Diskussion:3-Bromopyruvat-Therapie

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Diskussionsbeitrag in Deutscher Ärztezeitung:

Quelle: https://www.aerzteblatt.de/forum/126784

Zitat:

Staphylococcus rex am Samstag, 6. April 2019 um 14:05 Offene Fragen Die Verteidigung des Heilpraktikers wird sicher versuchen, das ganze Geschehen als tragischen Unglücksfall darzustellen. Bevor man sich auf diese Sichtweise einlässt, würden mich die Antworten auf eine Reihe von Fragen interessieren.

1. Festlegung der Dosis, der Applikation und der Indikation 3-BP ist eine interessante chemische Substanz für die Forschung. Allerdings war bereits von Anfang an die hohe Toxizität ein Problem. In der EU ist diese Substanz als Arzneimittel nicht gelistet, in den USA hat die Substanz den Status als orphan drug, allerdings nur als lokale intraarterielle Infusion. https://de.wikipedia.org/wiki/Brombrenztraubensäure Bei einer pubmed-Recherche mit den Schlagworten „ 3-Bromopyruvate toxicity“ bekommt man 43 Treffer. In einer dieser Arbeiten wird die antitumoröse Wirkung bei Ratten mit der toxischen Wirkung verglichen. Bei einer Dosis von 8 mg/kg gibt es einen guten antitumorösen Effekt, bei 16 mg/kg gibt es deutliche Nekrosen: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/27982259 Auch wenn dies noch nicht repräsentativ ist, aber zu diesem Zeitpunkt lag der Fokus der Forschung bei Tieren und der extrem schmale therapeutische Bereich spricht klar gegen eine zeitnahe breite Verwendung am Menschen. Deshalb sollte das Gericht nachfragen, wie der Heilpraktiker zu seinen Zielwerten für Dosierung, Applikation und Indikationsstellung (welche Krebsarten) gekommen ist. „ Als „Daumenregel“ sei er der Empfehlung gefolgt, normalerweise höchstens 2,5 Milligramm 3BP pro Kilogramm Körpergewicht einzusetzen – bei 3 Milligramm sei „absolut Schluss“ gewesen.“ https://medwatch.de/2019/03/30/prozess-wegen-verstorbener-krebspatienten-sie-sind-definitiv-aufgeklaert-worden-dass-dieses-produkt-ein-ausprobieren-ist/ Bei dieser Dosierung kann man eher von einer moderaten systematischen Unterdosierung ausgehen. Es geht hier aber nicht nur um eine Einzelapplikation, sondern um einen ganzen Behandlungszyklus, und wenn wissenschaftlich abgesicherte Behandlungsempfehlungen fehlen, muss er sich seine eigenen Behandlungsempfehlungen erarbeitet haben. Er kann natürlich zu dieser Frage die Aussage verweigern. Aber im Arztrecht gilt bei Abkehr von gängigen Leitlinien das Prinzip der Beweislastumkehr. Wenn der Arzt von der gängigen Therapie abweicht, muss er nachweisen, dass er keine Fehler gemacht hat. Warum soll hier der Heilpraktiker besser behandelt werden?

2. Herstellung der Infusion und das Arzneimittelgesetz Die o.g. Substanz ist in der EU nicht als Arzneimittel gelistet. Es reicht ein kurzer Blick in das AMG (§25), um zu verstehen, dass die Zulassung ein hochkomplizierter Prozess ist. Vielleicht möchte der Heilpraktiker auf einen individuellen Therapieversuch plädieren. Das dürfte schwierig werden, da er bereits im Vorfeld bei etlichen Patienten diese Substanz angewandt hat. Im §13 des AMG steht, wer „Arzneimittel ... gewerbs- oder berufsmäßig herstellt“, bedarf dazu einer Herstellungserlaubnis. Ob für die Zahl der Patienten eine Herstellungserlaubnis erfordert, dürfte für einen Fachjuristen eine einfache Frage sein. Auch würde mich die Frage brennend interessieren, wie er es angestellt hat, eine Industriesubstanz in ein Arzneimittel umzudeklarieren. Spätestens seit dem Valsartan-Skandal dürfte jedem klar sein, dass für diese Umwidmung eine Reihe von aufwändigen Prüfungen notwendig ist. „ Bis zu den Todesfällen im Jahr 2016 habe er aus den USA zehn Lieferungen 3BP zu je 10 Gramm erhalten, erklärte R. Der Lieferant sei sehr vertrauenswürdig gewesen – mit einer Reinheit von über 97 Prozent.“ https://medwatch.de/2019/03/30/prozess-wegen-verstorbener-krebspatienten-sie-sind-definitiv-aufgeklaert-worden-dass-dieses-produkt-ein-ausprobieren-ist/ Hatte der Heilpraktiker bei der Eigenherstellung überhaupt Qualitätsprüfungen vorgesehen und wo sind die entsprechenden Prüfprotokolle? Auch erscheinen mir knapp 3% Verunreinigungen für ein intravenöses Arzneimittel als sehr hoch. Das sind knapp 3% der Ausgangsmasse, die ungeplante Nebenwirkungen verursachen können. Der Heilpraktiker hätte theoretisch bei der Herstellung einen Apotheker um Hilfe bitten können. Aber ohne ein ärztliches Rezept, ohne ein Konzept für die Qualitätsprüfungen und im Fall einer nicht zugelassenen Substanz ohne ein Votum einer Ethikkommission hätte dieser unter Garantie die Mitarbeit verweigert. Dies wäre ein hervorragender Punkt gewesen, innezuhalten und nachzudenken. Statt dessen ist der Heilpraktiker den Weg des geringsten Widerstands gegangen und hat sich auf die Eigenherstellung verlegt. Ob der einen Steril- und Reinstraum hat wie es bei Fachapotheken für die Herstellung von Zytostatika erforderlich ist, wage ich zu bezweifeln. Last but not least steht die Frage nach der Eignung der Waage. Nur sollte die Frage nicht heißen, ob sie manipuliert war, sondern ob sie geeicht war. Für die Arbeit im Labor habe ich geeichte Waagen, welche regelmäßig kontrolliert werden. Bei den Prüfprotokollen sehe ich die Genauigkeit und den Gewichtsbereich, in dem diese Genauigkeit erreicht werden kann. Wenn wir eine Dosierung von 2,5 mg/kg und ein Gewicht von ca. 70 kg veranschlagen (bei einer Kachexie dürfte es eher weniger sein), dann sollte die Waage im Bereich von 175 mg sehr präzise arbeiten. Wenn hier im Artikel von einer ungeeigneten Waage gesprochen wird, kann es sich eigentlich nur um eine Haushaltswaage handeln, die gar nicht geeicht werden kann. Zumindest hat der Heilpraktiker hier eine Bringepflicht bei den Prüfprotokollen.

3. Preiskalkulation Das Geschäftsmodell ist in der Regel ein gut gehütetes Firmengeheimnis, entsprechend spärlich sind die verfügbaren Informationen: „ Das Zentrum wirbt unter anderem mit biologischer Krebsbehandlung, Schmerztherapie und Entgiftung. Eine zehnwöchige Behandlung für Krebspatienten kostet demnach knapp 10.000 Euro. https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/69905/Mehrere-Tote-alternatives-Krebszentrum-vorerst-geschlossen Wenn wir die bekannten Liefermengen und Dosierungen einbeziehen ergibt sich folgende Näherungsrechnung: ca. 175 mg pro Einzeldosis machen knapp 6 Einzeldosen pro Gramm Trockensubstanz. Vor den Todesfällen wurden ca. 10x10g=100g Trockensubstanz verbraucht, das ergibt ca. knapp 600 Einzeldosen. An anderer Stelle steht, dass ca. 70 Patienten mit dieser Methode behandelt wurden. Dies ist vereinbar mit einem Behandlungsmodell von 10 Einzeldosen verteilt über mehrere Wochen. Interessant wird es bei der Frage, was hier den Gesamtpreis von 10 000 € rechtfertigt. Eine angeschlossene Palliativstation an der Praxis würde dies rechtfertigen, die Kosten für die Trockensubstanz und die Herstellungskosten für die Infusionen dürften dagegen nicht einmal ansatzweise in dieser Region liegen. Ein Behandlungspreis von 10 000 € suggeriert aufwendige Prüfprotokolle im Hintergrund. Deren Fehlen ist als Betrug zu werten. Hier wird die Staatsanwaltschaft sicher sehr genau hinsehen. „ Anwender berichten über den Internetdienst alibaba aus dem chinesischen Großhandel 3-BP in Kilogramm-Mengen beschafft zu haben. Großhändler verlangen zwischen 1 und 10 Dollar für ein Kilo der Substanz, je nach Bestellmenge. Ein ukrainischer Zwischenhändler bietet die Substanz für 75 Dollar pro Kilo an. Da manche Lieferanten nur an Forschungsinstitute und Zwischenhändler verkaufen, finden sich auch Diskussionen, wie diese Beschränkungen zu umgehen sind.“ https://www.psiram.com/de/index.php/3-Bromopyruvat-Therapie

4. Patientenaufklärung „ Die Patienten hätten gewusst, „dass das es ein Produkt ist, das noch in der Experimentierphase steckt“, sagte er. Er habe sie informiert, dass es im Grunde darum ging, den Körper zu entgiften und zu reinigen – damit das Milieu für den Tumor „nicht mehr lebenswert ist“... Der Richter ging die Fälle der vier Patienten durch, die von der Anklage erfasst waren, und fragte R. zum Aufklärungsgespräch sowie zur Therapie und den Komplikationen. Teils führte der Heilpraktiker das Gespräch auf Deutsch, teils auf Englisch – es hätte mindestens eine, wenn nicht zwei Stunden gedauert, sagte er. Ein schriftliches Aufklärungsformular fanden die Ermittlungskräfte zwar als Entwurf auf seinem Computer, doch setzte der Heilpraktiker dies nicht ein. „Ich wollte das übersetzen lassen auf Holländisch, dazu bin ich nicht gekommen“, sagte R. Er erklärte, dass er schon den Besuch in seiner Praxis als Willenserklärung dafür ansah, dass die Patienten seine Therapien wollten.“ https://medwatch.de/2019/03/30/prozess-wegen-verstorbener-krebspatienten-sie-sind-definitiv-aufgeklaert-worden-dass-dieses-produkt-ein-ausprobieren-ist/ Aus den o.g. Äußerungen kann man ableiten, dass es sich um verzweifelte Menschen in einer Notlage handelte, die sehr wohl wussten, dass der Heilpraktiker bereit war EINIGE Regeln zu brechen. Es darf aber sehr wohl bezweifelt werden, dass sie sich der Tatsache bewusst waren, dass der Heilpraktiker praktisch ALLE Regeln gebrochen hat. Es geht also nicht nur darum, welche Informationen er in seinem Aufklärungsgespräch geliefert hat, sondern darum welche wesentlichen Informationen er in dem Aufklärungsgespräch VORENTHALTEN hat: Insbesondere wußten die Patienten, dass eine Industriesubstanz mit knapp 3% Verunreinigungen mal eben so in ein Arzneimittel umdeklariert wurde? Wußten die Patienten, dass es sich eben nicht um eine „biologische Krebsbehandlung“, sondern um eine ungeprüfte klassische Chemotherapie handelt (auch wenn die Substanz nicht im DNS-Stoffwechsel sondern im Energiestoffwechsel angreift, so bleibt es doch eine Chemotherapie). Wußten die Patienten, dass selbst bei einem Behandlungspreis von knapp 10 000 € auf Qualitätsprüfungen verzichtet wurde? Wußten die Patienten, dass der Heilpraktiker weder die wissenschaftliche Qualifikation für die Planung und Durchführung einer Chemotherapie hatte, dass er weder die fachliche Qualifikation noch die Erlaubnis für die Herstellung von Arzneimitteln besaß und dass die räumliche und apparative Ausstattung für diese hochtoxische Therapie absolut unzureichend waren?

Zusammenfassung: Auch wenn in diesem Prozess vieles sehr kompliziert erscheint, lässt sich der Entscheidungspfad sehr vereinfachen. Die Übertretungen des Arzneimittelgesetzes sind unstrittig. Aus dem gesamten Kontext (Waage etc.) wird die fahrlässige Tötung offensichtlich. Nur steht die Frage, ob dies wirklich angemessen ist. Hier steht und fällt alles mit der Wirksamkeit des Behandlungsvertrages und der Gültigkeit der Aufklärung. Wenn die Aufklärung rechtsgültig ist, bleibt es bei der fahrlässigen Tötung. Wenn die Aufklärung ungültig ist, dann haben wir eine vorsätzliche Körperverletzung mit Todesfolge. Und wenn die Staatsanwaltschaft aus dem Geschäftsmodell niedere Beweggründe (=Bereicherung) ableiten kann, dann wird das Ganze zu einem schnöden Giftmord. Auch sollte das Gericht berücksichtigen, dass hier nicht nur eine sondern eine Vielzahl an Grenzüberschreitungen stattgefunden hat. Egal welchen Aspekt man nimmt, sei es die Dosisfindung, die Herstellung, die Preiskalkulation oder die Aufklärung, bei jedem dieser Aspekte hat der Heilpraktiker seine Grenzen überschritten. Bei jedem dieser Aspekte hätte er innehalten müssen und sich fragen müssen, was er da gerade vorhat. Er hätte sich fragen müssen, ob die Regeln und Gesetze, die er bricht, nicht nur Schikane sind, sondern eine sinnvolle Schutzfunktion haben. Genau das macht auch die Herausforderung für diesen Fall aus, die Einzelvergehen mögen moderat erscheinen, in ihrer Summe ergeben sie eine neue Qualität. In gewisser Hinsicht gibt es hier Parallelen zur Mordanklage bei den Ku-Damm-Rasern.

Ist dies ein tragischer Einzelfall oder gibt es weiter reichende Konsequenzen? Ich gehe davon aus, dass die Mehrzahl der Heilpraktiker in Deutschland seriös arbeitet, eine pauschale Vorverurteilung des ganzen Berufsstandes lässt sich daraus nicht ableiten. Wenn allerdings psiram.com Hinweise auf länger bestehende Vertriebsstrukturen hat, bedeutet dies, der aktuelle Fall ist nur die Spitze des Eisberges und diese Substanz wird in der alternativmedizinischen Szene weiterhin intensiv genutzt. https://www.psiram.com/de/index.php/3-Bromopyruvat-Therapie Außerdem gibt es hier im Forum eine kleine, aber lautstarke Gruppe an Heilpraktikern bzw. an Personen, welche der Heilpraktikerszene nahestehen, welche die gleiche fatale Mischung aus Sendungsbewusstsein und Selbstüberschätzung zeigen wie der beschuldigte Heilpraktiker in diesem Prozeß. Anstatt die Selbstüberschätzung und die Grenzüberschreitungen des Heilpraktikers einzugestehen, wird alles getan, um ihn zu verteidigen. Das bedeutet für die fachliche Diskussion bleibt es weiterhin ein relevantes Thema.

Müssen jetzt unbedingt Gesetze geändert werden? Aus meiner Sicht nicht. Allerdings ist aus meiner Sicht eine Klarstellung überfällig in der Hinsicht, dass bei Kunstfehlerprozessen Ärzte und Heilpraktiker nach den gleichen Regeln behandelt werden sollten. Das bedeutet z.B. vor riskanten Eingriffen wie einer Chemotherapie haben die Patienten Anspruch auf eine Aufklärung auf Facharztniveau incl. entsprechender Dokumentation. Und auch die Regeln der Beweislastumkehr sollten für Ärzte und Heilpraktiker gleichermaßen gelten. https://www.aerzteblatt.de/archiv/148514/Patientenrechtegesetz-Beweislasten-im-Arzthaftungsprozess

Schwieriger wird es mit den Konsequenzen für das Arzneimittelgesetz. Der entscheidende Punkt ist aus meiner Sicht die Umdeklarierung einer Industriesubstanz in ein Arzneimittel ohne die entsprechende Erlaubnis. Hier wäre es hilfreich, wenn in diesem Fall alle Folgekosten bei Gesundheitsschäden als Schadensersatz auf den Verursacher abgewälzt werden könnten. Dies hätte sicher eine gewisse abreckende Wirkung. (Ein angenehmer Nebeneffekt wäre, dass z.B. theoretisch jeder Rauschgiftdealer damit die Entzugstherapien seiner Kunden bezahlen müsste.) Prophylaktisch bringt dies allerdings wenig. So lange es keine Auffälligkeiten gab, ist der beschuldigte Heilpraktiker monatelang unterhalb des Radars der Aufsichtsbehörden durchgerutscht. Der einzig gangbare Weg wäre hier der Weg des Geldes. Wenn eine Heilpraktikerpraxis besonders hohe Erträge abwirft (die versteuert werden müssen) oder wenn in der Reklame (z.B. auf der eigenen Webseite) für besonders teure Therapien geworben wird, sollte dies ein Grund für die Gewerbeaufsicht sein zu prüfen, ob die gesetzlichen Vorschriften eingehalten werden.

Zum Glück ist die deutsche Sprache sehr nuancenreich. Bedauern und Bereuen haben unterschiedliche Bedeutungen. Ein Bereuen setzt im Gegensatz zum Bedauern die intensive Beschäftigung mit den eigenen Taten und Motivationen voraus. Nach meiner Einschätzung ist dies hier noch nicht einmal ansatzweise geschehen.