Polywasser

Aus Psiram
Version vom 11. April 2022, 17:46 Uhr von Weltgeist (Diskussion | Beiträge) (→‎Weblinks)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Die angenommene Struktur des Polywassers. Es sollte eine hexagonale Struktur aufweisen, was chemisch-physikalisch als unmöglich gilt. Bemerkenswert: es sollte angeblich die gleiche Struktur wie das - ebenfalls pseudowissenschaftliche - Hexagonale Wasser besitzen

Polywasser (auch anomales Wasser genannt) war eine Hypothese des Russen Nikolai Fedyakin. Unter dem Begriff Polywasser (auch anomales Wasser oder dichtes Wasser genannt) versteht man die Theorie, dass sich unter Oberflächeneffekten eine Polymerstruktur des Wassers ausbilden kann, die besondere physikalische Eigenschaften aufweist. Das sogenannte „Polywasser“, dessen Erforschung hauptsächlich in den 1960er Jahren in der Sowjetunion stattfand, konnte dann nach einem Zeitraum von etwa zehn Jahren der Erforschung nicht mehr reproduziert werden und wird oft als Beispiel für pathologische Wissenschaft angeführt.

Entstehung

In den 1960er Jahren nahm Nikolai Fedyakin im Städtchen Kostruma, 300 km von Moskau entfernt, Wasseruntersuchungen vor. Er schloss es in sehr enge Kapillaren aus Quarzglas ein und konnte nach einigen Tagen beobachten, dass sich im oberen Teil dieses Röhrchens eine Flüssigkeitssäule bildete, obwohl dieser Bereich zunächst frei von Flüssigkeit war. Die neue Flüssigkeitssäule dehnte sich im Laufe der folgenden Wochen auf Kosten der ursprünglichen Wassersäule aus. Fedyakin stellte fest, dass die Dichte und der Siedepunkt des Wassers in der neuen Säule größer sowie der Gefrierpunkt niedriger waren als die normalen Wassers.

Boris Deryagin beim Blick ins Mikroskop

Boris Deryagin, Direktor des Laboratoriums für Oberflächenkräfte am Institut für Physikalische Chemie in Moskau, erfuhr von dem Vorfall und forschte selbst weiter. Er verbesserte die Methode, das neuartige Wasser herzustellen. Er unternahm alle Anstrengungen, mögliche Verunreinigungen der Wasserprobe von vornherein auszuschließen. Deryagin produzierte sehr geringe Mengen dieses Wassers, seine Methode war aber schneller als jene von Fedyakin. Deryagins Untersuchungen zeigten Wasser mit einem niedrigeren Gefrierpunkt, einer hohen Stabilität der Flüssigkeit bis 150 Grad Celsius, eine Dichte von 1.1-1.2 g/m2 und eine verstärkte Ausdehnung bei Temperaturerhöhung. Ab 1962 wurde, zunächst nur in russischsprachigen Fachpublikationen, über dieses 'modifizierte Wasser' geschrieben. Als Deryagin im Jahre 1966 an einem Symposium im englischen Nottingham teilnahm, gelangten seine Berichte in den Westen.

Behauptete Eigenschaften

Im Westen glaubte man, die Wassereigenschaften könnten viele Rätsel der Natur erklären, wie den Schutz von Wintersaaten und Insekten vor dem Erfrieren im Winter oder das Aufsteigen des Wassers bis in die obersten Zweige von Riesenbäumen. Man vermutete, seine Bildung könnte nicht nur an Quarzoberflächen, sondern auch in Lehm und Erde, in Gewebe und Zellen vor sich gehen. Man sah eine Ähnlichkeit mit dem Wasser in Gehirn und Muskelgewebe, in den Zellen überhaupt, das ebenfalls kristallin und verschieden von demjenigen außerhalb der Zelle sei. Besonders die Homöopathenszene sah sich in ihren Spekulationen über "informiertes Wasser" bestätigt.

Die Spekulationen gingen rasch ins Phantastische. Einzelne kamen zu der Ansicht, dieses anormale Wasser sei in Wirklichkeit die eigentlich stabile Form des Wassers und man müsse im Laufe der Zeit mit einer vollständigen Umwandlung des normalen in das anormale Wasser rechnen. Dies sei dann das Ende allen Lebens auf der Erde. F.J. Donahoe vom Wilkes-College in Pennsylvania schrieb, er halte Polywasser für das gefährlichste Material auf Erden, hatte nicht schon Deryagin die Umwandlung allen Wassers der Erde in Polywasser prognostiziert?

Verbreitung und Niedergang der Hypothese

Im Jahr 1968 gelangte die Kunde vom anomalen Wasser über den Atlantik und löste eine Lawine aus. Der prominente amerikanische Spektroskopiker Ellis R. Lippincott, Chemieprofessor an der Universität von Maryland, meldete 1969, die bei anomalem Wasser gemessenen Spektren unterschieden sich von allen bisher bekannten. Er lieferte einen Namen für dieses neue Material, das er sich in der Form polymerisierter Wassermoleküle vorstellte: Polywasser.

Als die Amerikaner Leland Allen und Peter Kollmann die These vom Polywasser noch mit quantentheoretischen Berechnungen zu stützen versuchten, waren die skeptischen Stimmen einiger Experimentatoren schon lauter geworden. Im Laufe der Jahre 1970 und 1971 wurde die Polywasser-Hysterie durch genauere Untersuchungen beendet. Im März 1970 meldete Dennis Rousseau von der University of Southern California, Polywasser bestehe vor allem aus Natrium- und Kalium-Verunreinigungen, die aus den Quarzkapillaren ausgelaugt wurden. Kurz darauf erklärte Lippincott, seine vormals einzigartigen Spektren seien durch Gemische organischer Säuren ebenfalls herstellbar. Im Januar 1971 distanzierte sich einer der Protagonisten, der damalige Forschungsdirektor der Firma Unilever Brian Pethica, von Polywasser und im Oktober 1971 veröffentlichten Allen und Kollmann neue quantentheoretische Berechnungen, die jenen in deren ursprünglichen Arbeiten diametral entgegengesetzt waren.

Deryagin selbst räumte 1973 in einem Brief an Nature ein, dass die Eigenschaften des anomalen Wassers auf Verunreinigungen und nicht auf die Existenz von polymeren Wassermolekülen zurückzuführen waren.

Weblinks

Blogs

Siehe auch