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Artikel "Prävention mit Antioxidanzien: Schaden überwiegt" aus dem Arznei-Telegramm, 12/08
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==Urteile==
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LG Hannover - 74 O 12/16 - Urt. v. 17.05.16
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Das Inverkehrbringen eines Präparates als diätetisches Lebensmittel für besodnere medizinische Zwecke (bilanzierte Diät) zur diätetischen Behandlung von grünem Star (Glaukom) verletzt §§ 1 IV a, 14 b S. 2 DiätV, sofern der Inverkehrbringer einen Wirksamkeitsnachweis nicht beizubringen vermag.
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==Artikel "Prävention mit Antioxidanzien: Schaden überwiegt" aus dem Arznei-Telegramm, 12/08==
  
 
PRÄVENTION MIT ANTIOXIDANZIEN: SCHADEN ÜBERWIEGT
 
PRÄVENTION MIT ANTIOXIDANZIEN: SCHADEN ÜBERWIEGT

Version vom 1. September 2016, 13:46 Uhr

Urteile

LG Hannover - 74 O 12/16 - Urt. v. 17.05.16 Das Inverkehrbringen eines Präparates als diätetisches Lebensmittel für besodnere medizinische Zwecke (bilanzierte Diät) zur diätetischen Behandlung von grünem Star (Glaukom) verletzt §§ 1 IV a, 14 b S. 2 DiätV, sofern der Inverkehrbringer einen Wirksamkeitsnachweis nicht beizubringen vermag.

Artikel "Prävention mit Antioxidanzien: Schaden überwiegt" aus dem Arznei-Telegramm, 12/08

PRÄVENTION MIT ANTIOXIDANZIEN: SCHADEN ÜBERWIEGT

In einer zweiteiligen Übersicht dokumentierten wir 2003 den Stand der Kenntnis zum Einfluss der Vitamine A, C und E sowie von Betakarotin auf Behandlung oder Vorbeugung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, Augenerkrankungen und Erkältungen. Unser damaliges Fazit: Ein klarer klinischer Nutzen lässt sich aus den vorliegenden randomisierten Studien nicht ableiten. Darüber hinaus steigert Betakarotin vor allem bei Rauchern Lungenkrebsrate und Gesamtsterblichkeit (a-t 2003; 34: 100-2, 111-3). In der Folge wurde in Metaanalysen auch für Vitamin E, zunächst nur in Dosierungen von 400 Einheiten (E.) und mehr,1 später auch dosisunabhängig,2 eine geringfügig, aber signifikant erhöhte Mortalität errechnet (a-t 2004; 35: 141-2). Zudem steigert Vitamin E in einer gemeinsamen Analyse der HOPE*-Studie und einer sich anschließenden Verlängerungsphase (HOPE-TOO*) während der im Median siebenjährigen Nachbeobachtung das Risiko, an Herzinsuffizienz zu erkranken (sekundärer Endpunkt, Relatives Risiko [RR] 1,13; 95% Konfidenzintervall [CI] 1,01-1,26) oder deswegen hospitalisiert zu werden (RR 1,21; 95% CI 1,00-1,47).3 Ein günstiger Einfluss auf schwerwiegende kardiovaskuläre Ereignisse, Krebserkrankungen oder -sterblichkeit (primäre Endpunkte) lässt sich dagegen nicht belegen.

Aktuell werden weitere Risikosignale vor allem für Vitamin E bekannt: In der Physicians' Health Study II,4 einer randomisierten plazebokontrollierten Studie mit 14.641 Ärzten, lässt sich nach durchschnittlich achtjähriger Nachbeobachtung weder für Vitamin E (400 E. jeden zweiten Tag) noch für das im faktoriellen Design (siehe Titelseite) gleichzeitig geprüfte Vitamin C (500 mg täglich) ein positiver Einfluss auf schwerwiegende kardiovaskuläre Ereignisse (primärer Endpunkt, Hazard Ratio 1,01 bzw. 0,99) nachweisen. Patienten unter Vitamin E erleiden aber signifikant häufiger einen hämorrhagischen Schlaganfall als unter Plazebo (0,5% versus 0,3%; RR 1,74; 95% CI 1,04-2,91). Zwar könnte dieses Ergebnis aufgrund der Vielzahl der Analysen und des komplexen Studiendesigns** auch zufällig entstanden sein. Allerdings weist eine weitere Studie, die 1994 publizierte ATBC*-Studie, in die gleiche Richtung: Diese ergab für Vitamin E ein erhöhtes Risiko, an hämorrhagischem Schlaganfall zu versterben.5

In der POPADAD***-Studie,6 an der 1.276 Diabetiker mit asymptomatischer peripherer arterieller Verschlusskrankheit teilnehmen (siehe auch Seite 124), wirkt ein Multivitaminpräparat (enthält 200 mg Vitamin E, 100 mg Vitamin C, 25 mg Vitamin B6, 10 mg Zinksulfat, 800 µg Natriumselenit u.a.) auf die beiden primären Endpunkte (schwerwiegende kardiovaskuläre Ereignisse oder Amputationen sowie Tod durch koronare Herzkrankheit oder Schlaganfall) nicht besser als Plazebo. Die Vitamine steigern aber die sekundär geprüfte Gesamtsterblichkeit signifikant (18,0% vs. 12,6%).6

Bereits Ende Oktober wurde die SELECT***-Studie7 vorzeitig beendet. Eine Zwischenauswertung der mehr als 35.000 Männer umfassenden Untersuchung hatte ergeben, dass sich weder mit Vitamin E (400 mg täglich) noch mit Selen (200 µg täglich) noch mit kombinierter Einnahme der beiden Antioxidanzien über durchschnittlich fünf Jahre Prostatakarzinomen vorbeugen lässt. Im Gegenteil: Unter Vitamin E sind Karzinome der Vorsteherdrüse in der Tendenz sogar häufiger. Auch die Einnahme von Selen birgt möglicherweise Risiken: Unter dem Antioxidans besteht ein Trend zu mehr Diabeteserkrankungen.7 Nachdem eine 2007 publizierte Nachauswertung8 der randomisierten NPC***-Studie für Selen anstelle der erwarteten verringerten Diabetesinzidenz ein signifikant erhöhtes Erkrankungsrisiko (HR 1,55; 95% CI 1,03-2,33) ergeben hatte, wurde in SELECT verstärkt auf Diabetes geachtet.7

SELECT demonstriert anschaulich, warum trotz der enttäuschenden Datenlage für Antioxidanzien munter weitergeforscht und Geld verschwendet wird: Die Studie wurde konzipiert, nachdem zwei frühere Untersuchungen, die ATBC-Studie5 und die NPC-Studie,9,10 für Vitamin E bzw. Selen in nachrangigen, zum Teil offenbar auch nachträglich festgelegten Analysen11,12 eine verringerte Inzidenz von Prostatakarzinomen ergeben hatten. Auf die primär definierten Endpunkte hatten beide Antioxidanzien in diesen Studien nicht den gewünschten Effekt: Für Vitamin E lässt sich in ATBC keine Beeinflussung des Lungenkrebsrisikos bei Rauchern nachweisen.5 Selen erhöht in NPC bei Patienten mit Basaliom oder Plattenepithelkarzinom der Haut in der Vorgeschichte das Risiko eines erneuten Hauttumors signifikant.10 Das für Vitaminstudien typische Design - es werden überwiegend mehrere Interventionen gleichzeitig geprüft und mehr als ein primärer sowie multiple sekundäre Endpunkte festgelegt, wobei häufig unklar bleibt, ob diese wenigstens prädefiniert sind - begünstigt Zufallsbefunde (multiples Testen), die weitere Studien nach sich ziehen. Es ist daher davon auszugehen, dass auch die jetzt vorgelegten Negativstudien nicht die letzten sein werden.

Antioxidanzien werden aber nicht nur zur Prävention von Krebs, sondern häufig auch von Patienten mit einem Karzinom eingenommen, um unerwünschten Effekten einer Chemo- oder Strahlentherapie vorzubeugen. Experimentelle und klinische Daten unterstützen jedoch Befürchtungen, dass sie zu einem gewissen Grad Tumorzellen sogar schützen könnten. Vor allem die gleichzeitige Anwendung hochdosierter Antioxidanzien mit einer Bestrahlung verschlechtert in einigen randomisierten Studien das Ansprechen und verkürzt die Überlebenszeit der Patienten. Obwohl dies möglicherweise nicht für alle Substanzen gilt, ist wegen der Unsicherheit darüber, welche Dosierungen und welche Mittel auf jeden Fall unbedenklich sind, derzeit generell vom Gebrauch hochdosierter Antioxidanzien während einer Bestrahlung abzuraten, bis klare Belege dafür vorliegen, dass der Nutzen die Risiken überwiegt.13 Für die gleichzeitige Anwendung mit einer Chemotherapie gibt es zwar keine Hinweise aus randomisierten klinischen Studien auf eine Verschlechterung des Ansprechens oder der Überlebenszeit. Dafür waren die Studien allerdings auch nicht gepowert. Aufgrund ihrer Größe und methodischer Mängel erlauben sie auch keine zuverlässigen Aussagen darüber, ob Antioxidanzien die Toxizität der verwendeten Chemotherapeutika tatsächlich verringern. Methodisch gute und ausreichend gepowerte Studien sind hier dringend erforderlich.13,14

Beim derzeitigen Kenntnisstand ist von der Einnahme von Antioxidanzien zur Vorbeugung von kardiovaskulären Erkrankungen oder Krebs, aber auch zur Prophylaxe von Störwirkungen einer Chemo- oder Strahlentherapie eines Malignoms dringend abzuraten.

(R = randomisierte Studie, M = Metaanalyse)

M 1 MILLER, E.R. et al.: Ann. Intern. Med. 2005; 142: 37-46

M 2 BJELAKOVIC, G. et al.: JAMA 2007; 297: 842-57

R 3 The HOPE and HOPE-TOO Trial Investigators: JAMA 2005; 293: 1338-47

R 4 SESSO, H.D. et al.: JAMA 2008; 300: 2123-33

R 5 The Alpha-Tocopherol, Beta Carotene Cancer Prevention Study Group: N. Engl. J. Med. 1994; 330: 1029-35

R 6 BELCH, J. et al.: BMJ 2008; 337, online publ. am 16. Okt. 2008

7 National Cancer Institute: Presseerklärung vom 27. Okt. 2008 http://www.cancer.gov/newscenter/pressreleases/SELECTresults2008

R 8 STRANGES, S. et al.: Ann. Intern. Med. 2007; 147: 217-23

R 9 CLARK, L.C. et al.: JAMA 1996; 276: 1957-63

R 10 DUFFIELD-LILLICO, A.J. et al.: J. Natl. Cancer Inst. 2003; 95: 1477-81

R 11 HEINONEN, O.P. et al.: J. Natl. Cancer Inst. 1998; 90: 440-6

R 12 DUFFIELD-LILLICO, A.J. et al.: Cancer Epidemiol. Biomarkers Prev. 2002; 11: 630-9

13 LAWENDA, B.D. et al.: J. Natl. Cancer Inst. 2008; 100: 773-83

14 BLOCK, K.I. et al.: Int. J. Cancer 2008; 123: 1227-39

  • ATBC = Alpha-Tocopherol, Beta Carotene Cancer Prevention

HOPE = Heart Outcomes Prevention Evaluation HOPE-TOO = HOPE-The Ongoing Outcomes

    • In der plazebokontrollierten Studie wurden im faktoriellen Design (s. Titelseite) ursprünglich vier verschiedene Interventionen geprüft: neben Vitamin C und Vitamin E ein Multivitaminpräparat und Betakarotin. Der Betakarotinarm wurde 2003 gestoppt, die Intervention mit Multivitaminen läuft weiter.4
      • NPC = Nutritional Prevention of Cancer

POPADAD = Prevention of progression of arterial disease and diabetes SELECT = Selenium and Vitamin E Cancer Prevention Trial

© 2008 arznei-telegramm

0815 18:28, 6. Jan. 2009 (CET)


Spiegel-Artikel 18.12.2013

http://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/studie-vitaminpillen-koennen-erneuten-herzinfarkt-nicht-verhindern-a-939553.html