Chelattherapie: Unterschied zwischen den Versionen

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==Zulassungssituation in Deutschland==
 
==Zulassungssituation in Deutschland==
In den 1980er Jahren suchten die Befürworter der Chelattherapie in Deutschland den Eindruck zu erwecken, Chelatbildner wie EDTA seien zugelassene Arzneimittel und die Therapie somit seriös. So schrieb Martin (1986): <ref>Martin CD: Die Chelattherapie. Universitas Verlag, 1986</ref> 'Wir verfügen in Deutschland über ein beim Bundesgesundheitsamt in Berlin ordnungsgemäß zugelassenes EDTA-Präparat für die Behandlung von Verschlusskrankheiten'. Tatsächlich war das Mittel bereits vor 1976 zugelassen worden und zwar zu einem Zeitpunkt, zu dem kein Wirksamkeitsnachweis für eine Arzneimittelzulassung in Deutschland notwendig war. Das entsprechende Präparat hatte damals auch nur eine Zulassung für ganz bestimmte Indikationen (z.B. diagnostischer Bleitest und Therapie akuter, chronischer und latenter Bleivergiftungen, Entfernung von Schwermetallen wie Blei, Cadmium, Kobalt, Kupfer, Nickel, Chrom, Mangan, Quecksilber, Vanadium und Zink und von Radioisotopen wie Uran). Für Gefäßerkrankungen oder die anderen von Chelattherapeuten genannten Indikationen war das Präparat nicht zugelassen.<ref name='Meyer'></ref>
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In den 1980er Jahren suchten die Befürworter der Chelattherapie in Deutschland den Eindruck zu erwecken, Chelatbildner wie EDTA seien zugelassene Arzneimittel und die Therapie somit seriös. So schrieb Martin: ''"Wir verfügen in Deutschland über ein beim Bundesgesundheitsamt in Berlin ordnungsgemäß zugelassenes EDTA-Präparat für die Behandlung von Verschlusskrankheiten"''.<ref>Martin CD: Die Chelattherapie. Universitas Verlag, 1986</ref> Tatsächlich war das Mittel bereits vor 1976 zugelassen worden und zwar zu einem Zeitpunkt, zu dem kein Wirksamkeitsnachweis für eine Arzneimittelzulassung in Deutschland notwendig war. Das entsprechende Präparat hatte damals auch nur eine Zulassung für ganz bestimmte Indikationen (z.B. diagnostischer Bleitest und Therapie akuter, chronischer und latenter Bleivergiftungen, Entfernung von Schwermetallen wie Blei, Cadmium, Kobalt, Kupfer, Nickel, Chrom, Mangan, Quecksilber, Vanadium und Zink und von Radioisotopen wie Uran). Für Gefäßerkrankungen oder die anderen von Chelattherapeuten genannten Indikationen war das Präparat nicht zugelassen.<ref name='Meyer'></ref>
  
 
==Studienlage==
 
==Studienlage==

Version vom 9. Juli 2014, 11:55 Uhr

Die Chelattherapie ist ein umstrittenes Verfahren, das als Heilverfahren für verschiedenste Indikationen angepriesen wird.Debai kommen dabei Chelatbildner wie zum Beispiel Äthylendiamintetraessigsäure (EDTA) zum Einsatz.

In Deutschland wird die Chelattherapie unter anderem von der Ärztegesellschaft für Klinische Metalltoxikologie e.V. (KMT) propagiert.

Einsatzgebiete

Medizin

Chelate werden in der evidenzbasierten Medizin seit den 1940er Jahren bei schweren Vergiftungen durch Schwermetalle eingesetzt. Nach dem Ausschalten der Vergiftungsursache (Beenden der Exposition) ist der Einsatz von Chelatbildnern die nächstwichtige Therapieform.

Schwermetalle wie Blei, Quecksilber u.a. werden im Körper gespeichert, reichern sich im Gewebe an (Blei beispielsweise in den Knochen) und verbleiben nach Beseitigung der ursprünglichen Quelle weiterhin im Körper. Durch das nur allmähliche Freisetzen des gespeicherten Schwermetalls besteht damit eine dauerhafte Belastung des Körpers. Chelatbildner beschleunigen die natürliche Ausscheidung dieser im Körper gespeicherten Schwermetalle, indem sie zweiwertige Ionen in komplexen Verbindungen binden.

Weiterhin wird Morbus Wilson, eine Stoffwechselkrankheit, die Kupfer im Körper anreichert, mit Chelatbildnern therapiert.

Alternativmedizin

Die Chelattherapie wird in der Alternativmedizin vor allem zur Ausleitung von milden (und oft nur behaupteten) Schwermetallbelastungen eingesetzt, oft auch ohne dass eine konkrete Belastung bzw. Vergiftungssymptome vorliegen (zum Beispiel Personen mit Amalgam-Plomben).[1]

Des Weiteren wird die Chelattherapie bei Arteriosklerose beworben („Rohrfrei für die Blutgefäße“) und findet in diesem Zusammenhang Anwendung bei der Alzheimer-Krankheit, Senilität, Schizophrenie, rheumatischer Arthritis, Osteoarthritis, Gicht, Nierensteine, schlaganfallbedingtem Koma, Gallensteine, Multipler Sklerose, Osteoporose, chronischem Müdigkeitssyndrom, Krampfadern, Bluthochdruck, Beeinträchtigung des Erinnerungsvermögens, Sklerodermie, Raynaud-Syndrom, Digitalisvergiftung, Claudicatio intermittens (Schaufensterkrankheit), diabetischen Geschwüren, Durchblutungsstörungen, Geschwüren an den Beinen, Bissen von giftigen Schlangen, Impotenz, emotionalen Schwierigkeiten, Seh- und Hörproblemen angepriesen. [2]

Auch gesunden Menschen, die einfach nur „gesund alt“ werden möchten, sowie älteren Menschen wird die Chelattherapie als Anti Aging-Mittel empfohlen. [1]

Durchführung

Bei der Chelattherapie erhalten die Patienten bis zu 70 intravenöse Infusionen mit Äthylendiamintetraessigsäure (EDTA), wobei oft parallel hochdosierte Gaben von Vitaminen, Spurenelementen, Mineralien und anderen Arzneimitteln beigemischt werden. Die Infusionen dauern 3-4 Stunden und werden 1-2mal wöchentlich vorgenommen. Empfehlungen zur gesunden Lebensführung runden die Therapie ab [2].

Behaupteter Wirkmechanismus

Ansatzpunkt der Chelattherapie ist es angeblich, durch die Bindung von Ca2+-Ionen mittels so genannter Chelatbildner (EDTA, D-Penicillamin, Deferoxamin) eine Entkalkung arteriosklerotischer Plaques zu erreichen und dadurch die Gefäße wieder geschmeidig zu machen, um die Durchblutung zu fördern. Man wolle "den Kalk aus den Adern rieseln lassen". Allerdings spielt Kalk aber bei der Entstehung von Plaques in den Blutgefäßen keine wesentliche Rolle.

Zulassungssituation in Deutschland

In den 1980er Jahren suchten die Befürworter der Chelattherapie in Deutschland den Eindruck zu erwecken, Chelatbildner wie EDTA seien zugelassene Arzneimittel und die Therapie somit seriös. So schrieb Martin: "Wir verfügen in Deutschland über ein beim Bundesgesundheitsamt in Berlin ordnungsgemäß zugelassenes EDTA-Präparat für die Behandlung von Verschlusskrankheiten".[3] Tatsächlich war das Mittel bereits vor 1976 zugelassen worden und zwar zu einem Zeitpunkt, zu dem kein Wirksamkeitsnachweis für eine Arzneimittelzulassung in Deutschland notwendig war. Das entsprechende Präparat hatte damals auch nur eine Zulassung für ganz bestimmte Indikationen (z.B. diagnostischer Bleitest und Therapie akuter, chronischer und latenter Bleivergiftungen, Entfernung von Schwermetallen wie Blei, Cadmium, Kobalt, Kupfer, Nickel, Chrom, Mangan, Quecksilber, Vanadium und Zink und von Radioisotopen wie Uran). Für Gefäßerkrankungen oder die anderen von Chelattherapeuten genannten Indikationen war das Präparat nicht zugelassen.[2]

Studienlage

Entsprechende klinische Studien konnten keine Wirksamkeit der Chelattherapie bei arteriellen Plaques nachweisen.

Guldager et al. (1993) wiesen bei klinischen Voruntersuchungen nach, dass die Gabe von EDTA in einem doppelblinden randomisierten placebokontrollierten (Placebo: NaCl 0.9%) Versuch am Menschen keinen Einfluss auf die Serumspiegel von Cholesterin, LDL, HDL und Triglyceriden hatte. [4]

In der Folge wurde in einer weiteren randomisierten placebokontrollierten Doppelblindstudie bei 80 Patienten (EDTA) bzw. 79 Patienten (Placebo: NaCl 0.9%) versucht, deren Claudicatio intermittens (zeitweise Hinken bei einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit, auch Schaufensterkrankheit genannt) mittels Chelattherapie zu behandeln. Obwohl alle Patienten instruiert wurden, das Rauchen zu unterlassen, körperliches Training durchzuführen, Diätregeln einzuhalten und das Gewicht zu reduzieren, gab es keine Unterschiede zwischen der EDTA- und Placebotherapie nach 20 Injektionen im Verlauf von 5-9 Wochen (eine Infusion dauerte 3-4 Stunden). Weder die schmerzfrei von den Patienten zurückzulegende Wegstrecke (in Metern), noch die maximale Wegstrecke oder die subjektive Befindlichkeit, einige Laborparameter oder Nebenwirkungen waren zwischen beiden Studienarmen verschieden. [5]

Van Rij et al. (1994) untersuchten ebenfalls in einem placebokontrolliertem Versuch die Wegstrecke von Claudicatio intermittens-Patienten und fanden heraus, dass es keinen Unterschied zwischen einer EDTA- und Placebo-behandelten Gruppe gab. [6] Die Wegstrecke verlängerte sich sogar um 60% in beiden Studienarmen, was auf einen erheblichen Placeboeffekt solcher Therapieformen schließen lässt. Die Erwartungshaltung der Patienten wird demnach durch eine scheinbar wirksame Behandlung unterstützt und motivationsbedingt erreichen die Patienten längere Wegstrecken.

Nebenwirkungen

Obwohl die Anbietern der Chelattherapie immer wieder behaupten, die Chelattherapie sei harmlos, gibt es bereits seit Jahrzehnten immer wieder Berichte über schwere Nebenwirkungen, die in der Fachliteratur beschrieben werden. Cheltabildner entfernen nicht nur Schwermetall-Ionen aus dem Körper, sondern auch Ionen von metallischen Spurenelementen und Mineralien, was zu deren Mangel führen kann. Das Ausschwemmen von Calcium kann zu einer Störung des Calciumstoffwechsels und in der Folge zu Herzrhythmusstörungen, Krampfanfällen und sogar Atemstillstand führen. Auch Todesfälle sind bekannt geworden. Der Calciummangel kann außerdem zur Störung der Blutgerinnung, Nierenversagen und einer Störung des Knochenmarks führen. [7]

Über weitere Nebenwirkungen der Chelattherapie berichtet die Fachliteratur:

  • Peterson (1983) beschrieb einen Fall mit schwerer Vaskulitis (Gefäßentzündung) unter EDTA-Therapie, bei dem nur mit einer schnellen operativen Intervention ein tödlicher Ausgang verhindert werden konnte. Auch beschrieb dieser Autor einen Fall mit hämolytischer Anämie und konsekutivem Herzinfarkt. [8]
  • Proksch und Kölmel (1985) beschrieben akute psychiatrische Komplikationen (Depression, Gedächtnisstörungen, Verschlechterung einer Demenz) nach EDTA-Therapie, die auf einen massiven EDTA-bedingten Zinkverlust zurückzuführen waren.[9]
  • Nissel (1986) beschrieb den dramatischen Verlauf im Fall eines 77jährigen Patienten mit seit Jahren zunehmenden arteriosklerotischen Gefäßveränderungen, der über 3 Wochen Chelatbildner-Infusionen erhalten hatte. Sieben Stunden nach der letzten Infusion musste der Mann aufgrund einer hochgradigen Hypokalzämie mit ausgeprägtem Hirnödem in eine Klinik eingeliefert werden, wo er trotz intensivtherapeutischer Maßnahmen verstarb. [10]
  • In den USA sind Fälle bekannt, in denen diese Therapie ebenfalls zum Tod des Patienten führte. In Texas wurde ein Arzt zu einer Strafe von $ 2.150.000 verurteilt. Er hatte die Herzerkrankung des im Jahre 1992 im Alter von 61 Jahren verstorbenen Frank Vecchio, Inhaber der Del Vecchio Foods Distribution Company, erfolglos mit der unwirksamen Chelattherapie behandelt. [11]
  • Zwerling und Estes (1993) berichteten über zwei Patienten, bei denen sich ein Ast der Arteria centralis retinae (Zentralarterie des Auges) unter der EDTA-Therapie verschloss und die Sehfähigkeit eingeschränkt war. Nach Absetzen des EDTAs war diese Nebenwirkung nur in geringem Umfang reversibel. [12]

Bewertung

Die Chelattherapie ist gegen Arteriosklerose unwirksam und zudem gefährlich für den Patienten. Die Ausleitung von Schwermetallen, ohne, dass in der Vergangenheit eine konkrete Schwermetallbelastung vorlag oder sich Vergiftungssymptome zeigen, ist unnötig. Ebenso unwirksam und unnötig ist diese Behandlung als reines Anti-Aging-Mittel. Zudem entstehen den Patienten hohe Kosten. [13]

Die Chelattherapie zur Behandlung vaskulärer Erkrankungen wurde bereits vom National Institut of Health als unwirksam abgelehnt. [14] Die American Medical Association (1983), der Wissenschaftliche Beitrag der Bundesärztekammer und auch die National Heart Foundation of New Zealand gaben negative Stellungnahmen und Bewertungen zur Chelattherapie ab. [15][16][17]

Literatur

  • Ernst E. Deaths associated with EDTA chelation therapy - a systematic review. Perfusion 2009, 22(1) 9-11

Weblinks

Quellennachweise

  1. 1,0 1,1 Zum Beispiel hier: www.chelat-therapie-ausleitung.de/leistungen/chelat-therapie/hintergrund-und-details/
  2. 2,0 2,1 2,2 Meyer FP: Über die 'Omnipotenz' der Chelattherapie. Forsch Komplementärmed, 5, 266-271, 1998
  3. Martin CD: Die Chelattherapie. Universitas Verlag, 1986
  4. Guldager B, Foergeman O, Jorgensen SJ, Nexo E, Jelnes R: Disodium-ethylene diamine tretaacetic acid (EDTA) has no effect on blood lipids in atherosclerotic patients. Dan Med Bull, 40, 625-627, 1993
  5. Sloth-Nielsen J, Guldager B, Mouritzen C, Lund EB, Egeblad M, Nrregaard O, Jorgensen SJ, Jelnes R: Arteriographic findings in EDTA chelation therapy on peripheral arteriosclerosis. Am J Surg, 162, 122-125, 1991
  6. Rij AM van, Solomon C, Packer SGK, Hopkins WG: Chelation therapy for intermittent claudication. Circulation, 90, 1194-1199, 1994
  7. Federspiel K, Herbst V: Die Andere Medizin. Nutzen und Risiken sanfter Heilmethoden. Stiftung Warentest Verlag, 2. Aufl., S. 219f, 1992
  8. Peterson GR: Adverse effects of chelation therapy. JAMA, 250, 2926, 1983
  9. Proksch, E.; Kölmel, K.: Zinkmangelsyndrom als Nebenwirkung von Chelatbildnern, Dt. med. Wochenschrift. 01/1985;110(25): 1001-1003
  10. Nissel H: Arteriosklerose und Chelattherapie. Wien Med Wochenschr, 136, 586-588, 1986
  11. NCAHF: Newsletter, 19, 2, 1996
  12. Zwerling CS, Estes EH: Branch retinal artery occlusion. A possible adverse effect of chelation therapy. N C Med J, 54, 172-174, 1993
  13. Federspiel K, Herbst V: Die Andere Medizin. Nutzen und Risiken sanfter Heilmethoden. Stiftung Warentest Verlag, 4. Aufl., S.217, 1996
  14. NCAHF: Newsletter, 19, 2, 1996
  15. American Medical Association: Chelation therapy. JAMA, 250, 672, 1983
  16. Wolff HP, Scheler F: Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirates der Bundesärztekammer und der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft: Wie sicher und wirksam ist die sogenannte Chelattherapie bei der Behandlung atherosklerotischer Gefäß-Erkrankungen? Dtsch Ärztebl, 81, 436, 1984
  17. Swinburn BA: Randomised trial of chelation therapy. N Zeal Med J, 108, 20, 1995

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