Die Chiropraktik (auch Chirotherapie, manuelle Medizin) ist eine pseudomedizinische Methode, bei der Probleme des Bewegungsapparates mit Impulsen auf Gelenke, vor allem auf die Wirbelsäule behandelt werden sollen. Sie wird vor allem zur Behandlung von funktionellen Rückenschmerzen angewendet. Einige Chiropraktiker meinen zudem, mit dieser Methode auch Asthma, ADHS, Migräne und andere, nicht mit dem Bewegungsapparat assoziierte Krankheiten heilen zu können. Die Ausbildung zum Chiropraktiker ist in Deutschland nicht geregelt. Chiropraktik wird oft von Heilpraktikern angewendet, bei Tieren kann dies jeder sich dazu berufen fühlende Laie tun, wie z. B. Tamme Hanken, der damit Pferde und Hunde behandelt.

Es gibt keine wissenschaftlich fundierten Nachweise, dass durch Chiropraktik Störungen des Bewegungsapparates und andere Krankheiten geheilt werden können.

Herkunft

 
Begründer D.D. Palmer

Das Heilen mit Handgriffen an Wirbelsäule oder Gelenken ist in vielen Kulturen bekannt. Man nannte solche Heiler in der Volksheilkunde "Gliedersetzer" oder "Ziehleute". In den USA gründete 1894 der Knocheneinrichter Andrew Taylor Still die Osteopathie. Seine Lehre breitete sich rasch aus und wird in den USA unterrichtet.

Daneben entwickelte sich ab 1895 in den USA eine Handgrifftechnik nach den Vorstellungen des Lehrers, Gemischtwarenhändlers und "magnetic healer" Daniel David Palmer (1845-1913), die so genannte Chiropraktik. Palmer glaubte, dass nahezu alle Arten von Erkrankungen durch Subluxationen verursacht würden, womit er Fehlstellungen von Wirbeln meinte. Durch Subluxationen werde eine "körpereigene Intelligenz" (ein ähnlich nebelhafter Begriff wie das bekanntere Ch'i) am Fließen gehindert.

Gründer der Chiropraktik ist Daniel David Palmer, der behauptete, dass 99% aller Krankheiten durch verschobene Wirbel verursacht werden.[1] Entsprechend wurde die Chiropraktik von Palmer und seinen Nachfolgern als geeignete Therapie für eine Vielzahl von Krankheiten angesehen. Heute wird sie überwiegend bei Rückenbeschwerden angewendet. Der Begriff Subluxation wird aber in der Sprache der Chiropraktiker nach wie vor verwendet.

Die Vereinigung Palmers agierte zunächst sektenhaft und verbreitete medizinisch schon damals unhaltbare Vorstellungen vom "Einrenken" fehlstehender Wirbel. Erst ab 1987, nachdem die Szene ihre Theorien teilweise überarbeitet hatte, konnten die so genannten Chiropraktiker in den USA ihre staatliche Anerkennung durchsetzen. Während des Zweiten Weltkrieges gelangte die Methode nach Europa, zunächst nach Skandinavien, dann nach Deutschland und England. In den 1950er Jahren etablierten sich zwei konkurrierende Vereine in der Bundesrepublik Deutschland, die sich gemeinsam mit drei Ärzte-Fachgesellschaften im Dachverband Deutsche Gesellschaft für Manuelle Medizin zusammengeschlossen haben. In ärztlichen Fachkreisen nennt man deshalb die Chiropraktik auch Chirotherapie oder Manuelle Medizin.

Chiropraktik in verschiedenen Ländern

Deutschland

Zur Ausübung des Berufs des Chiropraktors oder des Therapiefachs Chiropraktik muss man entweder Arzt oder Heilpraktiker sein. Die Ausbildung zum Chiropraktor unterliegt keinerlei sonstigen gesetzlichen Anforderungen. Es gibt zahlreiche Ausbildungsinstitutionen mit unterschiedlichen Qualitätsstandards.Seit 2011 wird von der Privatuniversität Dresden International University (DIU) ein Studiengang mit dem Abschluss "Bachelor of Schience in Chiropraktik" und "Master of Science in Chiropraktik" angeboten.[2] Chiropraktik im Veterinärbereich darf jeder Laie ausführen.

In Deutschland gibt es drei Chiropraktikerverbände, die 1959 gegründete Arbeitsgemeinschaft für Chiropraktik, Osteopathie und Neuraltherapie Deutscher Heilpraktiker (ACON) e.V., sowie seit 1994 den Bund Deutscher Chiropraktiker (BDC) e.V. und seit 1997 die Deutsch-Amerikanische Gesellschaft für Chiropraktik e.V. (DAGC). Der BDC gibt vierteljährlich für Laien die Zeitschrift "ChiropracTIC Journal" heraus. Er wirbt dafür, die Chiropraktik nicht nur für die Behandlung von Beschwerden an Gelenken oder der Wirbelsäule zu verwenden, sondern auch als eine Art universelles Diagnose- und Vorsorgeinstrument. So sei eine "pädiatrische Chiropraktik" als Prophylaxe erforderlich, um eine gesunde Entwicklung von Kindern sicherzustellen. Ebenso sei es "enorm wichtig, ein Neugeborenes auf Subluxationen hin zu untersuchen".[3]

Schweiz

In der Schweiz dürfen nur ausgebildete Medizinalpersonen (Humanmediziner, Zahnarzt, Tierarzt, Apotheker und Chiropraktor) Chiropraktik anbieten. Der Chiropraktor ist eine anerkannte Medizinalperson, die in eigener Verantwortung Funktionsstörungen und schmerzhafte Zustände der Wirbelsäule und des Bewegungsapparates diagnostiziert und behandelt. Die Ausbildung und die Tätigkeit der Chiropraktoren sowie die obligatorische Kostenübernahme chiropraktischer Leistungen ist bundesgesetzlich geregelt. Gesetzlich sind die Leistungen der Chiropraktoren seit 1964 als Pflichtleistungen von Medizinalpersonen anerkannt worden. Seitdem werden die chiropraktischen Leistungen von der obligatorischen Grundversicherung der Krankenkassen gedeckt. Der Chiropraktor ist nebst dem Humanmediziner der einzige gesetzlich geregelte Erstkontakt für den Patienten.

Das Studium der Chiropraktik wird seit Herbst 2008 an der medizinischen Fakultät der Universität Zürich angeboten. Es dauert zwölf Semester zuzüglich Krankenhauspraktika und führt über das Bachelorstudium in Medizin (B Med) zum Masterstudium (M Chiro), optional weiter zum chiropraktischen Doktorat (Dr. der Chiropraktik). Die Schweizerische Akademie für Chiropraktik, die akkreditiert ist durch das eidgenössische Bundesamt für Gesundheit, ist für die Weiterbildung der Chiropraktoren zuständig. Ihr obliegt auch die Durchführung der Prüfung zum Fachchiropraktor.

Die Chiropraktoren sind wie alle Medizinalpersonen zur jährlichen Fortbildung von 80 Stunden pro Jahr innerhalb eines gesetzlich gegebenen Rahmens verpflichtet.

USA

Vor allem in den USA sind viele Chiroprakter gleichzeitig Impfgegner.

Die Theorie der Chirotherapie

Ursprünglich meinte man, ausgerenkte Wirbel und Gelenke mit bestimmten ruckartigen Griffen wieder in die richtige Position schieben zu können, um Patienten zu heilen. Heute erklärt man sich die "Blockierung der Gelenke" im Sinne einer verklemmten Schublade. Verspannte Muskeln hielten den Knochen fest und behinderten seine Bewegung. Dies könne zu Beeinträchtigungen von Gefäßen und Nervenleitungen führen.

Methoden

Die chirotherapeutische Therapie arbeitet mit dem bekannten "Knacken" der Gelenke. Der Therapeut wendet aber nur wenig Kraft auf und gibt mit kleinen Bewegungen einen raschen Impuls an das Gelenk ab. Schmerzt diese Behandlung nicht, ist sie korrekt durchgeführt.

Die Chiropraktik arbeitet mit folgenden Techniken:

  1. Adjustierung: Diese Adjustierung wird durch speziell erlernte Handgriffe erzielt. Sie haben das Ziel „Subluxationen“ an der Wirbelsäule (an den Zygapophysialgelenken) wieder aufzuheben und damit den Druck auf die Spinalnerven (lateral) oder das Rückenmark (medial) zu beseitigen. Gelingt dies, dann verschwinden die Schmerzen in kurzer Zeit, z. B. bei einer Ischialgie (Ischiasreizung).
  2. Traktion: bei der Traktion werden die Gelenkpartner durch Zug voneinander entfernt. Dies führt unter anderem zu Druckminderung, Entlastung und Schmerzlinderung. Außerdem verbessert sich durch die Dehnung der Bänder und der Gelenkkapsel die Beweglichkeit.
  3. Translatorisches Gleiten, auch Mobilisation genannt: Um das verlorengegangene Gelenkspiel, und somit auch die Beweglichkeit, wiederherzustellen, werden die Gelenkanteile parallel gegeneinander bewegt.
  4. Weichteilbehandlung: Durch Dehn- und Entspannungstechniken wird die Muskulatur so verlängert, dass sie sich dem neugewonnenen Gelenkspiel anpasst.
  5. Reflextechniken: Unter gezielter Ausnutzung von Nervenreflexen wird die Spannung der Muskulatur und die Schmerzwahrnehmung beeinflusst. Mittels komplexer Reflextherapien kann auch auf das zentrale Nervensystem eingewirkt werden, z. B. auf das vegetative Nervensystem und auch auf kognitive Bereiche.

Die traditionelle Technik der Chiropraktik ist die Manipulation, zunehmend werden vor allem neurologische Reflextechniken verwendet.

Die Chiropraktik ist eine rein akut ausgerichtete, symptomatische Therapieform, die keine Krankheitsursachen behebt. Obwohl unstrittig ist, dass man bei bestimmten Indikationen und bei akkurater Vorgehensweise Verspannungen und Gelenkblockierungen therapieren kann, bedeutet dies nicht, dass man mit dieser Methode eine dauerhafte Heilung erreichen kann. Sind z.B. Rückenschmerzen, die auf verklemmten Wirbeln beruhen, u.a. deshalb entstanden, weil der Patient übergewichtig ist und bewegungsarm lebt, kann die Chirotherapie nur einen Teil des Problems lösen.

Hilfsmittel

 
Aktivator in der Chiropraktik
 
Perkussor

In der Chiropraktik kommen verschiedene Hilfsmittel und Instrumente zur Anwendung. Zu nennen sind:

  • Besondere Behandlungsliegen
  • Aktivatoren
  • elektromechanische Perkussoren
  • Chiro-Scanner
  • Nervo-Scope (ursprünglich Neurocalometer. Auch Nervoscope, Temp-o-Scope, Temposcope, deutsch manchmal Nervoskop) ist ein pseudomedizinisches Gerät, das von Chiropraktikern vor allem in den USA benutzt wird, um Subluxationen aufzuspüren.

Gefahren

Die Gefahren der Chiropraktik liegen vor allem darin, wenn sie bei organischen Problemen an Gelenken oder der Wirbelsäule (zum Beispiel bei Tumoren, Gelenkschäden oder Bandscheibenvorfällen) angewendet wird. Von leichten Nebenwirkungen (z.B. muskelkaterähnliche Schmerzen) bis hin zu Todesfällen sind zahlreiche Zwischenfälle chiropraktischer Therapien dokumentiert.

Besonders riskant sind Manipulationen an der Halswirbelsäule, vor allem, wenn Vorschädigungen bestehen oder der Therapeut sich keinen Überblick über den körperlichen Zustand des Patienten verschafft hat, wie z.B. durch Röntgenaufnahmen oder Computertomogramme.

Wenn im Halsbereich durch zu schnelle oder zu starke Bewegung die Arterien gezerrt werden, können sie im Innenbereich einreißen. Dies kann zu einer lokalen Thrombosebildung führen. Wird das Gerinnsel abgerissen, kann es in das Gehirn verschleppt werden und dort z.B. zu einem Schlaganfall führen.

In der medizinischen Fachliteratur sind hunderte von Fällen wiedergegeben, in denen Chirotherapie besonders im Halsbereich zu schweren Nebenwirkungen geführt hat. Eine Übersicht bietet z.B. Assendelft et al. (1996).[4]

Bei Bestehen eines Bandscheibenvorfalls oder anderen organischen Schäden an der Wirbelsäule kann es außerdem zu Nervenausfallsymptomen wie Gefühlsstörungen oder Lähmungserscheinungen kommen.

Chiropraktik bei Säuglingen und Kleinkindern, die z. B. bei Schreibabys, Schiefhals und beim sogenannten „KISS-Syndrom“ empfohlen wird, birgt die ernste Gefahr, dass es aufgrund des noch nicht vollständig verknöcherten Skeletts und der noch untrainierten Muskulatur zu Knochenbrüchen kommt. Manipulationen an der Halswirbelsäule können hier zu Wirbelbrüchen und erheblichen Verletzungen mit Folgeschäden bis hin zu Todesfällen führen.

Bei Heilpraktikern, die meist keine fundierte anatomische Ausbildung besitzen, sollte man keinesfalls eine chiropraktische Behandlung durchführen lassen. Auch Therapeuten, die dem Patienten einreden wollen, mit Chirotherapie innere "Blockaden" oder "energetische Probleme" heilen zu wollen, sollte man meiden. Die manuelle Medizin ist nur in sicheren und erfahrenen Händen eine bei zielgenauer Indikation kurzzeitig wirksame Therapieform bei akuten Schmerzen oder Bewegungseinschränkungen, die durch muskuläre Blockaden bedingt sind. Für mehr ist sie nicht geeignet und eine Dauerbehandlung der ursächlichen Probleme ersetzt sie keinesfalls.

Literatur

  • Rubinstein SM, Terwee CB, Assendelft WJ, de Boer MR, van Tulder MW. "Spinal manipulative therapy for acute low back pain: an update of the cochrane review.", Spine (Phila Pa 1976). Februar 2013, 1;38(3):E158-77. doi: 10.1097/BRS.0b013e31827dd89d


Siehe auch

Weblinks

Quellennachweise

  1. Simon Singh: Vorsicht vor der chiropraktischen Falle
  2. http://www.di-uni.de/index.php?id=372
  3. ChiropracTIC Journal IV/2016, 11-14, 21-22
  4. Assendelft WJJ, Bouter LM, Knipschild PG: Complications of spinal manipulation. A comprehensive review of the literature. J Fam Pract, 42, 475-480, 1996