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[[image:CST.png|Untersuchung der vermeintlich vom Patienten stammenden cranio-sakralen Rhythmen durch eine Kranialsakraltherapeutin (Bild: Rogers et al 1998 - [http://ptjournal.apta.org/content/78/11/1175.full.pdf Volltext])|360px|thumb]]
 
Die '''Cranio-Sakrale Therapie''' (CST, Kraniosakrale Osteopathie) ist eine [[Pseudomedizin|pseudomedizinische]] Therapieform aus dem Umfeld der [[Osteopathie]].
 
Die '''Cranio-Sakrale Therapie''' (CST, Kraniosakrale Osteopathie) ist eine [[Pseudomedizin|pseudomedizinische]] Therapieform aus dem Umfeld der [[Osteopathie]].
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Während seines Osteopathie-Studiums war Sutherland aufgefallen, dass die Verbindungsflächen zwischen dem großen Keilbeinflügel und der Schläfenbeinschuppe wie die Kiemen eines Fisches geformt seien. Daraus leitete er die Theorie ab, dass es eine gelenkige Verbindung zwischen den menschlichen Knochen gebe. Obwohl die anatomische Fachliteratur lehrt, dass die Schädelnähte des Erwachsenen verknöchert sind, ließ Sutherland diese Idee nicht mehr los.
 
Während seines Osteopathie-Studiums war Sutherland aufgefallen, dass die Verbindungsflächen zwischen dem großen Keilbeinflügel und der Schläfenbeinschuppe wie die Kiemen eines Fisches geformt seien. Daraus leitete er die Theorie ab, dass es eine gelenkige Verbindung zwischen den menschlichen Knochen gebe. Obwohl die anatomische Fachliteratur lehrt, dass die Schädelnähte des Erwachsenen verknöchert sind, ließ Sutherland diese Idee nicht mehr los.
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Sutherland war der Auffassung, dass der Schädel mit einer Frequenz von 6-14 pro Minute pulsiere und dies durch unterschiedliche Drücke des Liquors bedingt sei, in dem das Gehirn schwimme. Seine Auffassungen veröffentlichte er im Jahre 1939 in ''The Cranial Bowl''. Harold Ives Magoun (1898-1981), erster Präsident der amerikanischen Akademie für Osteopathie im Jahre 1947, griff Sutherlands Ansichten auf und veröffentlichte seinerseits 1951 das Buch ''Osteopathy in the Cranial Field'', mit dem er die Basis der craniosakralen Osteopathie schuf. Angeblich verpflichtete Sutherland 1954 auf dem Sterbebett Magoun dazu, die craniale Osteopathie auch in Europa zu lehren. Seit 1964 begannen Harold Magoun, Viola Frymann und Thomas Schooley damit an der British School of Osteopathy.
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Sutherland war der Auffassung, dass der Schädel mit einer Frequenz von 6-14 pro Minute pulsiere und dies durch unterschiedliche Drücke des Liquors bedingt sei, in dem das Gehirn schwimme. Diese Pulsationen erfühlen jedoch nur Kraniosakraltherapeuten. Seine Auffassungen veröffentlichte er im Jahre 1939 in ''The Cranial Bowl''. Harold Ives Magoun (1898-1981), erster Präsident der amerikanischen Akademie für Osteopathie im Jahre 1947, griff Sutherlands Ansichten auf und veröffentlichte seinerseits 1951 das Buch ''Osteopathy in the Cranial Field'', mit dem er die Basis der craniosakralen Osteopathie schuf. Angeblich verpflichtete Sutherland 1954 auf dem Sterbebett Magoun dazu, die craniale Osteopathie auch in Europa zu lehren. Seit 1964 begannen Harold Magoun, Viola Frymann und Thomas Schooley damit an der British School of Osteopathy.
    
Eine Variante der CST ist die [[Cranial Fluid Dynamics|Cranial Fluid Dynamics - Methode]] (CFD).
 
Eine Variante der CST ist die [[Cranial Fluid Dynamics|Cranial Fluid Dynamics - Methode]] (CFD).
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== Theorie der craniosakralen Osteopathie==
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== Theorie der craniosakralen Osteopathie und der craniosakrale Rhythmus==
 
Ausgangspunkt für Diagnose und Therapie ist der so genannte craniosakrale Rhythmus, der wie der Herz- und Atemrhythmus einen eigenständigen Körperrhythmus darstellen soll. Dieser Rhythmus beeinflusse angeblich den Stoffwechsel des Organismus und jede einzelne Körperzelle. Mit einer [[Frequenz]] von 6-14 pro Minute sollen die Schädelknochen sanft und fast unmerklich nach außen und innen rotieren bzw. auf- und abschwellen. Wenn dieser Rhythmus gestört sei, könne durch entsprechende körperliche Manipulationen, die u.a. am Schädel ansetzen, angeblich eine Heilung bzw. eine Aktivierung der [[Selbstheilungskraft|Selbstheilungskräfte]] bewirkt werden. In diesem Zusammenhang sprechen die Befürworter auch von einem ansonsten wissenschaftlich unbekanntem "Craniosacralen System" (kurz CS). Zu diesem werden die Gehirn- und Rückenmarksflüssigkeit (Liquor cerebrospinalis) sowie alle bindegewebigen und knöchernen Strukturen gezählt, die diese Flüssigkeit umgeben. Nach einer Hypothese beeinflusse das "CS" alle anderen Systeme des Körpers wie Nervensystem, Gefäß-, Lymph-, Muskel-, Endokrines- und Respirationssystem und werde andererseits aber auch von diesen beeinflusst.
 
Ausgangspunkt für Diagnose und Therapie ist der so genannte craniosakrale Rhythmus, der wie der Herz- und Atemrhythmus einen eigenständigen Körperrhythmus darstellen soll. Dieser Rhythmus beeinflusse angeblich den Stoffwechsel des Organismus und jede einzelne Körperzelle. Mit einer [[Frequenz]] von 6-14 pro Minute sollen die Schädelknochen sanft und fast unmerklich nach außen und innen rotieren bzw. auf- und abschwellen. Wenn dieser Rhythmus gestört sei, könne durch entsprechende körperliche Manipulationen, die u.a. am Schädel ansetzen, angeblich eine Heilung bzw. eine Aktivierung der [[Selbstheilungskraft|Selbstheilungskräfte]] bewirkt werden. In diesem Zusammenhang sprechen die Befürworter auch von einem ansonsten wissenschaftlich unbekanntem "Craniosacralen System" (kurz CS). Zu diesem werden die Gehirn- und Rückenmarksflüssigkeit (Liquor cerebrospinalis) sowie alle bindegewebigen und knöchernen Strukturen gezählt, die diese Flüssigkeit umgeben. Nach einer Hypothese beeinflusse das "CS" alle anderen Systeme des Körpers wie Nervensystem, Gefäß-, Lymph-, Muskel-, Endokrines- und Respirationssystem und werde andererseits aber auch von diesen beeinflusst.
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Der hier gemeinte craniosakrale Rhythmus ist wissenschaftlich nicht anerkannt und in der Physiologie und Pathologie des Menschen unbekannt. Er wäre mit geringem Aufwand feststellbar. In der Medizin wurde in der Vergangenheit versucht das behauptete Phänomen, das nur Kraniosakraltherapeuten erfühlen können, aufzufinden. In Studien von 1998 und 2001 wurde übereinstimmend festgestellt, daß die vom Kraniosakraltherapeuten gefühlte Pulsation nicht vom Patienten stammte, sondern vom Therapeuten. Zwei unterschiedliche Therapeuten, die gleichzeitig einen Patienten untersuchen, finden jeweils unterschiedliche Pulsationen.<ref>Rogers JS, Witt PL, Gross MT, Hacke JD, Genova PA. "Simultaneous palpation of the craniosacral rate at the head and feet: intrarater and interrater reliability and rate comparisons.", Phys Ther., November 1998. 78(11) Seiten 1175-1185. [http://ptjournal.apta.org/content/78/11/1175.full.pdf Volltext]</ref><ref>Moran RW1, Gibbons P. "Intraexaminer and interexaminer reliability for palpation of the cranial rhythmic impulse at the head and sacrum.",J Manipulative Physiol Ther. März-April 2001, 24(3), Seiten 183-90</ref>
    
==Glaubwürdigkeit der Methode==
 
==Glaubwürdigkeit der Methode==
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==Wirksamkeit==
 
==Wirksamkeit==
Einen Wirksamkeitsnachweis der craniosakralen Therapie gibt es bis heute nicht. In einer Übersichtsstudie von Green et al. <ref>* Green C, Martin CW, Bassett K, Kazanjian A: A systematic review of craniosacral therapy: biological plausibility, assessment reliability and clinical effectiveness. Compl Ther Med, 7, 201-207, 1999</ref>, in der 33 entsprechende Studien untersucht wurden, konnte kein glaubwürdiger Nachweis der Wirksamkeit der Sutherland'schen Methode gefunden werden.
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Einen Wirksamkeitsnachweis der craniosakralen Therapie gibt es bis heute nicht. In einer Übersichtsstudie von Green et al. <ref>* Green C, Martin CW, Bassett K, Kazanjian A: A systematic review of craniosacral therapy: biological plausibility, assessment reliability and clinical effectiveness. Compl Ther Med, 7, 201-207, 1999</ref>, in der 33 entsprechende Studien untersucht wurden, konnte kein glaubwürdiger Nachweis der Wirksamkeit der Methode gefunden werden.
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Die Sutherland-Methode ist eine Placebotherapie und kann bei entsprechend naiven Patienten und geschickten Therapeuten durchaus Scheinerfolge liefern. Da sie einen nicht unerheblichen Gesprächsanteil hat sowie die Notwendigkeit erfordert, sich tiefergehend mit den (psychischen) Problemen des Patienten zu befassen, ist die Methode vor allem für scheinbar oder tatsächlich gestresste Personen interessant. Es ist eine Art [[Wellness]]-Programm. In England ist die Methode deshalb beliebt, weil das britische Königshaus nicht nur die [[Homöopathie]], sondern auch die craniosakrale Therapie tatkräftig finanziell unterstützt. So war u.a. Prinzessin Diana eine prominente Anhängerin der Methode und machte sie in England sehr populär<ref>Ernst E: Neuester Renner der Alternativmedizin: Schädelgelenke justieren. Münch Med Wschr, 142, Nr.6, 26, 2000</ref>.
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Die Sutherland-Methode ist eine Placebotherapie und kann durchaus Scheinerfolge liefern. Da sie einen nicht unerheblichen Gesprächsanteil hat sowie die Notwendigkeit erfordert, sich tiefergehend mit den (psychischen) Problemen des Patienten zu befassen, ist die Methode vor allem für scheinbar oder tatsächlich gestresste Personen interessant. Es ist eine Art [[Wellness]]-Programm. In England ist die Methode u.a. deshalb beliebt, weil das britische Königshaus nicht nur die [[Homöopathie]], sondern auch die craniosakrale Therapie tatkräftig finanziell unterstützt. So war z.B. Prinzessin Diana eine prominente Anhängerin der Methode und machte sie in England sehr populär.<ref>Ernst E: Neuester Renner der Alternativmedizin: Schädelgelenke justieren. Münch Med Wschr, 142, Nr.6, 26, 2000</ref>
    
==Risiken==
 
==Risiken==
Eine niederländische Fachzeitschrift berichtet im Jahre 2009 von einem Todesfall, bei dem ein dreimonatiger Säugling nach unfachmännischen Manipulationen im Bereich der Wirbelsäule und Halswirbelsäule durch einen CST-Therapeuten verstarb<ref>Holla M. and others. Nederlands tijdschrift voor geneeskunde 153:A290, 2009</ref>.
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Eine niederländische Fachzeitschrift berichtete im Jahre 2009 von einem Todesfall, bei dem ein dreimonatiger Säugling nach unfachmännischen Manipulationen im Bereich der Wirbelsäule und Halswirbelsäule durch einen CST-Therapeuten verstarb.<ref>Holla M. and others. Nederlands tijdschrift voor geneeskunde 153:A290, 2009</ref>
    
==Craniosacralbalancing==
 
==Craniosacralbalancing==
Als "Craniosacralbalancing" wird in der Szene der Anhänger der Cranio-Sakralen Therapie eine ansonsten nicht anerkannte Therapiemethode bezeichnet, die als Körperarbeit am gemeinten CS angesehen wird um Selbstheilungseffekte zu fördern. Der Behandler wendet bei dieser Methode Druck auf Schädelknochen, Membranen und Bindegewebe aus. Behauptet wird, dass die Methode hilfreich sei bei unterschiedlichsten Beschwerden und Krankheiten wie Kopf- und Rückenschmerzen, Schwindel, Tinnitus, Migräne, Seh- und Lernschwierigkeiten, Gehirnerschütterung, "Dysfunktionen des Kiefergelenkes" und weiteren Zuständen.
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Als "Craniosacralbalancing" wird in der Szene der Anhänger der Cranio-Sakralen Therapie eine nicht anerkannte Therapiemethode bezeichnet, die als Körperarbeit am gemeinten CS angesehen wird, um Selbstheilungseffekte zu fördern. Der Behandler wendet bei dieser Methode Druck auf Schädelknochen, Membranen und Bindegewebe an. Behauptet wird, dass die Methode bei unterschiedlichsten Beschwerden und Krankheiten wie Kopf- und Rückenschmerzen, Schwindel, Tinnitus, Migräne, Seh- und Lernschwierigkeiten, Gehirnerschütterung, "Dysfunktionen des Kiefergelenkes" und weiteren Zuständen hilfreich sei.
    
==Siehe auch==
 
==Siehe auch==
 
*[[Cranial Fluid Dynamics]]
 
*[[Cranial Fluid Dynamics]]
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==Literatur==
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*Sommerfeld P, Kaider A, Klein P. "Inter- and intraexaminer reliability in palpation of the "primary respiratory mechanism" within the "cranial concept". Man Ther. Februar 2004, 9(1):22-9
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*Moran RW1, Gibbons P. "Intraexaminer and interexaminer reliability for palpation of the cranial rhythmic impulse at the head and sacrum.",J Manipulative Physiol Ther. März-April 2001, 24(3), Seiten 183-90
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*Rogers JS, Witt PL, Gross MT, Hacke JD, Genova PA. "Simultaneous palpation of the craniosacral rate at the head and feet: intrarater and interrater reliability and rate comparisons.", Phys Ther., November 1998. 78(11) Seiten 1175-1185
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*Wirth-Pattullo V1, Hayes KW. "Interrater reliability of craniosacral rate measurements and their relationship with subjects' and examiners' heart and respiratory rate measurements.",Phys Ther. Okt. 1994, 74(10):908-16
    
==Weblinks==
 
==Weblinks==
 
*D. Karch, G. Groß-Selbeck, H.-G. Schlack, A. Ritz, D. Rating: [http://www.neuropaediatrie.com/fileadmin/user_upload/pdfs/Kranio_lang.pdf KRANIOSAKRALTHERAPIE] Stellungnahme der Gesellschaft für Neuropädiatrie
 
*D. Karch, G. Groß-Selbeck, H.-G. Schlack, A. Ritz, D. Rating: [http://www.neuropaediatrie.com/fileadmin/user_upload/pdfs/Kranio_lang.pdf KRANIOSAKRALTHERAPIE] Stellungnahme der Gesellschaft für Neuropädiatrie
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*https://www.quarks.de/gesundheit/medizin/wie-hilfreich-ist-osteopathie/
 
*Colin Goldner: [http://www.sueddeutsche.de/wissen/teil-craniosakrale-therapie-im-mysterioesen-rhythmus-der-hirnfluessigkeit-1.927282 Im mysteriösen Rhythmus der Hirnflüssigkeit] Süddeutsche Zeitung 23.04.2007
 
*Colin Goldner: [http://www.sueddeutsche.de/wissen/teil-craniosakrale-therapie-im-mysterioesen-rhythmus-der-hirnfluessigkeit-1.927282 Im mysteriösen Rhythmus der Hirnflüssigkeit] Süddeutsche Zeitung 23.04.2007
 
*Steve E Hartman, PhD, James M Norton, PhD: [http://ptjournal.apta.org/content/82/11/1146.full Craniosacral Therapy Is Not Medicine] Physical Therapy November 2002 vol. 82 no. 11 1146-1147
 
*Steve E Hartman, PhD, James M Norton, PhD: [http://ptjournal.apta.org/content/82/11/1146.full Craniosacral Therapy Is Not Medicine] Physical Therapy November 2002 vol. 82 no. 11 1146-1147
 
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* Du Boulay, O'Connell J, Currie J, Bostick T, Verity P: Further investigations on pulsatile movements in the cerebrospinal fluid pathway. Acta Radiol Diag, 13, 496-523, 1972
    
==Quellennachweise==
 
==Quellennachweise==
 
<references/>
 
<references/>
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* Du Boulay, O'Connell J, Currie J, Bostick T, Verity P: Further investigations on pulsatile movements in the cerebrospinal fluid pathway. Acta Radiol Diag, 13, 496-523, 1972
      
[[category:Diagnostik in der Pseudomedizin]]
 
[[category:Diagnostik in der Pseudomedizin]]
 
[[category:Therapie in der Pseudomedizin]]
 
[[category:Therapie in der Pseudomedizin]]
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