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Die Steinzeitdiät (auch Paleo-Diät oder Neanderthaler-Diät genannt) ist eine Diät, die sich laut Befürwortern an Vorstellungen orientiert, wie eine Ernährungsweise des Menschen zur Altsteinzeit (Paläolithikum: -2 Millionen Jahre bis etwa -20.000 Jahre) ausgesehen haben könnte - und zwar bevor der Mensch Ackerbau und Viehzucht betrieb.

Die Steinzeitdiät geht im deutschsprachigen Raum auf das Buch ("Steinzeitdiät") von Walter L. Voegtlin aus dem Jahr 1975 zurück. Voegtlin ging davon aus, dass der damalige Altsteinzeitmensch ein Fleischfresser war, während die heutige Forschung im damaligen Menschen einen Allesfresser sieht. Der amerikanische Arzt Boyd Eaton propagiert die Steinzeitdiät ebenfalls seit 1985 und geht davon aus, dass die Ernährung unserer Vorfahren aus der Steinzeit die optimale und artgerechte Kost für den Menschen sei. Der Mensch soll an die Art der Nahrung, wie sie in der Altsteinzeit aufgenommen wurde, genetisch angepasst sein, so dass moderne Ernährungsformen für die Zivilisationskrankheiten verantwortlich seien.

Enge Beziehungen existieren zu den "low carb"-Diäten (Beispiele Atkins-Diät und Glyx) und Ernährungsweisen, wie auch zur ketogenen Ernährungsweise sowie zum Konzept "PaläoPower". Gemeinsam ist diesen Ernährungsweisen ein geringer Konsum von Kohlenhydraten (Zucker). Meist werden die Diäten und Ernährungsempfehlungen zur angestrebten Gewichtsreduktion eingesetzt.

Ein wissenschaftlicher Beleg für die Eignung dieser Methode zur dauerhaften Gewichtsreduktion existiert nicht. Der deutsche Lebensmittelchemiker Udo Pollmer bezeichnete die Steinzeitdiät als eine "Hypothese ohne jeden wissenschaftlichen Beweis".

Grundannahmen

Die Grundannahmen zur Steinzeitdiät beziehen sich auf die Altsteinzeit, also den Zeitraum vor ca. 20.000 bis 10.000 Jahren. Im Gegensatz zu den Annahmen der Steinzeitdiät ist heute bekannt, dass zur Altsteinzeit unbegrenzte Mengen an hochglykämischen Speisen wie getrocknete Datteln oder Feigen geläufig waren.

Die Grundannahme ist, dass sich das menschliche Erbgut seit der Steinzeit nicht verändert habe. Folglich sei die steinzeitliche Ernährung die einzig "artgerechte Ernährung" des Menschen, da sich der menschliche Organismus im Laufe von Millionen Jahren an diese perfekt angepasst habe. Die Altsteinzeit umfasst einen Zeitraum von fast 2,4 Mio. Jahren, alle weiteren Zeitalter bis heute insgesamt nur rund 15.000 Jahre, angeblich zu kurz für die nötige Anpassung des Körpers an neue Nahrungsmittel, wie z.B. Getreideprodukte und Milch.

Die "nicht artgerechte" Ernährung mit nach-steinzeitlichen Nahrungsmitteln führt nach dieser Auffassung zu einer Vielzahl von Krankheiten, vor allem zum metabolischen Syndrom. Dabei kommt Hyperinsulinismus und Insulinresistenz durch einen hohen Anteil von Kohlenhydraten in der üblichen "Zivilisationskost". Weitere Erkrankungen sind Bluthochdruck (Hypertonie), erhöhte Blutfettwerte (Hyperlipidämie) und erhöhter Blutzuckerspiegel (Hyperglykämie). Erkenntnisse aus der Paläopathologie sollen belegen, dass die altsteinzeitlichen Vorfahren größer und gesünder waren als die Menschen der folgenden Epochen. Knochenfunde erlauben jedoch nur bedingte Rückschlüsse auf den Zustand der nicht mehr erhaltenen inneren Organe und der Blutwerte. Die medizinischen Aussagen stützen sich daher auf Studienergebnisse zu Völkern, die heute noch als Nomaden oder Jäger und Sammler leben. Diese ließen den Schluss zu, dass sie auch im Alter nicht an typischen Zivilisationskrankheiten litten. Allerdings ist die Lebenserwartung dieser Ethnien deutlich niedriger als in Industriestaaten. Da jedoch bei der Lebenserwartung die hohe Säuglingssterblichkeit mit einfließt, lässt dies nur bedingt Rückschlüsse zu.

Mit Hilfe der Steinzeiternährung soll nicht nur das metabolische Syndrom verhindert werden, sondern auch das Risiko für Krebserkrankungen und Allergien soll signifikant sinken, die Leistungsfähigkeit dagegen steigen. Bisher gibt es keine wissenschaftlichen Langzeitstudien zu dieser Ernährungsform, die diese Erwartungen bestätigen könnten.

Methode

 
Die Paläo-Ernährungspyramide

Laut Befürwortern seien im Rahmen der Steinzeitdiät nur Nahrungsmittel zu konsumieren, die bereits in der Altsteinzeit zur Verfügung gestanden haben sollen. Dazu werden Fleisch (Wild), Fisch, Insekten, Larven und Würmer, Meeresfrüchte, Eier, Obst und Gemüse, ergänzend Kräuter, Pilze, Nüsse, Esskastanien und Honig genannt. Auf diese Weise soll der Körper seine Energie überwiegend aus Proteinen, Fett und Kohlenhydraten auf Gemüse- und Salatbasis gewinnen. Auf aufbereitete Nahrung wie Mehl, Getreide, Margarine oder Milch- und Milchprodukte soll verzichtet werden. Der Verzehr von Hülsenfrüchten wird von strengeren Vertretern ebenfalls abgelehnt, da sie im Rohzustand giftig sind und sich einige Antinährstoffe durch Erhitzen nicht ausreichend deaktivieren lassen.

Trotz des Selbstverständnisses einer möglichst "natürlichen" Ernährungsweise werden teilweise auch fermentierte und stark verarbeitete Lebensmittel als "Paläo" vermarktet, wie Kaffee und die vornehmlich in kohlenhydratreduzierten Diäten beliebten MCT-Öle konsumiert, die in Reinform nur synthetisch hergestellt werden können.

Kritik

Eine wissenschaftliche Definition einer abstrakten "Steinzeiternährung" existiert nicht. Das Ernährungsverhalten von damaligen Sammler- und Jägergemeinschaften variierte erheblich. So konsumierten bestimmte Populationen (grönländische Inuit oder sibirische Evenkis) vorwiegend Lebensmittel tierischen Ursprungs. Andere Völker bevorzugten dagegen eher Wild­pflanzen.

Die Steinzeit umfasst einen Zeitraum von rund zwei Millionen Jahren; in diesem Zeitraum lebten verschiedene Spezies der Gattung Homo in unterschiedlichen Lebensräumen. Es gab daher keine einheitliche "Steinzeiternährung", der Fleischanteil der Nahrung war sehr unterschiedlich. Für Evolutionsbiologen und Paläoanthropologen beginnt die Entwicklung des modernen Menschen (Homo sapiens), die so genannte Hominisation, auch nicht erst in der Steinzeit, sondern deutlich früher. Übliche Kriterien sind der aufrechte Gang, der bereits beim Australopithecus vorhanden war (biologische Evolution) oder die Nutzung von Kulturtechniken (kulturelle Evolution) beim Homo erectus. Der Australopithecus ernährte sich von Früchten, Samen, Pilzen, Wurzeln, Blättern, Eiern und kleinen Tieren, aber überwiegend vegetarisch. Die Kost des folgenden Homo habilis war ähnlich, ebenfalls mit geringem Fleischanteil. Homo erectus war dann in der Lage, die Pflanzennahrung durch Jagdbeute zu ergänzen. Auch Wildgetreide wurde bereits vor 30.000 Jahren für die menschliche Ernährung genutzt.[1][2]

Die Vertreter der Steinzeiternährung geben an, dass diese auch der Ernährungsweise der als Jäger und Sammler lebenden Völker entspricht. Tatsächlich differiert die Ernährung dieser Populationen erheblich, je nach Lebensraum, und reicht von überwiegend vegetarischer Kost bei den afrikanischen Gwi und !Kung bis zur fast ausschließlichen Ernährung von Fleisch und Fisch bei den Inuit in Grönland. Bei den Massai und den Turkana – beides Nomadenvölker – ist Milch das Hauptnahrungsmittel.

Die Aussage, dass sich das menschliche Erbgut seit der Steinzeit nicht verändert hat, ist nicht haltbar. Wissenschaftler haben rund 700 genetische Veränderungen gefunden, die in den letzten 10.000 Jahren aufgetreten sind. Zu diesen genetischen Veränderungen gehört die Entwicklung der Lactosetoleranz bei Erwachsenen, und zwar vor allem bei den Nachkommen der Ethnien, die vor rund 10.000 Jahren die Viehzucht einführten und die heute in Europa, den USA und Australien leben. Hier verfügen 80% bis 90% der Bevölkerung über das für die Verarbeitung des Milchzuckers nötige Enzym Lactase. Entgegen der These der Steinzeitdiät-Vertreter hat diese Anpassung an ein neues Nahrungsmittel in einem relativ kurzen Zeitraum längst stattgefunden.

Obst und Gemüse, wie es heute bekannt ist, ist das Resultat der Pflanzenzüchtungen der näheren Vergangenheit. Die in der Altsteinzeit verfügbaren Wildformen unserer heutigen Obst und Gemüsepflanzen waren nur wenig nahrhaft, zum Teil ungenießbar (Holzapfel) oder giftig, wie zum Beispiel wilde Möhren. Zudem war die Vielfalt an pflanzlichen Lebensmitteln weit geringer, da Arten aus entfernten Ländern noch nicht verfügbar waren, wie Tomaten, Paprika, Mais und Kartoffeln. Daher ist der Anteil dieser Nahrungsmittel an der Paläo-Diät eine moderne Erfindung.

Die Paläo- oder Steinzeitdiät kann zu den "Low carb" Diäten (LC, Logi-Methode nach Nicolai Worm, Atkins-, South-Beach-Diät, HCG-Diät - Hollywood-Diät, Mayo-Diät oder ketogene Diät als Beispiele) gezählt werden, bei denen ein Verzicht auf Kohlenhydrate praktiziert wird, entweder zur Gewichtsreduktion oder zur Prävention von ernährungsbedingten Krankheiten. Allerdings fehlen dazu passende wissenschaftliche Belege. Ein Cochrane Review von 2022 untersuchte die Wirksamkeit von Low-Carb-Diäten in Bezug auf die Gewichtsreduktion und die Gesundheit. In 61 Studien mit fast 7000 Teilnehmern fanden die Cochrane-Autoren „keinen relevanten Vorteil“ dieser Diätform im Vergleich zu anderen kalorienreduzierenden Diäten.

„Die Gewichtsabnahme von Personen, die eine kohlenhydratarme Diät (auch bekannt als Low-Carb-Diät) einhalten, unterscheidet sich wahrscheinlich kaum von der Gewichtsabnahme von Personen, die eine Diät mit ausgewogenen Kohlenhydraten einhalten, und das bis zu zwei Jahre lang. Auch bei den Veränderungen der Risiken für Herzkrankheiten wie diastolischer Blutdruck, glykosyliertes Hämoglobin (HbA1c, ein Maß für den Blutzuckerspiegel über einen Zeitraum von 2-3 Monaten) und LDL-Cholesterin („ungesundes“ Cholesterin) gibt es im maximalen Beobachtungszeitraum der Studien von zwei Jahren wahrscheinlich wenig bis gar keine Unterschiede zwischen den Diäten. Dies war bei Menschen mit und ohne Typ-2-Diabetes der Fall.“

Die Deutsche Diabetes-Gesellschaft DDG stellte fest, dass die Low-Carb Diäten weder die beste noch gesündeste Diätform seien. Eine grosse Zahl von Studien hatte bereits zuvor zu analogen Ergebnisse geführt und keine Unterschiede zu High carb, Low fat oder Low carb hight fat Diäten gezeigt. Die amerikanische Herzkreislauf-Fachgesellschaft NLA (National Lipid Association) kam im Journal of Clinical Lipology 2018 zum Ergebnis, dass „Basierend auf den überprüften Beweisen sind Diäten mit niedrigem und sehr niedrigem Kohlenhydratgehalt anderen Ernährungsansätzen zur Gewichtsreduktion nicht überlegen.“ seien.

Kritisiert wird auch der Anstieg des LDL-Cholesterins und die Stimulation proinflammatorischer (entzündungsfördernder) Faktoren bei Low carb - Diäten.[3]

Gefahren

Wenn der Körper gezwungen wird, einen Großteil seiner Kalorien aus Protein zu gewinnen, tritt ein Phänomen auf, das Kaninchenhunger genannt wird. Es handelt sich dabei um eine Fehlernährung, die auftritt, wenn ausschließlich mageres Fleisch, wie das von Kaninchen, verzehrt wird, ohne dass andere Nährstoffe, insbesondere Fett, zur Verfügung stehen. Der hohe Stickstoffanteil des Proteins überfordert die Nieren, was innerhalb von 3 Wochen zu ernsten Gesundheitsstörungen oder sogar zum Tod führen kann.

PaläoPower

Siehe Hauptartikel: PaläoPower

Unter dem Namen PaläoPower (von „paläo“ alt, „power“ Kraft. PaläoPower ist die Kraft, die aus der Steinzeit kommt) werden von einem "PaläoPower-Institut für evolutionäre Strategien"[4] in Frankfurt am Main Produkte, Dienstleistungen und "Erfolgsstrategien" angeboten, die aus Eigensicht „neue Lösungen“ für Zivilisationskrankheiten wie Übergewicht, Allergien, Unverträglichkeiten, Konzentrationsprobleme, ADS, ADHS, Stress und Burnout bieten sollen. Die „neuen Lösungen“ werden aus Interpretationen einer „evolutionären Medizin“ und „evolutionären Ernährung“ abgeleitet. Letztere ist eine Variante der Steinzeitdiät. Auch wird Bezug genommen auf eine „evolutionäre Psychologie“, mit der Störungen wie ADHS oder Burn out erklärt werden. Treibende Kraft des PaläoPower-Institut für evolutionäre Strategien ist die promovierte Molekular- und Evolutionsbiologin Sabine Paul.

Wahls Diät nach Terry Wahls

Die Wahls Diät, oder Wahls - Protokoll (engl. Wahls protocol), ist eine Diät die von der amerikanischen Ärztin Terry Wahls auf Basis der Steinzeitdiät entwickelt wurde. Sie soll insbesondere bei der Multiplen Sklerose positive Effekte erzielen. Ein Cochrane-Review von 2012 kam zu einem negativen Ergebnis.[5]

Weblinks und Weblogs

Quellenverzeichnis

  1. Menschen mahlten Getreide schon vor 30.000 Jahren
  2. Thirty thousand-year-old evidence of plant food processing Anna Revedina et. al,Washin gton University, 2010
  3. https://idw-online.de/de/news787477
  4. PaläoPower-Institut für evolutionäre Strategien, Dr. Sabine Paul, Skylineblick 14, D-60438 Frankfurt a.M.
  5. Farinotti, M; Vacchi, L; Simi, S; Di Pietrantonj, C; Brait, L; Filippini, G (2012). "Dietary interventions for multiple sclerosis". Cochrane Database of Systematic Reviews. doi:10.1002/14651858.cd004192.pub3". The Cochrane Library. 12: CD004192. PMID 23235605


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