Bicarbonat Melasse Therapie

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Die Bicarbonat- Melasse-Therapie ist eine experimentelle pseudomedizinische Behandlungsmethode gegen Krebserkrankungen aus dem Spektrum der unkonventionellen Krebstherapien ohne wissenschaftlichen Nachweis einer Wirksamkeit. Diese Methode gehört zu den verschiedenen alternativmedizinischen Behandlungsvorschlägen gegen Krebs, bei denen Natriumcarbonat oder Natriumhydrogencarboat beziehungsweise Backpulver (Natron) eingesetzt werden. Bei beiden Zutaten handelt es sich um Lebensmittel und nicht um zugelassene Arzneimittel. Zu den Befürwortern einer Bicarbonat-Melasse-Therapie gehört der US-amerikanische Buchautor und Medizinlaie Mark Sircus. Die Methode wird im deutschsprachigen Raum von zahlreichen privat betriebenen Webseiten propagiert, wobei bei dieser Gelegenheit auf anekdotische Wunderheilungen verwiesen wird (siehe weiter unten).

Die Methode und ihre Plausibilität

Eine seriös veröffentliche exakte Beschreibung der Methode war für die Autoren dieses Artikels im Dezember 2017 nicht auffindbar, Einträge in wissenschaftlichen Datenbanken fehlen genauso wie Bewertungen von Seiten von Fachleuten.

Nach Durchsicht mehrerer privater Webseiten, die sich des Themas werbend angenommen haben, bietet sich aktuell (2017) folgendes Bild: Krebspatienten wird empfohlen, Natriumhydroncarbonat (NaHCO3, Natron oder doppeltkohlensaures Natron, "Bullrich-Salz") gleichzeitig mit Ahornsirup oder Melasse einzunehmen. Als Dosierung der Zutaten finden sich für dieses "Rezept" verschiedene Angaben. Eine Dosierungsanweisung nennt einen Teelöffel Natriumhydrogencarbonat und einen Teelöffel Ahornsirup, die gleichzeitig in einem Glas Wasser zu lösen seien, um dann getrunken zu werden.

Die Befürworter begründen das Rezept damit, dass das Natriumhydrogencarbonat zu einer Alkalose führe, die laut Warburg-Hypothese Krebszellen abtöten solle. Der Zucker in der Melasse soll die gleichzeitige Aufnahme des Natron fördern.

Um der Methode einen Anschein von Glaubwürdigkeit zu verleihen wird angegeben, mit Teststreifen den eigenen Urin zu testen. Ein im Urin erscheinender Anstieg des pH-Werts wird sodann als Erfolg des Rezeptes bzw. sogar als "Heilung" bezeichnet. Derartige Teststreifen-Tests zeigen aber nur grob den pH-Wert zum Zeitpunkt der Messung. Der pH-Wert des Urins schwankt stark und erlaubt nicht, den pH-Wert des Blutes zu bestimmen.

Die Unsinnigkeit dieser Methode wird auch für Laien bereits durch den Umstand ersichtlich, dass es auf einfachste Weise möglich ist, den pH-Wert des Blutes zu erhöhen, indem über ein paar Minuten tiefer durchgeatmet oder hyperventiliert (stark verstärkte Atmung) wird. Dabei wird vermehrt CO2 abgeatmet, welches mit der schwachen Säure Kohlendioxid chemisch im Gleichgewicht ist. Durch das Abatmen von CO2 wird Kohlendioxid aus dem Körper entfernt, mit dem Resultat einer Alkalose (Erhöhung des pH-Werts über den Grenzwert hinaus). Genauer gesagt handelt es sich um eines respiratorische Alkalose, die bei weiter verstärkter Atmung zur so genannten "Ohnmacht" und somit zur plötzlichen Bewusstlosigkeit führt, bevor andere, langsamere Puffersysteme des Körpers den pH-Wert wieder senken. Der pH-Wert in anderen Organen/Geweben des Menschen wird durch die verschiedenen Puffersysteme dabei nicht relevant verändert. Erst eine Infusion mit Natriumcarbonat beeinflusst den pH-Wert des Bluts, ein Eingriff, der jedoch auf Grund der Gefahren nur im Notfall durch Ärzte (zum Beispiel auf Intensivstationen) durchgeführt wird, wobei diese Maßnahme nicht zur Heilung von Krebserkrankungen praktiziert wird.

Dass ein solcher - tatsächlicher - Fall einer durch verstärkte Atmung bewirkte Alkalose eine Auswirkung auf Tumoren hat, ist wissenschaftlich nicht nur unbekannt, sondern auch abwegig. Bei der Einnahme von Basen wie Natron kommt es lediglich im Magen und eventuell Darm zu einem vorübergehenden Anstieg des pH-Werts, der sich durch Symptome wie Aufstoßen oder Blähungen bemerkbar macht. Bei dieser Gelegenheit wird der Schutz gegen Krankheitserreger, die mit der Nahrung aufgenommen werden und den sauren Magen passieren müssen, eingeschränkt. Um in der Umgebung magenentfernter Tumore einen tatsächlichen Anstieg des pH-Werts bewirken zu wollen, müsste man große Mengen von Basen entweder einnehmen oder sich infudieren lassen (also über eine Infusion). Dabei käme es zu lebensbedrohlichen Zuständen und beispielsweise zur oben beschriebenen Ohnmacht/Bewusstlosigkeit. Das Ausbleiben derartiger und lebensbedrohlicher Nebenwirkungen durch Einnahme von etwas Natron zeigt auch dem Laien, dass dieser Methode kein Potential zur Behandlung von Krebs zugemessen werden kann. Auch müsste der Kunde oder Patient das Natron dauerhaft über den Tag und die Nacht einnehmen, da der Körper über Kompensationsmechanismen stetig versuchen würde, einen physiologischen pH-Wert wieder aufrecht zu erhalten.

Eine Reihe anderer unkonventioneller und alternativmedizinischer Anti-Krebskonzepte ist mit dieser Methode überhaupt nicht kompatibel. Von einigen Autoren und Heilern wird nämlich bei Krebs der Entzug von Zucker gefordert. Im Rahmen diverser Krebsdiäten wird versucht, den Zuckergehalt der Nahrung zu senken. Ahornsirup und Melassen sind jedoch sehr stark zuckerhaltig.

Wunderheilung durch Natron

Ein Vernon Johnston ("Vito") behauptet, einzig durch Natriumhydrogencarbonat seinen eigenen Prostatakrebs wundergeheilt zu haben. Entsprechende Behauptungen werden im Internet in verschiedenen Sprachen aufgestellt, so vom Buchautor Mark Sircus und von Johnston selbst. Johnston behauptet, 2008 an einem Prostatacarzinom mit Knochenmetastasen erkrankt zu sein. Nach einer nur fünftägigen Kur mit Natron, Melasse und einer "basischen Ernährung sei er zwei Wochen später zu einem Onkologen gegangen, der das Verschwinden der Knochenmetastasen und des Tumors festgestellt habe. Der Tip, Natron auszuprobieren, soll von seinem Bruder Larry gekommen sein. Den eigenen anekdotischen Bericht veröffentlichte Johnston in einem Buch "My Dance With Cancer" und auch auf einer privaten Internetseite phkillscancer.com. Auch der Laie Michael Palomino verbreitet die Wunderheilungsgeschichte und übersetzte Teile des Buchs von Johnston.

Johnstons Wunderheilungsgeschichte kann bezweifelt werden. Er beschreibt zwar seine Krankengeschichte, unterlässt es jedoch, seine Arztbriefe und Befunde zu veröffentlichen. Er zitiert nur wenige, kurze Sätze aus seinen Befunden, so als ob er nicht zu seiner Geschichte passende Passagen auslassen wolle. Die zitierten Sätze hören sich zudem untypisch für einen Befund eines Onkologen an:

“Ancillary Studies: These are largely mentioned in the history of present illness. The pathology confirms the presence of prostate carcinoma of high grade. The T stage would appear to be stage III but without obvious invasion into the seminal vesicles on CT [computer tomography] scan. The radionuclide bone scan and plain films confirm the presence of skeletal metastasis in the sacrum and the left illium [part of the pelvis]. In addition, on my review of the CT scan of the pelvis, a number of other small sclerotic [hard] lesions are noted within the pelvis. Pre-treatment PSA [prostate-specific antigen-based screening] was 22 but has decreased to 5.88 after institution of Finasteride and Casodex. TNM classification, T#NXM1. AJCC stage IV.”

Die zitierte Passage nennt auch die durchgeführte Anwendung zweier effektiver Arzneimittel (Finasterid und Casodex). Finasterid wird typischer Weise bei der benignen Prostatahyperplasie (kein Tumorleiden) eingesetzt. Bicalutamid (Casodex) ist ein nichtsteroidales Anti-Androgen und wird sowohl bei der benignen Prostatahyperplasie (kein Krebsleiden) als auch bei Prostatakrebs eingesetzt. Die von Johnston zitierte Passage und Medikation ist demnach auch mit der Erkrankung an der benignen Prostatahyperplasie kompatibel, die kein Krebsleiden ist. Auch bleibt unverständlich, warum Johnston seine behauptete Gesundung nicht auf die eingenommenen Arzneimittel zurückführt. Die genannten Veränderungen des PSA-Test sind kein Beleg für ein bösartiges Prostatakarzinom, denn der PSA-Wert kann auch bei Entzündungen der Prostata ansteigen. Genauso rätselhaft bleibt, warum der Autor Johnston die E-Book Version seines Buchs verkauft und nicht angeblichen oder tatsächlichen Leidensgenossen kostenlos zur Verfügung stellt. Die Veröffentlichung als Text im Internet oder pdf-Datei verursacht so gut wie keine Kosten.

Siehe auch

Quellennachweise