, Mitglied des Zentralrat Souveräner Bürger. (Bild: Polizei Bayern)

Germanitien ist der Name eines 2007 von Privatleuten initiierten Scheinstaates innerhalb der Bundesrepublik Deutschland. Einen Schwerpunkt bildet die Ortschaft Westerheim. Insgesamt behaupten angeblich 7.000 Personen, Germaniten zu sein. Nach Ansicht von Ulrike Kuklinski, der "Präsidentin" von Germanitien (zugleich Präsidentin der Ringvorsorge RV), reiche es aus, sich auf ein "320. Übereinkommen (89/1) der UN" und eine Staatsproklamation zu berufen, um einen neuen Kleinstaat gründen zu können.[1] Eine Erörterung des Scheinstaates Germanitien und der staatsrechtlichen Hintergrunds findet sich in einem Artikel der Schwäbischen Zeitung vom 13. Mai 2011.[2]

Als Inhaber eines gefälschten Diplomatenpasses von Germanitien erwies sich der Automechaniker Karl Meyer. Meyer ist Mitglied des Zentralrat Souveräner Bürger und in Betrügereien um die Nürnberger Firma GFE verwickelt. Die GFE bot einen Rapsöl-Wundermotor mit unwahrscheinlich hohem Wirkungsgrad an. Kunden sollten 20 Jahre lang hohe Renditen durch eine betriebswirtschaftlich widersinnige Rückpachtung erhalten. Nach Anzeigen von GFE-Kunden wurde 2010 ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth gegen 17 Beschuldigte eröffnet und acht mutmaßliche Betrüger verhaftet (siehe Artikel zu Claudia Aumüller-Karger). Laut Nürnberger Zeitung vom 20. August 2012 wurde Meyer von Münchner Bundespolizisten auf Grund eines Nürnberger Haftbefehls am Flughafen München festgenommen. Meyer war auf dem Heimweg von Tunis. Bei seiner Einreise nutzte ihm auch sein "Diplomatenpass" von Germanitien nichts.[3] Meyer wurde im Februar 2014 zu 5 1/2 Jahren Haft verurteilt.[4]

Verbindungen zur Justizopferhilfe JOH und Bürger Kanzlei Graf von Andechs

Die 2015 geräumte "Botschaft" in Löhne
JOH-Gründungsurkunde

Im nordrheinwestfälischen Löhne wurde 2012 eine "Botschaft" von Germanitien mit einer angeschlossenen "Justizopferhilfe" (JOH-NRW) eröffnet.[5] Inhaber und Vermieter der "Botschaft" ist Ralf Wachsmuth, der auch im Vorstand der JOH sitzt. Gründer des Vereins JOH soll Axel Thiesmeier sein, der wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu einer Geldstrafe verurteilt wurde. In dem Verein sind auch ehemalige Mitglieder des 2010 verbotenen Collegium Humanum (CH) und der NPD aktiv. Am 27. September 2012 kam es zu einer Razzia in den Büroräumen, da Vorstandsmitglieder des Vereins Beleidigungen und Diffamierungen gegen Personen des öffentlichen Lebens aussprachen. Am Folgetag wurde der mit Haftbefehl gesuchte Jürgen Niemeyer (geb. 1957) vor der "Botschaft" festgenommen. Der Germanitien-"Botschafter" und frühere Funktionär der NPD Herford hatte versucht, falsche Dollarnoten in Umlauf zu bringen; im Oktober 2012 wurde er dafür zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten verurteilt.[6][7]

Das Gebäude wurde 2015 zwangsversteigert,[8] worauf es von den Germaniten im Oktober 2015 geräumt wurde.[9] Daraufhin bezogen sie ein Haus im benachbarten Rinteln in Niedersachsen (Ortsteil Goldbeck). Dieses Gebäude sollte Ende Oktober 2015 ebenfalls zwangsversteigert werden. Eigentümer der Hauses ist Jörg Pagels (geb. ca. 1969), der dem Vorstand der JOH angehört und sich "JOH Ermittlungsbeamter" nennt.[10] Mieter sind Axel Thiesmeier und Jürgen Niemeyer. Die Zwangsversteigerung scheiterte jedoch, da sich keine Bieter für das Gebäude fanden, das in schlechtem baulichen Zustand ist, so dass die Germaniten das Haus weiter nutzen können.[11] Am 30. Oktober 2015 wurde außerdem ein Auto von Pagels versteigert. Alle drei Versteigerungen wurden von Germanitien-Anhängern zu stören versucht.[12]

Im Dezember 2016 wurde bekannt, dass Jörg Pagels aus der Reichsbürgerszene ausgestiegen ist.[13]

Im August 2016 wurde der Unternehmer Stefan Ratzeburg (geb. 1962) zum "König" von Germanitien gekrönt; die Zeremonie fand am Hermannsdenkmal bei Detmold statt.[14] Zuvor hatte sich Ratzeburg bereits als "König von Preußen" bezeichnet.

Die JOH ist Anmelderin der Internet-Domains kanzlei-gva.com und justiz-opfer-hilfe.com[15], die von einer Bürgerkanzlei v. Andechs genutzt wird.[16] Genannt wird als Adresse diejenige der Firma ebuero AG, die für Konferenzen und andere Anlässe Räume vermietet.[17] Die Kanzlei bietet unter anderem an: "Wir helfen Ihnen auch gerne zur ihrer Selbstverwaltung analog zur UN-Resolution A/RES/56/83, der Resolution 217 A (III) sowie des internationalen Rechts." Des Weiteren sind die "Rechtskonsulenten" oder "Konsulenten" der Kanzlei Andechs der Meinung, dass in der Bundesrepublik Deutschland keine Steuern zu zahlen seien: "Eigentlich müssen Bürger in diesem Land mittlerweile gar keine Steuern mehr bezahlen, doch wer weiß das schon." Ein Konsulent der Kanzlei trat im April 2013 als Referent bei einer Veranstaltung von Aufbruch Gold-Rot-Schwarz auf und trug zum Thema "Wie komme ich auf Grund der BRDRechtsnormen aus dem bestehenden System, so dass dies von der BRD selbst bestätigt wird" vor.[18] Auf der Webseite adelstitel-kaufen.com lassen sich für 39,98 Euro Adelstitel "Graf von Andechs" kaufen.[19][20]

Am 16. Mai 2013 veröffentlichte die Rechtsanwaltskammer Berlin folgende Warnung:[21]

"In letzter Zeit tritt die „Bürger Kanzlei Graf von Andechs“ bzw. die „Kanzlei Graf von Andechs“ unter Verwendung einer Berliner Anschrift häufig auf. Durch diese Bezeichnungen und durch die wechselnden Angaben, dass in dem Büro z.B. „Menschenrechtsanwälte“ oder „Menschenrechtsbeistände“ nach „EU-Charta Art. 47“, „Internationale Rechtskonsulenten“ bzw. „Anwälte“ nach „CCBE“ arbeiten, wird der Eindruck erweckt, als ob dort Rechtsanwältinnen oder Rechtsanwälte tätig sind."
"Die auf den der Rechtsanwaltskammer Berlin vorliegenden Briefbögen aufgeführten Personen sind jedoch in Berlin nicht zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Auch aus dem bundesweiten Rechtsanwaltsregister ergibt sich, dass keiner der auf den Kanzleibögen aufgeführten Personen Rechtsanwältin oder Rechtsanwalt ist".

Siehe auch

Weblinks

Quellennachweise

  1. http://blog.krr-faq.net/?p=1327
  2. Bundesrepublik erkennt Germanitien nicht an. schwaebische.de, 13. Mai 2011
  3. GfE-Prozess: 16 Zeugen und ein Diplomat aus "Germanitien". Nürnberger Zeitung, 20. August 2012
  4. Hohe Haftstrafen für Betrug mit Blockheizkraftwerken. Sueddeutsche.de, 27. Februar 2014
  5. "Dahinter stecken Rechtsextremisten". Mindener Tageblatt, 7. August 2012
  6. Dollar-Blüten geschmuggelt. Neue Westfälische, 3. Oktober 2012
  7. Führender „Germanit“ kündigt Ausstieg an und wird verurteilt. Neue Westfälische, 21. Dezember 2012
  8. Randale und Festnahmen bei Zwangsversteigerung. Neue Westfälische, 1. Oktober 2015
  9. Germaniten räumen Botschaft in Löhne. Neue Westfälische, 4. Oktober 2015
  10. Germaniten ziehen nach Rinteln. Neue Westfälische, 17./18. Oktober 2015
  11. Rechtsextreme "Germaniten" bleiben in Rinteln. Neue Westfälische, 28. Oktober 2015
  12. Sie sind wieder da. Neue Westfälische, 31. Oktober 2015
  13. Reichsbürger steigt aus rechtsextremer Szene aus. Lippische Landes-Zeitung, 19. Dezember 2016
  14. Scheinstaat "Germanitien" ist jetzt ein Königreich. Schaumburger Zeitung, 15. September 2016
  15. domain: kanzlei-gva.com
    created: 28-Dec-2012
    registrant-firstname: Matthias
    registrant-lastname: Dittmann
    registrant-organization: Justiz-Opfer-Hilfe
    registrant-street1: Friedrichstr. 171
    registrant-pcode: 10117
    registrant-city: Berlin
    registrant-email: anfrage@kanzlei-gva.com
  16. Bürger Kanzlei von Andechs, Friedrichstraße 171, D-10117 BERLIN
  17. http://www.ebuero.de/konferenzraum-seminarraum/in/berlin.html
  18. http://www.botschafterdeslichts.com/wp-content/uploads/Aufbruch-Gold-Rot-Schwarz-wir-immer-gr%C3%B6%C3%9Fer-.pdf
  19. http://www.adelstitel-kaufen.com/graf-von-andechs.html
  20. domain: adelstitel-kaufen.com
    created: 2008-10-21 15:45:08
    fname: Daniel Maria
    lname: van Hoogen
    org: Cenyo Incorporation
    address: Mengstr. 26
    city: Luebeck
    pcode: 23552
    country: DE
  21. In der „Bürger Kanzlei Graf von Andechs“ arbeiten keine Rechtsanwälte. Presseinformation der RAK Berlin vom 16.05.2013