Verkaufsverbot für Heilpflanzen

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Umsetzung des H.R.875 (Food Safety Modernization Act 2009) aus verschwörungstheoretischer Sicht (Zeichner: David Dees)

Im Jahr 2010 wurde in Deutschland per Ketten-Emails und auf diversen Internet-Webseiten, bei Twitter und via Facebook die Verschwörungstheorie eines im Jahr 2011 angeblich drohenden EU-weiten Verkaufsverbots für Heilpflanzen verbreitet, die stark an gleichartige falsche Behauptungen zum Codex Alimentarius erinnern. In diesem Zusammenhang wurde zur Unterzeichnung einer Petition gegen das angebliche Verbot aufgerufen.[1] Als Drahtzieher wird in der Verschwörungstheorie die Pharmaindustrie vermutet.

2009 wurden in Deutschland rund 1,2 Milliarden Euro für rezeptfreie pflanzliche Arzneimittel ausgegeben. Hinzu kamen die nicht apothekenpflichtigen Pflanzenpräparate, die in Supermärkten, Drogerien oder Bioläden angeboten werden.[2]

Die Urheber

In einem TAZ-Blog verbreitete ein Hans Cousto die Behauptung: "Pharmalobby kämpft für Verbot von Heilpflanzen. Leider ist es wahr: die Pharmalobby hat wieder zugeschlagen."[3] Auch der auf Verschwörungstheorien spezialisierte Kopp-Verlag beteiligte sich an der völlig unberechtigten Panikmache. Kopp-Autor Michael Grandt behauptete im September 2009: "Die Codex-Kommission wird Heilkräuter und -pflanzen gänzlich verbieten."[4]

Auch die Sinsheimer Firma Gesellschaft für Ernährungsheilkunde GmbH verbreitet die genannten Fehlinformationen.

Traditional Herbal Medicines Directive (THMPD 2004/24/EG)

Gemeint ist hier die EU-Richtlinie 2004/24/EG. Diese wurde bereits im Jahr 2004 verabschiedet und 2005 in der deutschen Gesetzgebung umgesetzt.[5] Die sechs Jahre alte EU-Regelung hatte die Funktion traditionelle pflanzliche Arzneimittel in der EU in einem vereinfachten Verfahren zuzulassen. In einigen Mitgliedsländern der EU gab es damals keine Regelungen für phytopharmazeutische Produkte. In Deutschland existierten jedoch bereits ähnliche Standards wie von der EU vorgesehen. Am 1. April 2011 läuft einzig eine Übergangsphase von 7 Jahren aus, was im Umkehrschluss bedeutet, dass die Gesetze schon fest verankert sind und nicht zur Disposition auf europäischer Ebene stehen.

Betroffen von der Richtlinie sind nur rezeptfreie Fertigarzneimittel. Es geht um eine Vereinfachung des Registrierungsverfahrens für Fertigarzneimittel auf Basis pflanzlicher Wirkstoffe, die auf traditioneller Anwendung beruhen. Rezepturarzneien, die keinen Zulassungsprozess durchlaufen müssen und einem frisch in der Apotheke angerührt werden, sind von der Regelung überhaupt nicht betroffen. Der Hersteller muss lediglich nachweisen, dass die Wirksamkeit aufgrund langjähriger Anwendung plausibel und die Sicherheit gewährleistet ist. Für die Registrierung sind lediglich ein Gutachten sowie ein Literatur-Überblick notwendig. Zurzeit (2010) liegen allein in Deutschland knapp 250 Anträge vor, bei denen es für nahezu alle Antragssteller - laut Bundesministerium für Gesundheit - "eine sehr gute Perspektive" gibt. Bei der Frage nach der "Tradition" eines heilpflanzlichen Produkts werden auch Angaben aus dem Ausland berücksichtigt, wenn dieses bislang im Ausland gebräuchlich war. Außereuropäische Hersteller haben die Möglichkeit, die Tradition ihrer Produkte im Registrierungsprozess anerkennen zu lassen.[6]

Präparate aus der ayurvedischen Medizin enthalten oft unverantwortliche hohe Konzentrationen an Schadstoffen wie Blei, Quecksilber und Arsen. Davon sind vor allem online gehandelte Produkte betroffen. Dies wird in einem Artikel der JAMA im August 2008 berichtet.[7][8] Bereits 2005 wurden von der Universität Boston über gefährliche Mengen an Blei, Quecksilber und Arsen in Ayurveda-Produkten wie etwa Tabletten berichtet.[9][10] Viele traditionelle Tabletten werden dabei mit Absicht mit Schwermetallen verarbeitet, da man sich davon eine besondere Wirkung erwartet.

Nicht betroffen sind Lebensmittel. Daher trifft die Verordnung auch nicht auf Knoblauch, Pfefferminze oder Zimt zu. Dies hinderte jedoch Anhänger dieser Verschwörungstheorie nicht daran genau dies fälschlich zu behaupten und sich dabei auf ein Projekt von Verschwörungstheoretikern zu berufen (Infokrieg.tv):

Diese Petition ist absolut sinnvoll und notwendig, weil mit Inkraftreten der genannten EU-Direktive (=Diktatur) der Anbau von Gemüse und Kräutern im Garten, ja sogar auf dem Balkon und in der Wohnung! VERBOTEN werden wird ! ! ! Das glaubt Ihr nicht ? ? ? schaut auf i n f o k r i e k . t v ! Macht Euch schlau, solange Ihr noch könnt, bzw. bevor es zu spät ist ! ! ![11]
Wenn wir diese Petition nicht unterschreiben, werden wir unsere Freiheit verlieren, siehe Amerika...dort ist alles in den Händen der Pharmaindustrie. dort können nicht mal mehr Tomaten im eigenen Garten angebaut werden, Zimt und co...werden aus unseren Küchen verschwinden...langsam aber sicher....das können wir unseren Kindern und Enkel nicht wirklich hinterlassen wollen[12]

Lebensmittel mit gesundheitsgefährdenden Eigenschaften waren in der Vergagenheit immer wieder Ursache für Besorrgnis gewesen, so beispielsweise leberschädigende Giftpflanzen in Rucola-Salat.[13]

Auch sind die Nahrungsergänzungsmittel oder Tees nicht von der Regelung betroffen, solange sie nicht als Arznei gelten.

In alle Prozesse der Verabschiedung der Richtlinie, von der ursprünglichen Idee über konkrete Formulierungen bis hin zur letztendlichen Entscheidungsfindung waren Heilpraktikerverbände mit einbezogen. Der Fachverband Deutscher Heilpraktiker distanzierte sich von den oben genannten Verschwörungstheorien und der diesbezüglichen Petition an den Deutschen Bundestag. Zitat daraus:

Die EU-Richtlinie zu traditionellen Planzenpräparaten (THMPD 2004/24/EG), die schon seit vielen Jahren in den europäischen Ländern umgesetzt wird und bis 2011 endgültig wirksam wird, ist in Deutschland seit vielen Jahren umgesetzt und wirksam.[14]

Und sprach von "Panaikmache":[15]

Der Bundesvorstand des Fachverband Deutscher Heilpraktiker e.V. bittet deshalb, solche Panikmails nicht einfach ungeprüft weiter zu multiplizieren, sondern bei den verantwortlichen und sachkompetenten Mitgliedern des Bundesvorstandes oder Ihres Landesverbandes erst einmal nach zu fragen. Diese können nachprüfen, ob es einen entsprechenden Handlungsbedarf gibt und Sie umgehend darüber informieren.

Die Landesapothekerkammer Baden-Württemberg beschäftigte sich ebenfalls mit der Petition und weist auf die Fehler der Petenten hin: [3].

Petition an den Deutschen Bundestag

Die Verschwörungstheorien und Vermutungen zur EU Richtlinie 2004/24/EG waren auch Gegenstand einer dilettantisch formulierten Bundestags-Petition einer Wasilka Heim, die gängige Klischees nicht auslies:

Der Deutsche Bundestag möge beschließen …dass das Verkaufsverbot von Heilpflanzen in der EU ab dem 1 April 2011 in Deutschland nicht greift. Laut Europäischer Richtlinie zur Verwendung traditioneller und pflanzlicher medizinischer Produkte (THMPD) wird der Verkauf und die Anwendung von Naturprodukten stark eingeschränkt...Naturstoffe, denen man eine Heilwirkung zuschreibt werden nicht mehr als Lebensmittel eingestuft, sondern als Arznei. Nur was man patentieren und mit einer Schutzmarke im Handel monopolisieren kann ist erwünscht. Was einfach in der Natur wächst ist illegal. Unsere Gesundheit wird dadurch nicht geschützt, sondern es werden die Umsätze und Profite der Grosskonzerne gesichert. Wir sollten selber entscheiden was gut für uns ist und welche Mittel wir nehmen, ob chemische Bomben oder sanfte Naturheilmittel.[16]

Diese Petition wurde bislang 121.000 mal online unterschrieben (Stand: Mitte November 2010).[17]

Eine weitere europäische Petition ist von einer Heidi Stevenson in Gang gesetzt worden.[18]

Siehe auch

Weblinks

Quellennachweise

  1. Nina Weber: Petition zu Heilpflanzen - Absurde Angst um die Kamille, Spiegel online, 11.11.2010 [1]
  2. Angabe des "Bundesverband der Arzneimittelhersteller"
  3. http://blogs.taz.de/drogerie/2010/11/04/pharmalobby_kaempft_fuer_verbot_von_heilpflanzen/ [2]
  4. M. Grandt: Der »Codex Alimentarius«: Nahrungsmitteldiktatur oder reine Verschwörungstheorie? beitrag für den Kopp-Verlag, 01. September 2009
  5. http://de.wikipedia.org/wiki/Arzneimittelgesetz_(Deutschland)#Marktzugang
  6. Preamble 7 der Richtlinie
  7. Robert B. Saper; Russell S. Phillips; Anusha Sehgal; Nadia Khouri; Roger B. Davis; Janet Paquin; Venkatesh Thuppil; Stefanos N. Kales (2008): Lead, Mercury, and Arsenic in US- and Indian-Manufactured Ayurvedic Medicines Sold via the Internet. J Am med Soc 300(8):915-923
  8. http://www.aerzteblatt.de/v4/news/news.asp?id=33483
  9. Kales SN, Christophi CA, Saper RB: Hematopoietic toxicity from lead-containing Ayurvedic medications. Med Sci Monit. 2007 Jul;13(7):CR295-8
  10. Centers for Disease Control and Prevention CDC (2004): Lead Poisoning Associated with Ayurvedic Medications &nbdash; Five States, 2000–2003. Morbidity and Mortality Weekly Report MMWR Vol. 53 No. 26, July 9, 2004, 582-584. Online: http://www.cdc.gov/mmwr/PDF/wk/mm5326.pdf
  11. https://epetitionen.bundestag.de/index.php?topic=5194.msg99193#msg99193
  12. https://epetitionen.bundestag.de/index.php?topic=5691.msg105255#msg105255
  13. http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,642038,00.html
  14. http://www.heilpraktiker.org/ftp_pdf/meldungen_3_11_10/AMK-LMGB-TRAD-PHYTOS-2010-09-29.pdf
  15. http://www.heilpraktiker.org/ftp_pdf/meldungen_3_11_10/PANIKMACHEGILTNICHT.pdf
  16. https://epetitionen.bundestag.de/index.php?action=petition;sa=details;petition=14032
  17. http://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/0,1518,728471,00.html
  18. http://www.gopetition.com/petition/39757.html