Edu-Kinestetik

Die Edu-Kinestetik (aus educatio: lat. = Erziehung, kínesis: griech. = Bewegung und aísthesis: griech. = Wahrnehmung) ist eine Variante der Kinesiologie und geht auf einen Paul Dennison (1980) zurück. Die Methode beruht auf der Vorstellung, dass im Körper fließende Energien blockiert seien und befreit werden müssten. Dies soll durch gymnastische Übungen und eine besondere Erziehung geschehen.

Die Feststellung, ob zuviel oder zu wenig Energie im Körper vorhanden sei, wird durch den kinesiologischen Muskeltest und durch Drücken von in der Akupunktur verwendeten Punkten vorgenommen. Angebliche Energiefehlzustände sollen durch Bewegungs- und Lockerungsübungen beseitigt werden. Es wird immer wieder versucht, Edu-Kinestetik zu pädagogische Zwecken in Schulen einzuführen.

Die Methode

Die Edu-Kinestetik besteht aus einem Set simpler Gymnastikübungen, beispielsweise: "Schwingen mit dem Oberkörper" oder "Mit den Armen eine liegende 8 in die Luft malen". Zweck dieser Übungen sei ein Ausbalancieren eines so genannten "Schwerkraft-Antischwerkraft-Energieflusses" und damit eine "Verbindung der beiden Gehirnhälften",[1] was bei angenommener "emotionaler Belastung, Stress, körperlichen Auffälligkeiten, Lernstörungen, Konzentrationsschwächen und Lebenskrisen" unverzüglich Hilfe bringe.[2] Was mit besagtem "Energiefluss" gemeint ist, erschließt sich aus Dennisons Bestseller Befreite Bahnen nur vage: In Anlehnung an die Meridianlehre der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) ist die Rede von der "Auflösung energetischer Blockaden" oder der "Wiederherstellung eines harmonischen Gleichgewichtes".

Über die Gymnastikübungen hinaus findet sich eine Art Akupressurmassage ("Therapeutic Touch") im kinesiologischen Verfahrenskatalog, mit der "Akupunkturpunkte" der zu behandelnden Kinder gedrückt werden. Für jede Störung gibt es eigene "Meridianpunkte" ("Buttons"/"Knöpfe"). Werden die Kinder angewiesen, selbst zu drücken oder zu ziehen, firmiert dies unter dem Begriff Brain Gym. Mit Übungen der folgenden Art sollen "Lernblockaden" und sogar "legasthenische Störungen" abgebaut werden:

"Mit je 2 Fingern den Rand des Schambeins und mit weiteren 2 Fingern die Unterlippe für 30 sec. halten. Dies hilft, besser geerdet zu sein, hält den Körper entspannt und den Geist wach. Es ermöglicht, nach unten zu sehen, ohne daß die Augenenergien abschalten (Erdknöpfe, Zentralmeridian); Mit 2 Fingern das Steißbein und mit 2 weiteren Fingern die Oberlippe für 30 sec. halten. Dies verhilft zu einer besseren Raumorientierung und hält dich offen für Informationen von außen (Raumknöpfe, Gouverneursmeridian); Dehne und ziehe die Ohren sanft von innen nach außen und von oben nach unten. So kannst Du besser zuhören (´Denkmütze´)".[3]

Kritik

Das Bayerische Staatsinstitut für Schulpädagogik und Bildungsforschung bezeichnete Ende 1997 in einer eigenen Aufklärungsbroschüre Kinesiologie bzw. Edu-Kinestetik (auch: "Educational Kinesiology") als "derartige Versimplifizierung und Verfälschung der Vorgänge des zentralen Nervensystems", dass die "Aufnahme so erklärter diagnostischer und therapeutischer Techniken zum Umgang mit Kindern in hohem Maß beunruhigen muss". Es handele sich um gänzlich unseriöse Praktiken, die unter dem Deckmantel einer "praktischen Pädagogik" unbrauchbares esoterisches Gedankengut verbreiten. Höchst befremdend sei es, wie damit bei Betroffenen nicht erfüllbare Hoffnungen geweckt werden.[4]

Der Deutsche Bundesverband Legasthenie wies in einem Rundschreiben darauf hin, dass die von Dennison und seinen Anhängern behauptete Wirksamkeit kinesiologischer Übungen bis heute ohne jeglichen ernstzunehmenden Nachweis blieb. Edu-Kinesteten erinnerten im übrigen an eine "sektenähnliche Vereinigung"[5], eine Einschätzung, die der Schulpsychologe Hermann Meidinger ausdrücklich bestätigte: "Werden Sekten auch an dem Ausmaß gemessen, mit dem sie ihre Anhänger verführen, so können die Versprechen, mit denen Kinesiologen ihre Jünger 'fangen', durchaus nahelegen, die Kinesiologie zu diesen Gruppierungen zu zählen".[6] Sehr direkt äußerte sich Seminarrektor Wolfgang Hund vom Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverband: "Edu-Kinestetik ist schlicht ein faules Ei".[7]

Insbesondere das Drücken oder Ziehen an Akupunkturpunkten ist absurd: Zum einen widerspricht es in seiner simplen Mechanik (zur Behebung eines Problems sei nur ein bestimmter Knopf zu drücken) dem vorgeblich "ganzheitlichen" Selbstverständnis der Kinesiologie, zum anderen sind die Meridianbahnen und Akupunkturpunkte der Traditionellen Chinesischen Medizin, auf die "Touch for Health" und "Brain Gym" abstellen, bestenfalls als Metaphern zu verstehen: Tatsächlich existieren diese Bahnen und Punkte nicht.

Die Methode ist bei Kindern nicht unproblematisch, weil ihnen durch die Manipulationen der Eindruck vermittelt wird, sie seien behandlungsbedürftig und nicht in Ordnung. Diese Behandlungsbedürftigkeit wird aber erst durch die Edu-Kinestetik behauptet.

Weblinks

  • Goldner, Claudia: [1]
  • Seite der GWUP zur Edu-Kinestetik mit Literatur und Links [2]

Quellennachweise

  1. Dennison, P.: Befreite Bahnen. Freiburg 1994 (10. Aufl.), 83f
  2. Praxis für Pädagogik und Kinesiologie, München (Werbeannonce) in: BISSS, 3/2000
  3. Institut für Angewandte Kinesiologie (Merkblatt für Schüler). Freiburg, o.J. zit. in: AG Autismus/Alternativtherapien
  4. Walbiner, W.: Edukinesiologie: Ein neuer Heilsweg in der Pädagogik? (Arbeitsbericht Nr. 290 des Staatsinstituts für Schulpädagogik und Bildungsforschung) München, 1997, 56f. [Der Bericht ist erhältlich über: Staatsinstitut für Schulpädagogik, Arabellastr. 1, 81925 München]
  5. LRS: Zeitschrift des Bundesverbandes Legasthenie 2/1996
  6. Meidinger, H.: Kinesiologie: eine neue Therapieform in der Schule? in: Bayerische Schule, 9/1996, 321f.
  7. Hund, W.: Ein merkwürdiges Ei im pädagogischen Nest: Edu-Kinestetik. In: Bayerische Schule 1/1997, 156f