Geistheilen

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serbische Geistheiler Karadzic und Minic

Als Geistheilen, oder geistiges Heilen (englisch faith-healing) werden Versuche bezeichnet, Heilungen bei Erkrankungen durch religiöse oder esoterisch inspirierte Einwirkungen ohne Anwendung von Heilmitteln oder Medikamenten zu erzielen. Unterstellt wird hierbei, dass der Geist eines entsprechend begabten Heilers in der Lage wäre, positiv auf den Erkrankten einzuwirken, und zwar nach Aussagen der Befürworter auch bei schweren Krankheiten wie Krebs [1]. Angeblich sollen in der wissenschaftlichen Medizin Wirksamkeitsnachweise für diese Heilungen vorliegen, tatsächlich aber werden die dem Geistheilen zugrunde liegenden Mechanismen dem Placeboeffekt zugeschrieben. Über den Placeboeffekt hinausgehende Wirkungen durch die Geistheil-Aktivitäten von den etwa 10.000 deutschen Geistheilern sind unbekannt.

Geistheilern versprechen häufig eine rasche, vollständige Heilung selbst schwerstkranker Patienten und zeigen sich typischerweise kritisch oder abfällig zur wissenschaftlichen Medizin. Hohe Honorare können hier für Methoden ohne Wirkungsnachweis verlangt werden. [2]

In Deutschland kommt es jährlich zu etwa hundert Millionen Patientenkontakten von Geistheilern, die der Branche einen Umsatz von mindestens vier Milliarden Euro bescheren. [3]

Formen des Geistheilens

 
Spirituelle Scheinoperation


Tote durch Gebet

 
Madeline Neumann (11)

Das elfjährige Mädchen Madeline Kara Neumann aus Weston in Wisconsin (USA) litt an einer bekannten Zuckerkrankheit (Typ I). Als sich ihr Zustand im Jahre 2008 stark verschlechterte, beschlossen ihre fundamentalchristlich eingestellten Eltern nicht etwa ärztliche Hilfe zu holen, sondern begannen stattdessen solange für ihr Kind zu beten, bis es am Ostersonntag 2008 tot war. Der letzte Arztbesuch des Mädchens lag acht Jahre zurück. Der ermittelnden Polizei erklärten ihre Eltern den Tod damit, dass ihr Kind angeblich zu wenig Glauben gehabt hätte [4] und dass zuwenig Menschen für sie gebetet hätten. Ihre Mutter glaubte sowieso, dass ihr Kind nach dem Tode wieder auferstehen könne.

Ein ganz ähnlicher Fall ereignete sich in Minnesota im Jahre 1989, als ein ebenfalls elfjähriges Mädchen mit Zuckerkrankheit starb, da es nicht effektiv behandelt worden war. Ihre Eltern orientierten sich nach der Christian Science[5]

Im März 2008 starb in Clackamas County im Staate Oregon der USA laut ABC-news ein 15-monatiger Säugling an einer Lungenentzündung die durch geeignete Antibiotika behandelbar gewesen wäre. Die Eltern setzten stattdessen auf eine tödliche Gebetstherapie[6] Die Eltern waren Mitglieder einer christlichen Sekte aus Oregon, die den Glauben an wirksame Geistheilungen verbreitet und der weitere 20 Todesfälle dieser Art zugeschrieben werden.

Am 15. Oktober 2008 starb ein 16-jähriger Junge an Herzversagen, weil seine Eltern ein heilendes Gebet einem ärztlichen Eingriff vorzogen. Die Eltern waren Anhänger der Followers of Christ Church in Oregon City, Oregon (USA). [7]

Eine wissenschaftliche Studie fand in der Fachliteratur für den zwanzigjährigen Zeitraum von 1975 bis 1995 172 Todesfälle von Kindern mit Eltern, die sich zu Sekten bekennen, bei denen die Geistheilung eine gängige Praxis ist und die den Kindern ärztliche Hilfe aus religiösen Gründen vorenthielten. Bei 140 dieser Kinder wäre nach Ansicht der Studienautoren ein Überleben bei effektiver Therapie sehr wahrscheinlich gewesen und bei weiteren 18 wäre ein Überleben gut möglich gewesen. Bis auf drei Fälle hätte ärztliche Versorgung den Kindern in irgendeiner Weise helfen können. [8]

Bundesverfassungsgericht: Werbeverbot für Geistheiler

Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Urteil entschieden, dass Geistheiler ihre Werbung im Internet nicht verbreiten dürfen. Eine derartige Werbung verstoße gegen das Heilmittelwerbegesetz, welches u.a. Kranke gegen Übertreibungen und Beeinflussungen in der Werbung schützen soll. Anlass zu diesem Urteil war eine Werbung von Geistheilern im Internet, die versprach einen Beckenschiefstand ohne Körperberührung in Sekundenschnelle beheben zu können. In einem zivilrechtlichen Verfahren wurden die Geistheiler verurteilt, diese Werbung zu unterlassen. Dagegen hatten sie Verfassungsbeschwerde eingelegt und die Heilung als einen spirituellen Vorgang bezeichnet, der folglich nicht unter das Heilmittelwerbegesetz falle. (Aktenzeichen: 1 BvR 1226/06, Urteil vom 20. 3. 2007). [9] [10]

Rechtliche Lage in England und Europa

In England ist das Geistheilen relativ populär. In London sahen sich Geistheiler und Wahrsager im Mai 2008 veranlasst, vor dem Büro des Premierministers gegen ein neues Verbraucherschutzgesetz zu protestieren. Mit ihm sollen Verbraucher vor Betrug geschützt werden. Der seit 1951 in England geltende "Fraudulent Mediums Act", mit dem Schwindel durch Wahrsager, Geistheiler und Medien unterbunden werden soll, wurde am 26. Mai 2008 durch ein EU-Verbraucherschutz-Gesetz ersetzt. Unter dem bisherigen Gesetz mussten die Kläger den Beklagten betrügerische Absichten nachweisen, um erfolgreich ein Urteil zu erstreiten. Durch die neue EU-Richtlinie gegen "Unlautere Geschäftspraktiken" (2005/29/EG) sind es nun die Beschuldigten, die nachweisen müssen, dass sie nicht betrügen oder anfällige Kunden nötigen. Eine Vereinigung von englischen Geistheilern namens "Spiritual Workers' Association" (SWA) befürchtet nun erfolgreiche Klagen von Skeptikerorganisationen, Kirchen und Privatpersonen. Zudem erkenne der Versuch die "spirituelle Arbeit" dem Verbraucherschutz zu unterstellen, diese Tätigkeiten nicht als angebliche Religion an und degradiere sie stattdessen zu einem Konsumprodukt wie jedes andere auch. "Wenn ich jemand heile, möchte ich mich nicht gleichzeitig sagen müssen, dass ich selbst eigentlich nicht daran glaube, nur, um mich vor möglichen Schadensforderungen zu schützen", erklärt Carole McEntee-Taylor, die Mitbegründerin der SWA.

Literatur

  • Irmgard Oepen (Hrsg.): Unkonventionelle medizinische Verfahren. Diskussion aktueller Aspekte. Stuttgart 1993
  • Irmgard Oepen, Rolf Scheidt: Wunderheiler heute. Eine kritische Literaturstudie. München 1989
  • New York Times: Faith-healing couple guilty in meningitis death of child, 12. September 1984.
  • NY Times vom 11.6.1997 :Faith healers sentenced in daughter's death
  • Dyer O, Parents jailed after child dies of diabetes, BMJ. 1993 Nov 13;307(6914):1232-3
  • Daileader C., Child abuse or deep faith: medical neglect as a result of spiritual beliefs, Med Moral Newsl. 1999 Jan-Feb;36(1-2):1-5
  • Hughes RA., The death of children by faith-based medical neglect, J Law Relig. 2004-2005;20(1):247-65.
  • Hartsell JL., Mother may I ... live? Parental refusal of life-sustaining medical treatment for children based on religious objections, Tenn Law Rev. 1999 Winter;66(2):499-530
  • Berkowitz CD., Fatal child neglect. Adv Pediatr. 2001;48:331-61.
  • Anderson JJ., Capital punishment of kids: when courts permit parents to act on their religious beliefs at the expense of their children's lives , Vanderbilt Law Rev. 1993 Apr;46(3):755-77

Weblinks

Quellennachweise

  1. siehe zum Beispiel Wiesendanger Harald: Geistiges Heilen bei Krebs - Ein unkonventioneller Ausweg. Lea Verlag: Schönbrunn 2004
  2. Ärzte Zeitung vom 23.10.2008 Seite 16 [1]
  3. Aussage Harald Wiesendanger, Experte für Geistiges Heilen und Mitorganisator der Basler PSI-Tage [2]
  4. http://www.foxnews.com/story/0,2933,341574,00.html
  5. Minnesota Supreme Court Entscheidung (1991) im Falle State v. McKown
  6. http://abcnews.go.com/Health/story?id=4550151&page=1
  7. http://www.koinlocal6.com/news/state/story.aspx?content_id=3424bfb7-66fb-4aec-97da-a3e663b544e6
  8. Asser SM, Swan R., Child fatalities from religion-motivated medical neglect, Pediatrics. 1998 Apr;101(4 Pt 1):625-9
  9. http://www.berufsrecht-aktuell.de/43/
  10. http://www.agpf.de/inf98-4.htm