Augen- und Sehtraining nach Gollub und Selby

Das Augen- und Sehtraining nach Gollub und Selby ist ein in der Esoterik- und New-Age-Szene propagiertes Verfahren zur Behandlung einer Fehlsichtigkeit durch bestimmtes Augentraining, das sich neben dem Sehtraining nach Bates verbreitet hat und der Behandlung von Fehlsichtigkeit des Auges ohne Sehhilfen dienen soll.

Die Inhalte des Augentrainings nach Selby

John Selby propagierte in einem populärwissenschaftlichen Buch eine Modifikation des Augentrainings nach Bates. Er ergänzte die Übungen durch eigene, körperorientierte Therapieansätze und weitere Entspannungsverfahren. Selby betonte vor allem die bewusste Entscheidung für klares Sehen zur Erzielung einer Sehverbesserung. "Nur wenn Sie sich bewusst dazu entscheiden, wieder klar sehen zu wollen und die unbewussten Gewohnheiten, welche die emotionalen Hemmungen und physischen Dysfunktionen aufrechterhalten, durchbrechen, kann eine Heilung stattfinden".[1]

Bei einer solchen Einstellung des Therapeuten stellt sich die Frage, ob Personen, die nach dem Selby-Verfahren keinen Erfolg erzielten, sich nicht bewusst genug zur Sehverbesserung entschlossen hatten. Eine Schuldzuweisung an den Patienten kann damit angelegt sein.

Selby entwickelte nach seinem Psychologiestudium eine Übungsfolge, die eine Verbesserung der Sehfähigkeit um angeblich 10-20% erreichen sollte. Die Fähigkeit, die visuellen Funktionen besser in die Gesamtpersönlichkeit zu integrieren und den Vorgang des Sehens mehr zu genießen sollte ausgebildet werden. Selby betonte, dass die von ihm propagierten Übungen die Persönlichkeit und das Bewusstsein entwickelten. Er erklärte die Beziehung, die zwischen den Augen und der Persönlichkeit bestehe, damit, dass jeder Gedanke, den man habe, jedes Gefühl und jede körperliche Bewegung, die gemacht oder unterlassen werde, eine Reaktion im Auge erzeuge - und ignorierte dabei die tatsächlichen anatomischen Gegebenheiten im Auge. Das Gehirn selbst übt keinen direkt steuernden Einfluss auf die Retina des Auges aus. Vielmehr empfängt es von dort bereits vorgefilterte Informationen.

Komponenten des Augentrainings nach Selby

  • Bates-Übungen: Schwingen, Akkommodation, Palmieren, Fusionsübungen, Umwandern
  • Entspannungsübungen: Autogenes Training mit Visualisieren (sich bei geschlossenen Augen Bilder vorstellen), auf den Kopf klopfen, "Atmen durch die Augen", Wahrnehmungsmeditation, Massage und Yogaübungen
  • Körperübungen: Baumeln lassen, Strecken und Gähnen, Furcht und Selbstbehauptung, Holzhacken und "Atmen mit dem Becken".

Die Inhalte des Augentrainings nach Gollub

Marianne Gollub, eine ehemalige Mitarbeiterin John Selbys, die als Sehtrainerin in Berlin Einzel- und Gruppen-Sehtraining abhält und dort auch einen 'Verlag für Sehtraining' betrieb, initiierte gemeinsam mit Eva Hevekerl Anfang der 90er Jahre eine Studie, um ein von ihr leicht modifiziertes Sehtraining in seiner Wirksamkeit zu überprüfen. Frau Hevekerl unterrichte damals bereits seit zwei Jahren Augenübungen an der Volkshochschule Berlin-Neukölln und fertigte diese Studie als schriftliche Zulassungsarbeit zu ihrer Diplom-Hauptprüfung zur Erlangung des Titels 'Diplom-Psychologin' am Institut für Psychologie der FU Berlin unter Aufsicht von Herrn Prof. Dr. Walschburger im Jahre 1991 an.

Eva Hevekerl berichtet genau über den Aufbau des von Frau Gollub überwachten Sehtrainingsprogramms, das in der Zeit vom 09.08.1990 bis zum 27.09.1990 in Form von acht Gruppenabenden à 1,5 Stunden durchgeführt wurde.[2]

  • 1. Abend: Vorstellung der Teilnehmer, Beobachten der Verschwommenheit des eigenen Sehens, Vortrag über die Physiologie des Sehens, Durchführung von Bates'schen Übungen (Baumeln lassen, Umwandern, Schwingen, Strecken/Gähnen, Akkommodation, Palmieren).
  • 2. Abend: Wiederholung der Bates'schen Übungen des 1. Abends.
  • 3. Abend: Besprechung von etwaigen Übungsproblemen zu Hause, Durchführung weiterer Übungen (Springen, Strecken/Gähnen, Baumeln lassen, Schwingen, auf den Kopf klopfen, Holzhacken, Furcht und Selbstbehauptung, Übungen zur Schulter- und Nackenentspannung wie Schulterkreisen, Atmen durch die Augen).
  • 4. Abend: Zunächst Yoga-Übungen durch eine Yoga-Lehrerin (Kerze, Pflug, Rumpfbeuge im Sitzen, Kobra, Fisch, Bogen), Visualisation (sich ein Tier oder Spielzeug aus der Kindheit vorstellen), Atmung durch das Becken
  • 5. Abend: Durchführung von Entspannungsübungen, Beobachtung der Atmung und des Sehens, Atmen durch die Augen, Atmen durch das Becken, Auflockerungsübungen (strecken, baumeln lassen, springen, schwingen), eine autogene Entspannungsübung, gegenseitige Kopf- und Nackenmassage
  • 6. Abend: Durchführung verschiedener Übungen: durch die Augen atmen, Wahrnehmungsmeditation, strecken, springen, baumeln lassen, auf den Kopf klopfen, Furcht und Selbstbehauptung, Holzhacken, Atmen mit dem Becken, Akkommodation, Palmieren (dabei eine weite Landschaft vorstellen), autogenes Training mit Visualisation eines Tieres oder Spielzeugs aus der Kindheit, Daumen-Fusion)
  • 7. Abend: Diskussion von Fusionsübungen und -problemen, Wiederholung von Yoga-Übungen des 4. Abends.
  • 8. Abend: Beobachtung von Atmung und Sehverhalten, durch die Augen atmen, Wahrnehmungsmeditation, Daumen- und Schnur-Fusion, palmieren, Selbstmassage an Nacken und Gesicht, strecken, springen, baumeln lassen, auf den Kopf klopfen, Furcht und Selbstbehauptung, Holzhacken, atmen mit dem Becken und Wiederholung von Entspannungsübungen des 5. Abends.

Die von Gollub und Hevekerl verwendeten 'Fachbegriffe' werden nachfolgend erläutert.

  • Schwingen: Beine beckenbreit auseinanderstellen, ein wenig in die Knie gehen, langsam den Körper nach links und rechts drehen und über die Schulter blicken. Arme locker mitschwingen lassen, Kopf gerade halten. Mit dem Blick einen Kreis um sich ziehen, ohne etwas zu fixieren. Regelmäßig blinzeln und atmen.
  • Akkommodation: Einen Zeigefinger 10 cm vor die Nase, den anderen soweit wie möglich weg davon halten, so dass beide vor der Nase eine Linie bilden. Den Blick zwischen dem 1. und 2. Zeigefinger im Atemrhythmus langsam hin- und herwandern lassen.
  • Palmieren: Wie beim Wasserschöpfen mit den Händen eine Mulde bilden, Augen schließen, Hände über die Augen legen, ohne diese zu berühren. Die Augen sollen entspannt werden.
  • Fusionsübung Daumen-Fusion: Beide Daumen ca. 20 cm von der Nase weg hoch und 3 cm auseinanderhalten. Durch beide Daumen hindurch in die Ferne sehen. Dadurch soll die Illusion erzeugt werden, zwischen beiden Daumen befinde sich ein dritter Daumen.
  • Fusionsübung Schnur-Fusion: Eine ca. 0,5 cm durchmessende Perle auf eine ca. 1 m lange Schnur ziehen. Partner/Partnerin suchen. Jeder hält sich ein Schnurende an die Nasenspitze. Die Perle ansehen. Man soll den Eindruck gewinnen, es seien zwei Schnüre gespannt, die sich in der Perle kreuzen.
  • Umwandern: Sich einen Zauberstab auf der Nase vorstellen, der in der Nähe zeichnen kann und eine Verlängerung in der Ferne hat. In der Ferne und in der Nähe werden nun Gegenstände "umzeichnet", ggfs. wird dabei der Kopf mitbewegt.
  • Auf den Kopf klopfen: Mit Händen oder lockeren Fäusten auf den Kopf klopfen und dabei einen weichen "Aaaah"-Laut von sich geben. Kopf senken und auf den Nacken klopfen.
  • Atmen durch die Augen: Aufmerksamkeit auf die Augen richten und so die Augenanspannung verringern. Sich vorstellen, durch die Augen zu atmen. Bewusst die Gesichtsmuskeln entspannen. Übung mit offenen und geschlossenen Augen durchführen.
  • Wahrnehmungsmeditation: Bewusst Bewegung, Formen, Farben und den Raum zwischen sich und dem beobachteten Gegenstand wahrnehmen. Zunächst diese vier Komponenten separat bewusst wahrnehmen, dann alle gemeinsam.
  • Baumeln lassen: Grundposition wie beim 'schwingen' einnehmen, Kopf langsam auf die Brust sinken lassen, durch den Mund atmen. Kopf, Nacken und Oberkörper entspannen. Mit Armen, Kopf und Oberkörper nach links und rechts pendeln. Körperteile lockern, ausschütteln und dabei einen "Aaaah"-Laut von sich geben.
  • Strecken und Gähnen: Abwechselnd Arme zur Decke strecken und dabei tief einatmen. Bei Gähnbedürfnis gähnen.
  • Springen: Grundposition wie beim 'schwingen' einnehmen. Leicht springen, bis die Füße vom Boden abheben, dabei durch den Mund atmen.
  • Furcht und Selbstbehauptung: Grundposition wie beim 'schwingen' einnehmen. Beim Einatmen den körperlichen Zustand von Angst imitieren (sich etwas Angstmachendes vorstellen). Knie und Rücken durchstrecken, Kopf zurücklegen, Augen nach oben rollen. Zur 'Entladung' mit einem Satz nach vorne springen, mit gebeugtem Knie auf die Füße kommen und einen drohenden Ton von sich geben.
  • Holzhacken: Grundposition wie beim 'schwingen' einnehmen. Eine vorgestellte Axt beidhändig über den Kopf heben und dabei einatmen. Die vorgestellte Axt kraftvoll auf einen imaginären Holzblock zwischen den Füßen schlagen und durch den Mund ausatmen.
  • Atmen mit dem Becken: Auf den Boden legen und Füße aufstellen. Während des Einatmens den Rücken zum Hohlkreuz formen. Vollständig ausatmen und Kreuz auf den Boden legen, dabei einen Seufzer von sich geben.

Das von Gollub angebotene Training unterscheidet sich von der Bates'schen Lehre, da es gymnastische Entspannungs- und Aktivitätsübungen enthält. Ein wirkliches 'Augentraining' findet nicht statt, denn die Übung 'Palmieren' entspannt lediglich die Gesichtsmuskeln am bzw. um das Auge herum und die Übungen 'Akkomodation' oder die beiden 'Fusionsübungen' dienen nur zur Entspannung und Anspannung des Ziliarapparates, der die Augenlinse krümmt.

Bemerkenswert ist, dass Eva Hevekerl in ihrer Diplomarbeit von einem Erfolg des Augentrainings nach Gollub und Selby spricht. Sie hatte Studentinnen aus West-Berliner Universitäten und Fachhochschulen zu dem genannten 8-Tage-Training eingeladen, wobei 15 Probandinnen dem beschriebenen Sehtraining unterzogen und 17 Studentinnen nur an einem einzigen Tag allgemein über Sehtraining informiert wurden. Alle Versuchspersonen waren kurzsichtig und Brillenträgerinnen. Von den 15 Sehtrainierten hatten 12 eine Hornhautverkrümmung (Astigmatismus) am rechten Auge bzw. am linken Auge, wobei 11 einen beidseitigen Astigmatismus hatten. Von den 17 Kontrollprobandinnen wiesen 14 am linken Auge und 12 auf dem rechten Auge (ebenfalls 11 beidseitig) einen Astigmatismus auf.

Hevekerl untersuchte die Refraktion der Teilnehmerinnen an vier unterschiedlichen Messzeitpunkten, veröffentlichte in ihrer Studie trotz eines sehr umfangreichen Anhanges lediglich die Untersuchungsergebnisse der 15 Sehtraining-Studentinnen (Verumgruppe). Die Refraktionsdaten (aufgeteilt nach Sehschärfe und Astigmatismus) der 17 Kontrollpersonen ließ sie jedoch unerwähnt. Daher ist es nur teilweise möglich, die Behauptung von Hevekerl nachzuprüfen, dass durch das Gollub-/Selby-Augentraining eine Verbesserung der Refraktion (also der Brechungswerte) erzielt wurde. Hevekerl selbst behauptete dies und verwies auf Graphiken und Ergebnisse, die eine Überlegenheit des Augentrainings zeigen sollten. Hevekerl beschreibt bei ihren Ergebnissen stets die 'Sehschärfe', dokumentierte im Anhang allerdings nur Refraktionswerte (Myopie + Astigmatismus). Die Astigmatismuswerte (also die zum Ausgleich einer Dezentrierung eines gerade auf die Hornhaut einfallenden Lichtstrahls notwendige optische Korrektur in dpt.) werden mit den Myopiewerten (die zur Berichtigung des sich zu früh vor der Retina fokussierenden Lichtstrahls notwendige optische Korrektur in dpt.) addiert und von Hevekerl als "Sehschärfe" bezeichnet. Dies ist keine ophthalmologisch nachvollziehbare Vorgehensweise. Hevekerl gibt die Rohdaten der Refraktionswerte der Untersuchungsgruppe zu den vier Zeitpunkten (vor Trainingsbeginn, nach acht Wochen Training, weitere vier Wochen später ohne erneutes Training, weitere acht Wochen ohne erneutes Training) an, so dass eine Auswertung des angeblichen Therapieerfolges möglich ist.

Aus den von Hevekerl veröffentlichten Zahlen ist ersichtlich, dass sich die Refraktion (Myopie) der Probandinnen während der Beobachtungszeit um Beträge zwischen 0,15-0,2 dpt veränderte. Zudem kamen beim vierten Zeitpunkt nur noch 11 der 15 Teilnehmerinnen zur Wiedervorstellung. Wenn man sich die durchschnittliche Verringerung der Werte ansieht, erkennt man Folgendes:

  • rechtes Auge: Die Werte gingen von anfänglich 3.80 auf 3.67 und 3.62 zurück, um bei der letzten Untersuchung wieder auf 3.98 anzusteigen.
  • linkes Auge: Die Werte fielen von anfänglich 3.62 auf 3.48 und 3.40 zurück, um bei der letzten Untersuchung auf 3.68 anzusteigen

Befürworter des Augentrainings werten diese minimalen Schwankungen von durchschnittlich 0.15-0.2 dpt. als einen Erfolg des Sehtrainings. Dabei übersehen sie jedoch, dass diese Abweichungen vollständig im Messfehler der Refraktionsbestimmung liegen, der durchaus 0.25 dpt. (im Einzelfall auch 0.5 dpt.) betragen kann. Die Hevekerl-Studie beweist nur, dass die Bestimmung der Refraktion (auch wenn sie von einem Augenoptikermeister vorgenommen wird) fehleranfällig ist. Veränderungen innerhalb der üblichen Fehlerbreite einer Untersuchungsmethode sind kein Beweis für die Wirksamkeit einer Therapie.

Kritik

In augenärztlichen Fachkreisen trifft das Augentraining auf deutlichen Widerstand. So erwähnt der Berufsverband der Augenärzte Deutschlands e.V. (BVA) auf seiner Website die Meinung des Augenarztes und Leiters des Arbeitskreises Psychosomatik im Berufsverband der Augenärzte, Dr. Christian Laugs. Dieser betont, dass es beim 'Sehtraining' keine nachgewiesene Wirkung gibt. Augenübungen könnten lediglich den Patienten entlasten, indem sie ihm das Gefühl geben, dass er etwas für sich tun könne.[3]

Auf der Webseite Augen und Mehr wird Prof. Dr. Herbert Kaufmann, Direktor der Universitätsaugenklinik für Schielbehandlung und Neuroophthalmologie in Gießen, mit den Worten zitiert, das Augentraining sei reine Scharlatanerie. Er bekomme einen heiligen Zorn, wenn er höre, dass die Leute anstatt Gläser oder Kontaktlinsen zu tragen, lieber schlecht sehen und sich quälen wollten.

Quellennachweise

  1. Selby J: Die Augen. Rowohlt Verlag, Reinbeck, 1987, S.136
  2. Hevekerl EM: Kurzsichtigkeit. Zum Einfluss psychologischer Faktoren und einer verhaltensmedizinischen Intervention. Schriftliche Arbeit zur Diplom-Hauptprüfung im Fach Psychologie am IFP Freie Universität Berlin, Institut für Psychologie, Berlin 1991.
  3. http://www.augeninfo.de/patinfo/myopie.htm
  • Selby J: Die Augen. Rowohlt Verlag, Reinbeck, 1987, S.136
  • Hevekerl EM: Kurzsichtigkeit. Zum Einfluss psychologischer Faktoren und einer verhaltensmedizinischen Intervention. Schriftliche Arbeit zur Diplom-Hauptprüfung im Fach Psychologie am IFP Freie Universität Berlin, Institut für Psychologie, Berlin 1991.