Anthroposophische Medizin

Aus Psiram
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Ita Wegman

Die Anthroposophische Medizin ist ein esoterisch-mystisches Konzept und gründet auf der Lehre des Österreichers Rudolf Steiner, der theosophisch inspirierten Anthroposophie. Die theoretische Basis der anthroposophischen Medizinlehre entwickelte der Nichtmediziner Steiner selbst in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Die Ärztin Ita Wegman gründete 1921 die erste Anthroposophische Klinik in Arlesheim (Schweiz).

Die wahlweise als Parawissenschaft oder Pseudowissenschaft anzusehende anthroposophische Medizin entzieht sich heutigen rationalen Erklärungsansätzen eines neutralen externen Beobachters, dem die entsprechenden esoterischen oder magischen Fähigkeiten zum Verständnis nicht eingeräumt werden. Behauptungen aus antroposophischen Kreisen wissenschaftlich überprüfbar zu sein gibt es, und es gibt auch entsprechende Versuche Heilerfolge demonstrieren zu können. Die gleichzeitig erhobenen Ansprüche auf nicht falzifizierbares okkultes Wissen das der Lehre zu Grunde läge, macht diese jedoch dann zu einer Pseudowissenschaft. Andererseits wird in parawissenschaftlicher Weise eine externe Bewertung dadurch erschwert oder unmöglich gemacht, dass sachliche Kritik als Unverständnis der Methode immunisierend gekennzeichnet wird.

Die anthroposophische Medizin ist streng auf Aussagen des verstorbenen Rudolf Steiner fixiert, die dieser aus seiner okkulten Schau einer Akasha-Chronik gewonnen haben will. Dies erschwert etwaige Versuche einer Reform oder Anapssung an heutige Erkenntnisse aus der Medizin.

An der Universität Witten-Herdecke wird die anthroposophische Medizin gelehrt und auch praktiziert. Insgesamt gibt es in Deutschland ca. 100 Krankenhäuser und 6.000 Ärzte, die nach den Vorstellungen der anthroposophischen Medizin arbeiten [1]

Lehre

Nach Ansicht der Anthroposophen gliedere sich der Mensch in vier Ebenen, den sogenannten Wesensgliedern, die sich aber zum Teil nur Eingeweihten und Begabten zeigten, und sich damit teilweise der Betrachtung entzögen. Diese sind:

  • Der physische Leib
  • Der ätherische Leib
  • Der astralische Leib und
  • Das anthroposophische Ich (die Ich-Organisation)

Die Störung des Gleichgewichts der Wesensglieder

Krankheiten entstünden dadurch daß nicht exakt beschriebene Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Ebenen sich nicht konform den dazugehörigen anthroposophischen Annahmen verändern würden. Nach Steiner erkrankt der Mensch wenn das unterstellte harmonische Gleichgewicht der Wesensglieder zueinander gestört sei, was durch eine falsche Erziehung oder Ernährung im Kindesalter entstehen könne. Eine nicht entwicklungsgerechte Erziehung im anthroposophischen Sinne habe gesundheitliche Folgen. Organische oder psychische Erkrankungen wie die Schizophrenie oder Tuberkulose sind nach Steiner hauptsächlich auf falsche Erziehung zurückzuführen, seine Waldorf-Erziehung beuge daher Krankheiten vor.

Alle Krankheiten werden aus anthroposophischer Sicht entsprechend den vier Wesenskräften in vier Typen eingeteilt:

  • Physischer Leib – skleroseartig
  • Äther-Leib – geschwulstartig
  • Astral-Leib – entzündungsartig
  • Ich-Leib – lähmungsbedingt

Wenn eines der vier Wesensglieder stark überwiege, gerate das gesamte System aus dem Gleichgewicht. Bei entzündlichen Krankheiten sei „das leiborientierte, seelische Erleben verstärkt, weil der Astral-Leib zu tief in den belebten Organismus“ eingreife. So entstehe, um nur ein Beispiel zu nennen, Krebs, wenn Ich und astralischer Leib zu stark im Nerven-Sinnes-System wirkten und diese in das Stoffwechsel-Gliedmaßen-System hineintrieben.

Krankheit als Karma

In der anthroposophischen Medizin wird zusätzlich zu erziehungsbedingten Ursachen der Störung von Wesensgliedern auch Einflüssen aus dem Vorleben des Menschen eine Rolle zugesprochen: dem esoterischen Phänomen des Karma, gegen das, laut Steiner, selbstverständlich nicht geheilt werden könne. [2] Hierbei sind nicht die bekannten genetischen oder epigenetischen Ursachen von Krankheit gemeint, diese waren zu Steiners Zeiten zwar als Erbkrankheiten bekannt (und ihre molekulare Basis in Umrissen bekannt), sondern Verfehlungen im anthroposophischen Sinne aus dem Vorleben würden sich im heutigen Leben manifestieren. Nach Steiner ließen sich seelische und geistige Fehler des Vorlebens in bestimmten aktuellen Symptomen nachweisen. Unterstellter Egoismus im Vorleben hätte eine schwache Organisation als karmische Konsequenz. Lügenhaftigkeit in einem früheren Leben zeige sich darin, dass die inneren Organe unrichtig gebaut seien. Im Falle einer damaligen ausgeprägten Lieblosigkeit sei der Betreffende dafür sensibilisiert, sich durch das Pockenvirus im heutigen Leben anzustecken, und ein Mensch, dessen früheres Leben zu stark von Affekten und Emotionen geprägt war, habe jetzt die Anlage zur Diphtherie. Der Patient wird also hiermit indirekt verantwortlich für seine eigene Erkrankung gemacht, wobei die unterstellten moralischen Kategorien Steiners Anthroposophie überlassen bleiben. Krankheit wird zum Schicksal des Nachkommen einer verfehlten Vorgeburt.

Derartige als gestört bezeichnete Wechselwirkungen sind aus anthroposophischer Sicht mit proprietäten esoterisch anmutenden diagnostischen Methoden erkennbar.

Krankheit als Chance zum Aufstieg zu Höherem

Neben dem Konzept der karmisch-schicksalshaften Krankheitsentwicklung, wird Krankheiten in der anthroposophischen Medizin auch eine positive Rolle zugemessen: durchgemachte, erduldete Krankheiten führten nämlich zu einer Höherentwicklung. Daher seien bestimmte Infektionskrankheiten des Kindesalters gut für die Entwicklung der Kinder, und Impfungen werden zumeist abgelehnt. Infektionskrankheiten im Kindesaltern seien laut Steiner "Ergebnisse eines vorgeburtlichen Entschlusses" und seien dem Menschen als Chance gegeben "sein Wesensgliedergefüge neu zu ordnen" und zu bewältigen "was noch aus einem früheren Leben als unbewältigt zurückgeblieben ist".

In Folge sind immer wieder Maserepidemien im Umfeld von Waldorf-Schulen und -Kindergärten, in denen die Glaubensinhalte des Anthroposophie-Begründers Rudolf Steiner mit Pädagogik und Medizin vermischt werden, zu beobachten. Anthroposophisch orientierte Ärzte lassen Impfungen nur in Ausnahmefällen zu.

Therapie

Bestimmte anthroposophische Heilmittel (siehe Weleda) sollen nach dem anthroposophischen Analogiegedanken die angenommenen gestörten Wechselwirkungen günstig beeinflussen und zu einer Heilung führen. Manche der Heilmittel werden nach Prinzipien der Homöopathie verabreicht, obwohl die Grundannahmen der Homöopathie selbst nicht mit denen der anthroposophischen Medizin übereinstimmen. Ein typisches anthroposophisches Heilmittel ist die Anwendung von Mistelextrakten bei Krebs.

Als nichtmedikamentöse Therapien finden bestimmte Massagen, gymnastisch-logopädische Übungen unter choreographischer Anleitung (Heileurythmie) und die anthroposophische Kunst- oder Maltherapie Verwendung.

Die anthroposophische Medizin versteht sich selbst als eine zur wissenschaftlichen Medizin komplementäre Methode, und kann in diesem Falle als ein spirituell-esoterisch erweitertes Konzept für die Humanmedizin angesehen werden. Darüberhinaus sieht sich die anthroposophische Medizin als ein ganzheitliches Verfahren (siehe Konzept der Ganzheitsmedizin nach Issels) mit einer besonderen Arzt-Patient Beziehung, die der modernen Medizin abgesprochen wird.

Anthroposophische Medizin als business

Marktführer für Anthroposophika ist in Deutschland dem DAMiD zufolge mit etwa 50 Prozent die Weleda AG mit Sitz in Schwäbisch Gmünd, gefolgt von der Wala Heilmittel GmbH aus Bad Boll bei Stuttgart mit rund 30 Prozent. Den Rest teilen sich kleinere Hersteller.

Kritische Sichtweise der anthroposophischen Medizin

Der anthroposophischen Medizin fehlt (wie der Anthroposophie auch) ein wissenschaftlich überprüfbarer Kern, viele ihrer Aussagen sind nicht falsifizierbar und daher unwissenschaftlich. Anthroposophische Ärzte müssen zwangsläufig über Sinne verfügen, die über die der bekannten Sinne der Physiologie hinausgehen. So soll der Äther-Leib dem Anthroposophieeingeweiten als hellrosafarbene Aura, der Astral-Leib als rotviolette und der Ich-Leib als blaue Umhüllung des Menschen erscheinen. Jegliche Aura bildete um den physischen Leib eine farbige, eiförmige, bewegliche Wolke und seien der übersinnliche und sichtbare Ausdruck für die Wesenheit des Menschen. Diese Aura sei jedoch nicht fotographisch abzubilden.

Präparate der anthroposophischen Medizin werden in Deutschland per Definitiopn im Arzneimittelrecht nach anderen Richtlinien (besondere Therapierichtungen) zugelassen als herkömmliche Medikamente. Insbesondere muss ein Wirksamkeitsnachweis nicht erbracht werden.

In anthroposophischen (auch Ärzte-) Kreisen ist eine pauschale Impfkritik populär, da das Prinzip des Impfens bestimmten Annahmen der anthroposophischen Medizin entgegensteht. Die für jeden erkennbaren Vorteile vorangegangener nationaler oder internationaler Impfkampagnen (siehe Pocken, Kinderlähmung oder Tollwut) werden ignoriert oder relativiert.

Zitate und Beispiele

  • „Torfmoos tritt in der Landschaft an Stellen auf, wo eine Stase [=Stauung] im Wässrigen besteht; in potenzierter und pharmazeutisch rhythmisierter Form vermag es eine solche im Menschen aufzulösen und kann so etwa im Innenohr vorhandene Schwellungszustände beseitigen helfen.“ [3]
  • „Der im Unterleib nicht engagierte Astralleib ist vielmehr „nach oben“ gerutscht und führt hier zu einer pathologischen Eigenwahrnehmung. Therapeutisch sollte daher [...] versucht werden die Eigenwahrnehmung im unteren Körper zu fördern, was wir in unserer Praxis durch eine, an die Füße gelegte Wärmflasche während der Infusion unterstützen.“ [4]

Literatur

  • F. Stratmann: Zum Einfluss der Anthroposophie in der Medizin. München: Zuckschwerdt 1988
  • Mit Kunst, Medizin und Ernährung heilen, FAZ 24.06.2002
  • Barbara Burkhard: Anthroposophische Arzneimittel, eine kritische Betrachtung; Pharmazeutische Zeitung, PZ-Schriftenreihe 10; Govi-Verlag, Eschborn, 2000
  • Reichling, J.: Anthroposophische Arzneimittel. In: Müller-Jahncke, W.-D. Reichling (Hrsg.): Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen, Heidelberg 1996
  • Zander, Helmut: Anthroposophie in Deutschland. Theosophische Weltanschauung und gesellschaftliche Praxis 1884–1945, Göttingen 2007

Weblinks

Quellennachweise

  1. http://home.arcor.de/paralex/content/anthroposophie.htm
  2. [...] da selbstverständlich nicht gegen das Karma geheilt werden kann [...] Aus: Rudolf -Steiner-Gesamtausgabe, GA, Bd. 316, S. 121
  3. „Merkurstab -die Zeitschrift für Anthroposophische Medizin“. „Was hilft bei Tinnitus?“ „Bewährtes Vorgehen mit Mitteln der Anthroposophischen Medizin“
  4. „Merkurstab -die Zeitschrift für Anthroposophische Medizin“. „Bewährtes Vorgehen mit Mitteln der Anthroposophischen Medizin“