Neurophone

Aus Psiram
Version vom 11. Februar 2022, 23:07 Uhr von Weltgeist (Diskussion | Beiträge) (→‎Aufbau)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Neurophone Modell: GPF1011-DSP

Das Neurophone ist ein elektronisches Gerät, welches einen positiven Einfluss auf kognitive Prozesse haben soll. Insbesondere sollen die Lernfähigkeit und Lerngeschwindigkeit steigen. Außerdem könne man sich mit dem Gerät besser entspannen, es sorge für ruhigeren Schlaf, und Gehörlose könnten in kurzer Zeit lernen, mithilfe des Gerätes zu hören. Weiter soll es eine Synchronisation der beiden Hirnhälften herbeiführen. Um juristische Schwierigkeiten zu vermeiden, werden solche Vorteile für die Gesundheit von den Vermarktern allerdings nur indirekt genannt, etwa in Form von Zuschriften zufriedener Anwender (sog. Testimonials).

Das Gerät wird mindestens seit den siebziger Jahren in immer neueren Varianten verkauft (siehe Galerie). Erfunden wurde es vom US-Amerikaner Gillis Patrick Flanagan (geb. 1944) nach eigenen Angaben 1958, als er gerade einmal 14 Jahre alt war.

Offiziell wird das Neurophone als experimentelles Gerät bezeichnet, da keinerlei Wirkungsnachweise vorliegen und die behaupteten Effekte unbelegt sind. Zur behaupteten Funktionsweise und zu den angegebenen Wirkungen haben sich im Laufe der Zeit immer wieder Abwandlungen ergeben. So wurde ursprünglich behauptet, das Neurophone würde das Nervensystem mit elektromagnetischen Wellen anregen, was einem Höreindruck ohne das Gehör ermögliche. Später verwendete man Ultraschallwellen und argumentierte mit Skalarwellen, die angeblich von der Haut aufgenommen und an ein "holographisches Gehirn" geleitet werden.

Heute wird es nicht mehr als Hörhilfe, etwa für Hörgeschädigte, beworben, obwohl das ursprüngliche Patent von 1968 dies als Zweck der Erfindung angab.

Aufbau

Blockschaltbild einer frühen Version des Neurophone, das ursprünglich als Hörgerät zum Patent angemeldet wurde[1]

Das in neuerer Zeit vertriebene Neurophone führt der Haut eines Menschen über "Elektroden" ein Signal im Ultraschallbereich von etwa 40 kHz bis 100 kHz zu. Dieses Signal kann mit einem beliebigen Audiosignal wie etwa Musik, aber auch z.B. Sprachlernkursen moduliert werden. Das Audiosignal wird von einer angeschlossenen Quelle (etwa einem Medienplayer) über eine Klinkenbuchse eingespeist. Das Gerät selbst einhält keinen Player. Das auf eine sehr hohe, nicht mehr akustisch über die Luft wahrnehmbare, Frequenz modulierte Audiosignal wird über zwei Plättchen (Elektroden, Pads) über die Haut in den Körper geleitet. Wenn die Plättchen richtig platziert sind, ist das Audiosignal als Höreindruck wahrnehmbar, ohne dass von außen Geräusche zu hören sind. Es kann aber trotzdem zu Geräuschen kommen, die mit den Ohren (von außen) wahrgenommen werden.

In der ursprünglichen, 1968 patentierten Version (siehe Blockschaltbild rechts) wird das Hochfrequenzsignal (20 - 200 kHz) mit dem Audiosignal amplituden- oder frequenzmoduliert.[1] Die Elektroden sind isoliert, die maximale Spannung an den Elektroden soll mehrere 100 Volt betragen.[2] Im Prinzip handelt es sich um einen recht leistungsstarken Radiosender (> 1 Watt Sendeleistung), der elektromagnetische Wellen auf die Elektroden leitet. Dabei kommt es zu keinen direktem elektrischen Kontakt mit der Haut, da die Elektroden isoliert sind.

Die Elektroden wurden in den ersten kommerziell vertriebenen Geräten durch Piezo-Scheiben ersetzt, also durch echte Schallwandler, die aber ebenfalls als "Elektroden" bezeichnet werden. Man warb schließlich nicht mehr mit elektromagnetischen Wellen, sondern mit Ultraschallwellen. Es wird weiterhin ein hochfrequentes elektromagnetisches Signal durch den Körper geleitet, da die Elektroden über die Haut elektrisch miteinander verbunden sind.

Geräte wie das Neurophone können leicht selbst gebaut werden. Die Kosten für die Bauteile sind niedrig und dürften nur ein paar Euro betragen. Nachahmerprodukte (s.u.) berufen sich meist nur auf die von Flanagan erfundenen Funktionsweisen und Wirkungen, für die technische Umsetzung braucht es kein spezielles Wissen.

Ausschnitt aus der Bedienungsanleitung

Behauptungen zur Wirkungsweise und zu besonderen Effekten

Im Patent von 1968 mit der Bezeichnung NERVOUS SYSTEM EXCITATION DEVICE (übersetzt: "Gerät zur Erregung des Nervensystems") wird angegeben, die von den Elektroden abgegebenen elektromagnetischen Wellen würden vom Nervensystem direkt aufgenommen. Die Informationen, die die elektromagnetischen Wellen übertragen, würden der anwendenden Person "bewusst" werden. Es würden explizit keine mechanischen Schwingungen zur Anwendung kommen, die über die Haut oder die Knochen weitergeleitet werden würden. Daneben könne das Gerät einen Höreindruck der übermittelten hochfrequenten Wellen, die mit einem Audiosignal moduliert sind, erzeugen, ohne jedoch das Gehör bzw. die Hörnerven zu erregen. Es wird in dem Patent nicht von Ultraschallwellen gesprochen, sondern von hochfrequenten elektromagnetischen Wellen (Radiowellen), die direkt vom Nervensystem aufgenommen werden. Zweck der Erfindung sei eine Hörhilfe für hörgeschädigte Menschen (denen man somit Sprache beibringen könnte) bzw. eine Möglichkeit, in lauter Umgebung (ohne das jemand anders mithören kann) zu hören. Es wird darauf hingewiesen, dass Menschen, die eine Hörhilfe benötigen, mit dem Gerät hören können. Von Gehörlosen wird nicht geredet.

In späteren Versionen des Neurophone werden die Erklärungen zur Funktionsweise immer mehr von pseudowissenschaftlichen und esoterischen Begrifflichkeiten durchzogen. Die Behauptungen sind teils wirr und ohne wissenschaftliche Basis, d.h. es liegen dazu keine unabhängigen wissenschaftlichen Studien vor, noch beruhen die Behauptungen auf gesicherten Erkenntnissen medizinisch-biologischer Forschung.

Da man hier nicht mehr isolierte Elektroden als Körperkontakt verwendet, sondern Piezoelektroden (die bei Anlegen einer Wechselspannung vibrieren), wird nun ein anderer Mechanismus zur Funktionsweise unterstellt. Die Haut wäre selbst piezoelektrisch und würde über die Anregung sog. Skalarwellen, die nur im Esoterikbereich von Bedeutung sind, erzeugen. Diese könnten von einem „Holographischen Gehirn“ empfangen werden. Flanagan spricht in diesem Zusammenhang auch von „elektronischer Telepathie“, das Gehirn würde die Informationen (Geräusche) über einen „siebten Sinn“ aufnehmen. Auch könne man mit dem Neurophone sog. Chakren aufspüren und empfangen.

Studie von Lenhardt et al. 1991

Neuerdings wird bevorzugt ein anderes Erklärungsmodell herangezogen, das auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen soll. Nach Flanagans Ansicht sollen die der Haut zugeführten Signale den Hörnerv "umgehen" und vom Sacculus, einem Teil des Gleichgewichtsorgans im Innenohr, aufgenommen und in einen Höreindruck umgesetzt werden. Er und andere Vertreiber berufen sich dabei auf eine umstrittene Studie, die 1991 an der Universität Virginia durchgeführt wurde (Lenhardt et al.[3]). Man verwendete hier auf eine Ultraschallfrequenz amplitudenmodulierte Sprachsignale und beschallte damit direkt den Schädelknochen. Dabei wurde spekuliert, es könne neben der Cochlea noch einen anderes Organ für die Schallwahrnehmung verantwortlich sein: der Sacculus, ein Teil des Gleichgewichtsorgans. Das hätte man anhand von Hörtests an Gehörlosen festgestellt, die eine ähnliche Hörschwelle wie normal Hörende hätten.

Die Deutung, es müsse neben der Hörschnecke Cochlea ein anderes Organ für die Hörwahrnehmung geben, wurde heftig kritisiert.[4] Zum einen wäre die Messtechnik zu ungenau, um die Hörschwelle genau genug feststellen zu können, zum anderen wurde die Hörschwelle sehr hoch angesetzt. Zudem waren die angeblich Gehörlosen größtenteils nur mittel schwerhörig (nicht taub). Es wurde auch die schon lange bekannte Tatsache ausgeblendet, dass Ultraschallwellen in einem nichtlinearen Medium demoduliert und normalakustisch vom Innenohr wahrgenommen werden (s.u.). Dies wurde in der Studie lediglich als alternative Möglichkeit angenommen. Auch sei bekannt, dass der Sacculus Schwingungen wahrnehmen kann, aber nur im sehr niederfrequenten Bereich. Eine alternative Hörwahrnehmung über den Sacculus hat ansonsten keinerlei Bestätigung. Es wurde auch kritisiert, dass wichtige Kontrollversuche fehlen. Auch Lenhardt selbst, der die Aussagekraft seiner Studie aufgrund mangelhafter Messungenauigkeit einschränkt, konnte keine weiteren Belege erbringen. In einer Studie japanischer Wissenschaftler, die die von Lenhardt behaupteten Effekte überprüften, konnte die Vorstellung, ein anderes Organ als die Cochlea sei an der Hörwahrnehmung beteiligt, widerlegt werden.[5]

Obwohl die Aussage, man könnte Ultraschallwellen mit dem Sacculus wahrnehmen, nur als Spekulation geäußert wurde, die zudem auf einem methodisch fehlerhaften Studiendesign beruhte, wird diese Behauptung von Vertretern des Neurophone und ähnlicher Geräte als Gewissheit verkauft. Man möchte so andeuten, dass man das Gehör umgehen könnte, um den Gehirn "ungefilterte" Informationen zukommen zu lassen. Spätestens hier hat man allerdings den Rahmen dessen, was die Studie nur als Spekulation andeutet, weit hinter sich gelassen.

Wahrnehmung von Ultraschallwellen durch das Gehör

Bereits 1952 konnte gezeigt und erklärt werden, dass und wie modulierter Ultraschall in einem nichtlinearen Medium demoduliert und damit hörbar gemacht werden kann[6]

Es ist allgemein bekannt, dass das menschliche Ohr nur Frequenzen von etwa 20 bis 20.000 Hz wahrnehmen kann - allerdings nur in jungen Jahren. Ultraschall liegt über diesem Frequenzbereich und kann normalerweise nicht gehört werden. Wenn man allerdings Ultraschall nur als Trägerwelle verwendet und darauf ein anderes Signal (z.B. Audiofrequenzen) aufmoduliert, so kann unter Umständen auch das aufmodulierte Signal akustisch wahrgenommen werden. Das Phänomen wurde schon früh erkannt und beschrieben, lange vor Flanagans "Erfindung". Breitet sich ein solches Signal (modulierter Ultraschall, bis in den Mhz-Bereich) in einem nichtlinearen Medium (z.b. Körpergewebe) aus, so wird es entlang des Schallstrahls demoduliert. Über Knochenleitung wird das Schallsignal dann an die Cochlea geleitet und gehört.[7]

Die Plättchen, die vom Neurophone (oder davon abgeleiteten Geräten) auf die Haut gedrückt werden, sind Ultraschallwandler ("Lautsprecher"), die eine mechanische Schwingung auf die Haut leiten. Auch die ursprüngliche Version des Neurophone, die ohne Piezoplättchen auskam, hat die berührte Haut zu einer mechanischen Schwingung angeregt. Die Ultraschallwellen, die mit einem Audiosignal moduliert sind, werden in den Körper hinein gestrahlt und dadurch demoduliert. Das passiert schon recht nahe an der Hautoberfläche, weshalb man das Audiosignal (über die Außenohren) schwach hören kann, sobald beide Plättchen die Haut berühren. Der Schallstrahl breitet sich recht fokussiert im Gewebe aus, weshalb es auf die richtige Ausrichtung der Plättchen ankommt, ob und wieviel man von dem Signal hört. Das demodulierte (in das hörbare Spektrum umgewandelte) Signal trifft auf den Schädelkochen und wird von da aus an das Innenohr bzw. die Cochlea weitergeleitet. Es kommt zum Höreindruck. Es bedarf also keines anderen Organs außer der Cochlea, um ein moduliertes Ultraschallsignal zu hören.

Als Hörhilfe ist es deshalb nicht gut geeignet, da der Schallstrahl sehr fokussiert eindringt und es einer sehr genauen Ausrichtung bedarf, um klar zu hören. Auf der anderen Seite ist es gar nicht notwendig, das Audiosignal mit einer hochfrequenten Trägerwelle zu modulieren, da es sowieso zur Demodulation kommt. Heutige Knochenleitungshörgeräte kommen ohne Modulation aus und nutzen ebenfalls den Schädelknochen als Schallüberträger. Das Neurophone, im ersten Patent als Hörhilfe beschrieben, ist aus medizinisch-technischer Sicht überflüssig, da es keinen Mehrwert gegenüber einfacherer Technik bringt.

Das ist der Grund, warum man scheinbar nicht hörbaren Ultraschall mit Geräten wie dem Neurophone über die Haut hören kann.

Ein Bastelprojekt, das die Funktion eines Neurophone nachbaut. Die benötigten Komponenten sind überschaubar und billig. Quelle: Hackaday

Pseudowissenschaftliche Gutachten

Der pseudomedizinisch tätige Physiker und Psychologe Günter Haffelder meinte nach EEG-Messungen an Benutzern: "Das Neurophon führt in andere Gehirnwellenbereiche, und dadurch öffnet es Tore zu anderen Bewußtseinsebenen". Als praktische Auswirkung des Neurophone habe er festgestellt, dass beim Lernen von Vokabeln "die Merk und Aufnahmefähigkeit der Probanden nahezu verdoppelt" sei. Verschiedene Alternativmediziner haben mithilfe der Kinesiologie angeblich positive Effekte des Neurophone festgestellt. Der Münchner Zahnarzt Peter Bertholdt beispielsweise will "auf diese Weise einen "normalisierenden Effekt auf die Meridiane" gefunden haben. Außerdem habe Bertholdt entdeckt, dass der pH-Wert des Urins durch die Neurophone-Anwendung "sehr schnell positiv beeinflusst" werde.[8]

Galerie

Siehe auch

  • Dem Neurophone nachempfunden ist der Thinkman bzw. Neoos der deutschen Firma Kosys aus Coburg
  • Auch das USonic 700N von Audivo ist ein technischer Klon
  • Ein "Ultraschallakustik-Modul", für das mit ähnlichen Behauptungen geworben wird, ist auch im Gerät VitalWave der deutschen Firma dr. reinwald healthcare gmbh + co kg enthalten

Weblinks

Quellen

  1. 1,0 1,1 US Patent 3,393,279: Nervous system excitation device. Filed March 13, 1962. Patented July 16, 1968
  2. http://www.rexresearch.com/flanagan/neuroph.htm
  3. Lenhardt ML, Skellett R, Wang P, Clarke AM. Human ultrasonic speech perception. Science. 1991 Jul 5;253(5015):82-5. doi: 10.1126/science.2063208
  4. Dobie RA, Wiederhold ML. Ultrasonic hearing. Science. 1992 Mar 20;255(5051):1584-5. doi: 10.1126/science.1549785
  5. Kiyoshi Fujimoto, Seiji Nakagawa, Mitsuo Tonoike, Nonlinear explanation for bone-conducted ultrasonic hearing, Hearing Research, Volume 204, Issues 1–2, 2005, Pages 210-215, ISSN 0378-5955 [1]
  6. Altenburg, K. and Kästner, S. (1952), Demodulation von Ultraschallwellen in Flüssigkeiten. Ann. Phys., 446: 161-165. https://doi.org/10.1002/andp.19524460208
  7. Veit, I.: Der Einfluß von knochengeleitetem Ultraschall auf die menschliche Cochlea. Audiologische Akustik. Vol. 19. Nr. 4. 1980 (PDF)
  8. Ulrich Arndt: Elektronischer Türöffner zu anderen Ebenen. Esotera 12/1997, 30-37