Blutegel

Die Blutegelbehandlung ist ein seit Alters her bekanntes medizinisches Verfahren. In der traditionellen indischen Medizin (siehe Ayurveda) wurden bereits Blutegel zum Schröpfen benutzt, bevor es die ersten Schröpfköpfe gab. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts wurden sie im Rahmen säftepathologischer Therapieansätze als ausleitendes Verfahren häufig eingesetzt. Mit Aufkommen der wissenschaftlichen Medizin ab Mitte des 19. Jahrhunderts, vor allem aber zwischen 1880 und 1920, geriet die Behandlung in Europa in Vergessenheit. Erst ab 1923 erhielt die Blutegeltherapie durch den französischen Chirurgenkongress neuerlichen Auftrieb.

Blutegel

Bei der Blutegeltherapie wird der Medizinische Blutegel (Hirudo medicinalis resp. officinalis; engl. leech) genutzt. Er ist ein Ektoparasit und gehört zu den Ringelwürmern (Anneliden). Der Mund ist als Saugorgan ausgebildet und weist drei kreissägeförmige Kiefer auf. Das Körperende ist als Haftscheibe ausgebildet. Sein natürliches Verbreitungsgebiet ist Europa, Nordafrika und Kleinasien, wo er im Süßwasser lebt.

Einsatzgebiete

Blutegel werden mit vielfältigen Indikationen verwendet: Krampfadern, Hämorrhoiden, Arthrosen, Kopfschmerzen, Menstruationsschmerzen, Tinnitus, Migräne oder bei der Nachsorge von Schlaganfällen. In der Chirurgie kommen Blutegel in der Therapie von Lungenödemen und nach Lappentransplantationen zum Einsatz.[1] Einige Heilpraktiker behaupten außerdem, eine Blutegeltherapie würde das Immunsystem stärken.

Blutegel werden auch in der Veterinärmedizin zum Beispiel bei Pferden genutzt.

Wirkungsweise

Die medizinische Wirkung des Blutegels beruht auf den in seinem Speichel enthaltenen Substanzen, vor allem Proteinen. Die bedeutendste ist das Hirudin, ein natürliches gerinnungshemmendes Enzym, das kleine Blutgerinnsel auflösen kann. Dieses Enzym soll verhindern, dass es bei der Blutmahlzeit des Egels zur Gerinnung kommt.

Klinischer Einsatz

Blutegel werden bei einigen Indikationen erfolgreich eingesetzt. Im Bereich der postoperativen Behandlung von Patienten, die sich einem gefäßchirurgischen Eingriff bei Venenleiden unterziehen mussten, wird der lebende Blutegel direkt eingesetzt. Das von ihm mit dem Speichel in die Blutbahn abgegebene Hirudin trägt dazu bei, Patienten zu helfen, denen nach einer Gefäßoperation ein neuerlicher Gefäßverschluss durch Blutgerinnsel droht. Hilfreich wirkt dabei offenbar eine Substanz, die die Aggregation der Blutplättchen bremsen kann. Es handelt sich um Apyrase Adenosin Triphosphat Diphosphohydrolase. [2]

Von Vorteil ist der Blutegel ebenfalls, wenn gestielte Rotationslappen oder sogar freies Gewebe von einem Teil des Organismus zu einem anderen verpflanzt werden soll (z.B. bei kosmetischen Operationen bei Unfallopfern oder Brandverletzten). Hier ist die Aufrechterhaltung der Transplantatdurchblutung für den Therapieerfolg ausgesprochen wichtig.[3]

Am Klinikum Essen wendet man sie z.B. erfolgreich bei entzündungsbedingten Schmerzen bei Osteoarthritis des Kniegelenks an.[4]

Afra konnte in einer randomisierten kontrollierten Studie zeigen, dass der einmalige Einsatz von Blutegeln bei symptomatischer Epicondylitis („Tennisellenbogen“) eine deutliche, signifikante Schmerzreduktion und eine hochsignifikante Verbesserung der funktionelle Beschwerden gegenüber einer Behandlung mit Diciofenac aufwies.[5] Allerdings war diese Studie nicht doppelverblindet, was weitere Untersuchungen nötig macht, um subjektive Variablen auszuschließen.

Nebenwirkungen

Eine Behandlung mit Blutegeln kann auch Nebenwirkungen haben. So kann ein Transplantat durch den Speichelfluss des Egels mit Bakterien infiziert werden[6] und scheint immer wieder vorzukommen. Außerdem kann es bei den Patienten aufgrund der lokal herabgesetzten Gerinnung zu deutlichem Blutverlust kommen, der unter Umständen sogar eine Bluttransfusion notwendig macht.

Zur Verhinderung von Infektionen sollten junge, ungenutzte Blutegel verwendet werden, die unter strengen hygienischen Haltungsbedingungen stammen, denn auch die Egel selbst sind mit Bakterien besiedelt.[7] Nonomura et al. isolierten 1996 in Hirudo medicinalis und Hirudinaria manillensis verschiedene Mikroorganismen (Aeromonas spp., Pseudomonas fluorescens u.a.). Diese Keime waren zudem sehr resistent gegen Cephalosporin-Antibiotika, aber empfindlich gegenüber Carbapenem, Aminoglykosiden und Ofloxacin. Zu Infektionen der Patienten mit Aeromonas-Keimen durch die Blutegel kommt es nach Sartor et al. bei etwa 4% der behandelten Patienten.[8]

Blutegel dürfen zudem nicht mehrfach verwendet werden, denn sonst besteht die Gefahr, dass Erreger von einem Patienten zum anderen übertragen werden.

Artenschutz

Durch den übertriebenen Einsatz medizinischer Blutegel in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden die natürlichen Blutegelbestände stark verringert. Mittlerweile sind medizinische Blutegel in Europa nur noch in wenigen Gebieten in ihrer natürlichen Umgebung zu finden. Hirudo medicinalis steht deshalb in Deutschland, der Schweiz, Frankreich und weiteren Ländern Europas unter Naturschutz. Ohne CITES-Bewilligung dürfen Wildegel nicht gesammelt werden. Die für Blutegelbehandlungen verwendeten Tiere entstammen Zuchten.

Gesamtbewertung

Der Blutegel ist bei zielgenauer Indikation und optimalen, hygienischen Haltungsbedingungen eine interessante therapeutische Option. Nebenwirkungen sind auch hier nicht ausgeschlossen.

Bei Erkrankungen, die eine Herabsetzung der Blutgerinnung nötig machen, existieren moderne Medikamente wie zum Beispiel gentechnisch hergestelltes (rekombinantes) Hirudin, welche die Behandlung mit lebenden Blutegeln als nicht mehr zeitgemäß erscheinen lassen.

Bei zahlreichen Versprechungen, die von Seiten der Pseudomedizin zur Blutegelbehandlung gemacht werden (z.B. Stärkung des Immunsystems) gibt es keine wissenschaftlichen Wirksamkeitsnachweise.

Siehe auch

Quellenverzeichnis

  1. http://www.flexikon.doccheck.com/de/Blutegel#Medizinische _Bedeutung
  2. Rigbi M, Orevi M, Eldor A: Platelet aggregation and coagulation inhibitors in leech saliva and their roles in leech therapy. Semin Thromb Hemost, 22, 273-278, 1996
  3. Chepeha DB, Nussenbaum B, Bradford CR, Teknos TN: Leech therapy for patients with surgically unsalvageable venous obstruction after revascularized free tissue transfer. Arch Otolaryngol Head Neck Surg, 128, 960-965, 2002
  4. Michalsen A, Moebus S, Spahn G, Esch T, Langhorst J, Dobos GJ: Leech therapy for symptomatic treatment of knee osteoarthritis: results and implications of a pilot study. Altern Ther Health Med, 8, 84-88, 2002
  5. Afra, Dani: Randomisierte kontrollierte Studie zur Wirksamkeit der Blutegelbehandlung bei symptomatischer Epicondylitis lateralis humeri Universität Duisburg-Essen, 2009
  6. de Chalain TM: Exploring the use of the medicinal leech: a clinical risk-benefit analysis. J Reconstr Microsurg, 12, 165-172, 1996
  7. Nonomura H, Kato N, Ohno Y, Itokazu M, Matsunaga T, Watanabe K: Indigenous bacterial flora of medicinal leeches and their susceptibilities to 15 antimicrobial agents. J Med Microbiol, 45, 490-493, 1996
  8. Sartor C, Limouzin-Perotti F, Legre R, Casanova D, Bongrand MC, Sambuc R, Drancourt M: Nosocomial Infections with Aeromonas hydrophila from Leeches. Clin Infect Dis, 35, E1-E5, 2002
  • Blaise S, Le Brun V, Sparsa A, Delrous JL, Bonnetblanc JM: Contact dermatitis with Hirudo medicinalis. Ann Dermatol Venereol, 129, 1380-1382, 2002