Alpha-Stim

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Alpha-Stim M mit Ohrclips
Zeitlicher Verlauf des vom Gerät abgegebenen Stroms.[1] Dieses Bild aus der Patentschrift zum Gerät wird auch in der Werbung gezeigt.
Axenia Schäfer von der Firma Electro-Zeutika präsentiert eines der Geräte, die von der amerikanischen Herstellerfirma für die Betroffenen der Hochwasserkatastrophe im Ahrtal im Juli 2021 gespendet worden sein sollen. Quelle: Facebook / Lohnunternehmen Markus Wipperfürth

Alpha-Stim ist der Produktname eines Reizstrom-Gerätes, das zur Behandlung von Schmerzen, Schlaflosigkeit, Angst und Depression beworben wird. Das Verfahren ist der Cranialen Elektrostimulation (CES) zuzurechnen. Die Behandlung soll durch den Patienten selbst erfolgen, an den sich auch die Kaufangebote richten. Hersteller ist die Firma Electromedical Products International, Inc. (EPI) aus Texas. Deren Gründer, der Neurobiologe Daniel L. Kirsch, habe das Gerät 1981 erfunden.

In unabhängigen wissenschaftlichen Bewertungen kann keine der von dem Hersteller behaupteten Wirkungen bestätigt werden (s.u.).

In Deutschland wird das Modell Alpha-Stim AID für rund ca. 1000  Euro verkauft. Daneben gibt es die teurere Version Alpha-Stim M (ca. 1500 €)., die sich auch zur Behandlung von Schmerzen eigne. Vertrieben werden die Geräte in Deutschland von der Firma Electro-Zeutika GmbH aus Grasbrunn (bei München).

Eigenschaften und Anwendung

Das batteriebetriebene Gerät (2 AAA Zellen) erzeugt einen rechteckförmigen Wechselstrom von maximal 500 µA und mit einer Frequenz von 0.5 Hz, dem schmalere Impulse überlagert sind.[1] Der Strom wird dem Körper durch zwei Elektroden zugeführt, die an den Ohrläppchen befestigt werden. Es wird eine Anwendung von täglich 20 bis 60 Minuten empfohlen. Zur Schmerzbehandlung wird die Variante Alpha-Stim M empfohlen. Offenbar erzeugt dieses Gerät das gleiche Ausgangssignal, es können aber außer den Ohrelektroden auch andere Elektrodenformen angeschlossen werden, z.B. solche zum Aufkleben auf die Haut.

Aussagen zur Wirkung

Behauptete Heilungserfolge[2]

Der Hersteller räumt ein, dass die Wirkungsweise nicht genau bekannt sei. Einer vagen Erklärung[3] zufolge "scheine" der Wechselstrom aus dem Alpha-Stim-Gerät bestimmte Nervenzellen im Hirnstamm zu "aktivieren", welche die Neurotransmittersubstanzen Acetylcholin und Serotonin produzieren. Durch Beeinflussung der elektrischen und chemischen Aktivität von Nervenzellen des Stammhirns könne Alpha-Stim die Aktivität in einigen neurologischen Systemen verstärken, in anderen abschwächen.

Die Anwendung von Alpha-Stim habe keinerlei Nebenwirkungen und sei "klinisch erprobt". Eine positive Wirkung sei zwar nicht bei jedem Patienten zu erzielen, aber bei 9 von 10.[2] Bei Depression stelle sich eine spürbare Wirkung nach etwa drei Wochen ein, bei Angstzuständen führe oft schon eine einzige Behandlung zu einer Besserung. Bei Schmerzen trete eine deutliche Linderung nach zwei bis fünf Minuten ein.

In der Werbung wird eine Tabelle präsentiert (siehe Bild rechts), nach der sich bei rund 90% aller Anwender eine "signifikante" Besserung bei Schmerzen, Angst, Depression, Schlafstörungen und allgemeinen psychischen Störungen eingestellt habe. Eine "deutliche" Besserung ("marked", "75-100%") habe sich je nach Beschwerde bei 23 bis 36% der Benutzer eingestellt. Die Zahlen werden als "peer-reviewed outcomes" bezeichnet, womit versucht wird, eine wissenschaftliche Wertigkeit dieser Zahlen zu suggerieren. Der Tabellenbeschriftung zufolge basieren sie auf "postcard surveys", das heißt Kunden oder Anwender von Alpha-Stim wurden nach ihrer Zufriedenheit befragt. Es handelt sich somit nicht um eine wissenschaftliche Untersuchung der Wirksamkeit und die Zahlen sind kein Beleg für einen Zusammenhang zwischen der Anwendung des Gerätes und einer subjektiv empfundenen Besserung der Beschwerden. Für einen solchen Nachweis wäre vorzugsweise eine randomisierte kontrollierte Studie (RCT, randomized controlled trial) erforderlich.

Auch können Ergebnisse als solche nicht "peer-reviewed" sein, sondern allenfalls die Publikation, in der die Ergebnisse und die Methodik dargestellt werden (unter Peer Review versteht man bei wissenschaftlichen Zeitschriften eine Begutachtung eines eingereichten Beitrags durch unabhängige Fachkollegen). Für nähere Einzelheiten zu den präsentierten Zahlen verweist EPI auf einen Artikel des damaligen EPI-Mitarbeiters Ray Smith in der Zeitschrift American Journal of Pain Management aus dem Jahr 2001.[4] Der Artikel beschäftigt sich aber ausdrücklich nur mit der Behandlung von Schmerzen mit Alpha-Stim; zur Anwendung bei Depression und den anderen genannten Indikationen wird darin nichts gesagt. Ob der Artikel einen echten Peer Review durchlaufen hat, ist unklar, da es sich um eine Art Firmenzeitschrift der American Academy of Pain Management handelte, einer Einrichtung, die Ausbildungen in Schmerzbehandlung z.B. für Heilpraktiker anbietet. Die anscheinend seit längerem eingestellte Zeitschrift ist nicht zu verwechseln mit dem bekannteren Journal of Pain, das von der American Pain Society herausgegeben wird und bei Elsevier erscheint, und auch nicht mit dem Journal of Pain Managment (Verlag Nova Science, New York).

Wissenschaftliche Bewertung

In einer wissenschaftlichen Übersichtsarbeit (Review) von 2021 wird der Wissensstand und die Studien, die bisher zur Wirksamkeit der CES erstellt wurden, bewertet.[5] Die bisherigen Studien zeichnen sich überwiegend durch niedrige wissenschaftliche Standards (keine Randomisierung, keine Vergleichsuntersuchungen, keine Verblindung, unklare klinische Endpunkte) aus. Zudem sind sie meist in einem Interessenkonflikt erstellt worden, d.h. die Studienauftraggeber sind meist auch die Hersteller solcher Geräte. In höherwertigen Studien (mit Verblindung und einer Kontrollgruppe) zeigten sich beim Alpha-Stim bezüglich einer Verbesserung des Schlafmusters bei Schlafstörungen keine Unterschiede, ob die Probanden mit dem Gerät selbst oder einem wirkungslosen Gerät (Kontrolle) behandelt wurden.[6] Eine Wirkung bei Deressionen kann entgegen der Behauptung des Herstellers ebenfalls nicht bestätigt werden.[7]

Zu ähnlichen Ergebnissen kommen bereits Übersichtsarbeiten der Cochrane-Gesellschaft 2014[8] und der amerikanischen Gesundheitsbehörde (FDA) 2019[9]. Auch eine systematische Übersichtsarbeit aus 2018 kann keine belastbaren Hinweise finden, dass Geräte wie das Alpha-Stim eine Wirkung über den Placeboeffekt hinaus hätten.[10]

Eine Doktorarbeit (Dissertation) aus dem Jahre 2014, die an der Berliner Charité durchgeführt wurde, ergab, dass das Gerät Alpha-Stim keine Wirkung auf die untersuchten Schlafparameter bei den untersuchten Probanden hatte.[11]

Ähnliche Produkte

  • Nexalin. Bei der Vermarktung dieses Verfahrens der Firma Kalaco Scientific, Inc. aus Arizona steht nicht der Verkauf von Geräten im Vordergrund, sondern von teilweise mehrwöchigen Kuren.
  • NET-2000 der Firma Auri-Stim Medical, Inc. aus Colorado ist ein Gerät mit nahezu gleichen technischen Daten[12] wie Alpha-Stim, allerdings ist es für andere Anwendungen gedacht, nämlich zur Behandlung von Kopfschmerzen und zur Raucherentwöhnung.[13] Es wird mit pseudomedizinischen Aussagen beworben, z.B. sei es in der Lage, "Nogier-Frequenzen" abzugeben (nach Paul Nogier, dem Erfinder der Aurikulotherapie).
  • CES med ist ein ebenfalls sehr ähnlich arbeitendes Gerät. Es verfügt über zwei Ausgangskanäle, so dass gleichzeitig mit zwei Ohrclips und zwei anderen Elektroden gearbeitet werden kann. Es wurde von der österreichischen Firma Vita-Life vetrieben, die z.B. auch mit Produkten zur Magnetfeldtherapie handelt (siehe "Vita-Life R-System" im Artikel PEMF).

Quellen

  1. 1,0 1,1 US 8612008 B2: Microcurrent and cranial electrotherapy stimulator for control of anxiety, insomnia, depression and pain. Erfinder: Sai Cheong Chang (Hong Kong), Daniel L. Kirsch (Texas, USA). Anmeldedatum: 22.10.2009. Patent erteilt: 17. Dezember 2013
  2. 2,0 2,1 http://www.alpha-stim.com/alpha-stim-results/ Aufruf am 24. Februar 2014
  3. "The exact mechanism by which Alpha-Stim® technology produces effects is not fully known. However, based on previous and ongoing studies, it appears that the Alpha-Stim® microcurrent waveform activates particular groups of nerve cells that are located at the brainstem. These groups of nerve cells produce the chemicals serotonin and acetylcholine which can affect the chemical activity of nerve cells that are both nearby and at more distant sites in the nervous system. In fact, these cells are situated to control the activity of nerve pathways that run up into the brain and that course down into the spinal cord. By changing the electrical and chemical activity of certain nerve cells in the brainstem, Alpha-Stim® technology appears to amplify activity in some neurological systems, and diminish activity in others. This neurological ‘fine tuning’ is called modulation, and occurs either as a result of, or together with the production of a certain type of electrical activity pattern in the brain known as an alpha state which can be measured on brain wave recordings (called electroencephalograms, abbreviated EEG)." http://www.alpha-stim.com/how-cranial-electrotherapy-stimulation-works/ Aufruf am 24. Februar 2014
  4. Smith, Ray B. Is microcurrent stimulation effective in pain management? An additional perspective. American Journal of Pain Management, 11(2):62-66, 2001
  5. https://doi.org/10.3389/fnhum.2021.625321
  6. Lande, R. G., and Gragnani, C. (2013). Efficacy of cranial electric stimulation for the treatment of insomnia: a randomized pilot study. Complement. Ther. Med. 21, 8–13. doi: 10.1016/j.ctim.2012.11.007
  7. https://www.thecarlatreport.com/the-carlat-psychiatry-report/fisher-wallace-and-alpha-stim-depression-claims-vs-evidence/
  8. Kavirajan HC, Lueck K, Chuang K. Alternating current cranial electrotherapy stimulation (CES) for depression. Cochrane Database of Systematic Reviews 2014, Issue 7. Art. No.: CD010521. DOI: 10.1002/14651858.CD010521.pub2. Accessed 31 July 2021.
  9. https://www.federalregister.gov/documents/2019/12/20/2019-27295/neurological-devices-reclassification-of-cranial-electrotherapy-stimulator-devices-intended-to-treat
  10. https://www.acpjournals.org/doi/10.7326/M17-1970
  11. https://refubium.fu-berlin.de/handle/fub188/10884
  12. Vergleich der Geräte NET-2000 und Alpha-Stim 100 durch die FDA, Oktober 2006 (Alpha-Stim 100 ist ein Vorläufer des aktuellen Gerätes Alpha-Stim AID)
  13. http://net1device.com/products/net2000.htm Aufruf am 22. Februar 2014