Logo (Bild: Wiki-Watch)
Wolfgang Stock (Bild: "Neuraltherapie Blog" des Marketingexperten Claus Fritzsche)
Kritik-Thema: Der zehnte Vorname von Karl-Theodor zu Guttenberg (Bild: W. Stock)

Wiki-Watch ist der Name eines umstrittenen internetbasierten Projekts, das sich als ein System zur Beurteilung der Qualität von Wikipedia-Artikeln versteht. Wiki-Watch stellt sich als Projekt der Europa-Universität Viadrina dar, wird aber privat betrieben.

Das Projekt geriet in die Kritik, als sich herausstellte, dass die Wiki-Watch-Betreiber auch dann Artikel bei der Wikipedia bewerteten, wenn sie selbst zuvor an diesen Artikeln Veränderungen vorgenommen hatten oder auch dann, wenn dieser Personenkreis selbst Initiator eines Wikipedia-Artikels war. Des Weiteren kam der Vorwurf des Astroturfing auf. Den am Projekt Beteiligten wurde beispielsweise vorgeworfen, Artikel zu Medikamenten der Firma Sanofi-Aventis vor kritischen Bewertungen durch Fachleute in Schutz zu nehmen. Die Kritik an Wiki-Watch erstreckte sich dabei auch auf eine verdeckte Vorgehensweise mit zahlreichen verschiedenen Benutzernamen.

Anlass zur Entstehung von Wiki-Watch soll nach Angaben der Macher eine Kontroverse um den zehnten Vornamen "Wilhelm" des CSU-Politikers Karl-Theodor zu Guttenberg gewesen sein.

Betreiber

Auf den Webseiten von Wiki-Watch und in deren Impressum firmiert das Projekt als Arbeitsstelle im Studien- und Forschungsschwerpunkt "Medienrecht" der Juristischen Fakultät der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder).[1][2] Tatsächlich wird Wiki-Watch aber von dem promovierten Journalisten Wolfgang Stock (geb. 1959) betrieben, dem geschäftsführenden Gesellschafter der PR-Beraterfirma Convincet GmbH. Im Studiengang "Kulturmanagement und Kulturtourismus" der Viadrina wird Stock in der Liste der Dozenten geführt. Er ist außerdem Vorstandsmitglied des "Christlichen Medienverbundes KEP". PR-Experte Stock hatte für Convincenet die Videopodcasts der Kanzlerin Angela Merkel initiiert und anfänglich produziert.

Der zweite Leiter von Wikipedia-Watch ist der Jurist Johannes Weberling (geb. 1958), der als Honorarprofessor an der Viadrina beschäftigt ist. Insgesamt sollen nach Angaben von Weberling drei Personen für das Projekt tätig sein. Gemeint sind die beiden genannten Professoren, sowie ein Student.

Obwohl auf der Homepage von Wiki-Watch das Logo der Europa-Universität Viadrina abgebildet ist, gehören die dafür benutzten Domains wiki-watch.de und wiki-watch.com nicht der Viadrina, sondern sind auf die Privatadresse von Wolfgang Stock angemeldet. Die Domain wikiwatch.de, die auf die gleiche Seite führt, gehört Johannes Weberling. Auch das Logo von "Wiki-Watch" ist von Stock privat als Wort-Bild-Marke registriert worden.[3] Als telefonischer Kontakt zu Wiki-Watch ist eine private Mobilfunknummer von Stock angegeben.

Bewertungen von Wikipedia-Artikeln

Mit Mitteln der Statistik bewerten die Wiki-Watch-Beteiligten einzelne Artikel der Wikipedia hinsichtlich ihrer Qualität. Dabei werden Sterne vergeben, das Maximum sind 5 Sterne. Eingesetzt wird dabei eine abgeänderte Software der University of Santa Cruz. Kriterien zur Beurteilung sind unter anderem die Zahl der Autoren und der genannten Belege.

Die Kontrolle über die eigenen Bewertungen erfolgt durch Wiki-Watch selbst.

"Sockenpuppen-Aktivitäten" bei der deutschsprachigen Wikipedia

 
Wikipedia-Kurier vom 2. Juli 2011

Wikipedia-Autoren und Lesern fielen eine mehrjährige hartnäckige Manipulation von bestimmten Seiten der Wikipedia auf, insbesondere in den Artikeln "World Vision International" und "Wiki-Watch"sowie in zahlreichen Konfliktthemen um Religion, Homosexualität und Politik. Des Weiteren fielen Änderungen in Artikeln zur Pharmafirma Sanofi und einem Mittel für Diabetiker auf. Die Wikipedia-Accounts Wiki-Watch-de, Diskriminierung und weitere waren in massive Konflikte in Bezug auf die Artikelgestaltung verwickelt. Um die Urheberschaft dieser sog. "POV"-Beiträge (Beiträge, die keinen neutralen Standpunkt aufweisen) zu klären, wurde ein so genanntes "Check-User"-Verfahren in Gang gesetzt, um festzustellen, ob bestimmte Autoren auch als "Sockenpuppen" oder als "IP" aktiv waren. Die CU-Beauftragten der Wikipedia konnten nachweisen, dass der Account Wiki-Watch-de und diverse offen evangelikale Propagandaaccounts (User Kewn Jänkins, Diskriminierung, Advocado2010, Advocado) von ein und derselben Stelle gesteuert wurden.[4] Dies könnte bedeuten, dass mit Mitteln der Viadrina und unbekannten Drittmittelgebern versucht wurde, evangelikale Propaganda und bestimmte Ansichten zur Homosexualität zu verbreiten.[5][6] Die Accounts wurden gesperrt, da eine Zusammenarbeit im Sinne der Wikipedia nicht möglich war.

Nach Angaben der FAZ soll der Benutzerkreis um den Wikipedia-User Wiki-Watch-de auch eine spezielle Anonymisierungssoftware eingesetzt haben, um eine Zuordnung zu bestimmten Personen zu erschweren.

Geschäftsbeziehungen der Betreiber

 
(Bild: W. Stock)
 
Verlauf der Sanofi-Aventis Aktie (Bild: W. Stock)[1]
 
(Bild: W. Stock)

Convincet-Geschäftsführer und Wiki-Watch-Leiter Stock hatte in Vorträgen vor potentiellen Kunden die Gefahren negativer Aussagen in Wikipedia-Artikeln ("drastischer Einbruch des Börsenkurses"[7][8]) erklärt und den Nutzen der Convincet-Dienste in solchen Fällen herausgestellt.[9] Nach Ansicht von Stock biete Wikipedia nicht nur "null Transparenz", sondern sei auch "sehr wirtschafts-kritisch".

Als ein Beispiel für die Folge einer Berichterstattung, die kritische Aspekte beinhaltete, wurde der Kursrückgang der Sanofi-Aventis Aktie im Jahr 2009 genannt. Ursache war unter anderem von Fachleuten geäußerte Kritik am künstlichen Insulin-Präparat "Insulin Glargin" (Lantus). Das deutsche Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen IQWIG hatte zuvor auf ein mögliches erhöhtes Krebsrisiko hingewiesen. Dieser Aspekt war dann auch Bestandteil eines Wikipedia-Artikels.

Laut einem Artikel der FAZ von Juli 2011 sollen inhaltliche Änderungen an diesem Artikel und am Artikel zu Sanofi-Aventis (und dessen Vorstandsvorsitzenden Viebacher) auch auf Autoren zurückzuführen sein, die aus dem Kreis der Wiki-Watch Betreiber stammen.[10] Aktivitäten waren auch bei einem Artikel zu Peter Sawicki zu verzeichnen, der um einen Abschnitt "Kritik" erweitert wurde. Der von der Pharmaindustrie durchaus kritisch gesehene Sawicki war bis August 2010 Leiter des IQWIG. Im Wikipedia-Artikel zum IQWIG waren ebenfalls Veränderungen und eine "Kritik"-Ergänzung zu beobachten.[11] Die dabei aktiven Accounts Wsto bzw. kan900 sowie K.atarina.w und Dr. Dibelius, konnten Wolfgang Stock zugeordnet werden. Stock erklärte dazu, in einem großen Haushalt mit acht Personen mit gemeinsamem Internetanschluss zu leben. Dabei habe er versehentlich den Account K.atarina.w benutzt, der einer Bekannten gehöre.

Als bei Wikipedia auf zeitliche Zusammenhänge zwischen einem von Stock verbreiteten Dokument (ein Vortrag mit dem Titel "Krisenprävention und soziale Medien") und den Artikeländerungen hingewiesen wurde, wurden plötzlich nachträglich Seiten aus der pdf-Datei entfernt. Gegenüber der ursprünglichen Version fehlen in der bereinigten Version ein Hinweis auf den Kursrückgang der Sanofi-Aventis Aktie ("Case Study 2: Insulin 2009", Seite 12-13) und ein Werbetext der Convincet GmbH, der indirekt für Stocks umstrittene Aktivitäten in der Wikipedia warb ("Es geht nicht darum, die Beiträge zu zählen, die wir finden, sondern die Beiträge zu finden, die zählen. Weil sie Ihnen schaden können." Siehe Bild rechts).

Artikel in der Frankfurter Allgemeine Zeitung

 
Mitteilung bei "FAZ-net" über juristische Schritte gegen die FAZ nach einem Artikel über Wiki-Watch

Auf FAZ.net erschien am 1. Juli 2011 ein Artikel zu den Manipulationen im Zusammenhang mit Wiki-Watch unter dem Titel "Hier prüft der Staatsbürger das Insulin noch persönlich"[12] Am 2. Juli wurde der Artikel auch in der Printausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) veröffentlicht. Der Text auf FAZ.net ist seit dem zweiten Juli 2011 vorerst nicht mehr verfügbar, nachdem Wolfgang Stock und Johannes Weberling juristisch gegen den Text vorgegangen waren.[13]

Als "Streisandeffekt" verbreiteten zahlreiche deutsche Blogs den entfernten FAZ - Artikel. Auch war von einer "WikiWatch-Affäre" die Rede[14] und das Projekt Wiki-Watch wurde kurzerhand zu einer (Zitat) PR-Firma Wiki-Watch erklärt.[15]

Wiki-Watch und VroniPlag

Wiki-Watch engagierte sich auch gegen das anonym betriebene Projekt "VroniPlag"[16], das Dissertationen von prominenten Trägern von Doktortiteln auf Plagiate überprüft. Diesem Projekt wurde im Wiki-Watch Blog vorgeworfen nicht korrekt zu zitieren, dabei nannten sie das Projekt jedoch bezeichnenderweise fälschlich "vreniplag".[17] Bei VroniPlag war die Wiki-Watch Gruppe undercover auch aktiv und hatten eine eigene Benutzerseite. Diese wollten sie jedoch sofort gelöscht sehen, nachdem sie enttarnt waren. Als das nach dem Prinzip der Wikisoftware nicht wie gewünscht funktionierte, beantragten sie beim Betreiber eine Sperrung. Dem wurde auch entsprochen, dennoch sind die Beiträge trotzdem noch über die History aufrufbar.[18]

Webseiten von Wiki-Watch

Weblinks zum Thema

Quellennachweise