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Erfinder Bradford
Werbung zu Dioxychlor

Dioxychlor (auch DC3, Bi-Ox-3 oder E 926) ist der markenrechtlich geschützte Handelsname eines angeblich homöopathischen Scharlatanerieproduktes, dem Anbieter nachsagen, es habe als "natürliches Antibiotikum" antibakterielle und gleichermaßen antivirale und fungizide (pilztötende) Eigenschaften, "stärke" das Immunsystem und sei nebenwirkungsfrei. Damit sind bereits einige der zehn Indizien für Quacksalberei erfüllt.

Die Wundereigenschaften schreiben Hersteller und Anbieter der angeblichen Fähigkeit des Mittels zu, zu bekämpfenden anaeroben (also nicht auf Sauerstoff angewiesenen) Erregern "Sauerstoff zuzuführen".

Anzuwenden sei das Mittel mit allen möglichen Posologien (Anwendungsarten): Mal oral in Tropfenform "C3", als Vaginaldusche, Mundspülung, zur Anwendung im Ohr, anal, auf der Haut als Gel "C2" und letzendlich auch intravenös als "C4".

Erfunden und angewandt worden sei Dioxychlor während des Ersten Weltkrieges auf Seiten der Alliierten und habe Menschenleben gerettet, wird von Dioxychlor-Anbietern anekdotisch verbreitet. Dioxychlor ist ein Produkt der fragwürdigen Firma "American Biologics" des Oxidologen Robert W. Bradford. Bradford war 1995 Mitgründer einer Titelmühlen-Firma in Washington D.C. namens Capital University of Integrative Medicine (CUIM), die 2006 wieder schloss. Bei der Firma war es möglich, Titel wie etwa "Professor of Energy Medicine" zu erlangen. An der CUIM fungierte Bradford als "Professor of Oxidology". Er gilt auch als Gründer des Committee for Freedom of Choice in Medicine, das sich für Amygdalin einsetzte. Bradford, seine Mitarbeiterin Brigitte G. Bird und John R. Toth wurden wegen "conspiring to violate federal food and drug laws and defraud individuals seeking medical care" angeklagt, da sie wirkungslose Mittel gegen die Lyme-Borreliose und zur vermeintlichen mikroskopischen Erkennung dazu angeboten hatten. Toth musste 40 Monate ins Gefängnis, da einer Patientin eine falsche Diagnose genannt wurde und sie ein ungeeignetes Mittel einnahm, an dem sie verstarb. Bradford wurde wegen illegalen Imports von Amygdalin in die USA verurteilt.

In deutscher Sprache wird Werbung für Dioxychlor von der Firma "Cenaverde B.V." aus den Niederlanden betrieben, die Dioxychlor auch verkauft.[1] Geschäftsführer ist ein Bernd Esser. Eine Befürworterin ist die Heilpraktikerin Romana Kamps aus Langen. Auch ein "Medizinisches Zentrum Seegarten" eines John van Limburg Stirum im Schweizer Kilchberg bei Zürich bietet Dioxychlor-Behandlungen an (weitere Angebote des MZS betreffen z.B. Ukrain, Froximun und Orthomolekulare Medizin). Van Limburg Stirum ist auch Erfinder der Bluttitration nach Jörgensen und Stirum.

Fachliteratur zu Dioxychlor fehlt. Anbieter verweisen jedoch auf alternativmedizinische Werke, die angeblich eine Wirksamkeit belegen, wie "Townsend Letter for Doctors & Patients". Genannt werden dabei auch Werke von Personen wie Dr. James & Phyllis Balch und ein Scott Gregory.

Dioxychlor ist vom Wirkstoff her identisch mit dem ebenfalls nicht zugelassenen Scharlatanerieprodukt MMS; beide enthalten das Desinfektionsmittel Chlordioxid oder Vorläufersubstanzen von Chlordioxid.

Warnungen vor Dioxychlor und Prozesse

2006 warnte die kanadische Aufsichtsbehörde vor Dioxychlor und zwei anderen Produkten der Firma American Biologics (Bismacine / Chromacine und Sulfoxime).[2][3] In den USA ist Dioxychlor nicht als Arzneimittel zugelassen.[4][5] Im April 2009 kam es zur Beschlagnahmung von Dioxychlor und anderen Mitteln und Gegenständen bei der alternativmedizinischen Einrichtung "The Haese Clinic of Integrative Medicine" eines Carl E. Haese in Las Cruces im amerikanischen Staat New Mexico. Haese hatte behauptet, mit Dioxychlor die Lyme-Krankheit behandeln zu können.[6][7]

Angaben über chemische Zusammensetzung

 
falsche Herstellerangabe

Wirkstoff von Dioxychlor ist das Desinfektionsmittel Chlordioxid, das nicht als Arzneimittel zugelassen ist. In der Werbung für Dioxychlor wird häufig versucht, die eigentliche Wirksubstanz zu umschreiben. Zur chemischen Zusammensetzung werden daher unterschiedliche und missverständliche Angaben gemacht. Einerseits soll Dioxychlor nach vagen Herstellerangaben eine "inorganische Natriumchlorid-Lösung" (also Kochsalzlösung) sein, die "oxidiert" (oxidized natrium chloride) sei und "wichtige Spurenmineralien" enthalte. Als Konzentrationsangabe sind 0,25% Kochsalz mit "combined" Oxygen zu finden. Hierbei wird versucht, aus einem Chlorit (mit t) fälschlich ein harmloseres Chlorid (mit d) zu machen.

Nach anderen Angaben sei es aber eine Verbindung aus einem Chloratom mit zwei Sauerstoffatomen (ClO2), das "oxidierende Eigenschaften" habe. Trocken aufbewahrt habe es eine tiefrote Farbe; in Wasser gelöst werde Dioxychlor jedoch farblos. Somit handelt es sich bei diesem Mittel um das toxische Chlordioxid.

Nach anderen Angaben soll Dioxychlor das Chlordioxid freisetzende Natriumchlorit enthalten.

Nach wiederum anderen Angaben soll es sich um ein homöopathisches Präparat handeln, das "Natrium muriaticum" (NaCl = Kochsalz) enthalte. Allerdings fehlen jegliche Angaben zur homöopathischen Potenz.

Wunderindikationen

 
Beschreibung bei goodheadfirst.com

Zusätzlich zu einer angeblichen Wirksamkeit gegen Bakterien, Viren und Pilze sagen Anbieter dem Mittel auch Wirkungen bei umweltbedingten Vergiftungen und dem MCS-Syndrom nach.

Weitere Indikationen sollen sein:

  • Peridontitis
  • Candida-Infekte
  • Legionärskrankheit
  • Nicht näher erläuterte "Immunsystem-Probleme"

Ein sehr "starkes Potential" habe Dioxychlor laut US-amerikanischen Anbietern bei therapierefraktären (tremendous potential refractory conditions) Fällen von AIDS, wobei ein deutscher Anbieter explizit darauf hinweist, dass die Existenz des HIV aber bislang nicht bewiesen sei.

Außerdem desinfiziere die Lösung Wasser und halte Milch länger trinkbar. Bei verdorbenen Lebensmitteln reichten auch 60 Tropfen zu je 3 ml aus, um der Situation abzuhelfen.

Nebenwirkungen

Das Mittel wird zwar als nebenwirkungsfrei angegeben, dennoch sei nach einer Behandlung mit der Herxheimer-Reaktion zu rechnen: Durch massiven Untergang pathogener Keime werde der menschliche Körper von Überresten der Erreger überschwemmt und es könnten sich daher Übelkeit und Durchfälle einstellen.

Dioxychlor und das Miracle Mineral Supplement (MMS)

Alles spricht dafür, dass die Anbieter von Dioxychlor Trittbrettfahrer des im Internet ebenfalls mit Wundereigenschaften beworbenen Scharlataneriemittels Miracle Mineral Supplement (MMS) sind, die mit einer anderen Entstehungsgeschichte und anderem Handelsnamen dieselbe Zielkundschaft im alternativmedizinischen Bereich im Auge haben.

Die Firma "Bradford Research Institute" bestätigt dies: "The formula although somewhat weaker than MMS is the exact same chemical".[8]

MMS enthält das toxische und umweltgefährdende Chlordioxid als Wirkstoff, bzw. Natriumchlorit, das zu Chlordioxid dissoziiert. Chlordioxid ist bei Zimmertemperatur ein gelb-rötliches explosives und stechend riechendes Gas. Dass das Desinfektionsmittel Chlordioxid tatsächlich Keime abtöten kann, ist unbestritten. Es wird deshalb in der Trinkwasserdesinfektion zur so genannten Chlorierung eingesetzt, kann dem Wasser in Schwimmbädern einen charakteristischen Geruch verleihen und wird auch in der Papierindustrie zur Bleichung von Papier eingesetzt. Chlordioxid ist auch ein Konservierungsstoff für Lebensmittel mit der E-Nummer E 926.

Neben Dioxychlor und MMS werden analoge Produkte auch als "NACLO2" oder "Stabilized Electrolytes of Oxygen" verkauft.

Literatur

  • Lin JL, Lim PS. Acute sodium chlorite poisoning associated with renal failure. Ren Fail. 1993;15(5):645-8.
  • Contu A, Bajorek M, Carlini M, Meloni P, Cocco P, Schintu M. G6PD phenotype and red blood cell sensitivity to the oxidising action of chlorites in drinking water. Ann Ig. 2005 Nov-Dec;17(6):509-18.
  • Moore GS, Calabrese EJ. G6PD-deficiency: a potential high-risk group to copper and chlorite ingestion. J Environ Pathol Toxicol. 1980 Sep;4(2-3):271-9.
  • Moore GS, Calabrese EJ, Ho SC. Groups at potentially high risk from chlorine dioxide treated water. J Environ Pathol Toxicol. 1980 Sep;4(2-3):465-70.
  • Lubbers JR, Chauan S, Bianchine JR. Controlled clinical evaluations of chlorine dioxide, chlorite and chlorate in man. Environ Health Perspect. 1982 Dec;46:57-62.

Weblinks

Quellenangaben